Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzpflicht der Krankenkasse gegenüber dem Rentenversicherungsträger

 

Leitsatz (redaktionell)

Für die Frage der Ersatzpflicht der Krankenkasse kommt es nicht darauf an, daß die von der Krankenkasse dem Versicherten zu gewährenden Leistungen für die Dauer des Heilverfahrens durch eine Leistung des Rentenversicherungsträgers abgelöst werden.

 

Normenkette

RVO § 1239 S. 4 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Dezember 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Hallenreiniger und Schießmeister Otto S (S.) war auf Grund seines Beschäftigungsverhältnisses in einem städtischen Schlachthof bei der Klägerin krankenversichert, beim beklagten Gemeinde-Unfallversicherungsverband unfallversichert und bei der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) rentenversichert. Wegen einer Lungentuberkulose war er seit dem 12. Februar 1957 arbeitsunfähig krank.

Die Klägerin gewährte ihm deshalb ambulante ärztliche Behandlung und Krankengeld. Die LVA führte wegen dieser Erkrankung vom 30. April bis 15. Oktober 1957 ein stationäres Heilverfahren durch. Der Beklagte bewilligte, da er die Lungentuberkulose als Berufskrankheit ansah, vom 16. Oktober 1957 an die Vollrente als vorläufige Rente.

Die Klägerin ersetzte der LVA - gemäß § 1239 Satz 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - den Betrag von 640,21 DM; dies entsprach dem Krankengeld, das S. vom 30. April bis 11. Juli 1957 (Tag der Aussteuerung) von der Klägerin erhalten hätte, wenn die LVA das Heilverfahren nicht durchgeführt hätte.

Bei der Anmeldung ihrer Ersatzansprüche gegenüber der Beklagten (§ 1509 RVO in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - UVNG - geltenden Fassung - RVO aF) machte die Klägerin auch den Betrag von 640,21 DM, den sie an die LVA auf deren Verlangen gezahlt hatte, geltend. Die Beklagte ersetzte der Klägerin aber nur ihre Aufwendungen für ambulante Behandlung sowie für das Krankengeld, das die Klägerin S. vom 30. März bis 29. April 1957 - vom 46. Tag nach Beginn der Berufskrankheit bis zur Einleitung des Heilverfahrens durch die LVA - gezahlt hatte. Die weitergehenden Ersatzansprüche der Klägerin lehnte sie mit der Begründung ab, daß die Klägerin den Betrag von 640,21 DM nicht als Krankengeld an S., sondern als Aufwendungsersatz an die LVA geleistet habe; der Klägerin seien somit keine Aufwendungen im Sinne des § 1507 RVO aF entstanden.

Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die von der Krankenkasse gegen den Gemeinde-Unfallversicherungsverband erhobene Klage auf Ersatz jener 640,21 DM durch Urteil vom 31. August 1962 abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat - nach Beiladung der LVA - durch Urteil vom 20. Dezember 1963 die Entscheidung des SG aufgehoben und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 640,21 DM zu zahlen.

Das Berufungsgericht hat sein Urteil im wesentlichen wie folgt begründet: Das von der beigeladenen LVA gewährte Heilverfahren sei durch die Berufskrankheit veranlaßt worden. Hätte die LVA dieses Heilverfahren nicht durchgeführt, hätte die Beklagte der Klägerin das von dieser über den 29. April 1957 hinaus an S. zu zahlende Krankengeld gemäß § 1509 RVO aF zweifellos ersetzen müssen. Die Einleitung des Heilverfahrens durch die LVA habe die Leistungspflicht des Beklagten gegenüber dem Verletzten der Sache nach nicht aufgehoben. Dadurch sei auch die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Krankengeld nicht entfallen. Die Klägerin habe das Krankengeld nur in anderer Weise und nicht unmittelbar an S. zahlen müssen; nach § 1239 Satz 4 RVO habe sie sich vielmehr an den Kosten des Heilverfahrens, die von der LVA getragen worden seien, beteiligen müssen. Der Klägerin seien somit aus Anlaß der Berufskrankheit Aufwendungen für Heilbehandlungsmaßnahmen entstanden, die vom Beklagten nach § 1509 RVO aF zu ersetzen seien.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es wie folgt begründet: Nach § 19 der Bestimmungen des Reichsversicherungsamts vom 19. Juni 1936 (AN S. 195) müsse der Träger der Unfallversicherung nur Ersatz leisten, wenn die Krankenkasse ein Heilverfahren gewährt habe. Da dieses indessen die beigeladene LVA durchgeführt habe, sei das von der Klägerin bis zur Einleitung des Heilverfahrens gezahlte Krankengeld weggefallen. Nach § 184 Abs. 1 RVO sei in einem solchen Fall ein Anspruch des Versicherten auf Krankengeld ausgeschlossen. Die Klägerin sei deshalb zu einer Ersatzleistung an die LVA nicht verpflichtet. Nach § 1239 Satz 4 RVO bestehe ein Ersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers gegen die Krankenkasse nur, wenn der Erkrankte während des vom Rentenversicherungsträger durchgeführten Heilverfahrens nach Gesetz oder Satzung vom Träger der Krankenversicherung Krankengeld zu beanspruchen gehabt hätte. Entfalle somit eine Ersatzpflicht der Klägerin gegenüber der beigeladenen LVA, könne die Klägerin vom Beklagten nicht Ersatz verlangen.

Die Klägerin und die Beigeladene halten das Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt,

nach Aktenlage zu entscheiden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor.

Die Revision ist nicht begründet.

Der von der Klägerin der beigeladenen LVA ersatzweise geleistete Betrag von 640,21 DM gehört zu den Aufwendungen, die zu Lasten der Beklagten gehen. Diese hat ihn deshalb der Klägerin zu ersetzen (§§ 1505 Abs. 1, 1507 Nr. 1, 1509 Abs. 1 RVO aF; Art. 4 § § 1, 4 UVNG).

Die Ersatzpflicht der Klägerin gegenüber der Beigeladenen ergibt sich aus § 1239 Satz 4 RVO (zur weiteren Rechtsentwicklung vgl. die Vereinbarung vom 15. September 1958 - DOK 1958, 563 - und § 183 Abs. 6 RVO idF des Gesetzes vom 12. Juli 1961 - BGBl I 913 - sowie BSG 22, 112). Diese Vorschrift ist mit dem Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - (1. Januar 1957 - Art. 3 § 8 ArVNG) an die Stelle des § 1518 RVO getreten (Art. 3 § 2 ArVNG). Dieser hatte bis dahin die Lastenverteilung zwischen den Trägern der Kranken- und Rentenversicherung im wesentlichen geregelt. § 1239 RVO hat die hier auftretenden Fragen organisatorischer Art, über die Höhe der Ansprüche des Versicherten sowie über die Lastenverteilung unter den beteiligten Versicherungsträgern in einer einzigen Vorschrift zusammengefaßt (Koch/Hartmann, Kommentar zum Angestelltenversicherungsgesetz, Anm. 1 zur - inhaltsgleichen - Vorschrift des § 16). Die Anspruchsgrundlage für den Ersatzanspruch des Trägers der Rentenversicherung gegen den Krankenversicherungsträger ist in § 1239 Satz 4 RVO gegenüber § 1518 Abs. 2 RVO indessen nicht geändert worden. Hat also ein Rentenversicherungsträger ein Heilverfahren zu einer Zeit durchgeführt, in der eine Krankenkasse dem Versicherten Krankenpflege hätte gewähren müssen, so hat die Krankenkasse die Beiträge, die sie anderenfalls als Krankengeld dem Versicherten hätte zahlen müssen, an den Rentenversicherungsträger als Ersatz für dessen Aufwendungen zu leisten. Entgegen der Ansicht der Revision kommt es für die Frage der Ersatzpflicht der Krankenkasse somit nicht darauf an, daß die von der Krankenkasse dem Versicherten zu gewährenden Leistungen für die Dauer des Heilverfahrens durch eine Leistung des Rentenversicherungsträgers (siehe § 1241 Abs. 1, § 1239 Satz 2 RVO) abgelöst werden (§ 1239 Satz 3 RVO, VerbKomm. Anm. 7 zu § 1239 RVO; Monatsblätter für Arbeiterversicherung 1908 S. 57; Lehmann, Kommentar zur RVO, 4. Aufl., 5. und 6. Buch, Anm. 8 zu § 1518).

Zutreffend hat das LSG angenommen, daß der von der Klägerin nach § 1239 Satz 4 RVO an die LVA geleistete Ersatz zu den von der Beklagten zu ersetzenden "Aufwendungen für das Krankengeld aus der Krankenversicherung" im Sinne des § 1507 Nr. 1 RVO aF gehört. Dies hat der Senat in der heute entschiedenen Parallelstreitsache 2 RU 148/63 bejaht; auf die nähere Begründung dieses Urteils wird verwiesen.

Die Ansicht der Revision, daß nur die unmittelbar dem Versicherten gewährten Leistungen der Krankenkasse Aufwendungen im Sinne jener Vorschrift seien, findet, wie der Senat in diesem Urteil ausgeführt hat, im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Es würde dem Grundgedanken des § 1507 Nr. 1 RVO aF widersprechen, einem Träger der Krankenversicherung die wirtschaftliche Entlastung allein deshalb zu versagen, weil ein Rentenversicherungsträger im Interesse des Versicherten ein Heilverfahren durchgeführt hat. Die Krankenkasse hat auf die Einleitung dieses Heilverfahrens keinen maßgeblichen Einfluß, da über dessen Notwendigkeit der Rentenversicherungsträger zwar im Benehmen, aber nicht im Einvernehmen mit der Krankenkasse entscheidet (§ 1239 Satz 1 RVO; Verb. Komm. Anm. 5 zu § 1239 RVO). Diese Entscheidung des Rentenversicherungsträgers hat indessen zur Folge, daß die Krankenkasse für die Dauer des Heilverfahrens zwar von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten befreit ist, sie aber in dieser Zeit keinerlei Möglichkeiten besitzt, das Krankheitsgeschehen zu beeinflussen, und sie trotzdem verpflichtet ist, dem Rentenversicherungsträger Ersatz zu leisten. Demgegenüber wird der Träger der Unfallversicherung für die Dauer eines solchen Heilverfahrens von der Pflicht zur Rentenzahlung befreit (§ 559 e RVO aF; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 559 e RVO). Er braucht auch nicht, wie der Senat in der Sache 2 RU 148/63 ausgeführt hat, zu befürchten, in einem solchen Fall sowohl vom Träger der Krankenversicherung als auch vom Träger der Rentenversicherung ersatzweise in Anspruch genommen zu werden. Die Revision war somit als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324122

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