Orientierungssatz

Beanstandung und Anfechtung von Beiträgen zum unzuständigen Versicherungszweig - Anfechtungsfrist - Rechtsweg Rechtshängigkeit.

 

Normenkette

RKG § 133; RVO § 1418 Fassung: 1957-02-23; AVG § 140 Fassung: 1957-02-23; RKG § 135 Abs. 1; RVO § 1421 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 143 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RKG § 139; RVO § 1423 Fassung: 1957-02-23; AVG § 145 Fassung: 1957-02-23; SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 94 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.03.1976; Aktenzeichen L 15 Kn 19/74)

SG Dortmund (Entscheidung vom 29.11.1973; Aktenzeichen S 24 Kn 131/73)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. März 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die im Jahre 1942 durchgeführte Nachversicherung des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 1931 bis zum 31. Dezember 1941 und die folgende Pflichtversicherung für die Zeit vom 1. Januar 1942 bis Januar 1945 in der knappschaftlichen Rentenversicherung statt in der Angestelltenversicherung hätte durchgeführt werden müssen.

Der Kläger, der vorher als Grubensteiger tätig gewesen war, gehörte seit dem 1. Januar 1931 als dienstordnungsmäßig angestellter Rettungssteiger und später als Fahrsteiger der Oberschlesischen Hauptstelle für das Grubenrettungswesen an, deren Träger die Knappschafts-Berufsgenossenschaft war. Mit Wirkung vom 1. Januar 1942 wurde diese Hauptrettungsstelle mit ihren Bediensteten aufgrund einer Vereinbarung von den durch die oberschlesischen Bergwerksunternehmen gegründeten "Oberschlesischen Verein für Grubensicherheit und Grubenrettungswesen" übernommen. Der Kläger ist - wie die übrigen Bediensteten - für die Zeit vom 1. Januar 1931 bis zum 31. Dezember 1941 in der Angestelltenversicherung nachversichert worden. Für die Zeit vom 1. Januar 1942 bis Januar 1945 wurden Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet.

Der Kläger bezieht seit dem 1. Januar 1969 das Knappschaftsruhegeld. In dem Verfahren, in dem er eine höhere Rente erstrebte, hat er die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgenommen. Bei dem Arbeitsgericht Bochum ist seit dem 23. November 1971 eine Klage gegen die Bergbau-Berufsgenossenschaft anhängig, mit der der Kläger die Nachversicherung für die Jahre 1930 bis 1945 in der knappschaftlichen Rentenversicherung und hilfsweise den Ersatz des Schadens begehrt, der durch die unrichtige Nachversicherung in der Angestelltenversicherung zu einer geringeren Rente geführt hat. Über diese Klage ist noch nicht entschieden.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 6. November 1972 ab, die Nachversicherung für die streitige Zeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung durchzuführen. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils im wesentlichen ausgeführt, aufgrund der geleisteten Beiträge bestehe ein gültiges Versicherungsverhältnis in der Angestelltenversicherung, das nur durch eine begründete Beanstandung der geleisteten Beiträge beseitigt werden könne. Die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen zur knappschaftlichen Rentenversicherung sei nach § 133 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) nicht mehr möglich. Die Fristen der Abs 1 und 2 aaO seien verstrichen; auch die Voraussetzungen des Abs 3 lägen nicht vor. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich um einen Fall besonderer Härte im Sinne dieser Vorschrift handele, denn der Kläger habe bei Beobachtung der gebotenen Sorgfalt erkennen können, daß er Ende 1941 aus dem versicherungsfreien Dienstordnungsverhältnis ausgeschieden sei und daß dies versicherungsrechtliche Folgen haben werde. Einer Entscheidung über die Zugehörigkeit des Klägers zur knappschaftlichen Rentenversicherung für die streitige Zeit stehe die Bestandswirkung des § 145 Abs 2 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) entgegen. Soweit der Kläger von der beigeladenen Bergbau-Berufsgenossenschaft Schadensersatz wegen der Verletzung von Arbeitgeber- oder Fürsorgeverpflichtungen verlange, sei die Klage unzulässig, weil diese Ansprüche bei Erhebung der Klage vor dem SG schon beim Arbeitsgericht Bochum rechtshängig gewesen seien.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, er habe in der streitigen Zeit typisch knappschaftliche Arbeiten verrichtet, die in der knappschaftlichen Rentenversicherung zu versichern gewesen seien. Ihm sei nicht bekannt gewesen, daß sich sein Dienstverhältnis am 1. Januar 1942 geändert habe und daß die Versicherung in der Angestelltenversicherung durchgeführt worden sei. Deshalb stehe weder § 133 RKG noch § 145 AVG - insbesondere unter Berücksichtigung des § 93 Abs 2 RKG, § 79 AVG und § 627 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - der Nachentrichtung der Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entgegen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts sowie des Bescheides der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides nach dem Berufungsantrag zu erkennen.

In der Berufungsinstanz hatte der Kläger beantragt:

Unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung und unter Aufhebung der Bescheide vom 12. Januar 1973 und vom 16. April 1973

a)

die Beigeladene zu 1) (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) zu verurteilen, die für ihn im Zeitraum vom 1. Januar 1931 bis zum 31. Dezember 1941 im Wege der Nachversicherung und für die anschließende Zeit bis Januar 1945 entrichteten und ihr zugeflossenen Beiträge an die Beklagte zu überweisen;

b)

die Beigeladene zu 2) (Bergbau-Berufsgenossenschaft) zu verurteilen, an die Beklagte die Unterschiedsbeträge zwischen den zur Angestelltenversicherung entrichteten und den knappschaftlichen Beiträgen abzuführen;

c)

die Beklagte zur Entgegennahme der von den Beigeladenen zu überweisenden Beiträge zu verurteilen und sodann gemäß § 93 Abs 1 RKG das Knappschaftsruhegeld neu festzustellen,

hilfsweise,

die Beigeladene zu 2) zum Schadensersatz zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.

Die Beigeladenen haben sich in der Revisionsinstanz nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen und die auf Schadensersatz gegen die Bergbau-Berufsgenossenschaft gerichtete Klage abgewiesen.

Nach den insoweit übereinstimmenden Vorschriften § 1421 Abs 1 RVO, § 143 Abs 1 AVG und § 135 Abs 1 RKG dürfen die zu einem unzuständigen Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge nur insoweit beanstandet werden, als die Nachentrichtung von Beiträgen zu dem zuständigen Versicherungszweig statthaft ist. Diese Vorschrift will verhindern, daß Beiträge, die zwar zu Recht, jedoch zum unzuständigen Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind, beanstandet und damit unwirksam werden, wenn die Entrichtung zum zuständigen Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr möglich ist. Der Versicherte soll nicht wegen der Unzuständigkeit des die Beiträge annehmenden Versicherungsträgers die Beitragszeit ganz verlieren. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht für die Beiträge zur Nachversicherung jedoch angenommen, daß § 133 RKG der Anwendung der genannten Vorschriften entgegenstehe. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits entschieden, daß die Vorschriften in § 140 AVG über die Wirksamkeit der Nachentrichtung von Pflicht- und freiwilligen Beiträgen nicht für die Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen gilt (SozR Nr 1 zu § 1418 RVO). Das muß auch für die entsprechende Vorschrift des § 133 RKG gelten, so daß die Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen auch außerhalb der Fristen des § 133 RKG möglich ist. Gleichwohl bleiben die für die streitige Zeit zur Angestelltenversicherung entrichteten Beiträge wirksam. Nach § 145 Abs 2 AVG, dem § 1418 Abs 2 RVO und § 139 RKG entsprechen, kann nach Ablauf von 10 Jahren nach Aufrechnung der Versicherungskarte die Richtigkeit der Beiträge nicht mehr angefochten werden. Das bedeutet, daß nach 10 Jahren die Beiträge als zu Recht entrichtet gelten und ein wirksames Versicherungsverhältnis begründen, so daß eine Beanstandung auch nach § 135 RKG und den entsprechenden Vorschriften des AVG und der RVO nicht mehr möglich ist (vgl hierzu Miesbach/Busl, Kommentar zum RKG, 3. Aufl 1978 Anm 1 zu § 193 und Anm 1 zu § 135; Koch/Hartmann "Das Angestelltenversicherungsgesetz" 2. und 3. Aufl 1973, Bd IVa, Anm D I zu § 143). Der Umstand, daß § 133 RKG und die entsprechenden Vorschriften des AVG und der RVO auf die Nachversicherung nicht anwendbar sind, kann nicht dazu führen, daß bei durchgeführter Nachversicherung die geleisteten Beiträge zeitlich unbegrenzt beanstandet werden können. Der Nachversicherte soll nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen als der Pflichtversicherte, dessen Beiträge rechtzeitig entrichtet worden sind (vgl BSG SozR Nr 9 zu § 1255 RVO). Wenn es auch keine Frist für die Verpflichtung der Durchführung einer Nachversicherung geben mag, so muß bei bereits durchgeführter Nachversicherung doch sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Versicherten die Beanstandungsfrist des § 145 Abs 2 AVG und der entsprechenden Vorschriften des RKG und der RVO gelten. Da diese Frist bereits bei der Anfechtung des Rentenbescheides längst abgelaufen war, ist von der Richtigkeit der Beiträge und damit von der Gültigkeit des Versicherungsverhältnisses zur Angestelltenversicherung auszugehen.

Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Vorschriften des § 93 Abs 1 RKG, § 79 AVG, § 627 und § 1300 RVO auch ihrem Grundgedanken nach nicht anzuwenden. Sie betreffen lediglich zu Unrecht festgestellte Leistungen und können auf die Durchführung der Versicherung nicht entsprechend angewandt werden, weil § 145 AVG und die entsprechenden Vorschriften des RKG und der RVO insoweit abschließende Regelungen enthalten. Kann danach die Richtigkeit der für die streitige Zeit vom 1. Januar 1931 bis Januar 1945 entrichteten Beiträge auch hinsichtlich der Zuständigkeit des Versicherungszweiges nicht mehr angefochten werden und ist somit ein gültiges Formal-Versicherungsverhältnis zur Angestelltenversicherung zustandegekommen, so kommt es nicht mehr darauf an, ob der Kläger in der streitigen Zeit Tätigkeiten verrichtet hat, die knappschaftlich zu versichern gewesen wären. Die Klage mit den in der Berufungsinstanz gestellten Anträgen zu a) bis c) ist daher unbegründet.

Der auf Verurteilung der Beklagten gerichtete Antrag, das Knappschaftsruhegeld gemäß § 93 Abs 1 RKG nach Entgegennahme der Beiträge neu festzustellen, kann ebenfalls nicht zum Erfolg führen, weil der Antrag von einer Bedingung abhängig gemacht worden ist, deren Eintritt nicht festgestellt werden kann.

Soweit der Kläger hilfsweise die Verurteilung der Bergbau-Berufsgenossenschaft zum Schadensersatz begehrt, hat das LSG die Klage mit Recht als unzulässig abgewiesen. Es mag dahingestellt bleiben, ob für eine solche Klage überhaupt der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gegeben ist. Bedenken dagegen bestehen deshalb, weil der Kläger die beigeladene Bergbau-Berufsgenossenschaft nicht in ihrer Eigenschaft als Versicherungsträger, sondern in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Wenn auch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen neben der arbeitsrechtlichen auch eine öffentlich-rechtliche Grundlage haben mag, so stehen Kläger und Bergbau-Berufsgenossenschaft sich doch in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber und Arbeitnehmer, also als Partner des zivilrechtlichen Arbeitsvertrages gegenüber. Es liegt deshalb die Annahme nahe, daß sich die aus diesen Beziehungen ergebenden Schadensersatzansprüche nicht öffentlich-rechtlicher Art sind und daher nicht vor die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gehören. Die Klage ist aber schon deshalb unzulässig, weil der Kläger bereits vor der Klageerhebung beim SG eine Klage mit demselben Streitgegenstand beim Arbeitsgericht Bochum anhängig gemacht hatte. Die Rechtshängigkeit eines Streitgegenstandes bei einem anderen Gericht - auch eines anderen Gerichtszweiges - schließt die Zulässigkeit einer weiteren Klage aus. Wenn § 94 Abs 2 SGG dies auch nur für die bei einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit rechtshängige Klage ausdrücklich bestimmt, so ist diese Vorschrift doch Ausdruck eines allgemein gültigen Rechtsgedankens für alle Gerichtszweige, weil verhindert werden muß, daß verschiedene Gerichte - unter Umständen mit unterschiedlichem Ergebnis - über denselben Streitgegenstand entscheiden.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652454

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