Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbständiger Rechtsanwalt als Unternehmer iS des Kindergeldrechts. Beitragspflicht. Beitragsbefreiung. Fristsetzung. Ausschlußfrist

 

Orientierungssatz

1. Ein selbständiger Rechtsanwalt ist in dieser Eigenschaft Unternehmer iS der §§ 10, 29 KGG und als solcher grundsätzlich nach § 10 Abs 1 KGG beitragspflichtig (vgl BSG 1962-09-26 7 RKg 13/61 = BSGE 18, 46).

2. Bei Prüfung der Frage, ob im Kindergeldrecht Selbständige für ihre Person von der Beitragspflicht gegenüber der Familienausgleichskasse befreit sind, kommt es nur auf das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit an; Einkünfte aus einer nicht selbständigen Beschäftigung bleiben außer Betracht (vgl BSG 1961-10-25 7 RKg 6/60 = BSGE 15, 185).

3. Die Frist von drei Monaten, innerhalb derer der letzte Einkommensteuerbescheid vorzulegen ist, um eine Beitragsbefreiung nach dem KGG zu erzielen, ist eine echte Ausschlußfrist (vgl BSG 1962-02-21 7 RKg 8/61 = SozR Nr 4 zu § 11 KGG).

4. Der Verwaltung ist es grundsätzlich gestattet, sich auf die Nichteinhaltung einer vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Ausschlußfrist zu berufen, es kann nur dann eine mißbräuchliche Ausnutzung einer Rechtsposition vorliegen, wenn im Einzelfall ganz besondere Umstände hinzukommen, die gebieterisch zur Annahme eines Mißbrauchs zwingen (vgl BSG 1956-03-22 5 RKn 8/55 = BSGE 2, 289) vor allem dann gegeben, wenn die Behörde vorsätzlich die Versäumung der Ausschlußfrist durch den Kläger herbeigeführt hat oder nunmehr eine Haltung einnimmt, die mit ihrem früheren Verhalten, das den Kläger vernünftigerweise von der Fristwahrung abgehalten hat, unvereinbar ist.

 

Normenkette

KGG § 10 Abs. 1 Fassung: 1955-12-23, § 11 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1955-12-23, S. 4 Fassung: 1955-12-23; KGGÄndG Art. 1 Nr. 5 Fassung: 1957-07-27

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 05.07.1963)

SG Berlin (Entscheidung vom 16.01.1963)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. Juli 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Der Kläger ist hauptamtlich Vorstandsmitglied einer Berliner Industriegesellschaft. Da er daneben noch als Rechtsanwalt tätig ist, forderte die beklagte Familienausgleichskasse (FAK) von ihm mit Beitragsrechnungen vom 3. Dezember 1959 für die Jahre 1956 bis einschließlich 1958 insgesamt 140,-- DM an Beiträgen nach dem Kindergeldgesetz (KGG) sowie für 1959 einen Beitragsvorschuß von 40,-- DM. Auf der Rückseite dieser Formblätter waren als Erläuterungen unter B, II, 2 und 3 aufgedruckt:

"Der Beitrag 1956 und 1957 ermäßigt sich für Selbständige, deren Einkommen 4.800,-- DM jährlich nicht übersteigt, auf jährlich 12,-- DM für ihre Person. Selbständige sind von der Beitragspflicht für ihre Person ab 1. Januar 1958 befreit, sofern ihr jährliches Einkommen 4.800,-- DM nicht übersteigt. Ab 1. Januar 1959 tritt die Befreiung ein, wenn das jährliche Einkommen 6,000,-- DM nicht übersteigt.

Die Herabsetzung bzw. die Befreiung ist innerhalb von 5 Monaten unter Beifügung der letztgültigen Einkommensteuerveranlagung oder einer Finanzamtlichen Bescheinigung zu beantragen"

Gegen diese Beitragsrechnungen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, er halte seine Anwaltszulassung nur noch formell aufrecht und habe daher aus dieser Tätigkeit 1956 einen Verlust von 2.039,22 DM und 1957 einen Gewinn von nur 174,-- DM gehabt. Auch 1958 und 1959 habe das Bruttoeinkommen hieraus unter 6.000,-- DM gelegen. Irgendwelche Bescheinigungen des Finanzamts darüber legte er nicht vor; er zahlte die geforderten Beiträge unter Protest gegen seine Zahlungsverpflichtung.

Mit Beitragsrechnung vom 24. Mai 1960 forderte die Beklagte vom Kläger für 1959 einen Beitrag von 40,-- DM sowie für 1960 einen Vorschuß in gleicher Höhe. Auf der Rückseite dieses Bescheides hieß es unter B, 2 der Erläuterung:

"Selbständige brauchen für ihre Person ab 1. Januar 1959 keinen Beitrag zu entrichten, wenn ihr jährliches Einkommen 6.000,-- DM nicht übersteigt. Einkommen ist der Gesamtbetrag der Einkünfte aus der in § 2 Abs. 3 EStG bezeichneten Einkommensarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkommensarten ergeben und nach Abzug der Sonderausgaben.

(Fettgedruckt): Die Befreiung ist nur wirksam, wenn sie innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung dieser Rechnung unter Beifügung der letztgültigen Einkommensteuerveranlagung oder einer finanzamtlichen Bescheinigung geltend gemacht wird."

Der Kläger zahlte diese Beträge ebenfalls unter Protest und erhob abermals Widerspruche Er sei nicht beitragspflichtig, da er keine Beiträge zur Berufsgenossenschaft für Dritte leiste. Zudem könne für die Beitragspflicht nur sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit maßgebend sein, das aber unter 6.000,-- DM liege.

Mit Schreiben von 13. September 1961 begründete die Beklagte gegenüber dem Kläger ihre Auffassung, daß auch nebenberuflich tätige Anwälte der Beitragspflicht nach dem KGG unterlägen. Gleichzeitig übersandte sie ihm ein Merkblatt, in dem darauf hingewiesen wurde, daß für die Beitragsbefreiung das Gesamteinkommen maßgebend sei, sowie den Vordruck einer Finanzamtsbescheinigung über das in den Jahren 1956 bis 1959 jeweils erzielte Einkommen. Überdies forderte die Beklagte mit Beitragsrechnung von denselben Tage für das Jahr 1960 einen Beitrag von 46,-- DM (abzüglich des bereits erhaltenen Vorschusses von 40,-- DM) sowie für 1961 einen Vorschuß von 50,-- DM. Auf der Rückseite dieser Rechnung wurde unter II, G der Erläuterungen als "Einkommen" ebenfalls der steuerrechtliche Einkommensbegriff des § 2 Abs. 3 EStG zugrunde gelegt. Anschließend hieß es in Fettdruck:

"Die Befreiung entfällt, wenn nicht innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung dieser Rechnung der letzte Einkommensteuerbescheid oder eine Bescheinigung des Finanzamts über die Nichtveranlagung sur Einkommensteuer vorgelegt wird."

Der Kläger erhob auch hiergegen unter Bezugnahme auf seine früheren Begründungen Widerspruch und bezahlte nur unter Protest.

Sämtliche Widersprüche des Klägers wurden von der Beklagten mit Bescheid vom 9. April 1962 zurückgewiesen. Der Kläger sei nach § 10 Abs. 1 KGG grundsätzlich beitragspflichtig. Eine etwaige Befreiung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG sei entfallen, weil er nicht innerhalb von drei Monaten nach Beitragsanforderung seinen letzten Einkommensteuerbescheid oder eine Bescheinigung des Finanzamts, über die Nichtveranlagung vorgelegt habe.

II. Hiergegen erhob der Kläger fristgerecht Klage zum Sozialgericht (SG) und legte dem Gericht sowie der Beklagten eine Bescheinigung des Finanzamts vor, wonach sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in den Jahren 1956 bis 1960 unter 4.800,-- DM bzw. 6.000,-- DM gelegen habe. Die von ihm unter Hinweis auf diese Bescheinigung geforderte Rückzahlung seiner Beiträge zur FAK wurde von der Beklagten (Bescheid vom 6. Juni 1962 und Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1962) zurückgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG erklärte der Kläger, im Rahmen dieses Verfahrens keinen Rückzahlungsanspruch mehr geltend zu machen und zog auch die unter einem anderen Aktenzeichen anhängige Rückforderungsklage zurück.

Das SG wies die Klage gegen die Beitragsanforderungen der Beklagten vom 3. Dezember 1959, 24. Mai 1960 und 13. September 1961 sowie gegen den Widerspruchsbescheid vom 9. April 1962 als unbegründet ab (Urteil vom 16. Januar 1963). Der Kläger sei beitragspflichtig; eine etwaige Beitragsbefreiung sei entfallen, da er die Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG versäumt habe und es nicht rechtsmißbräuchlich sei, wenn sich die Beklagte hierauf berufe.

Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung des Klägers zurück (Urteil vom 5. Juli 1962). Nach § 10 KGG sei ein Selbständiger als Angehöriger seiner Berufsgruppe auch dann beitragspflichtig, wenn er keine Arbeitnehmer beschäftige. Ferner sei der Kläger, obwohl sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit unter der Einkommensgrenze des § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG liege, nicht von der Beitragspflicht befreit, da er sein Einkommen nicht innerhalb der dreimonatigen Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG nachgewiesen habe. Dessen Einwand, dieser Nachweis sei zwecklos gewesen, da die Beklagte fälschlich von dem Gesamteinkommen ausgegangen sei, greife für die Jahre 1956 bis 1958 schon deshalb nicht durch, weil diese ihre unrichtige Auffassung ihm gegenüber erstmals in der Belehrung zur Beitragsrechnung für 1959 zum Ausdruck gebracht habe. Jener Einwand sei aber auch deshalb ganz allgemein unbegründet, da der Kläger - gleichgültig welche Rechtsauffassung die Beklagte hinsichtlich des Einkommensbegriffs vertreten habe - die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG hätte erfüllen müssen, um eine gerichtliche Nachprüfung der Frage, welcher Einkommensbegriff zugrunde zu legen sei, zu ermöglichen. Gerade dadurch, daß er dies trotz hinreichender Belehrung unterlassen habe, habe er eine gerichtlich nachprüfbare Entscheidung über seine Beitragsbefreiung verhindert. Diese Unterlassung sei für den Verlust des Anspruchs auf Beitragsbefreiung ursächlich, so daß es nicht gegen Treu und Glauben verstoße und nicht rechtsmißbräuchlich sei, wenn sich die Beklagte auf die Versäumung der Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG berufe.

Revision wurde zugelassen.

III. Der Kläger legte form- und fristgerecht Revision ein. Das LSG habe verkannt, daß die Berufung auf eine Ausschlußfrist dann ausgeschlossen sei, wenn ihre Nichteinhaltung auf das Verschulden desjenigen zurückgehe, der sich auf sie berufe. Die FAK habe, wie inzwischen höchstrichterlich entschieden sei, zu Unrecht die Beitragsbefreiung vom Nachweis des Gesamteinkommens abhängig gemacht. Durch entsprechende unrichtige Rechtsmittelbelehrung habe sie den Kläger davon abgehalten, die von ihm angebotene Offenlegung seiner allein maßgebenden Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit vorzunehmen und ihn vor die Wahl gestellt, entweder auf eine Beitragsbefreiung zu verzichten oder auch sein Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit nachzuweisen. Hierfür gebe es nicht nur keine Rechtsgrundlage, sondern dies stelle auch den Versuch der Verletzung des Steuergeheimnisses dar. Da die Beklagte als Fachorgan die Unrichtigkeit ihres Standpunktes habe erkennen können, müsse sie auch für diese Fehleinschätzung einstehen. Daher sei es ein Verstoß gegen (Treu und Glauben sowie gegen die hieraus entwickelten Rechtsinstitute, wenn sie sich auf die durch ihr Verhalten bedingte Versäumung der Ausschlußfrist durch den Kläger berufen wolle. Zudem bestreite die Beklagte selbst nicht, daß sie wegen der irrigen Auslegung des Begriffs "Einkommen" im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG sogar bei rechtzeitiger Vorlage der geforderten Steuerdokumente Beitragsfreiheit versagt hätte; von ihm als Rechtskundigen könne deshalb nicht verlangt werden, derartige sinnlose Maßnahmen zu treffen. Nicht die unterlassene Vorlage der Steuerbelege, sondern allein die irrige Rechtsauffassung der Beklagten von dem für die Befreiung entscheidenden Einkommensbegriff sei somit für den Verlust des Anspruchs letztlich ursächlich. Folglich habe er nur die Möglichkeit gehabt, die geforderten Beiträge unter Protest zu zahlen und Klage gegen die Beitragsforderung zu erheben. Schließlich habe die Beklagte durch die nachträgliche Übersendung des Einkommensfragebogens für die Jahre 1956 bis selbst zum Ausdruck gebracht, daß sie auf die Einhaltung der Dreimonatsfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG keinen Wert lege.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Berlin vom 5. Juli 1963 nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger hätte wenigstens sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit die Beitragsbefreiung unwiderruflich entfallen, da es sich hierbei um eine Ausschlußfrist handele, die weder sie noch das Gericht verlängern könne.

Beide Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

IV. Die nach § 162 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Gegenstand des Rechtsstreits sind die Bescheide der Beklagten vom 3. Dezember 1959, 24. Mai 1960 und 13. September 1961 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. April 1962, mit denen der Kläger zur Beitragszahlung nach dem KGG an die FAK herangezogen wird.

Der Kläger ist in seiner Eigenschaft als selbständiger Rechtsanwalt Unternehmer im Sinne der §§ 10, 29 KGG, 633 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und als solcher nach § 10 Abs. 1 KGG grundsätzlich beitragspflichtig (BSG in SozR KGG § 10, Ra 2 Nr. 2; BSG 18, 46). Obwohl sein Einkönnen aus selbständiger Tätigkeit, das allein für den Eintritt der Beitragsfreiheit entscheidend ist (BSG 15, 185), weder die nach § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG idF vom 23. Dezember 1955 bis zum 31. Dezember 1958 geltende Grenze von 4,800,-- DM noch die nach § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG idF des Art. I Nr. 5 des Kindergeldänderungsgesetzes (KGÄndG) vom 27. Juli 1957 und des 2. KGÄndG vom 16. März 1959 ab 1. Januar 1959 geltende Grenze von 6.000,-- DM überschritten hat, ist er nicht von der Beitragspflicht befreit. Denn nach § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG entfällt die auf Grund des niedrigen Einkommens nach Satz 3 eingetretene Beitragsfreiheit, wenn nicht innerhalb von drei (bis 31. Dezember 1957 einem) Monaten nach der Beitragsanforderung der letzte Einkommensteuerbescheid oder eine Bescheinigung des Finanzamts über die Nichtveranlagung zur Einkommensteuer vorgelegt wird. Dies hat der Kläger jedoch trotz entsprechender Belehrung, deren Bedeutung ihm als Rechtskundigen klar erkennbar gewesen sein muß, versäumt. Erst am 23. Mai 1962 hat er eine Bestätigung des Finanzamts über sein Einkommen in den fraglichen Jahren beigebracht. Mit Versäumung dieser Frist ist die nach § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG auf Grund des Nichtüberschreitens der Einkommensgrenze zunächst eingetretene Beitragsfreiheit endgültig entfallen. Hieran ändert es auch nichts, daß der Kläger nachträglich eine Bescheinigung des Finanzamts vorgelegt hat, aus der sich ergibt, daß er in jenen Jahren die Einkommensgrenze des § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG nicht überschritten hat, da es sich bei der Frist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG um eine echte Ausschlußfrist handelt, auf die die dem Beschluß des Großen Senats vom 9. Juni 1961 (BSG 14, 246) zugrunde liegenden Erwägungen nicht anwendbar sind (vgl. BSG SozR KGG § 11 Aa 5 Nr. 4).

V. Wenn somit der Wegfall der Beitragsfreiheit infolge Versäumung der materiellen Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BAG 10, 5; 6, 173; ESG 1, 256; Nipperdey in NJW 57, 321 und Jahn in SozVers. 55, 128), so muß doch deren Anwendung den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben entsprechen, soll sie nicht eine unzulässige mißbräuchliche Ausnutzung einer Rechtsposition darstellen (vgl. BAG vom 27. März 1963, AP Nr. 9 zu § 59 Betriebsverfassungsgesetz; Nipperdey aaO und Günkel in CKK 59, 133). Da es indessen der Verwaltung grundsätzlich gestattet ist, sich auf die Nichteinhaltung einer vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Ausschlußfrist zu berufen, kann nur dann eine mißbräuchliche Ausnutzung einer Rechtsposition vorliegen, wenn im Einzelfall ganz besondere Umstände hinzukommen, die gebieterisch zur Annahme eines Mißbrauchs zwingen (BSG 2, 289; BSG vom 28. November 1958 - 8 RV 889/57-; Nipperdey aaO). Solche Umstände sind nach herrschender Meinung (vgl. Staudinger, Komm. zum BGB, 11. Aufl, § 242, Anm. D 502 bis 504, 486, 487 und 491 mit ausführlichen Literaturhinweis) vor allem dann gegeben, wenn die Behörde vorsätzlich die Versäumung der Ausschlußfrist durch den Kläger herbeigeführt hat oder nunmehr eine Haltung einnimmt, die mit ihrem früheren Verhalten, das den Kläger vernünftigerweise von der Fristwahrung abgehalten hat, unvereinbar ist. Die Beklagte hat zwar zunächst mit einem großen Teil der Literatur und der Instanzgerichte die Ansicht vertreten, daß das Einkommen aus selbständiger und aus unselbständiger Tätigkeit für die Beurteilung der Beitragsfreiheit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG zusammenzurechnen sei. Diese irrige Auffassung der Beklagten ist jedoch nicht für die Versäumung der Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG und damit nicht für den Wegfall der Beitragsfreiheit ursächlich. Dies trifft, wie das BSG zu Recht festgestellt hat, für die Jahre 1956 bis 1958 schon deshalb nicht zu, weil die Beklagte ihre unrichtige Auslegung des Begriffs "Einkommen" im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG dem Kläger erstmals in der Beitragsrechnung von 1959 mitgeteilt hat, so daß ihre fehlerhafte Auffassung des Einkommensbegriffs das Verhalten des Klägers in der Zeit vor 1959 nicht beeinflußt haben kann. Aber auch für die folgenden Jahre ist diese irrige Rechtsansicht der Beklagten nicht ursächlich für das Versäumen der Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG und den dadurch bedingten Verlust der Beitragsfreiheit seitens des Klägers. Weder wurde es ihm dadurch unmöglich gemacht, seine allein maßgeblichen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit innerhalb der Frist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG nachzuweisen, noch liegt hierin ein Grund, der ihn bei vernünftiger Abwägung von einen rechtzeitigen Nachweis seines Einkommens abhalten durfte. Allerdings hätte der Kläger wahrscheinlich bei Wahrung der Frist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG zunächst einen die Beitragsfreiheit ablehnenden Bescheid der Beklagten erhalten, da diese entsprechend ihrer Rechtsansicht von seinem Gesamteinkommen aus selbständiger und aus unselbständiger Tätigkeit ausgegangen wäre. Das bleibt jedoch für die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der irrigen Rechtsansicht der Beklagten und den Verlust der Beitragsfreiheit unerheblich, weil sowohl die Beitragsfreiheit als auch ihr Wegfall nach § 11 Abs. 1 Satz 3 und 4 KGG kraft Gesetzes eintreten. Entscheidend ist vielmehr, daß zunächst unabhängig von der Auslegung des Einkommensbegriffs die nach § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG eingetretene Beitragsfreiheit bei rechtzeitiger Vorlage der finanzamtlichen Bescheinigung erhalten geblieben wäre. Damit hätte der Kläger in einem anschließenden Rechtsstreit zu klären vermocht, welcher Einkommensbegriff dem § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG zugrunde zu legen ist und ob unter Berücksichtigung dieses Einkommensbegriffs und der rechtzeitig nachgewiesenen Einkommenshöhe von Gesetzes wegen Beitragsfreiheit besteht oder nicht. Gerade dem rechtskundigen Kläger mußte, insbesondere auf Grund der den Beitragsbescheiden beigefügten Belehrungen, erkennbar werden, daß er - gleichgültig, welcher Einkommensbegriff für die Beitragsfreiheit maßgebend sei - sein Einkommen jedenfalls innerhalb der Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG nachweisen mußte, wenn nicht eine etwaige Beitragsfreiheit endgültig entfallen sollte. Von seinem eigenen Rechtsstandpunkt aus wäre es daher, auch wenn die Beklagte von einem erweiterten Einkommensbegriff ausging, nicht nur sinnvoll, sondern sogar unbedingt notwendig gewesen, wenigstens sein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit rechtzeitig gem. § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG nachzuweisen. Denn nur so hätte er die Anerkennung seines engeren Einkommensbegriffe und damit die Beitragsfreiheit erreichen und eine Nachprüfung sowie Abänderung der Beitragsbescheide der Beklagten herbeiführen können. Es stellte auch keinen unzulässigen Zwang zur Offenbarung des Gesamteinkommens dar, wenn die Beklagte im Interesse des Klägers die Vorlage der Einkommensteuererklärung verlangte, da sie hierzu durch § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG ausdrücklich ermächtigt war, also nicht unbefugt im Sinne des § 22 Abgabenordnung handelte.

Die 1962 erfolgte Übersendung eines Vordrucks zum Nachweis des in den Jahren 1956 bis 1959 erzielten Einkommens an den Kläger rechtfertigt ebenfalls nicht den Vorwurf rechtsmißbräuchlichen Verhaltens, da die außerhalb der Verfügungsgewalt der Beklagten stehende Ausschlußfrist zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der genannten Jahre längst abgelaufen und damit eine etwa zulässige Beitragsfreiheit bereits entfallen war. Folglich kann auch die Übersendung jenes Vordrucks an den Kläger nicht für seine Versäumung der Ausschlußfrist und den dadurch bedingten Wegfall der Beitragsfreiheit ursächlich gewesen sein.

Da der Versäumung der Ausschlußfrist des § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG Schließlich nicht mit Erwägungen begegnet werden kann, wie sie für die Gewährung von Nachsicht oder von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand maßgebend sind, bleibt auch unerheblich, ob die Nichtbeachtung sonst noch irgendwie entschuldbar erscheint oder nicht (vgl. BverwG 427.3, Nr. 11 zu § 230 LAG; ESG 19, 174). Eine gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 KGG eingetretene Beitragsfreiheit des Klägers ist daher nach § 11 Abs. 1 Satz 4 KGG für sämtliche den Beitragsanforderungen der Beklagten zugrunde liegenden Zeiträume endgültig entfallen.

VI. Infolgedessen muß die Revision des Klägers zurückgewiesen werden.

Da beide Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erfolgen (§§ 165, 153, 124 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI3082307

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