Leitsatz (redaktionell)

Wird Rente vor Beginn einer Rehabilitationsmaßnahme nicht bewilligt, so besteht ein Anspruch auf Rente bis zum Ende der Maßnahme auch dann nicht, wenn ein Übergangsgeld an Stelle von Rente wegen Anrechnung von Arbeitseinkommen nicht zu zahlen ist. Eine Gesetzeslücke ist in diesen Fällen nicht anzunehmen.

Der RVO § 1241 Abs 1 S 2, § 1242 findet auch dann Anwendung, wenn der Versicherungsträger Berufsunfähigkeit erst nach Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme anerkennt oder wenn sich eine Berufsunfähigkeit nach Durchführung als von Anfang an "irreparabel" erweist.

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1242 Fassung: 1957-02-23; AVG § 18 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, § 19 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Februar 1971 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten um den Beginn einer Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente).

Auf den im Dezember 1967 gestellten Rentenantrag ließ die Beklagte den Kläger durch einen Facharzt für innere Krankheiten begutachten und lehnte danach durch Bescheid vom 8. März 1968 den Antrag ab, weil das Leistungsvermögen des Klägers nicht bis zur BU herabgesetzt sei. Während des folgenden Klageverfahrens unterzog sich der Kläger vom 24. September bis 22. Oktober 1969 einer von der Beklagten bewilligten Heilbehandlung. Der Entlassungsbericht veranlaßte die Beklagte, BU ab Oktober 1967 anzuerkennen und die dem Kläger zustehenden Leistungen in den Bescheiden vom 5. Januar und 20. Februar 1970 zu regeln. Danach erhielt der Kläger vom 23. Oktober 1969 an BU-Rente; für die vorhergehende Zeit von Oktober 1967 an komme an sich Übergangsgeld in Betracht; es sei allerdings wegen Arbeitseinkommens erst von Juli 1969 an zu zahlen und bis September 1969 an eine Ersatzkasse (als Ersatz für Krankengeld) zu überweisen.

Mit seinem Begehren, die BU-Rente schon vom 5. Oktober 1967 an zu erhalten, hatte der Kläger in den Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts - SG - Kiel vom 2. Juni 1970 und des Landessozialgerichts - LSG - Schleswig-Holstein vom 10. Februar 1971). Das LSG wies die - vom SG zugelassene - Berufung zurück, weil der Kläger nach § 19 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) eine BU-Rente vor und während der Zeit der Heilbehandlung nur beanspruchen könnte, wenn die Rente ihm vorher schon bewilligt worden wäre; das treffe hier nicht zu. Der Kläger könne sein Begehren auch nicht auf einen "Folgenbeseitigungsanspruch" stützen, weil § 19 AVG eine den Vorstellungen des Gesetzgebers entsprechende abschließende Regelung darstelle, die Beklagte zudem nichts durch schuldhafte oder gesetzwidrige Maßnahmen dem Kläger vorenthalten habe.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,

die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten vom 5. Januar und 20. Februar 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 5. Oktober 1967 bis 22. Oktober 1969 anstelle von Übergangsgeld BU-Rente zu gewähren.

Der Kläger rügt eine Verletzung materiellen Rechts. Die Auffassung des LSG entspreche zwar dem Gesetzeswortlaut, führe aber zu einem ungerechten, unbilligen Ergebnis. § 19 AVG enthalte eine Gesetzeslücke; der Gesetzgeber habe einem Rentendenken entgegenwirken wollen, das hier wegen der bereits irreparabel eingetretenen BU gar nicht habe entstehen können. Auch dürfe der Kläger keine Nachteile deshalb erleiden, weil der ärztliche Dienst der Beklagten die BU nicht rechtzeitig erkannt habe.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bestreitet ein Versagen ihres ärztlichen Dienstes.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger muß selbst einräumen, daß § 19 AVG den Anspruch auf BU-Rente für die streitige Zeit ausschließt; daran kann auch der Umstand nichts ändern, daß ein Übergangsgeld bis Juni 1969 wegen Arbeitseinkommens nicht zu zahlen war (BSG 17, 238). Das Gesetz läßt eine Zahlung von BU-Rente für Zeiten vor dem Ende einer Rehabilitationsmaßnahme nur zu, wenn die Rente vor Beginn der Maßnahme bereits bewilligt war. Eine weitere Ausnahme kann unter keinem hier erwogenen Gesichtspunkt zugestanden werden.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt dargelegt hat (aaO und BSG 21, 260), soll der Ausschluß der Rentenzahlung ein "Rentendenken" bis zum Ende der Rehabilitationsmaßnahmen ausschalten, um die Mitarbeit der Versicherten bei der Rehabilitation zu sichern. Ein solches Rentendenken kann auch aufkommen, wenn Rente bei erfolgloser Rehabilitation für vorangegangene Zeiten wenigstens unter einer der vom Kläger angeführten Voraussetzungen zustünde, nämlich dann, wenn der Versicherungsträger BU erst nach Durchführung der Rehabilitationsmaßnahme anerkennt oder wenn eine BU sich nun als von Anfang an "irreparabel" erweist. Nach dem Grundgedanken des Gesetzes muß in solchen Fällen die rückwirkende Rentenzahlung gleichfalls ausgeschlossen sein. Für eine Gesetzeslücke ist daher kein Anhalt erkennbar.

Ebensowenig läßt sich dem Kläger mit "Ausgleichsansprüchen" helfen. Denn nur bis zum Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen wäre es überhaupt möglich, die Folgen einer rechtswidrigen Rentenablehnung durch Gewährung von Rente ab Antragstellung auszugleichen; mit dem Rehabilitationsbeginn entsteht jedoch aufgrund des § 19 AVG eine neue Rechtslage; sie bewirkt, daß auch unter Gesichtspunkten des "Ausgleichs" für die Vergangenheit nunmehr schlechthin nur Übergangsgeld gewährt werden kann.

Wenn der Kläger das Ergebnis als unbillig empfindet, so liegt das daran, daß auf das Übergangsgeld Arbeitseinkommen angerechnet wird. Deswegen darf der Senat aber nicht davon absehen, die gesetzliche Regelung der Abgrenzung von Übergangsgeld und Rente hier nicht anzuwenden, die sich vielfach zum Vorteil der Versicherten auswirkt. Davon abgesehen übersieht der Kläger auch, daß der Versicherungsträger bei rechtzeitiger Erkennung einer BU stets prüfen muß, ob die BU durch Rehabilitationsmaßnahmen voraussichtlich beseitigt werden kann, daß dagegen bei von vornherein "irreparabler" BU solche Maßnahmen nicht statthaft sind; der Kläger durfte also bei rechtzeitiger Erkennung der BU nicht ohne weiteres auf Rentengewährung vertrauen und bei "irreparabler" BU keine Heilbehandlung in Anspruch nehmen.

Die Revision ist somit als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670310

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge