Leitsatz (redaktionell)

1. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll die Partei aus den Gründen ersehen können, worauf das Gericht seine Entscheidung stützt.

Eine mangelnde Begründung liegt daher nicht nur dann vor, wenn überhaupt keine Gründe vorhanden sind, sondern ist auch schon dann gegeben, wenn zu wesentlichen Punkten die Erwägungen, die den Richter zu der in dem Urteil enthaltenen Entscheidung geführt haben, nicht erkennbar sind, sei es, daß sie völlig unvollständig oder völlig undeutlich oder überaus lückenhaft sind.

Es kommt auf den Einzelfall an, ob unter Berücksichtigung dieser Grundsätze eine Urteilsbegründung noch als ausreichend iS des SGG § 136 Abs 1 Nr 6 angesehen werden kann.

2. Eine Witwe, die nach dem Tode ihres 1. Ehemannes aus der SBZ Deutschlands nach West-Berlin verzogen ist und sich dort wiederverheiratet hat, hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach dem 1. Ehemann für den Heiratsmonat und auf Abfindung nach BVG § 44.

3. Zulässigkeit der Berufung gegen ein vor dem 1954-01-01 erlassenes, aber erst nach Inkrafttreten des SGG angefochtenes Urteil des Versorgungsgerichts.

4. Unter "befugt" ist ein rechtmäßiger Aufenthalt iS der Bestimmungen über Zuzugs- und Aufenthaltsgenehmigungen zu verstehen. Dabei kommt es praktisch auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Aufenthaltsnahme an. Die nach wie vor erforderliche Zuzugsgenehmigung hat im allgemeinen nur die Bedeutung, daß dieser tatsächliche Vorgang rückwirkend als befugt erklärt wird.

 

Normenkette

BVG § 44 Fassung: 1953-08-07; SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6 Fassung: 1953-09-03, § 218 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03; BVG § 7 Nr. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts vom 7. Mai 1954 wird zurückgewiesen.

Auf die Revision des Beklagten wird unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts vom 7. Mai 1954 und des Versorgungsgerichts vom 3. Dezember 1953 die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der erste Ehemann der Klägerin ist am 20. März 1945 gefallen. Auf ihren Antrag am 4. Januar 1951 hat das Bezirksamt ... am 12. März 1951 ihr und ihrem Sohn aus erster Ehe die unbefristete Zuzugsgenehmigung nach ... erteilt, nachdem sie vorher in der Sowjetzone ... gelebt hatte. In West-Berlin ist sie mit ihrem Sohn seit 9. März 1951 polizeilich gemeldet.

Unter dem 18. März 1951 hat der Ehemann der Klägerin einen Versorgungsantrag gestellt, der am 19. März 1951 bei der zuständigen Versorgungsstelle eingegangen ist. Der vorgedruckte Kopf des Antragsformulars lautet:

"Antrag

 auf Gewährung von Versorgung für Witwen, Witwer, Waisen".

Der Ehemann der Klägerin hat das Wort "Waisen" unterstrichen. Er hat Angaben über die Person des Verstorbenen, über die Witwe und über die Halbwaise gemacht und den Antrag mit seinem Namen und dem Zusatz: "als künftiger Vormund" unterzeichnet. Nach Angabe der Klägerin ist der Zusatz auf Verlangen des erstbearbeitenden Bezirkssozialamts zur Erläuterung der Beziehungen zwischen ihrem Ehemann und der Halbwaise gemacht worden.

Das Versorgungsamt I (VersA.) ... hat mit Bescheid vom 4. Dezember 1951 festgestellt, daß Lothar ... der Vater der Halbwaise, am 20. März 1945 an den Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG), dessen Vorschriften nach dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12. April 1951 (GVOBl. für ... S. 317) auf ... Anwendung finden, gestorben sei, und Waisenrente für Volker ... nach dem BVG bewilligt. Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt, ein Rechtsmittel ist nicht eingelegt worden. Unter dem 18. September 1952 hat die Klägerin einen Antrag gestellt, ihr einen Bescheid über ihren Anspruch auf Witwenabfindung gemäß § 44 BVG zu erteilen. Sie weist in ihrem Schreiben darauf hin, daß der unter dem 18. März 1951 gestellte Versorgungsantrag die Voraussetzung des Art. 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12. April 1951 erfülle und daß das VersA. nur über den Waisenrentenantrag für ihren Sohn, nicht aber über ihre Witwenversorgung entschieden habe. Dieser Antrag werde ausdrücklich vorsorglich auch zur Vermeidung der Ausschlußfolgen nach § 58 Abs. 1 Satz 2 BVG gestellt. Das VersA. I ... hat mit Bescheid vom 20. Oktober 1952 den Antrag auf Gewährung einer Witwenabfindung abgelehnt, da der am 18. September 1952 gestellte Antrag verspätet sei. Der unter dem 18. März 1951 gestellte Antrag betreffe lediglich die Waisenrente; er wäre im übrigen als Witwenrentenantrag ebenfalls als verspätet anzusehen.

Gegen die Einspruchsentscheidung des Landesversorgungsamts (LVersA.) ... vom 24. März 1953, die mit Rücksicht auf § 7 Abs. 1 BVG einen Anspruch auf Witwenrente zur Zeit der Eheschließung verneinte, hat die Klägerin Klage beim Versorgungsgericht ( VersGer .) ... erhoben, das mit dem der Klägerin am 28. Dezember, dem Beklagten am 29. Dezember 1953 zugestellten Urteil vom 3. Dezember 1953 die Entscheidung des LVersA. aufgehoben und den Beklagten zur Gewährung der Witwenversorgung für den Monat Dezember 1950 und Zahlung einer Witwenabfindung in Höhe von 1.200,- DM verurteilt hat. Es hat in dem Antrag vom 18. März 1951 auch einen Antrag auf Witwenversorgung gesehen, während das Schreiben vom 18. September 1952 nur als Erinnerung aufzufassen sei. Im übrigen habe die Klägerin vom Tage ihrer Wiederverheiratung an befugt ihren Wohnsitz in ... gehabt.

Auf die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSGer.) ... mit Urteil vom 7. Mai 1954 unter Abänderung des Urteils des VersGer . ... die Klage insoweit abgewiesen, als Hinterbliebenenversorgung für den Monat Dezember 1950 zugesprochen worden ist. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Revision ist zugelassen worden, da es sich um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung handele.

In der Begründung hat das LSGer. zunächst die Zulässigkeit der Berufung bejaht. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat es dabei aber nicht die Vorschriften der §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) herangezogen, da die Berufung erst am 4. Januar 1954, also nach Inkrafttreten des SGG, beim LSGer. eingegangen und der Rechtsstreit somit am 1. Januar 1954 weder beim VersGer . noch beim Oberversorgungsgericht anhängig gewesen sei. Das Gericht hat die Möglichkeit einer Anwendung der Überleitungsbestimmungen des § 218 SGG verneint. Es hat hier eine Lücke im Gesetz gesehen und aus der Regelung des § 218 SGG den Willen des Gesetzgebers entnommen, erstinstanzliche alte Urteile nicht deshalb rechtskräftig werden zu lassen, weil sich am 1. Januar 1954 Gerichtsbarkeit und Verfahrensrecht geändert hätten. Entsprechend dieser Absicht des Gesetzgebers hat das LSGer. die nach altem Verfahrensrecht zulässigen Berufungen auch dann für rechtswirksam gehalten, wenn sie erst nach Inkrafttreten des neuen Rechts beim Gericht eingegangen seien. Da nach Auffassung des LSGer. im vorliegenden Fall die Berufung nach altem Recht zulässig gewesen sei, sei sie auch zulässig geblieben, obgleich sie nach heutigem Recht unzulässig sei. In der Sache selbst hat das LSGer. die Berufung nur insoweit für begründet gehalten, als Hinterbliebenenversorgung für den Monat Dezember 1950 zugesprochen worden sei. Die Witwenabfindung sei hingegen zu Recht gewährt worden. Bei dem unter dem 18. März 1951 gestellten Antrag handele es sich zwar nur um einen Antrag auf Waisen-, nicht aber auch Witwenversorgung. Das Schreiben vom 18. September 1952 sei jedoch als Antrag auf Witwenversorgung anzusehen. Dieser sei entgegen der Auffassung des Beklagten nicht verspätet gestellt worden. § 44 BVG a. F. enthalte keine Fristbestimmung. Diese sei erst durch die Novelle vom 7. August 1953 eingefügt worden. Diese neue Fassung gelange hier aber nicht zur Anwendung. Es sei lediglich die Ausschlußfrist des § 58 Abs. 1 BVG zu berücksichtigen gewesen, wonach Witwen den Versorgungsanspruch binnen zwei Jahren (§ 58 Abs. 1 Satz 1 SGG) nach dem Tode anmelden müßten; diese Frist habe nach § 58 Abs. 1 Satz 2 a. a. O. frühestens am 30. September 1952 geendet. Die Ausschlußfrist sei daher am 18. September 1952 noch nicht abgelaufen gewesen. Das LSGer. hat dabei die Ansicht des Beklagten verworfen, daß ein Versorgungsantrag spätestens im Heiratsmonat gestellt werden müsse, aber nach der Wiederverheiratung nicht mehr gestellt werden könne. Diese Beurteilung würde nach Auffassung des LSGer. bedeuten, daß eine Eheschließung am Monatsende praktisch den Verlust der Abfindung zur Folge haben würde. Zur Frage der Erteilung der Zuzugsgenehmigung hat das LSGer. ausgeführt, daß die Erteilung der Zuzugsgenehmigung bedeutungslos sei, weil sich die Klägerin seit ihrer Eheschließung erlaubt in ... aufgehalten habe.

Gegen dieses, den Parteien am 24. Juni 1954 zugestellte Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt, und zwar der Beklagte mit einem beim Bundessozialgericht ( BSGer .) am 16. Juli 1954 eingegangenen Schreiben vom 15. Juli 1954, die Klägerin mit einem beim BSGer . am 21. Juli 1954 eingegangenen Schreiben vom 19. Juli 1954.

Der Beklagte hat beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Berufung gegen die Entscheidung des VersGer . vom 3. Dezember 1953 stattzugeben.

Er begründet die Revision damit, daß das Urteil wegen Verletzung des § 153 Abs. 2 SGG (Nichtunterzeichnung durch die beiden Landessozialrichter) an einem wesentlichen Verfahrensmangel leide. In sachlicher Hinsicht bringt er vor, daß entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils die Witwenabfindung an Stelle des Anspruchs auf Rente gewährt werde, daß also zweifellos ein Anspruch auf Witwenrente bestehen müsse. Ein solcher Anspruch habe jedoch gemäß § 61 Abs. 2 BVG frühestens mit dem Monat der Anmeldung bestanden. Da sich die Klägerin aber schon am 22. Dezember 1950 wieder verheiratet habe, also im Zeitpunkt der Anmeldung nicht mehr Witwe gewesen sei, habe sie am 18. September 1952 die Witwenrente nicht mehr erhalten können. Da ein Witwenrentenanspruch nicht gegeben sei, entfalle aber auch ihr Anspruch auf Gewährung einer Heiratsabfindung "an Stelle des Anspruchs auf Rente". Die Änderung des § 44 BVG durch das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 7. August 1953 sei erst am 11. August 1953 in Kraft getreten. Sie sei nicht als Legalinterpretation des § 44 BVG aufzufassen, sondern stelle eine neue Vorschrift dar, die nur bei Eheschließungen nach dem 10. August 1952 zur Anwendung kommen könne. Falls der Gesetzgeber eine Rückwirkung im Falle des § 44 BVG beabsichtigt hätte, hätte er das Inkrafttreten auch insoweit auf den 1. Oktober 1950 vorverlegt.

Die Klägerin hat beantragt,

das Urteil des LSGer. ... vom 7. Mai 1954 aufzuheben, das Urteil des VersGer . ... vom 3. Dezember 1953 wiederherzustellen und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Sie begründet ihre Revision mit einem wesentlichen Verfahrensmangel. Die Zulässigkeit der Berufung sei entgegen der Auffassung des LSGer. nicht nach altem Recht, sondern nach § 218 Abs. 5 SGG zu beurteilen, wonach die noch beim VersGer . anhängigen Sachen mit dem 1. Januar 1954 auf das Sozialgericht ( SGer .) übergegangen seien. Die am 4. Januar 1954 eingegangene Berufung sei daher als eine Berufung gegen eine Entscheidung des SGer . zu behandeln und nach den §§ 144 Abs. 1 Nr. 1 und 148 Nr. 1 SGG unzulässig. Im übrigen sei auch § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG verletzt, da die Entscheidungsgründe keine Begründung für die Ablehnung der Witwenversorgung für den Dezember 1950 enthielten.

Im übrigen wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 13. August 1954, 14. März 1955, 23. Mai 1955 und 15. November 1955 sowie auf die Ausführungen des Beklagten in den Schriftsätzen vom 9. August 1954, 10. Februar 1955 und 19. April 1955 Bezug genommen.

Die Revisionen sind statthaft. Das LSGer. ... hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Angriffe der Klägerin gegen die Zulassung der Revision greifen nicht durch. Es handelt sich insbesondere bei der Frage der Zulässigkeit der Berufung gegen ein vor dem 1. Januar 1954 erlassenes, aber erst nach dem Inkrafttreten des SGG angefochtenes Urteil des VersGer . ... sowie bei der Auslegung des § 44 BVG um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, die z. Zt. der Entscheidung des LSGer. noch nicht vom BSGer . entschieden waren. Beide Revisionskläger sind durch das angefochtene Urteil auch beschwert. Entgegen der Auffassung der Klägerin, die die Revision des Beklagten mehrfach als Anschlußrevision bezeichnet, liegt eine Anschlußrevision im Sinne des § 556 Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht vor. Der Beklagte hat das Rechtsmittel unter dem 15. Juli 1954 eingelegt, während die Revisionsschrift der Klägerin erst am 21. Juli 1954 beim BSGer . eingegangen ist. Beide Parteien haben also unabhängig voneinander selbständig, und zwar form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese begründet. Die Revisionen sind daher zulässig.

Die vom Beklagten erhobene Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 153 Abs. 2 SGG ist durch den Beschluß des Großen Senats vom 21. April 1955 - BSG 1 S. 1 ff. - gegenstandslos geworden.

Die Rüge der Klägerin, daß das Urteil des VersGer . ... endgültig gewesen sei und daher mit der Berufung nicht mehr habe angefochten werden können (§ 144 Abs. 1 Nr. 1, § 148 Nr. 1 SGG), greift nicht durch.

Das auf Grund mündlicher Verhandlung erlassene Urteil des VersGer . ist nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen mit seiner Verkündung in der öffentlichen Sitzung vom 3. Dezember 1953 rechtswirksam geworden. Es war hiernach ein Urteil des VersGer . und ist auch nach dem 31. Dezember 1953 ein Urteil dieses Gerichts geblieben, obgleich das VersGer . infolge Einführung des SGG in ... mit dem 31. Dezember 1953 zu bestehen aufgehört hatte (§ 12 des Ausführungsgesetzes zum SGG vom 22. Dezember 1953 - GVBl. für Berlin S. 1521 ff -). Da die Rechtsmittelfrist gegen das den Parteien am 28. bzw. 29. Dezember 1953 zugestellte Urteil vom 3. Dezember 1953 am 1. Januar 1954 noch nicht abgelaufen war, war die Streitsache beim Inkrafttreten des SGG noch rechtshängig. Sie ist gemäß § 218 Abs. 5 SGG in diesem "anhängigen" Zustand auf das SGer . Berlin übergegangen. Hierbei handelt es sich aber nur um einen formellen Übergang, ohne daß dadurch die Zuständigkeit des SGer . zu einer Sachentscheidung begründet worden ist. Vielmehr war für eine solche erneute Sachentscheidung des SGer . in diesem Instanzenzug kein Raum mehr, da mit dem Urteil des VersGer . bereits ein Urteil des 1. Rechtszuges vorlag. Dieses Urteil des VersGer . wäre mit Ablauf der Rechtsmittelfrist für den Beklagten am 29. Januar 1954 rechtskräftig geworden, wenn er nicht am 4. Januar 1954 dagegen Berufung eingelegt hätte. Diese Berufung betrifft nicht eine unter der Herrschaft des SGG ergangene Entscheidung eines SGer .. Da aber nur Urteile der SGer . mit der im SGG vorgesehenen Berufung anfechtbar sind und das Übergangsrecht nicht ausführlich geregelt ist, hatte der Senat zu prüfen, wie der Fall zu behandeln ist. Er ist in Übereinstimmung mit dem Urteil des BSGer . vom 20. September 1955 - BSG 1 S. 208 ff - der Auffassung, daß dieser seit dem 1. Januar 1954 beim SGer . ... anhängige Fall nach Anfechtung des versorgungsgerichtlichen Urteils nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nunmehr kraft der Anfallwirkung der eingelegten Berufung beim LSGer. ... anhängig geworden ist. Damit steht aber die Sache den Verfahren gleich, die am 1. Januar 1954 bereits beim Oberversorgungsgericht ... anhängig waren und nach § 218 Abs. 6 SGG auf das LSGer. übergegangen sind. Die in § 218 SGG getroffene Überleitungsregelung verfolgt den Zweck, sämtlichen Beteiligten eine möglichst gleiche Rechtsstellung zu geben. Es wäre nicht zu vertreten, wenn ein Rechtsmittelkläger, auf dessen Rechtsmittel im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung das gleiche Recht anzuwenden war, nur deshalb ungleich behandelt würde, weil das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist vor oder nach dem Inkrafttreten des SGG eingelegt worden ist. Wie der Senat bereits mit Urteil vom 16. Juni 1955 - BSG 1 S. 78 ff - entschieden hat, entspricht diese für das Land ... geltende Vorschrift des § 218 Abs. 6 SGG der für die Länder Bayern und Württemberg-Baden in § 215 Abs. 3 SGG getroffenen Regelung. Diese Rechtsmittel sind daher grundsätzlich als Berufung neuen Rechts (§§ 143 ff SGG) zu behandeln. Ihre Zulässigkeit richtet sich nach den §§ 144 bis 150 SGG. Nach altem Recht war das Rechtsmittel zulässig. Der Senat hat diese Zulässigkeit auch nach neuem Recht trotz der Vorschriften der §§ 144 Abs. 1 Nr. 1, 148 Nr. 1, Nr. 2 SGG bejaht. Er geht davon aus, daß im vorliegenden Falle eine sinngemäße Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG in Frage kommt. Wenn hier in erster Instanz ein SGer . zu entscheiden gehabt hätte, so wären die Voraussetzungen nach § 150 Nr. 1 SGG gegeben, da der Anspruch der Klägerin von der grundsätzlichen Rechtsfrage abhängt, ob ein Anspruch auf Abfindung nach § 44 BVG innerhalb der in § 58 Abs. 1 Satz 1 BVG verlangten Zweijahresfrist geltend zu machen ist oder ob dabei auch die Vorschriften der §§ 61 Abs. 2, 88 Satz 2 a. a. O. zu berücksichtigen sind und ob bei einer Bejahung der letzten Frage etwa § 44 BVG n. F. auf die nach dem 1. Oktober 1950, aber vor dem 11. August 1952 geschlossenen Ehen zurückwirkt. Ein SGer . hätte also die Berufung zulassen müssen. Im vorliegenden Fall hat aber nicht ein SGer ., sondern ein VersGer . entschieden. Wenn daher § 150 a. a. O. auch nicht unmittelbar angewendet werden kann, so ist es doch nicht zu vertreten, daß der Rechtsvorteil des § 150 SGG den nach dem neuen Gesetz zu entscheidenden Übergangsfällen verlorengeht. Das LSGer. hätte daher prüfen müssen, ob nicht trotz des Berufungsausschlusses nach §§ 144, 148 SGG die Berufung in entsprechender Anwendung des § 150 Nr. 1 a. a. O. zuzulassen war (so Urteil des Senats vom 16.6.1955 - BSG 1 S. 62 (67, 68) -). Das LSGer. hat die Berufung zwar zugelassen und sachlich entschieden. Der Senat konnte jedoch der Begründung des Berufungsgerichts, daß mit dem Urteil des VersGer . vom 3. Dezember 1953 die Anhängigkeit bei diesem Gericht erloschen sei und die Sache am 4. Januar 1954 - Eingang der Berufung - nicht mehr beim Oberversorgungsgericht hätte anhängig werden können, die Übergangsregelung in § 218 SGG also nicht anwendbar und daher die Zulässigkeit der Berufung nach altem Recht zu beurteilen sei, nicht folgen. Trotzdem kommt eine Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit nicht in Frage, da das LSGer., wenn auch mit abweichender Begründung, die Berufung für zulässig erklärt und sachlich entschieden hat.

Der Senat hat sodann noch die formelle Rüge der Klägerin geprüft, daß das Urteil des Berufungsgerichts keine Begründung für die Versagung der Witwenrente für den Monat Dezember 1950 enthalte und daß daher wegen des Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG ein wesentlicher Verfahrensmangel gegeben sei. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll die Partei aus den Gründen ersehen können, worauf das Gericht seine Entscheidung stützt. Eine mangelnde Begründung liegt daher nicht nur dann vor, wenn überhaupt keine Gründe vorhanden sind, sondern ist auch schon dann gegeben, wenn zu wesentlichen Punkten die Erwägungen, die den Richter zu der in dem Urteil enthaltenen Entscheidung geführt haben, nicht erkennbar sind, sei es, daß sie völlig unvollständig oder völlig undeutlich oder überaus lückenhaft sind. Nach der Auffassung des Senats kommt es auf den Einzelfall an, ob unter Berücksichtigung dieser Grundsätze eine Urteilsbegründung noch als ausreichend im Sinne des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG angesehen werden kann (so auch Stein-Jonas-Schönke; Kommentar zur ZPO, 18. Aufl., § 551 Anm. II, 7). Das angefochtene Urteil führt aus, daß das Versorgungsamt die Verspätung des Antrages aus den Verwaltungsvorschriften zu § 44 BVG folgere, wonach der Anspruch auf Witwenrente mit der Wiederverheiratung erlösche. Daraus sei nach dem Bescheid der Verwaltungsbehörde der Schluß zu ziehen, daß nach der Wiederverheiratung ein Versorgungsantrag nicht mehr gestellt werden könne. Das LSGer. stellt dann fest, daß es dieser Auffassung nicht beitreten könne, jedenfalls nicht insoweit, als es sich um die Abfindung handele. Der Senat hat diese knappe Begründung noch als ausreichend angesehen, da sie immer noch die Erwägungen erkennen läßt, die das Gericht zu seiner Entscheidung geführt haben. Mit der Bezugnahme auf die Ablehnung der Witwenrente durch das VersA. wird auch auf § 61 Abs. 2 BVG Bezug genommen, wonach ein nach Ablauf eines Jahres nach dem Tode geltend gemachter Hinterbliebenenrentenanspruch frühestens mit dem Monat, in dem der Anspruch angemeldet worden ist, zu einer Rentenzahlung führen kann. Damit ist die Versagung der Witwenrente für Dezember 1950 ausreichend begründet. Ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG liegt daher nicht vor. Das LSGer. hat somit zu Recht in der Sache entschieden.

Bei der Prüfung, ob das LSGer. das materielle Recht, insbesondere § 7 Nr. 1 BVG, verletzt hat und ob der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung und Gewährung einer Abfindung nach § 44 BVG sachlich berechtigt ist, hat der Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des BSGer . vom 10. Juli 1955 - BSG 1 S. 98 (100) - die Frage bejaht, ob das BVG und auch das Zweite Änderungsgesetz vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 862) im Revisionsverfahren nachprüfbares Recht gemäß § 162 Abs. 2 SGG sind, da das Land ... sie inhaltsgleich durch das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12. April 1951 (GVOBl. für ... S. 317) und das Gesetz vom 18. September 1953 (GVOBl. für ... S. 1127) übernommen hat.

Nach § 7 Nr. 1 BVG findet das Gesetz auf deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt befugt im Bundesgebiet oder im Land ... haben, Anwendung. Der Senat ist bei der Nachprüfung, ob sich die Klägerin im Heiratsmonat "befugt" im Land ... aufgehalten hat, davon ausgegangen, daß unter "befugt" ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Bestimmungen über Zuzugs- und Aufenthaltsgenehmigungen zu verstehen ist (so auch Schönleiter, Bundesversorgungsgesetz, § 7 Anm. 3; Schieckel, Bundesversorgungsgesetz, 2. Aufl., § 7 Anm. 3; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, 3. Aufl., § 7, Nr. 1 Abs. 5). Die Vorschrift des § 7 Nr. 1 BVG ist als absolute Anspruchsvoraussetzung aufzufassen. Grundsätzlich kann daher Versorgung nicht gewährt werden, wenn es an einem rechtmäßigen Aufenthalt oder Wohnsitz fehlt. Der Gesetzgeber hat aber in späteren Gesetzen, bei denen die gleiche Anspruchsvoraussetzung zu erwarten wäre, so im Lastenausgleichsgesetz und Bundesvertriebenengesetz, das Wort "befugt" nicht mehr verwendet. Daraus ergibt sich, daß sich die strenge Rechtsauffassung geändert hat. Dies kommt auch in dem Schreiben des Bundesministers für Arbeit (BMA) vom 2. April 1953 - IV b2 - 5633/52 -, wonach der Begriff "befugter Aufenthalt im Bundesgebiet oder in ... nicht eng auszulegen sei und im Zweifel die Zuzugs- oder Aufenthaltsgenehmigung stets rückwirkende Kraft habe, zum Ausdruck. Der Senat ist daher der Auffassung, daß es praktisch auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Aufenthaltsnahme ankommt. Die nach wie vor erforderliche Zuzugsgenehmigung hat nur die Bedeutung, daß dieser tatsächliche Vorgang rückwirkend als befugt erklärt wird. Damit hat die Klägerin, die mit ihrer Eheschließung in ... am 22. Dezember 1950 ihren Aufenthalt in ... tatsächlich begründet hat, mit der Erteilung der Zuzugsgenehmigung seit Dezember 1950 befugt ihren Aufenthalt im Land ... gehabt.

Ihre weitere Rüge, daß das LSGer. ihren Antrag vom 18. März 1951 nicht auch als einen Antrag auf Witwenversorgung angesehen habe, kann nicht durchgreifen. Bei dieser Rüge handelt es sich aber nicht um die Frage der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung des materiellen Rechts, sondern um die Auslegung der abgegebenen Erklärung. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Reichsgericht (Bd. 104 S. 218 ff) der Auffassung, daß das Revisionsgericht nicht darüber zu befinden hat, ob das Berufungsgericht bei der Auslegung einer Willenserklärung das Richtige getroffen hat. Insoweit handelt es sich um tatsächliche Feststellungen. Das Revisionsgericht hat lediglich zu prüfen, ob die Auslegung gegen das Recht oder die Denkgesetze verstößt, ob sie also möglich oder ob etwa ein Auslegungsgrundsatz verletzt worden ist. Diese Prüfung ergibt, daß die vom LSGer. getroffene Auslegung sehr wohl möglich ist und daß Auslegungsgrundsätze nicht verletzt worden sind. Die Feststellungen des Berufungsgerichts sind daher rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat ist an diese Feststellungen nach § 163 SGG gebunden. Es ist also davon auszugehen, daß der unter dem 18. März 1951 gestellte Antrag einen Antrag auf Gewährung von Versorgung für die Witwe nicht enthält, daß vielmehr ein solcher Antrag für die Witwenversorgung und die Abfindung nach § 44 BVG erst am 18. September 1952 gestellt worden ist.

Materiell ist der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente für den Monat Dezember 1950 aber nicht gerechtfertigt, da sie den Rentenantrag erst am 18. September 1952 gestellt hat, die Rente also nach § 61 Abs. 2 BVG frühestens ab 1. September 1952 hätte gewährt werden können. 1952 war die Klägerin aber nicht mehr Witwe ihres ersten Ehemannes und somit nicht mehr nach §§ 1 Abs. 5, 38 Abs. 1 Satz 1 BVG rentenberechtigt.

Der Senat hat sodann die Frage geprüft, ob das LSGer. entgegen der Auffassung des Beklagten die Voraussetzungen des § 44 BVG - und zwar alter und neuer Fassung - zutreffend bejaht hat. Er hat diese Frage verneint. Die Klägerin hat am 22. Dezember 1950 wieder geheiratet. Damals galt - rückwirkend ab 1. Oktober 1950 - § 44 BVG a. F.. Hiernach erhält die Witwe im Falle der Wiederverheiratung an Stelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung von 1.200,- DM. Bei der Auslegung dieser Vorschrift ist davon auszugehen, daß § 44 Satz 1 BVG a. F. dem § 39 Abs. 1 Satz 1 des Reichsversorgungsgesetzes in der Fassung vom 1. April 1939 (RGBl. I S. 663) nachgebildet worden ist, wonach an Stelle der Witwenrente eine Abfindung usw. gewährt wurde. Nach der übereinstimmenden Auffassung im Schrifttum - so Arendts, Kommentar zum Gesetz über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen (Reichsversorgungsgesetz) 2. Aufl., § 39, Anm. 4 ff - und in der Rechtsprechung, so das Reichsversorgungsgericht - Urteile vom 20.6.1922 Bd. 2 S. 274 und vom 16.11.1922 Bd. 3 S. 79 - war Voraussetzung für den Abfindungsanspruch, daß die Witwen z. Zt. ihrer Wiederverheiratung einen Anspruch auf Witwenrente gehabt haben mußten, und zwar mußte die Rente nach dem Reichsversorgungsgesetz bereits bezogen oder aber alte Versorgungsbezüge mußten umanzuerkennen sein. Auch das frühere Reichsversicherungsamt (RVA.) hat eine ähnliche Auffassung für den Abfindungsanspruch nach § 1287 Satz 2 RVO vertreten (Urteil vom 10.6.1940, EuM. Bd. 46 S. 422). Der Senat hatte in Übereinstimmung mit dem Urteil des 9. Senats vom 24. August 1955 - BSG 1 S. 189 (192, 193) - keine Veranlassung, von diesen Grundsätzen abzuweichen. Zwar wurde die Abfindung nach dem Reichsversorgungsgesetz an Stelle der Witwenrente gewährt, während das BVG die Abfindung an Stelle des Anspruchs auf Witwenrente zugesteht. Das ehemalige Reichsversorgungsgericht geht aber bei seinen Entscheidungen bereits schon davon aus, daß die Abfindung an Stelle des Anspruchs auf Witwenrente trete. Diese Urteile entsprechen also der in § 44 a. F. gegebenen Rechtslage. Folgt man dieser Auffassung, so setzt die Abfindung voraus, daß eine Rente gewährt wurde oder der Rentenanspruch praktisch verwirklicht werden konnte. Das ist aber nicht möglich, wenn ein Anspruch auf Rente nicht besteht. Dieses Ergebnis entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers und ist nach Auffassung des Senats die einzige Auslegungsmöglichkeit. Auch die Auffassung der Klägerin kann zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage führen. Die Ansicht, daß § 44 n. F., der den Antrag auf Heiratsabfindung innerhalb eines Jahres nach der Wiederverheiratung zuläßt und ausdrücklich die Bindung an die vorherige Geltendmachung eines Rentenanspruchs verneint, eine Legalinterpretation zu § 44 a. F. enthalte, geht fehl. Die Neufassung hat, wie sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt, nur Bedeutung für den Fall einer Fristversäumnis, und zwar soll nach dem schriftlichen Ausschußbericht (Deutscher Bundestag, Erste Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 4493) damit die Gewährung einer Heiratsabfindung künftig auch den Witwen ermöglicht werden, die aus irgendwelchen Gründen einen Antrag auf Heiratsabfindung erst nach der Wiederverheiratung stellen. Hiernach geht auch der Gesetzgeber davon aus, daß nach dem bisherigen Recht der Antrag auf Heiratsabfindung an den Bezug einer Witwenrente gekoppelt war, da sonst die Ermöglichung einer Antragstellung erst nach der Wiederverheiratung nicht erforderlich gewesen wäre. Danach ergibt sich nach altem Recht folgende Rechtslage: Der Antrag auf Heiratsabfindung hätte spätestens im Heiratsmonat gestellt werden müssen. Da er erst im September 1952 eingegangen ist, war er verspätet, so daß die Auffassung des LSGer. nach altem Recht nicht aufrechterhalten werden kann. Eine Prüfung nach der im Gesetz vom 7. August 1953 abgeänderten, am Tage der Verkündung, also am 11. August 1953, und in ... nach Art. III des Gesetzes vom 18. September 1953 (GVOBl. für ... S. 1127) am gleichen Tage in Kraft getretenen Fassung des § 44 BVG kann jedoch ebenfalls kein günstigeres Ergebnis für die Klägerin haben. Nach dieser Gesetzesänderung mußte eine Witwe die zweite Ehe am 11. August 1952 oder später eingehen, um in den Genuß der Rechtsänderung durch die Zweite Novelle zum BVG zu kommen. Da sich die Klägerin bereits am 22. Dezember 1950 wiederverheiratet hat, kann sie sich nicht mit Erfolg auf die Neufassung berufen. Sie hat daher keinen Anspruch auf die Abfindung nach § 44 BVG. Die Revision des Beklagten mußte daher in vollem Umfang Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380493

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge