Leitsatz (redaktionell)
1. Eine auf Antrag ordnungsgemäß ausgesprochene Befreiung von der Beitragspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse ist unwiderruflich und somit endgültig. Wird dennoch auf einen späterhin gestellten Antrag irrtümlich die Wiederaufnahme in das Mitgliederverzeichnis vorgenommen, ist die Frage der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beurteilen.
2. Nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts ist die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nur dann zulässig, wenn das öffentliche Interesse der Verwaltung an der Beseitigung des Verwaltungsaktes gegenüber dem schutzwürdigen Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes überwiegt.
Normenkette
GAL § 14 Abs. 2 S. 4 Fassung: 1969-07-29, § 9 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1961-07-03, § 14 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1969-07-29, § 9 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1961-07-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. Juli 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob die Beklagte berechtigt ist, einen Bescheid zurückzunehmen, mit dem sie den Kläger in ihr Mitgliederverzeichnis aufgenommen und zur Beitragsentrichtung veranlagt hat, und ob dem Kläger ein Anspruch auf Altersgeld zusteht.
Die Beklagte nahm den am 19. August 1902 geborenen Kläger erstmalig 1962 in ihr Mitgliederverzeichnis auf. Am 2. Mai 1963 beantragte der Kläger seine Befreiung von der Beitragspflicht, weil für ihn für 180 Kalendermonate Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) entrichtet waren. In dem formularmäßig gestellten Antrag erklärte er, ihm sei bekannt, daß die Beitragsbefreiung unwiderruflich sei und er damit endgültig aus der landwirtschaftlichen Alterskasse ausscheide. Die Beklagte entsprach dem Antrag mit Bescheid vom 9. Mai 1963 (§ 9 Abs. 2 Buchstabe a des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte - GAL - vom 27.7.1957; BGBl I 1063; idF vom 3.7.1961; BGBl I 845).
Am 25. November 1964 bat der Kläger die Beklagte um Mitteilung, welche Beiträge er nachzuzahlen habe. Die Beitragsbefreiung erwähnte er nicht. Die Beklagte wies ihn am 3. Dezember 1964 auf diese hin und teilte ihm mit, daß seine erneute Aufnahme in ihr Mitgliederverzeichnis nicht möglich sei, er auch weder Beiträge zahlen könne noch Anspruch auf Altersgeld habe. Dessen ungeachtet schrieb der Kläger der Beklagten am 4. Juli 1965, er erfülle die Voraussetzungen der Zugehörigkeit zur landwirtschaftlichen Alterskasse und sei zur Beitragsnachzahlung bereit. Die bisherigen Vorgänge erwähnte er wiederum nicht. Die Beklagte wies ihn unter dem 20. August 1965 nochmals auf die Unwiderruflichkeit der Beitragsbefreiung hin und erklärte auch nochmals, daß eine Aufnahme in ihr Mitgliederverzeichnis nicht möglich sei.
Am 13. Dezember 1966 teilte der Kläger der Beklagten unter Angabe der Größe und des Ertragswertes seines Unternehmens mit, er sei bereits seit 1957 alterskassenpflichtig; er bat um Aufnahme in die landwirtschaftliche Alterskasse und erklärte sich zur Beitragsnachzahlung bereit. Auch in diesem Schreiben erwähnte er weder die Beitragsbefreiung, noch den bisherigen Schriftwechsel. Die Beklagte nahm ihn mit Bescheid vom 5. April 1967 in ihr Mitgliederverzeichnis auf, veranlagte ihn zur Beitragsentrichtung und forderte die Nachzahlung von Beiträgen. Der Kläger entrichtete diese Beiträge, verpachtete dann am 1. Juli 1967 sein Unternehmen für die Zeit bis zum 30. Juni 1976 an seinen Sohn und beantragte am 21. Juli 1967 die Gewährung von Altersgeld. Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 10. November 1967 fest, der Kläger zähle nicht zu dem Personenkreis der beitragspflichtigen Unternehmer, und beanstandete die entrichteten Beiträge; diese Beiträge zahlte sie auch alsbald zurück, weil der Bescheid vom 5. April 1967 rechtsunwirksam sei. Mit einem weiteren Bescheid vom 13. November 1967 lehnte die Beklagte den Altersgeldantrag ab, weil Beiträge nicht entrichtet worden seien, auch eine Abgabe nicht vorliege, da die Verpachtung nicht bis zum 19. August 1976 erfolgt sei. Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10. November 1967 blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 1968). Das Sozialgericht (SG) Regensburg wies die Klagen gegen beide Bescheide nach Verbindung mit Urteil vom 14. April 1969 ab. Während des Berufungsverfahrens wurde der Pachtvertrag bis zum 30. Juni 1977 verlängert. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung zurück und führte dazu aus: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Schutz des Vertrauens in den Bestand des Bescheides vom 5. April 1967, weil er die Rechtslage gekannt habe; er sei darüber belehrt gewesen, daß die Befreiung von der Beitragspflicht unwiderruflich sei und er damit endgültig aus der landwirtschaftlichen Alterskasse ausscheide. Mangels wirksam entrichteter Beiträge bestehe kein Anspruch auf Altersgeld.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
die vorinstanzlichen Urteile sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm ab Antragstellung Altersgeld zu gewähren.
Zur Begründung bezieht er sich auf zwei Urteile des erkennenden Senats vom 27. Mai 1970 (11/7 RLw 19/66 und 11/7 RLw 20/67) und führt aus, die Beklagte habe ihre Sorgfaltspflicht ihm gegenüber dadurch verletzt, daß sie die früheren Vorgänge nicht beigezogen habe. Jedermann müsse für seine Fehler einstehen; es sei nicht einzusehen, weshalb der Staat ein Ausnahmerecht haben solle.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Verfügungssatz und Begründung des Bescheides vom 10. November 1967 lassen klar erkennen, daß die Beklagte mit diesem Bescheid den Bescheid vom 5. April 1967 hat aufheben, d.h. zurücknehmen wollen, und daß sie die vom Kläger nachentrichteten Beiträge als nicht rechtswirksam beanstandet hat. Beide Vorinstanzen haben diesen Rücknahmebescheid zutreffend für rechtmäßig gehalten.
Der Bescheid vom 5. April 1967 enthält die antragsgemäße Aufnahme des Klägers in das Mitgliederverzeichnis der Beklagten sowie die Feststellung seiner Beitragspflicht und seine Veranlagung zur Beitragsentrichtung. Es handelt sich deshalb um einen feststellenden, überwiegend begünstigenden Verwaltungsakt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27.5.1970 - 11/7 RLw 19/66 -). Dieser Verwaltungsakt ist rechtswidrig. Mit der am 9. Mai 1963 auf seinen eigenen Antrag erfolgten, unwiderruflichen Befreiung von der Beitragspflicht ist der Kläger endgültig aus der landwirtschaftlichen Alterskasse ausgeschieden (§ 9 Abs. 2 Satz 2 und 3 GAL 1961 = § 14 Abs. 2 Satz 3 und 4 GAL 1965 = § 14 Abs. 2 Satz 3 und 4 GAL 1969); seine Wiederaufnahme in das Mitgliederverzeichnis der Beklagten sowie seine Verpflichtung und Veranlagung zur Beitragsentrichtung sind deshalb zu Unrecht erfolgt. In dem beiden Beteiligten bekannten Urteil des Senats vom 27. Mai 1970 ist ausgeführt, daß die Zulässigkeit der Rücknahme solcher rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beurteilen ist. Bei der hierbei vorzunehmenden Interessenabwägung kommt es darauf an, ob im Einzelfall ein Schutzwürdiges Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes oder das öffentliche Interesse der Verwaltung an seiner Beseitigung überwiegt. Diese Interessenabwägung ergibt hier ein eindeutiges Überwiegen des öffentlichen Interesses. Zwar fällt die Ursache der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 5. April 1967 in erster Linie in den Verantwortungsbereich der Beklagten; sie hat bei dem Erlaß dieses Bescheides § 14 Abs. 2 Satz 4 GAL 1965 außer acht gelassen. Andererseits hat aber der Kläger in dem Antrag vom 13. Dezember 1966 nicht verschweigen dürfen, daß er schon im Mai 1963 auf seinen eigenen Antrag von der Beitragspflicht befreit worden ist, zumal er in dem Befreiungsantrag vom 2. Mai 1963 ausdrücklich erklärt hat, es sei ihm bekannt, daß die Beitragsbefreiung unwiderruflich sei und daß sein damit erfolgendes Ausscheiden aus der landwirtschaftlichen Alterskasse endgültig sei, und die Beklagte ihn in den folgenden Jahren auf diese von den Änderungen des Gesetzes unberührt gebliebene Rechtslage wiederholt schriftlich hingewiesen hat. Auch hat die Zeit zwischen dem Erlaß des rechtswidrigen Bescheides vom 5. April 1967 und seiner Rücknahme durch den Bescheid vom 10. November 1967 nur sieben Monate betragen. Die Beiträge, die vom Kläger auf Grund des rechtswidrigen Bescheides nachentrichtet worden sind, hat die Beklagte alsbald zurückerstattet. Eine Abgabe des Unternehmens im Sinne des GAL ist vor der Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides nicht erfolgt; der Pachtvertrag vom 1. Juli 1967 erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 2 GAL 1965, er ist erst nach der Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides verlängert worden. Der Kläger hat mithin damals noch keinen Anspruch auf Altersgeld gehabt.
Die Beklagte ist deshalb berechtigt gewesen, den rechtswidrigen Bescheid vom 5. April 1967 in vollem Umfang zurückzunehmen. Damit sind auch die vom Kläger entrichteten Beiträge nicht rechtswirksam entrichtet, von der Beklagten also zu Recht beanstandet und zurückerstattet worden. Der Kläger hat folglich keinen Anspruch auf die Gewährung von Altersgeld. Der Bescheid der Beklagten vom 13. November 1967, der dies ausspricht, ist daher ebenfalls rechtmäßig.
Nach alledem ist die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen