Orientierungssatz
1. Ob eine Pflicht zur Nachversicherung besteht, richtet sich grundsätzlich nach den Vorschriften, die in dem Zeitpunkt galten, als der Beschäftigte aus der wegen zugesicherter Versorgungsleistungen versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden ist (vergleiche BSG 1955-09-21 1 RA 49/55 = BSGE 1, 219; vergleiche BSG 1962-01-18 1 RA 12/60 = BSGE 16, 112). Jeder Wechsel des Dienstherrn, auch wenn weiter die gleiche Tätigkeit ausgeübt wird, führt zum Ausscheiden aus dem bisherigen Beschäftigungsverhältnis.
2. Die ab 1957-03-01 gültigen Nachversicherungsvorschriften des AVG § 9 und AnVNG Art 2 § 4 gelten nur für Personen, die nach dem 1957-02-28 aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ausscheiden und nur für Zeiträume dieser Beschäftigung. Insofern stellen sie allerdings solche Personen - wie sich aus AnVNG Art 2 § 4 Abs 1 S 3 ergibt (vergleiche auch AVG § 9 Abs 7) - auch für vergangene Zeiten besser, als diese Zeiten nun auch nachversicherungsfähig sind, wenn die Versicherungspflichtgrenzen überschritten waren. Das gilt aber nur für Zeiten derjenigen Beschäftigung, aus der der Beschäftigte nach dem 1957-02-28 ausgeschieden ist (vergleiche BSG 1967-12-14 1 RA 133/66 = SozR Nr 1 zu § 9 AVG). Eine Beschäftigung, aus der der Beschäftigte schon vor diesem Stichtag ausgeschieden ist, wird von AnVNG Art 2 § 4 Abs 1 S 3 nicht erfaßt.
Gegen eine solche Differenzierung, die einerseits den nachversicherungsfähigen Zeitraum ausdehnt, andererseits aber für schon früher beendete Beschäftigungen keine neuen Ansprüche begründet, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
AVG § 18 Fassung: 1945-03-17, § 9 Abs. 7 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 4 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Januar 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Streit geht darum, ob der Kläger für die Zeit vom 29. April 1948 bis 31. März 1951 nachzuversichern ist.
Der Kläger stand damals als höherer Beamter (Umsatzsteuerreferent in der Finanzverwaltung) im Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg. Dann wechselte er infolge der Übernahme des Tätigkeitsbereiches in die Zuständigkeit des Bundes seinen Dienstherrn und wurde Bundesbeamter. Mit Wirkung vom 8. Dezember 1964 wurde er ohne Anspruch auf Versorgung aus dem Dienst entfernt. Die Oberfinanzdirektion (OFD) H hat ihn für die Zeit von April 1951 bis zu seinem Ausscheiden nachversichert.
Im August 1966 beantragte der Kläger, ihn auch für die vorhergehende Zeit nachzuversichern. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 14. Dezember 1967), weil der Kläger im März 1951 aus einer Beschäftigung ausgeschieden sei, die auch wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei gewesen sei. Die Nachversicherung müsse grundsätzlich nach dem im Zeitpunkt des Ausscheidens geltenden Recht beurteilt werden (§ 18 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF iVm § 1242 Buchst. a der Reichsversicherungsordnung - RVO - idF der Verordnung vom 17. März 1945). Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 1969). Das Sozialgericht (SG) entschied im Sinne des Klägers. Die von der Beklagten und der Beigeladenen zu 2) eingelegten Berufungen führten zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der Klage. Nach der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) hat der Übertritt des Klägers in den Bundesdienst im Jahre 1951 das Beschäftigungsverhältnis bei der Freien und Hansestadt Hamburg beendet. Daran ändere. auch nichts, daß der Kläger die gleiche Beschäftigung mit den gleichen Mitarbeitern am gleichen Ort weiterhin verrichtet habe. Somit sei das im Jahre 1951 geltende Recht maßgebend; hiernach aber seien Zeiten des Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht nachzuversichern. Andere Vorschriften seien zugunsten des Klägers nicht anwendbar. Die gesetzliche Regelung sei nicht verfassungswidrig. Das LSG hat die Revision zugelassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die gesetzliche Beschränkung der Nachversicherung eines entlassenen Beamten auf einen Teil seiner zurückgelegten Dienstzeit dem Grundgedanken der umfassenden sozialen Sicherung widerspricht, wie sie auch das Nachversicherungsrecht beinhalte.
Der Kläger legte Revision ein mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nachversicherung des Klägers auch für die Zeit vom 29. April 1948 bis 31. März 1951 durchzuführen.
Er rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der Art. 3, 14, 20 und 28 des Grundgesetzes (GG). Er habe sowohl vor als auch nach seinem Übertritt in die Bundesverwaltung seine Direktiven vom Oberfinanzpräsidenten erhalten, der sowohl Bundesbeamter als auch Landesbeamter gewesen sei. Im übrigen sei inzwischen die Umsatzsteuerverwaltung wieder auf die Länder übertragen. Das LSG folgere aus solchen Zuständigkeitswechseln zu Unrecht einen Arbeitgeberwechsel. Die gesamte Dienstzeit im öffentlichen Dienst müsse als eine Einheit gewürdigt werden. Das LSG habe im übrigen den Sinn der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Nachversicherung und die Bedeutung der Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG verkannt. Es sei Aufgabe des sozialen Rechtsstaates, die Nachversicherung umfassend zu sichern. Durch die Ausschließung der streitigen Zeit von der Nachversicherung werde der Gleichheitsgrundsatz verletzt, weil es sich nicht mehr um eine nur geringfügige Ungleichheit handele. Das angefochtene Urteil wirke sich als Enteignung seiner Versorgungsansprüche oder Anwartschaftsrechte aus.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragten die Zurückweisung der Revision.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Nachversicherung des Klägers für die Zeit vom 29. April 1948 bis 31. März 1951 durchzuführen, d. h. das Land Hamburg zur Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen aufzufordern und diese entgegenzunehmen. Ob eine Pflicht zur Nachversicherung besteht, richtet sich grundsätzlich nach den Vorschriften, die in dem Zeitpunkt galten, als der Beschäftigte aus der wegen zugesicherter Versorgungsleistungen versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden ist (BSG 1, 219; 16, 112). Im Falle des Klägers ist somit entscheidend, ob sein Wechsel vom Landesdienst in den Bundesdienst ein "Ausscheiden" im Sinne der Nachversicherungsvorschriften bedeutete. Das hat das LSG mit zutreffender Begründung bejaht. Jeder Wechsel des Dienstherrn, auch wenn weiter die gleiche Tätigkeit ausgeübt wird, führt zum Ausscheiden aus dem bisherigen Beschäftigungsverhältnis (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Bd. III S. 626 h I und o V Nr. 4 b aa 1; Jantz/Zweng, Rentenversicherung, 2. Aufl., § 1232 Anm. II 1 sowie Hanow/Lehmann/Bogs, Rentenversicherung der Arbeiter, § 1232 S. 12). Die besonderen Verhältnisse bei der Umsatzsteuerverwaltung sind nicht geeignet, von diesen Grundsätzen abzuweichen.
Als der Kläger am 31. März 1951 aus dem Dienst des Landes Hamburg im Sinne der Nachversicherungsvorschriften ausschied, ist jedoch - wie das LSG zu Recht entschieden hat - nach dem damals maßgeblichen Recht keine Nachversicherungspflicht des Landes Hamburg entstanden, weil der Kläger ein Jahreseinkommen von mehr als 7.200,- DM hatte und Zeiten des Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht nachzuversichern waren (§ 18 AVG aF; § 1 AVG idF der Verordnung vom 17. März 1945 - RGBl I 41; vgl. auch Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, Bd. I S. 188, Anm. 1).
Die ab 1. März 1957 gültigen Nachversicherungsvorschriften des § 9 AVG und Art. 2 § 4 AnVNG haben eine Nachversicherungspflicht für die im März 1951 beendete Beschäftigung des Klägers auch nicht nachträglich begründet. Sie gelten nur für Personen, die nach dem 28. Februar 1957 aus einer versicherungsfreien Beschäftigung ausscheiden und nur für Zeiträume dieser Beschäftigung. Insofern stellen sie allerdings solche Personen - wie sich aus Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 3 AnVNG ergibt (vgl. auch § 9 Abs. 7 AVG) - auch für vergangene Zeiten besser, als diese Zeiten nun auch nachversicherungsfähig sind, wenn die Versicherungspflichtgrenzen überschritten waren. Das gilt aber nur für Zeiten derjenigen Beschäftigung, aus der der Beschäftigte nach dem 28. Februar 1957 ausgeschieden ist (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1967 - SozR Nr. 1 zu § 9 AVG). Eine Beschäftigung, aus der der Beschäftigte schon vor diesem Stichtag ausgeschieden ist, wird von Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 3 AnVNG nicht erfaßt.
Entgegen der Auffassung der Revision bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine solche Differenzierung, die einerseits den nachversicherungsfähigen Zeitraum ausdehnt, andererseits aber für schon früher beendete Beschäftigungen keine neuen Ansprüche begründet. Es steht dem Gesetzgeber im allgemeinen frei, Gesetze mit Wirkung nur für die Zukunft zu erlassen. Dem Kläger ist nicht zuzustimmen (Art. 3 GG), daß sich für die durch den Stichtag entstandene unterschiedliche Regelung der Nachversicherung schlechterdings keine vernünftige Erklärung finden lasse (BSG 14, 95, 98). Dafür können sachliche Gründe angeführt werden, insbesondere der, daß neu eingeführte Vergünstigungen, vorwiegend solche mit finanziellen Auswirkungen, nicht beliebig weit zurück auf in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte ausgedehnt zu werden brauchen. Auch ist es ein wesentlicher Unterschied, ob bei einer über den Stichtag andauernden Beschäftigung beim gleichen Dienstherrn der Umfang einer entstehenden Nachversicherungspflicht nur erweitert oder ob nachträglich noch eine Nachversicherungspflicht für Beschäftigungen bei anderen Dienstherren begründet wird, aus denen der Beschäftigte - u. U. lange Zeit - vor dem Stichtag bereits ausgeschieden war. Die Gewährleistung des Eigentums nach Art. 14 GG ist nicht verletzt, weil die Neuregelung der Nachversicherungsvorschriften nicht in bestehende Rechte sozialversicherungsrechtlicher Art des Klägers eingegriffen hat. Ebensowenig ist eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips zu erkennen. Das geltende Nachversicherungsrecht wird von dem Grundgedanken einer umfassenden sozialen Sicherung nur insoweit beherrscht, als dieser in der gesetzlichen Regelung jeweils Ausdruck gefunden hat. Eine Ausdehnung darüber hinaus kann mit dem Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip allein nicht gerechtfertigt werden.
Das LSG hat somit zutreffend entschieden, daß ein Anspruch des Klägers auf Nachversicherung für die streitige Zeit nicht gegeben ist. Die Revision ist hiernach unbegründet und muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen