Leitsatz (amtlich)
Das vorzeitige Altersgeld, das einer Witwe nach Auflösung ihrer 2. Ehe gewährt worden ist, darf nicht nach GAL § 4 Abs 5 um Renten oder Versorgungsbezüge nach 1. Ehe gekürzt werden, die mit Auflösung der 2. Ehe wieder aufgelebt sind; wiederaufgelebte Ansprüche sind im Recht der landwirtschaftlichen Altershilfe wie im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber Ansprüchen nach 2. Ehe subsidiär.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; GAL § 4 Abs. 5 Fassung: 1965-09-14; BBG § 164 Abs. 3 Fassung: 1965-10-22
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen werden der Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 1969 und die Urteile des Sozialgerichts Dortmund vom 8. September 1969 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. September 1970 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin das Altersgeld ungekürzt zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe
I
Streitig ist die Kürzung des der Klägerin gewährten Witwenaltersgeldes.
Die am 18. Juni 1911 geborene, zweimal verheiratet gewesene Klägerin erhält nach ihrem ersten Ehemann Versorgungsbezüge nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes (G 131) sowie eine Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung (ArV) und aus der Kriegsopferversorgung. Als Witwe ihres 1968 verstorbenen zweiten Ehemannes bezieht sie vorzeitiges Altersgeld nach § 3 Abs. 2 Buchst. a des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte in der Fassung vom 14. September 1965 (GAL 1965, BGBl I 1449; gleichlautend GAL 1969; BGBl I 1017). Wegen der Versorgung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG kürzte die Beklagte das Altersgeld bis zur Hälfte (§ 4 Abs. 5 GAL); die nach § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen dagegen rechnete das Altersgeld auf die wiederaufgelebte Witwenrente in voller Höhe an. Die übrigen Leistungsträger nahmen keine Kürzung vor. Den Antrag der Klägerin, ihr das Altersgeld ungekürzt zu gewähren, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 29. Mai 1969). Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteile des Sozialgerichts - SG - Dortmund vom 8. September 1969 und des Landessozialgerichts - LSG - Nordrhein-Westfalen vom 23. September 1970). Nach der Ansicht des LSG enthält § 4 Abs. 5 GAL eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß wiederaufgelebte Ansprüche gegenüber Ansprüchen aus einer neuen Ehe nachrangig sind. § 10 Abs. 5 GAL zeige, daß dem Gesetzgeber das Problem der Nachrangigkeit wiederaufgelebter Ansprüche nicht entgangen sei; dennoch sei in den verschiedenen Fassungen des GAL bei den Kürzungsvorschriften kein Unterschied hinsichtlich des Ursprungs anderweitiger Bezüge gemacht worden; der Gesetzgeber habe mithin die Nachrangigkeit wiederaufgelebter Ansprüche hier insoweit nicht gewollt. Das sei sinnvoll, weil die landwirtschaftliche Altershilfe zur Zeit vorwiegend aus dem Steueraufkommen geleistet werde.
Die beigeladene LVA legte die vom LSG zugelassene Revision ein mit dem Antrag,
die vorinstanzlichen Urteile sowie den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin das ungekürzte Altersgeld zu gewähren.
Die Beigeladene rügt eine Verletzung materiellen Rechts. Sie meint, gerade § 10 Abs. 5 GAL zeige, daß die Versorgung der Witwe in erster Linie aus Ansprüchen aus der zweiten Ehe sicherzustellen sei. Erst nach Feststellung der Altersgeldleistung könne geprüft werden, in welcher Höhe ein Wiederaufleben der subsidiären Leistung aus der früheren Ehe in Betracht komme. Werde sodann das Altersgeld gekürzt, so müsse die subsidiäre Leistung neu festgestellt werden; der sie betreffende erste Verwaltungsakt werde allein durch das Verwaltungshandeln der Altersgeldkasse nachträglich fehlerhaft. Das sei mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Klägerin ließ sich im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.
II
Die Revision der Beigeladenen ist zulässig. Die Beigeladene kann selbständig Revision einlegen (§ 75 Abs. 4 SGG); sie ist durch das klagabweisende Urteil des LSG beschwert, weil dieses Urteil sie im Falle der Rechtskraft bindet (§ 141 Abs. 1 SGG; BSG 18, 131, 132); ihre Revision ist auch begründet.
Die Beklagte hat das Altersgeld bis zur Hälfte um die Versorgungsbezüge gekürzt, die die Klägerin nach beamtenrechtlichen Vorschriften erhält. Sie beruft sich dabei auf § 4 Abs. 5 GAL 1965. Der Beklagten ist zuzugeben, daß der Wortlaut dieser Vorschrift eine Kürzung nicht verbietet, wenn es sich bei den anderen Bezügen um wiederaufgelebte Bezüge aus einer früheren Ehe des Altersgeldberechtigten handelt.
Es darf aber andererseits auch der Wortlaut des § 164 Abs. 3 des Bundesbeamtengesetzes (BGBl 1971, Teil I, S. 1182, 1209) hier nicht unberücksichtigt bleiben. Danach ist auf das wiederaufgelebte Witwengeld aus der Versorgung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG ein infolge Auflösung der zweiten Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch anzurechnen (wie in § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Der Anspruch der Klägerin auf das vorzeitige Altersgeld ist ein solcher Anspruch (vgl. VV Nr. 6 zu § 44 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -).
Demnach besteht hier eine Gesetzeskonkurrenz, weil zwei Vorschriften die Höhe konkurrierender Ansprüche von ihrer gegenseitigen Anrechnung (Kürzung um sie) abhängig machen. Diese Gesetzeskonkurrenz läßt sich auflösen, wenn geklärt werden kann, welche Ansprüche gegenüber den anderen subsidiär sind. Zum Verhältnis wiederaufgelebter Bezüge nach erster Ehe zu Ansprüchen nach einer zweiten Ehe hat das BSG für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung in ständiger Rechtsprechung (SozR Nr. 7, 9, 13, 23, 29 zu § 1291 RVO) entschieden, daß die wiederaufgelebten Ansprüche subsidiär sind. Das BSG folgert dies aus dem Sinn und Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung von Ansprüchen nach zweiter Ehe auf die wiederaufgelebten Bezüge.
Der Ansicht des LSG und der Beklagten, daß sich demgegenüber hier aus dem GAL eine Subsidiarität des vorzeitigen Altersgeldes ergebe, kann nicht gefolgt werden. Es gibt keinen Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber bei Schaffung des § 4 Abs. 5 GAL 1965 oder seines Vorgängers im GAL 1963 das Problem der Konkurrenz mit wiederaufgelebten Bezügen erkannt hat und daß er es i.S. einer Subsidiarität des vorzeitigen Altersgeldes auch gegenüber wiederaufgelebten Bezügen hätte regeln wollen. Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 GAL 1965 kann deshalb nicht als klar und eindeutig bezeichnet werden. Dagegen hat der Gesetzgeber des GAL in § 10 Abs. 5 ohne Zweifel zu erkennen gegeben, daß er jedenfalls im Verhältnis von Altersgeldansprüchen untereinander die Subsidiarität wiederaufgelebter Bezüge wahren will. In diesem Rahmen hat er das Problem der Konkurrenz durchaus gesehen und sich für die Subsidiarität des wiederauflebenden Anspruchs entschieden. Daraus zu schließen, dem Gesetzgeber sei das Problem auch im Rahmen des § 4 Abs. 5 GAL bekannt gewesen, ist nicht möglich.
Da der Gesetzeswortlaut Hinweise für eine Lösung der Gesetzeskonkurrenz nicht bietet, muß insoweit anderweit nach Anhaltspunkten gesucht werden. Dabei hilft es wenig, darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber mit den jeweiligen Konkurrenzvorschriften eine Vermeidung übermäßiger Versorgung und zugleich eine Entlastung der Leistungsträger anstrebte. Ebensowenig kann von Bedeutung sein, daß die landwirtschaftliche Altershilfe in hohem Maße aus staatlichen Mitteln finanziert wird; denn in vielen Bereichen, in denen das Gesetz das Wiederaufleben von Leistungen nach Auflösung einer zweiten Ehe vorschreibt, ist das mehr oder minder ebenso.
Entscheidend muß demgegenüber sein, daß das Wiederaufleben von Versorgungsansprüchen Hinterbliebener eine Ausnahmeregelung darstellt (SozR Nr. 29 zu § 1291 RVO), die sowohl für verschiedene Gebiete des Sozialrechts (vgl. §§ 615 Abs. 2, 1291 Abs. 2 RVO, § 68 Abs. 2 AVG, § 83 Abs. 3 RKG, § 44 Abs. 2 BVG), als auch für das Beamtenrecht (§ 164 Abs. 3 BBG, § 88 Abs. 3 BRRG) und das Entschädigungsrecht (§ 23 BEG) bedeutsam ist. Eine Witwe hat Versorgungsansprüche aus der 1. Ehe nur insoweit, als sie aus der 2. Ehe nicht versorgt ist (BSG aaO). Dieser allgemeine Gedanke muß auch im Bereich des GAL vor der Anwendung besonderer Kürzungsvorschriften des GAL berücksichtigt werden; es gilt hier, wo es sich auch um einen Zweig der Sozialversicherung handelt, nichts anderes als in der gesetzlichen Rentenversicherung. Im übrigen sieht das GAL Kürzungsvorschriften nur in wenigen Sondervorschriften vor; ihnen liegt aber nicht der Gedanke zugrunde, daß Leistungen nach dem GAL grundsätzlich subsidiär seien.
Hiernach ist auch im Rahmen des § 4 Abs. 5 GAL 1965 die Subsidiarität wiederaufgelebter Bezüge zu beachten. Im vorliegenden Fall darf die Alterskasse auch nicht deshalb kürzen, weil das Landesamt für Besoldung und Versorgung der Klägerin einen Bescheid erteilt hat, nach dem die wiederaufgelebten beamtenrechtlichen Bezüge ungekürzt ausgezahlt worden sind. Insoweit ist nämlich wichtig, daß hier mehrere wiederaufgelebte Versorgungsansprüche aus der ersten Ehe zusammentreffen (solche aus der Versorgung nach dem Gesetz zu Art. 131 GG, aus der Rentenversicherung und der Kriegsopferversorgung) und daß nur einer der Leistungsträger das vorzeitige Altersgeld auf die von ihm gewährten wiederaufgelebten Bezüge anrechnen darf (vgl. Urteil des 1. Senats vom 23.3.1966, SozR Nr. 13 zu § 1291 RVO). Die Leistungsträger der wiederaufgelebten Ansprüche haben sich hier - sei es aufgrund gesetzlicher Regelung, aufgrund von Verwaltungsvorschriften oder aufgrund von Vereinbarung - offenbar dahin geeinigt, daß der Klägerin gegenüber nur die LVA die Anrechnung vornehmen soll, daß davon aber der interne Ausgleich unter allen Trägern der wiederaufgelebten Ansprüche nicht berührt werden soll. Soweit ersichtlich, hat auch das Landesamt für Besoldung und Versorgung auf einen derartigen internen Ausgleich gegenüber der LVA nicht verzichtet.
Nach alledem muß die Revision der Beigeladenen Erfolg haben (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; sie betrifft die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Fundstellen