Leitsatz (amtlich)
Ein Soldat, der nach einer Nachtübung während der Zeit einer befohlenen Bettruhe zur Familie heimfährt, übt keinen Dienst aus (Anschluß an BSG 1976-01-29 10 RV 179/75 = BSGE 41, 153).
Normenkette
SVG § 81 Abs 4
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 11.06.1981; Aktenzeichen L 8 V 28/79) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 08.03.1979; Aktenzeichen S 7 V 413/78) |
Tatbestand
Der Kläger war vom 1. Oktober 1976 bis zum 30. September 1978 Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Am 25. Januar 1978 gegen 08.00 Uhr geriet er mit seinem Pkw während der Fahrt von der Kaserne in H - M zum Familienwohnort in N - H unter den Zugwagen eines Lastzuges. Die Unfallursache konnte nicht geklärt werden. Der Kläger leidet seitdem an einer Hirnschädigung mit spastischer Halbseitenschwäche und praktischer Erblindung beider Augen. Diese Gesundheitsschäden bedingen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH.
Vor dem Unfall hatte der Kläger bis 05.30 Uhr an einer Nachtübung teilgenommen. Von 06.00 Uhr bis 10.00 Uhr war für alle Soldaten, die an der Nachtausbildung teilgenommen hatten, Bettruhe befohlen worden. Eine Dienstbefreiung oder Sonderregelung für den Kläger in der Form, daß er unmittelbar nach der Nachtausbildung habe nach Hause fahren können, gab es nicht. Bei der Überprüfung um 07.30 Uhr wurde festgestellt, daß der Kläger trotz Befehls zur Nachtruhe die Kaserne verlassen hatte.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 1978 lehnte die Beklagte die Leistung eines Ausgleichs gemäß § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) ab, da sich der Kläger durch die gegen den Befehl unternommene Familienheimfahrt vom Dienst gelöst habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben die Beklagte zur Leistung eines Ausgleichs nach einer MdE um 100 vH gem § 85 SVG von Januar 1978 bis 30. September 1978 verurteilt. Das LSG hat dazu ausgeführt: Der Kläger sei während der Familienheimfahrt, die er nach Beendigung der eigentlichen Dienstverrichtung angetreten habe, versorgungsrechtlich geschützt gewesen. Zwar sei nach Beendigung der Nachtübung mündlich vom Kompaniechef oder seinem Stellvertreter der Befehl zur Bettruhe gegeben worden. Schlafen sei aber ähnlich wie Waschen oder Essen grundsätzlich kein Dienst. Nachtdienst und ein hierdurch bedingtes anschließendes Ruhebedürfnis seien keine Eigenart des militärischen Dienstes. Die Bettruhe sei nicht durch die verständliche und wohlmeinende mündliche Anordnung Dienst geworden und habe mehr fürsorglichen Charakter gehabt. Sie sei nicht vergleichbar mit dem Verbot des Verlassens der Kaserne (verschärfte Ausgangsbeschränkung) im Wege einer Disziplinarmaßnahme.
Die Beklagte und der Beigeladene haben die vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts. Eine Familienheimfahrt könne nur dann gegeben sein, wenn zuvor der Dienst beendet gewesen sei. Dienstverrichtungen seien solche Handlungen eines Soldaten, die er zur Verrichtung seines Dienstes auf Grund besonderer Befehle, allgemeiner Dienstvorschriften oder ungeschriebener soldatischer Pflichten und militärischer Grundsätze ausführe. Dazu habe auch die befohlene Bettruhe gehört.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen
vom 11. Juni 1981 und das Urteil des Sozialgerichts
Hildesheim vom 8. März 1979 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revisionen - auch die Revision des Beigeladenen - sind zulässig. Der einfach Beigeladene kann das Rechtsmittel einlegen (BSGE 16, 227, 229); die erforderliche Beschwer ist dann gegeben, wenn das Urteil für ihn ungünstig ist (BSGE 9, 250). Der Umstand, daß der Beigeladene lediglich Bezug auf die Ausführungen des Revisionsklägers genommen hat, reicht für die ordnungsgemäße Begründung der Revision aus, wenngleich eine Verweisung oder Bezugnahme auf andere Schriftstücke nur ausnahmsweise zugelassen wird (vgl BSGE 16, 227, 230).
Die zulässigen Revisionen sind begründet. Dem Kläger steht ein Ausgleich wegen der Folgen des Verkehrsunfalls vom 25. Januar 1978 nicht zu, weil es sich hierbei nicht um eine Wehrdienstbeschädigung handelt.
Soldaten erhalten wegen der Folgen einer Wehrdienstbeschädigung nach § 85 SVG einen Ausgleich. Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die ua durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Als Wehrdienst gilt auch das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle (§ 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG); dies gilt auch für den Weg von und nach der Familienwohnung iS des § 81 Abs 4 Satz 3 SVG (vgl dazu BSG SozR 3200 § 81 Nrn 5, 9 und 12 sowie Urteile vom 24. April 1980 - 9 RV 82/78 = USK 8089 und 16. März 1982 - 9a/9 RV 40/81 -).
Die Folgen eines auf der Familienheimfahrt erlittenen Unfalles sind demnach nur dann als Wehrdienstbeschädigung zu werten, wenn der Weg "während der Ausübung des Wehrdienstes" zurückgelegt worden ist. Daran fehlt es hier. Der Kläger übte während der Unglücksfahrt keinen Wehrdienst aus. Für die Zeit, in welcher der Kläger die Fahrt unternahm, war als Dienst Bettruhe angeordnet. Diese Obliegenheit wurde von ihm nicht nur vernachlässigt; er handelte ihr entgegen. So stellt sich die Heimfahrt als ein mit dem Dienst nicht zusammenhängendes, vielmehr dem persönlichen Wunsch nach frühzeitigem Familienaufenthalt entsprungenes Tun dar.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts reichte die durch mündlichen Befehl angeordnete Bettruhe aus, um die dienstliche Verpflichtung zu begründen. Militärischer Dienst iS des Gesetzes liegt immer dann vor, wenn der Soldat militärische Obliegenheiten erfüllt, die ihm durch soldatische Pflichten oder militärische Grundsätze, durch allgemeine Dienstvorschriften oder im Einzelfall durch besondere Befehle auferlegt werden (BSGE 10, 251, 254; BSG Breithaupt 1974, 886, 888; Urteil vom 22. März 1962 - 8 RV 1993/59 -). So kann nicht nur Duschen auf Grund des Dienstplanes oder eines besonderen Befehls des Vorgesetzten Dienst werden (vgl dazu BSGE 33, 141, 142, 144 = SozR Nr 1 zu § 81 SVG vom 8. August 1964), sondern auch die Bettruhe, insbesondere im Anschluß an eine Nachtübung. Die Entscheidung des BSG vom 25. November 1976 - SozR 3200 § 81 Nr 7 - steht dem nicht entgegen, da es dort nicht um das Schlafen auf Grund eines besonderen Befehls im Anschluß an eine Nachtübung ging, sondern um die allgemeine Nachtruhe als alltägliche Verhaltensweise. Der hier festgestellte mündliche Befehl zur Bettruhe in der Zeit von 06.00 bis 10.00 Uhr hatte offensichtlich auch den Zweck, zu verhindern, daß Soldaten in übernächtigtem Zustand mit dem Pkw eine Familienheimfahrt antraten. Insofern konnte dem Befehl, dessen Beachtung kontrolliert wurde, durchaus fürsorglicher Charakter zugesprochen werden. Dieser Charakter beeinträchtigte an sich aber nicht die soldatische Gehorsamspflicht gegenüber diesem Befehl. Der Charakter als "Befehl" - und damit die Bettruhe als Dienst - wurde nicht dadurch aufgehoben, daß die mündliche Anordnung möglicherweise (außer dem Kläger) auch von anderen Soldaten nicht beachtet wurde. Die Befehlswirkung wurde ferner nicht dadurch wettgemacht, daß keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen worden waren, um ein vorzeitiges Verlassen der Kaserne zu verhindern. Im übrigen ist der Befehl nicht hinreichend gewürdigt, wenn in ihm nur die fürsorgliche Absicht erkannt wird. Dieser Befehl war darüber hinaus geeignet, die Verteidigungsbereitschaft der Truppe zu erhöhen, und zwar sowohl dadurch, daß die betroffenen Soldaten noch in der Kaserne verfügbar waren, als auch dadurch, daß diese Soldaten nach einer Ruhepause wieder voll einsatzfähig gewesen wären. Nicht zu übersehen ist desweiteren die Schutzwirkung des Befehls gegenüber dritten Verkehrsteilnehmern. Bei dieser Sicht des Befehls zur Bettruhe wird erkennbar, daß entgegen der Ansicht des LSG der vom BSG entschiedene Fall einer Familienheimfahrt trotz disziplinarisch angeordneter Ausgangssperre (BSGE 41, 153) vergleichbare Umstände aufweist.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es unerheblich, daß es bei der Familienheimfahrt eines zeitlichen Zusammenhanges mit dem Dienstende oder dem Dienstbeginn nicht bedarf (vgl Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu den §§ 80 bis 84 und 88 SVG vom 11. August 1981, Nr 81.4.8, Bundesanzeiger Nr 151 vom 18. August 1981). Dagegen ist wichtig, daß die Fahrt in Ausübung des Dienstes erfolgt, dh der dienstlichen Tätigkeit zugehört. Daran fehlt es hier. Der vorzeitige Antritt der Familienheimfahrt kann nicht mehr als Erfüllung dienstlicher Obliegenheiten angesehen werden. Entsprechendes hat das BSG für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung angenommen, der vergleichend für das Recht der Soldaten- bzw Kriegsopferversorgung heranzuziehen ist (vgl zuletzt BSG 6. Oktober 1981 - 9 RV 23/81 - Versorgungsbeamter 1982, 35 Nr 13). Es hat den Versicherungsschutz in einem Falle versagt, in dem der verunglückte Versicherte, der als Führer eines Raupenbaggers die Aufgabe hatte, während des Transportes der Maschine anwesend zu sein, eigenmächtig unterwegs den Lastzug (Transport) verließ, um eine ihm aus rein privaten Gründen günstig erscheinende Fahrtgelegenheit zu benützen, mit der er früher nach Hause gelangte (BSG 31. März 1965 - 2 RU 200/64 = BG 1965, 273).
Schließlich kann nicht eingewendet werden, daß eine verbotswidrige, aber nicht absichtlich herbeigeführte Schädigung versorgungsrechtlich geschützt sein könne (BSGE 41, 153, 155 und Urteil vom 16. März 1982 - 9a/9 RV 40/81 -). Danach endet der Versorgungsschutz nicht mit jeder von einem dienstlichen Befehl oder allgemeinen Vorschrift abweichenden Handlung. Er bleibt vielmehr erhalten, solange die ausgeübte Tätigkeit ihrem Wesen und Erfolg nach dem Dienst zugerechnet werden kann. Erst dann, wenn das befehlswidrige Verhalten zu einer Tätigkeit führt, die nichts mehr mit der Erfüllung der zu verrichtenden dienstlichen Obliegenheit zu tun hat, entfällt der Versorgungsschutz. Das ist hier der Fall. Aus eben diesem Grunde hat das BSG den Versorgungsschutz beim Verkehrsunfalltod eines Soldaten auf dem Weg vom befehlswidrig besuchten Manöverball zum Biwakplatz verneint, und zwar obwohl dieser Rückweg auf Befehl eines Vorgesetzten unternommen wurde (BSG Breithaupt 1974, 886). Hin- und Rückfahrt zum Manöverball hatten mit dem Dienst nichts zu tun. Auf der anderen Seite wurde der Versorgungsschutz bejaht, als der Verunglückte die Strecke von der erlaubten Teilnahme an einem Kameradschaftsabend zur Truppenunterkunft befehlswidrig nicht zu Fuß, sondern mit einem Motorroller zurückgelegt hatte (BSG 27. August 1965 - 8/11 RV 164/63 = SozR Nr 1 zu § 81 SVG vom 26. Juli 1957). Hier wurde keine dienstfremde Tätigkeit ausgeübt, als sich der Unfall ereignete, sondern der Verunglückte befand sich gerade bei der Ausübung einer Tätigkeit, die in diesem Zeitpunkt seinen Dienst ausmachte. Verboten war nur die Art und Weise der Dienstausübung; die Tätigkeit blieb aber ihrem Wesen nach Ausübung des Dienstes.
Ist sonach die Unglücksfahrt des Klägers nicht auf seinen Militärdienst zu beziehen, ist es unerheblich, auf welche Ursache der Verkehrsunfall zurückzuführen ist. Insbesondere ist nicht entscheidend, ob eine Übermüdung des Klägers nach der Nachtübung hierbei mitgewirkt hat.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 76 |
Breith. 1983, 150 |