Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragspflichtige Beschäftigung - persönliche Abhängigkeit - GmbH - Gesellschafter-Geschäftsführer - eingeschränkte Sperrminorität - selbständige Tätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Eine Sperrminorität des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers, die sich auf die Festlegung der Unternehmenspolitik, die Änderung des Gesellschaftsvertrages und die Auflösung der Gesellschaft beschränkt, schließt die Annahme eines beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht aus.
Normenkette
AFG § 168 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 23.12.1991; Aktenzeichen L 7 Ar 112/89) |
SG Aurich (Entscheidung vom 09.03.1989; Aktenzeichen S 5 Ar 50/88) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit ab 30. Juli 1986.
Sie hatte vom 1. Januar 1979 bis zum 31. März 1982 als Verkäuferin (kaufmännische Angestellte) im "Möbel-Zentrum" ihres Ehemannes in P. gearbeitet. Als diese Firma ihre Betriebstätigkeit einstellte, wurde ihr wegen Arbeitsmangels zum 31. März 1982 gekündigt. Anschließend war sie arbeitslos und bezog bis zum 3. Juni 1982 Alg. Am 8. Juli 1982 gründete sie mit dem Möbelgroßhändler Z. aus H. , der Hauptlieferant ihres Ehemannes gewesen war, die "RZ Möbelhof-GmbH" in P. . Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) verfolgte Z. mit dieser Firmengründung das Ziel, die an den Ehemann der Klägerin unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Möbel und Einrichtungsgegenstände im Wert von ca 350.000,-- DM, die sich noch im Lager des früheren "Möbel-Zentrums" befanden und deren Verkauf Z. nicht gelungen war, über die neu gegründete Firma zu vertreiben. Darüber hinaus wollte Z. die "RZ Möbelhof-GmbH" künftig als Möbelgroßhändler beliefern. Er leistete deshalb seine Stammeinlage über 26.000,-- DM auf das Stammkapital der Gesellschaft (50.000,-- DM) in Form von Sacheinlagen, nämlich mehreren ihm noch gehörenden Möbelstücken, die sich bereits in den von der "RZ Möbelhof-GmbH" übernommenen Betriebsräumen des "Möbel-Zentrums" befanden. Die Klägerin zahlte ihre in Geld zu erbringende Stammeinlage über 24.000,-- DM (= 48 vH des Stammkapitals) nicht ein.
Der Gesellschaftsvertrag vom 8. Juli 1982 sah vor, daß in der Gesellschafterversammlung je 1.000,-- DM des Stammkapitals eine Stimme gewährten. Beschlüsse der Gesellschafter über die Änderung des Gesellschaftsvertrages, die Auflösung der Gesellschaft und die Festlegung der Unternehmenspolitik bedurften einer Mehrheit von 75 vH der Stimmen, alle übrigen Beschlüsse einer einfachen Mehrheit. Die Gesellschaft wurde durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten; zuständig für die Bestellung, Anstellung und Abberufung der Geschäftsführer war die Gesellschafterversammlung, wobei für eine rechtsverbindliche Beschlußfassung einfache Stimmenmehrheit ausreichte. Zur alleinigen von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreiten Geschäftsführerin wurde im Gesellschaftsvertrag die Klägerin bestellt. Nach dem ebenfalls am 8. Juli 1982 zwischen der Klägerin und der "RZ Möbelhof-GmbH" geschlossenen Anstellungsvertrag begann die Vollzeittätigkeit der Klägerin als Geschäftsführerin am 1. Juli 1982 mit einer dreimonatigen Probezeit; das Bruttogehalt wurde auf 2.300,-- DM, der Urlaubsanspruch auf 25 Arbeitstage im Kalenderjahr und die Kündigungsfrist auf sechs Wochen zum Quartalsende festgesetzt. Eine nach dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene Gewinnbeteiligung der Klägerin fand zu keinem Zeitpunkt statt. Tatsächlich war der Aufgabenkreis der Klägerin auf Verkaufstätigkeiten während der von Z. bestimmten und überwachten Ladenöffnungszeiten beschränkt, während Z. selbst den Wareneinkauf, die Überprüfung der Warenbestände und die Kalkulation der Verkaufspreise besorgte sowie die Verhandlungen mit Lieferanten führte. Am 14. Juli 1986 endete die Geschäftsführertätigkeit der Klägerin, nachdem das Firmengebäude am 29. Juni 1986 durch Brand zerstört worden war. Ansprüche gegen die Feuerversicherung in Höhe von 250.000,-- DM ließ sich Z., der die Abwicklung der Gesellschaft durchführte, abtreten.
Die Klägerin meldete sich am 30. Juli 1986 beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos und beantragte Alg. Das ArbA lehnte den Antrag ab, weil die Klägerin nicht die nach § 104 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erforderliche Anwartschaftszeit erfülle; die Klägerin sei nicht als Arbeitnehmerin der Gesellschaft beitragspflichtig iS des § 168 AFG beschäftigt gewesen; sie habe mit Ausnahme der Preiskalkulation den Gang der Geschäfte innerhalb der Gesellschaft weitgehend allein bestimmt; zudem sei der Mitgesellschafter Z. räumlich weit vom Sitz der Gesellschaft entfernt gewesen (Bescheid vom 21. Oktober 1986; Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1987). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. März 1989). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG und den Bescheid vom 21. Oktober 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1987 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg auf Grund ihrer Arbeitslosmeldung vom 30. Juli 1986 in gesetzlicher Dauer und Höhe zu gewähren (Urteil vom 23. Dezember 1991).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin sei Arbeitnehmerin der Gesellschaft gewesen. Sämtliche wesentlichen Gesellschafterbeschlüsse und insbesondere ihre Abberufung als Geschäftsführerin der Gesellschaft hätten gegen das Votum der Klägerin mit einfacher Stimmenmehrheit erfolgen können. Ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerin stehe nicht entgegen, daß die Beschlüsse zur Änderung des Gesellschaftsvertrages, zur Auflösung der Gesellschaft und zur Festlegung der Unternehmenspolitik einer Mehrheit von 75 vH aller Stimmen bedurften, da diese Beschlüsse ausschließlich Gegenstände beträfen, die sich nicht auf ihre Geschäftsführertätigkeit, sondern auf ihre Gesellschafterstellung bezogen hätten. Die rechtliche Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages ergebe zwingende Anhaltspunkte weder für noch gegen eine persönliche Abhängigkeit der Klägerin, so daß auf die tatsächliche Durchführung der Verträge und die wirkliche Ausgestaltung der Beziehungen der Betroffenen abgestellt werden müsse. Insoweit sei eine persönliche Abhängigkeit der Klägerin anzunehmen, da der Mehrheitsgesellschafter Z. mit der Firmengründung nahezu vollständig eigene Vertriebszwecke verfolgt habe und die Klägerin nur aus sozialen Gründen als Gesellschafterin beteiligt worden sei. Für Z. und die Klägerin sei von vornherein klar gewesen, daß "das Sagen" in der GmbH allein bei Z. liegen und sich die Tätigkeit der Klägerin auf die einer Verkäuferin beschränken solle. Während der gesamten Zeit der Geschäftsführertätigkeit der Klägerin habe sich nicht diese, sondern Z. um sämtliche Geschäftsführeraufgaben gekümmert; die Klägerin habe in ihrer Geschäftsführertätigkeit keine "freie Hand" gehabt.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 168 AFG. Sie führt dazu im wesentlichen aus, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis eines Gesellschafters sei bei einer eingeschränkten Sperrminorität jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn mit dieser Sperrminorität Beschlüsse zur Festlegung der Unternehmenspolitik verhindert werden könnten und infolge einer Befreiung vom Kontrahierungsverbot des § 181 BGB der Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgehoben sei. Denn wenn Beschlüsse zur Festlegung der Unternehmenspolitik der Zustimmung des Geschäftsführers bedürften, verfüge dieser auch weitgehend über die Rechtsmacht, ihm nicht genehme Weisungen des Mehrheitsgesellschafters zu verhindern. Unerheblich sei, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer wegen der wirtschaftlichen Übermacht eines Mehrheitsgesellschafters von seinem Recht (Sperrminorität) keinen Gebrauch mache und diesem die maßgeblichen Entscheidungen überlasse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das
Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen der Beklagten an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht der ab 30. Juli 1986 geltend gemachte Anspruch auf Alg dem Grunde nach zu.
Nach § 100 Abs 1 AFG hat Anspruch auf Alg, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim ArbA arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Das LSG hat unangegriffen und damit für den Senat bindend festgestellt (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), daß die Klägerin sich am 30. Juli 1986 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat, seit dem 15. Juli 1986 arbeitslos war und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Zu Recht hat das LSG auch die Erfüllung der Anwartschaftszeit bejaht.
Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre (§ 104 Abs 3 Halbs 1 AFG) und geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind (§ 104 Abs 2 AFG). Vorliegend lief die Rahmenfrist vom 30. Juli 1983 bis 29. Juli 1986. Innerhalb dieser Rahmenfrist hat die Klägerin mindestens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Dabei kann dahinstehen, ob ihre Geschäftsführertätigkeit - wie das LSG im Tatbestand ausführt - vom 5. Juli 1982 bis 14. Juli 1986 durchgehend andauerte oder ob sie - wie vom LSG in den Entscheidungsgründen ausgeführt- vom 11. Juni 1985 bis 28. Februar 1986 unterbrochen war. Im einen wie im anderen Fall hat die Klägerin mindestens 360 Kalendertage beitragspflichtiger Beschäftigung zurückgelegt.
Beitragspflichtig sind nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (Arbeitnehmer). Die Beitragspflicht ist damit die Folge einer abhängigen Beschäftigung und richtet sich nach den Grundsätzen, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung entwickelt haben (vgl Begründung zu § 164 Abs 1 AFG - Entwurf, BT-Drucks V/2291 S 91; BSGE 49, 22, 25 = SozR 4100 § 168 Nr 10). Arbeitnehmer ist hiernach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung (BSGE 13, 196, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSGE 20, 6, 8 = SozR Nr 41 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16). Zwar kann das Weisungsrecht erheblich eingeschränkt sein, wie das insbesondere bei Diensten höherer Art der Fall ist, vollständig entfallen darf es jedoch nicht; es muß eine fremdbestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen (BSGE 16, 289, 293 f = SozR Nr 30 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1). Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende seine Tätigkeit also wesentlich frei gestalten, insbesondere über die eigene Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbständige Tätigkeit vor, die zusätzlich durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet zu sein pflegt (BSGE 13, 196, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; Urteil des Senats vom 6. Februar 1992 - 7 RAr 134/90 - ≪zur Veröffentlichung vorgesehen≫).
Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch, ob der Geschäftsführer einer GmbH abhängig und deshalb beitragspflichtig beschäftigt ist oder nicht (vgl BSG SozR 4100 § 168 Nr 16). Er ist weder wegen seiner Organstellung (BSGE 13, 196, 200 = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF) noch deshalb von einer abhängigen Beschäftigung ausgeschlossen, weil er gegenüber Arbeitnehmern der GmbH Arbeitgeberfunktionen ausübt. Denn auch wer Arbeitgeberfunktionen ausübt, kann seinerseits bei einem Dritten persönlich abhängig beschäftigt sein. Es kann deshalb offenbleiben, ob die Klägerin als Geschäftsführerin bereits dadurch Arbeitgeberfunktionen ausübte, daß sie gelegentlich stundenweise Aushilfen zur Auslieferung von Möbeln beschäftigte und aus der Tageskasse entlohnte. Maßgebend bleibt die Bindung des Geschäftsführers an das willensbildende Organ, in der Regel die Gesamtheit der Gesellschafter. Diese Bindung kann nach dem Recht der GmbH in unterschiedlichster Weise geregelt werden. Neben weisungsfreien Geschäftsführern gibt es daher Geschäftsführer, die durchgehend weisungsgebunden sind; in den letztgenannten Fällen führen die Gesellschafter mit Hilfe des Weisungsrechts die Geschäfte der GmbH im wesentlichen selbst (Urteil des Senats vom 6. Februar 1992, aaO).
Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis liegt hiernach allerdings nicht vor, wenn der Geschäftsführer an der Gesellschaft beteiligt ist und allein oder jedenfalls mit Hilfe seiner Gesellschafterrechte die für das Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit vermeiden kann. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zur GmbH hat das Bundessozialgericht (BSG) daher verneint, wenn der Geschäftsführer über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt (BSGE 23, 83, 84 f = SozR Nr 41 zu § 537a RVO; BSG SozR Nr 30 zu § 539 RVO; BSG Beiträge 1975, 60 = Rentenversicherung 1975, 151; BSGE 42, 1, 2 = SozR 2200 § 723 Nr 1; BSG USK 82166). Ebenso ist entschieden worden, wenn der Geschäftsführer über eine Sperrminorität verfügte, um ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschaft zu verhindern (BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 5; vgl BSGE 42, 1, 2 = SozR 2200 § 723 Nr 1). Aber auch dort, wo die Kapitalbeteiligung des Geschäftsführers hierfür nicht ausreicht, kann ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen sein, wenn der Geschäftsführer hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort seiner Tätigkeit im wesentlichen weisungsfrei ist und, wirtschaftlich gesehen, seine Tätigkeit nicht für ein fremdes, sondern für ein eigenes Unternehmen ausübt (vgl BSGE 13, 196 = SozR Nr 5 zu § 1 AFG aF; BSG SozR Nr 68 zu § 165 RVO; BSGE 38, 53 = SozR 4600 § 56 Nr 1).
Aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung war die Klägerin nicht in der Lage, ihr nicht genehme Weisungen der Gesellschaft zu verhindern. Sie war am Stammkapital der Gesellschaft von 50.000,-- DM mit einer Stammeinlage von lediglich 24.000,-- DM (48 vH) beteiligt. Je 1.000,-- DM des Stammkapitals gewährten eine Stimme. Das reichte nicht aus, um generell die für ein Beschäftigungsverhältnis typische Abhängigkeit zu vermeiden. Entgegen der Ansicht der Beklagten verfügte die Klägerin auch nicht über eine Sperrminorität, aufgrund deren sie imstande gewesen wäre, sich gegenüber ihr nicht genehmen Weisungen zur Wehr zu setzen. Das ergibt sich aus den Regelungen des Gesellschaftsvertrages vom 8. Juli 1982. Dieser sieht zwar Schutzklauseln für die Minderheit vor; diese beziehen sich indes, anders als in den bisher vom BSG entschiedenen Fällen, nicht auf alle Angelegenheiten der Gesellschaft und setzen den Gesellschafter-Geschäftsführer, der nur über eine Beteiligung von weniger als 50 vH verfügt, nicht in die Lage, sich gegenüber Weisungen der Mehrheit in bezug auf Zeit, Dauer, Umfang und Ort seiner Geschäftsführertätigkeit zur Wehr zu setzen, die ihm nicht genehm sind.
Gemäß § 11 Nr 1 des Gesellschaftsvertrages konnten die Gesellschafter durch Beschluß dem Geschäftsführer allgemeine oder besondere Weisungen erteilen, zu deren Beachtung der Geschäftsführer verpflichtet war. Nach § 14 Nr 1 wurden die Beschlüsse der Gesellschafter mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen des vertretenen Stammkapitals gefaßt, soweit nicht im Gesetz oder im Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt war. Das bedeutete, daß die Klägerin nicht in der Lage war, ihr nicht genehme Weisungen auf dem Gebiet der Geschäftsführung zu verhindern. Allerdings bedurfte gemäß § 14 Nr 2 Buchst c des Gesellschaftsvertrages die Festlegung der Unternehmenspolitik einer Mehrheit von 75 vH aller Stimmen der Gesellschaft. Indes blieb innerhalb der festgelegten Unternehmenspolitik die Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers an die Willensbildung der Gesellschaft aufgrund der §§ 11 Nr 1, 14 Nr 1 des Gesellschaftsvertrages bestehen. Hinzu kommt, daß § 14 Nr 2 Buchst c des Gesellschaftsvertrages eine gegen den Willen der Klägerin vorgenommene Beendigung der Geschäftsführertätigkeit nicht ausschloß. Zwar war die Klägerin gemäß § 10 Nr 8 des Gesellschaftsvertrages zur (ersten) Geschäftsführerin bestellt worden. Doch hinderte dies nicht ihre Abberufung als Geschäftsführerin durch einfachen Mehrheitsbeschluß der Gesellschaft. Zum einen gehört die Bestellung eines GmbH-Geschäftsführers, auch wenn sie in die Gesellschaftsvertragsurkunde aufgenommen worden ist, nicht zwingend zum Gesellschaftsvertrag mit der Folge, daß die Abberufung im allgemeinen nicht den Erfordernissen des § 53 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zu entsprechen braucht (vgl BGHZ 18, 205, 208; BGH NJW 1969, 131). Zum anderen bezieht sich § 14 Nr 2 Buchst c des Gesellschaftsvertrages nicht auf § 10 Nr 8 des Gesellschaftsvertrages. Das folgt aus § 10 Nr 2 iVm § 14 Nr 1 des Gesellschaftsvertrages, wonach sowohl für die Bestellung als auch für die Abberufung der Geschäftsführung die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen des vertretenen Stammkapitals genügte. Hätte etwas anderes gelten sollen, hätte dies in § 14 Nr 2 des Gesellschaftsvertrages zum Ausdruck kommen müssen. Die Vereinbarung eines Probearbeitsverhältnisses, das in § 3 des Anstellungsvertrages der Klägerin vorgesehen war, bestätigt dies. Sie wäre ohne Sinn gewesen, wenn die Klägerin der Beendigung ihrer Geschäftsführertätigkeit aufgrund von Rechten aus dem Gesellschaftsvertrag hätte widersprechen können.
Unerheblich ist, daß § 14 Nr 2 Buchst a und b des Gesellschaftsvertrages für die Änderung des Gesellschaftsvertrages und die Auflösung der Gesellschaft - in Übereinstimmung mit § 53 Abs 2 Satz 1 und § 60 Abs 1 Nr 2 GmbHG- eine qualifizierte Mehrheit verlangte.
War sonach die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses weder aufgrund der Kapitalbeteiligung noch aufgrund einer Sperrminorität ausgeschlossen, bleibt entscheidend, ob die Klägerin nach der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen zur GmbH und der tatsächlichen Durchführung des Vertrages hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort der Tätigkeit im wesentlichen weisungsfrei war. Dies ist vom LSG rechtsfehlerfrei verneint worden.
Der Anstellungsvertrag, in dem ua eine Probezeit (drei Monate), die Höhe des Arbeitsentgelts (2.300,-- DM), der Urlaubsanspruch (25 Arbeitstage im Kalenderjahr), die Kündigungsfrist (6 Wochen zum Quartalsende) sowie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geregelt waren, entsprach dem üblichen Anstellungsvertrag eines Arbeitnehmers. Er räumte der Klägerin keine besonderen Freiheiten ein. Die tatsächlichen Verhältnisse stimmten hiermit überein. Nach den bindenden Feststellungen des LSG reduzierten sich die der Klägerin zugewiesenen Geschäftsführeraufgaben in tatsächlicher Hinsicht auf die Tätigkeit einer Verkäuferin, dagegen trug der Mitgesellschafter Z. nicht nur für sämtliche Geschäftsführeraufgaben, einschließlich der alltäglichen, Sorge. Er bestimmte auch allein die Geschicke der Gesellschaft. So überprüfte er mehrmals monatlich das Lager und den Lagerbestand, bestimmte über die Warenbestellungen, führte die Verhandlungen mit den Lieferanten und wickelte schließlich die Gesellschaft ab, indem er sich ua die Ansprüche der "RZ Möbelhof-GmbH" gegen die Feuerversicherung in Höhe von 250.000,-- DM mit Zustimmung der Klägerin abtreten ließ. Der Klägerin war lediglich die Aufgabe übertragen, das Möbelhaus zu den von Z. bestimmten Zeiten zu öffnen und zu schließen sowie die Tageseinnahmen bei der Bank abzuliefern. Die Waren wurden zu den von Z. bestimmten Preisen verkauft und im Ladenlokal nach seinen Anweisungen aufgestellt. Die der Klägerin durch den Gesellschafts- und den Anstellungsvertrag zugewiesene Position einer Geschäftsführerin stellte sich somit in Wirklichkeit als "leere Hülse" dar. Hiermit war die Klägerin von Anfang an einverstanden, da Z. nur unter dieser Bedingung bereit war, das von ihrem Ehemann gegründete Möbelgeschäft zu übernehmen und die Klägerin zu beschäftigen.
Der Auffassung der Beklagten, es sei für die versicherungsrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung, daß Z. aufgrund seines wirtschaftlichen Übergewichts der Klägerin die Ausübung ihrer Tätigkeit weitestgehend vorschrieb und die Klägerin seine Weisungen befolgte, kann nicht beigepflichtet werden. Zwar liegt auch dann keine abhängige Beschäftigung vor, wenn der Geschäftsführer einer GmbH, der zugleich Gesellschafter ist, aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung die Rechtsmacht hat, ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern, jedoch von seinen Rechten tatsächlich keinen Gebrauch macht und die Entscheidung anderen überläßt (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 4; BSGE 66, 69, 71 = SozR 4100 § 104 Nr 19; BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 5). Doch verhielt es sich bei der Klägerin gerade nicht so. Ihr stand bereits aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung nicht die Rechtsmacht zu, ihr nicht genehme Weisungen des Mehrheitsgesellschafters Z. hinsichtlich Zeit, Dauer, Umfang und Ort ihrer Tätigkeit, worauf es maßgeblich ankommt, zu verhindern.
Sowohl die Regelungen im Gesellschafts- und Anstellungsvertrag als auch deren tatsächliche Durchführung lassen nach alldem nur den Schluß zu, daß die Klägerin zur "RZ Möbelhof-GmbH" in einem die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis iS des § 168 AFG stand. Das LSG hat die Beklagte deshalb zu Recht dem Grunde nach verurteilt (§ 130 Satz 1 SGG), für die Zeit ab 30. Juli 1986 Alg im gesetzlich vorgesehenen Umfang zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
DB 1992, 2634 (T) |
DStR 1993, 291-291 (K) |
GmbH-Rdsch 1993, 355-357 (ST) |
RegNr, 20544 (BSG-Intern) |
BR/Meuer AFG § 168, 24-09-92, 7 RAr 12/92 (LT1) |
EWiR 1993, 1 (L) |
NZA 1993, 430 |
NZA 1993, 430-432 (LT1) |
USK, 9285 (LT1) |
ZAP, EN-Nr 168/93 (S) |
ZIP 1993, 54 |
ZIP 1993, 54-57 (LT) |
DBlR 3983, AFG/§168 (LT1) |
HV-INFO 1992, 2753-2758 (LT1) |
MDR 1993, 359-360 (ST) |
NZS 1993, 268-270 (LT1) |
SozR 3-4100 § 168, Nr 8 (LT1) |
GmbHR 1993, 355 |