Entscheidungsstichwort (Thema)
Saarland. KOV. Umstellung nach Eingliederung
Orientierungssatz
1. Die Versorgungsbehörde ist nicht verpflichtet, bei der Umstellung des Versorgungsanspruchs eines Beteiligten im Saarland auf die Vorschriften des BVG die in den früheren Bescheiden nach den Versorgungsbestimmungen des Saarlandes vor dem 1. Juni 1960 festgesetzte MdE zu übernehmen.
2. Die Entscheidungen nach den früheren Rechtsvorschriften des Saarlandes sind nur insoweit nach dem Inkrafttreten des BVG weiter verbindlich, als in ihnen über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 BVG entschieden worden ist.
Normenkette
BVGSaarEG Art. 1 § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 29.06.1967) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 29. Juni 1967 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der Kläger bezog wegen "Versteifung des linken Kniegelenks nach Resektion und geringer Bewegungseinschränkung im linken Fußgelenk" vor dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) im Saarland aufgrund des Bescheides vom 19. Oktober 1946 Versorgungsbezüge nach Stufe II (50 v. H.). Die Versorgungsbehörde ließ den Kläger aufgrund eines Verschlimmerungsantrages am 17. März 1964 nachuntersuchen und erkannte nach den Vorschriften des BVG mit Bescheid vom 29. Oktober 1964 "1) Verkürzung des linken Beines um 5 cm mit Kniegelenksversteifung nach Resektion, 2) Krampfaderbildung am linken Unterschenkel", und zwar zu 1) im Sinne der Entstehung und zu 2) im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolgen nach dem BVG an und gewährte ab 1. Juni 1960 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1965).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 27. April 1967 den Bescheid vom 29. Oktober 1964 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1965 abgeändert und den Beklagten verpflichtet, über den 31. Mai 1960 hinaus Rente nach einer MdE um 50 v. H. zu zahlen. Die darüber hinausgehende Klage, mit der die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen begehrt worden war, hat das SG abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur der Beklagte Berufung eingelegt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 29. Juni 1967 die Berufung gegen das Urteil des SG für das Saarland vom 27. April 1967 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, das SG habe zu Recht entschieden, daß auch nach der Einführung des BVG im Saarland am 1. Juni 1960 die bis zu diesem Zeitpunkt gewährte Rente in unveränderter Höhe weitergewährt werden müsse. Die früheren Bescheide nach dem Reichsversorgungsgesetz, die im Saarland erlassen worden seien, hätten auch hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Höhe der MdE Bindungswirkung gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Beklagte habe weder behauptet noch ergebe sich ein Anhalt hierfür, daß der frühere Bescheid außer Zweifel tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen (§ 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung) oder eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen im Sinne des § 62 BVG eingetreten sei. Durch die Einführung des BVG im Saarland sei keine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten, die dem Beklagten das Recht gebe, die Versorgungsbezüge des Klägers zu seinen Ungunsten neu festzusetzen. Das Gesetz zur Einführung des BVG im Saarland vom 16. August 1961 (BGBl I 1292 - EGBVG Saar -) enthalte insoweit keine ausdrücklichen Vorschriften. Dieses Gesetz enthalte auch keine Lücke, die vom Richter auszufüllen sei. Durch die Einführung des BVG im Saarland sei es zwangsläufig, daß die Versorgung durch Bescheide auf das neue Recht umgestellt werde. Soweit sich bei der Umstellung eine Minderung des bisherigen Rechtszustandes ergebe und der Fortbestand der bisherigen Rechte nicht ausdrücklich gesetzlich garantiert werde, müßten die davon Betroffenen solche rechtlichen Einbußen hinnehmen; eine generelle Schlechterstellung gegenüber den Kriegsopfern im übrigen Bundesgebiet müßten die Beschädigten des Saarlandes aber nicht auf sich nehmen. Eine solche Schlechterstellung würde dem Kläger aber dann widerfahren, wenn die Versorgungsverwaltung allein die Umstellung des alten Rechts auf das BVG zum Anlaß nehmen dürfte, die bisherige verbindliche Bewertung der MdE zuungunsten des Klägers zu ändern. Auch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 EGBVG Saar sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Diese Vorschrift sehe nur vor, daß eine Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang rechtsverbindlich sei, nicht aber, daß die Bescheide in anderer Beziehung keine Bindungswirkung mehr hätten. Das LSG könne sich der vom Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 18. August 1966 (8 RV 1069/64) insoweit vertretenen anderweitigen Rechtsauffassung nicht anschließen. Da der Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, nach der Einführung des BVG im Saarland die MdE des Klägers mit der Umanerkennung niedriger festzusetzen, sei die Berufung des Beklagten unbegründet.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 21. Juli 1967 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. August 1967, der am 7. August 1967 beim BSG eingegangen ist, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Er beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 29. Juni 1967 aufzuheben; auf die Berufung des Beklagten, das Urteil des SG für das Saarland vom 27. April 1967 - Az.: S 10 V 103/65 - insoweit abzuändern, als dem Kläger über den 31. Mai 1960 hinaus eine Rente nach einer MdE um 50 v. H. zuerkannt wurde, und die Klage insoweit abzuweisen.
Der Beklagte rügt eine Verletzung des Art. I § 2 EGBVG Saar durch das LSG. Er trägt hierzu insbesondere vor, die Auffassung des LSG sei unzutreffend, daß bei der Umstellung der Versorgung der Kriegsopfer im Saarland auf das BVG die Versorgungsbehörde auch hinsichtlich der Höhe der MdE an die früher ergangenen Bescheide gebunden sei. Dies ergebe sich schon daraus, daß durch Art. I § 2 EGBVG Saar die Bindungswirkung früherer Bescheide nur wegen der darin enthaltenen Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs gesetzlich bestimmt worden sei. Daraus rechtfertige sich der Umkehrschluß, daß im übrigen die früheren Bescheide hinsichtlich der Höhe der in ihnen festgesetzten MdE bei der Umstellung nicht verbindlich seien. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 4. August 1967 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 29. Juni 1967 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung am dieses Gericht zurückzuverweisen.
Er ist der Meinung, daß die vom LSG vertretene Rechtsauffassung zutreffend sei. Im übrigen wird wegen des weiteren Vorbringens auf den Schriftsatz vom 8. September 1967 verwiesen.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig. Die Revision ist auch begründet.
Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die bei der Umstellung der Versorgung des Klägers aufgrund des EGBVG Saar vom Beklagten im Bescheid vom 29. Oktober 1964 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1965 erfolgte Herabsetzung der MdE von 50 v. H. auf 40 v. H. vorgenommen werden durfte. Diese Herabsetzung der MdE ist - entgegen der Auffassung des LSG - rechtlich nicht zu beanstanden. Die Versorgungsbehörde ist nämlich nicht verpflichtet, bei der Umstellung des Versorgungsanspruchs eines Beteiligten im Saarland auf die Vorschriften des BVG die in den früheren Bescheiden nach den Versorgungsbestimmungen des Saarlandes vor dem 1. Juni 1960 festgesetzte MdE zu übernehmen. Nach Art. III § 1 EGBVG Saar treten mit dem 1. Juni 1960 alle dem BVG entgegenstehenden oder inhaltsgleichen Rechtsvorschriften des Saarlandes außer Kraft. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 9. Juli 1968 (10 RV 753/67) ausgeführt hat, sind den nach früherem Versorgungsrecht im Saarland ergangenen Entscheidungen durch die Einführung des BVG im Saarland und die gleichzeitige Aufhebung aller entgegenstehenden oder inhaltsgleichen Vorschriften des Saarlandes gemäß Art. III § 1 EGBVG Saar vom 1. Juni 1960 an die Rechtsgrundlage entzogen, so daß diese Entscheidungen ihre Wirkung verloren haben. Diese Auffassung entspricht den Rechtsgrundsätzen, die das BSG in ständiger Rechtsprechung allgemein für den Fall der Ablösung früherer Versorgungsgesetze durch neues Versorgungsrecht entwickelt hat (BSG 1, 164; 3, 255; 4, 23; 10, 251; vgl. auch BSG 19, 247, 251). Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, von diesen allgemeinen Grundsätzen, die vom BSG insbesondere bei der Ablösung früherer versorgungsrechtlicher Vorschriften durch das BVG - am 1. Oktober 1950 im übrigen Bundesgebiet - entwickelt worden sind, im vorliegenden Falle abzuweichen; denn die Rechtslage und das Verhältnis zwischen dem Versorgungsrecht des Saarlandes zum BVG steht der Rechtslage und den Verhältnissen zwischen dem früheren Versorgungsrecht der übrigen Bundesländer und dem BVG am 1. Oktober 1950 gleich. In beiden Fällen wird nämlich unter Aufhebung anderer versorgungsrechtlicher Vorschriften ein einheitlicher Rechtszustand auf dem Gebiet des Versorgungsrechts hergestellt. Haben aber die Entscheidungen nach früherem saarländischen Versorgungsrecht mit dem Inkrafttreten des BVG im Saarland am 1. Juni 1960 durch den Wegfall ihrer Rechtsgrundlage ihre Wirkung verloren, so besteht für die Versorgungsbehörde auch keine Bindung an die in den früheren Bescheiden getroffene Regelung bei der Umstellung des Versorgungsrechtsverhältnisses auf das BVG gemäß Art. I § 3 EGBVG Saar, es sei denn, daß das Gesetz ausdrücklich die Bindungswirkung der früheren Entscheidungen auch über das Inkrafttreten des BVG hinaus vorschreibt. Eine derartige Sonderregelung für die Fortwirkung der Entscheidung nach dem früheren saarländischen Versorgungsrecht sieht das EGBVG Saar nur in Art. I § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes vor. Nach dieser Vorschrift ist die Entscheidung auch nach dem BVG rechtsverbindlich, wenn nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes über die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 BVG entschieden worden ist. Hieraus ergibt sich, daß die Entscheidungen nach den früheren Rechtsvorschriften des Saarlandes nur insoweit nach dem Inkrafttreten des BVG weiter verbindlich sind, als in ihnen über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 BVG entschieden worden ist. Die Regelung des Art. I § 2 Abs. 1 EGBVG Saar wäre überflüssig und sinnwidrig, wenn auch alle anderen in den früheren Entscheidungen getroffenen Regelungen des Versorgungsrechtsverhältnisses, also auch die in ihnen festgesetzte Höhe der MdE, nach Inkrafttreten des BVG weiter verbindlich sein sollten, so daß die Versorgungsbehörde bei der Umstellung des Versorgungsrechts auf das BVG an die Gesamtregelung gebunden wäre. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 9. Juli 1968 (10 RV 753/67) sowie der 8. Senat in seiner Entscheidung vom 8. August 1966 (BSG 25, 153, 154 f) und der 9. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 12. März 1968 (BSG in SozR Art. I § 2 EGBVG Saar Nr. 2) mit eingehender Begründung ausgeführt haben, ist die Verwaltung vielmehr befugt und verpflichtet, bei der "Umanerkennung", also der Umstellung der Versorgungsgebührnisse nach dem alten saarländischen Recht auf das BVG, den Sachverhalt zu prüfen und neu festzustellen. Das gilt insbesondere und gerade für den Grad der MdE. Von dieser Rechtsprechung abzuweichen besteht kein Anlaß. Dem Gedanken des LSG, die Kriegsopfer des Saarlandes sollten durch die Umstellung des alten Versorgungsrechts auf das BVG keine Verschlechterung ihrer Versorgungsleistungen erfahren, hat der Gesetzgeber durch Art. I §§ 4 bis 6 EGBVG Saar Rechnung getragen; durch diese Vorschriften wird der persönliche Besitzstand der Versorgungsberechtigten des Saarlandes für die Zeit nach dem Inkrafttreten des BVG gewahrt.
Demnach war die Versorgungsbehörde bei der Umstellung der Versorgungsgebührnisse nach früherem saarländischen Recht auf das BVG befugt, die Höhe der MdE für die beim Kläger anerkannten Schädigungsfolgen zu überprüfen und ggf. neu festzusetzen. Das LSG hat somit Art. I EGBVG Saar verletzt, so daß die Revision begründet ist. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Da das LSG wegen seiner anderweitigen Rechtsauffassung keine Feststellungen darüber getroffen hat, ob die von der Versorgungsbehörde festgestellte MdE für die anerkannten Schädigungsfolgen zutreffend ist, konnte der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden; sie war daher zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen