Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsschadensausgleich. Rentenversicherung. Gleichbehandlungsgebot Bezug von Betriebsrente
Leitsatz (amtlich)
Die schädigungsbedingte Minderung einer gesetzlichen Rente ist nur, aber auch stets dann konkret (§ 30 Abs 4 S 3 und 4 BVG) zu berechnen, wenn der Beschädigte unmittelbar vor Rentenbeginn keinen Berufsschadensausgleich bezogen hat (Anschluß an BSG vom 13.5.1987 9a RV 12/85 = SozR 3100 § 30 Nr 69).
Orientierungssatz
1. Die konkrete Berechnung des Rentenschadens verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG.
2. Die Rechtsfrage kann auch nicht danach entschieden werden, ob im konkreten Fall ein Geschädigter Betriebsrente bezieht oder ob dies nicht der Fall ist. Beim gewöhnlichen Berufsschadensausgleich enthält das nur um 25 vH gekürzte Vergleichseinkommen einen pauschalierten Betriebsrentenanteil. Entsprechend wird die faktisch bezogene Betriebsrente in Ansatz gebracht. Der Rentnerberufsschadensausgleich berücksichtigt lediglich Einbußen in der gesetzlichen Rentenversicherung und spart dementsprechend sämtliche sonstige Einkünfte aus. Es handelt sich demnach um zwei ganz unterschiedliche Systeme der Berechnung eines Berufsschadensausgleichs, zwischen denen weder Wahlmöglichkeiten bestehen noch Überschneidungen hinsichtlich der betroffenen Personenkreise.
Normenkette
BVG § 30 Abs 4 S 3 Fassung: 1985-07-11; BVG § 30 Abs 4 S 4 Fassung: 1985-07-11; GG Art 3 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 03.12.1987; Aktenzeichen L 12 V 1084/86) |
SG Ulm (Entscheidung vom 11.03.1986; Aktenzeichen S 9 V 232/84) |
Tatbestand
Der 1919 geborene Kläger bezieht wegen der anerkannten Schädigungsfolgen Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH. Erstmals nachdem er altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war, beantragte er 1982 Berufsschadensausgleich, weil sein Renteneinkommen wegen Minderverdienstes in dem nach der Schädigung ausgeübten Beruf (Rundfunkmechaniker) gegenüber dem erlernten Beruf (Musikinstrumentenbauer) gemindert ist.
Der Beklagte errechnete einen schädigungsbedingten Rentenverlust in der gesetzlichen Rentenversicherung von zunächst 373,-- DM, bewilligte aber mit Bescheid vom 6. September 1983 Berufsschadensausgleich ab 1. Juli 1982 nur in Höhe von monatlich 12,-- DM und ab 1. Juli 1983 in Höhe von monatlich 52,-- DM nach § 30 Abs 4 Satz 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) iVm § 8 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs 3 bis 6 des Bundesversorgungsgesetzes (Berufsschadensausgleichsverordnung -BSchAV-). Diese Vorschriften seien anwendbar, weil in der Vergangenheit seit der Schädigung im Juli 1943 der Zeitraum des schädigungsbedingten Minderverdienstes überwogen habe, das Erwerbseinkommen also mehr als nur zeitweise gemindert gewesen sei.
Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 3. Dezember 1987 den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1. Juli 1982 den höheren Berufsschadensausgleich zu zahlen nach § 30 Abs 4 Sätze 2 und 3 des BVG idF durch das 11. Anpassungsgesetz-KOV (11. AnpG-KOV) vom 20. November 1981 (BGBl I S 1199) bzw Sätze 3 und 4 des BVG in der Fassung durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450). In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, daß ab 1970 kein Einkommensverlust und damit auch keine Rentenminderung mehr eingetreten sei. Da der Kläger vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aber keinen Einkommensverlust und somit keinen Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt habe, dürfe der frühere schädigungsbedingte Einkommensverlust nur in seinen Auswirkungen auf die Rente berücksichtigt werden. Dazu dienten die Berechnungsmodalitäten des § 30 Abs 4 BVG am Ende. Die Berechnung müsse auch dann in dieser Form durchgeführt werden, wenn die Zeit der Einkommensminderung (hier 1943 bis 1970) im gesamten Zeitraum der beruflichen Tätigkeit nach der Schädigung (1943 bis 1982) überwogen habe. Auch dann handele es sich um eine zeitweise Einkommensminderung. Der Wortlaut der Vorschrift sei nicht eindeutig und lasse diese - verfassungskonforme - Auslegung zu.
Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und eine Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die 1981 eingeführte Möglichkeit, von der Regelberechnung des Berufsschadensausgleichs bei Rentnern abzusehen, habe nur eine Gesetzeslücke für den Fall schließen sollen, daß die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen eines in der Vergangenheit liegenden zeitweise schädigungsbedingt geringeren Erwerbseinkommens gemindert sei. Eine Beeinträchtigung sei nicht mehr zeitweise, wenn die Schädigungsfolgen sich während mehr als der Hälfte des nach der Schädigung liegenden Erwerbslebens nachteilig auf das Einkommen ausgewirkt hätten. Je länger der Zeitraum einer schädigungsbedingten Erwerbsminderung sei, um so eher sei es gerechtfertigt, den Beschädigten dem Personenkreis gleichzustellen, bei dem eine dauernde schädigungsbedingte Beeinträchtigung des Erwerbseinkommens vorliege.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene hat sich - ohne einen Antrag zu stellen - der Auffassung des Beklagten angeschlossen. Das LSG habe fehlerhaft eine Ausnahmevorschrift angewandt, die verhindern solle, auch Renteneinbußen, die nicht auf einer Schädigung beruhten, in unangemessenem Umfang auszugleichen.
Der nicht vertretene Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 4 Sätze 3 und 4 BVG in der jetzt geltenden Fassung durch das HEZG.
Der Anspruch auf Berufsschadensausgleich hängt von einem schädigungsbedingten Einkommensverlust ab. Dieser bestimmt sich regelmäßig nach dem Unterschied zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit und dem höheren Vergleichseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Der Einkommensverlust muß durch die Schädigungsfolgen eingetreten sein. Die Schädigungsfolgen müssen eine wesentliche Bedingung für die Einkommensminderung sein.
Der Kläger ist nach den bindenden Feststellungen des LSG, die auf einem unstreitigen Sachverhalt beruhen, nicht schädigungsbedingt, sondern wegen Erreichung einer Altersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. In derartigen Fällen ist der Anspruch auf Berufsschadensausgleich nicht ausgeschlossen. Ausgeglichen wird aber nicht eine Differenz zwischen dem Erwerbseinkommen im Vergleichsberuf und dem tatsächlichen Renteneinkommen, sondern nur der schädigungsbedingte Anteil an der Einkommensminderung des Rentners. Dieser Anteil ergibt sich, sofern vor dem Ausscheiden aus dem Berufsleben Berufsschadensausgleich bezogen worden ist, aus § 30 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 8 BSchAV durch Kürzung des Vergleichseinkommens um 25 vH. Dabei sind kraft ausdrücklicher Regelung des Gesetzes Kausalitätserwägungen bezüglich der konkreten finanziellen Einbuße bei Eintritt in den Ruhestand entbehrlich, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt des altersbedingten Ausscheidens aus dem Berufsleben bereits Berufsschadensausgleich bezieht (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 60).
Auf § 30 Abs 6 Satz 1 BVG kann jedoch nicht zurückgegriffen werden, wenn es unmittelbar vor dem schädigungsunabhängigen Ausscheiden aus dem Beruf an einem schädigungsbedingten Einkommensverlust fehlt. Denn Abs 6 setzt eine anspruchsbegründende - also schädigungsbedingte - Minderung des Erwerbseinkommens gemäß Abs 3 voraus. Angeknüpft wird an einen bereits dem Betrag nach ermittelten Berufsschadensausgleich, der allerdings noch nicht zuerkannt sein muß. Fehlt es im Zeitpunkt eines schädigungsunabhängigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben an einem solchen auszugleichenden Berufsschaden, bleibt nur zu prüfen, ob ein Schaden in der Rente eingetreten ist (so schon BSGE 45, 161, 162 f = SozR 3100 § 30 Nr 31; vgl auch BSGE 47, 224 = SozR 3100 § 30 Nr 41 zum Ruhegehaltsschaden eines Offiziers; ausdrücklich in diesem Sinne BSG SozR 3100 § 30 Nr 67).
Der Senat hat bereits entschieden, daß eine schädigungsbedingte Rentenminderung nur dann konkret zu berechnen ist, wenn der Beschädigte unmittelbar vor Rentenbeginn keinen Berufsschadensausgleich bezogen hat (BSG SozR 3100 § 30 Nr 69 = BSGE 62, 1, 4 f); dann muß dies aber immer und ohne Rücksicht darauf geschehen, aus welchen schädigungsunabhängigen Gründen das Berufsleben endet.
Der Vorteil einer pauschalen Berechnung des Berufsschadensausgleichs nach einem schädigungsunabhängigen Ausscheiden aus dem Berufsleben soll nur dem Beschädigten zugute kommen, der unmittelbar zuvor Berufsschadensausgleich erhielt. Anderenfalls ist die konkretere Schadensberechnung durch Rentenvergleich schon deshalb vorzunehmen, weil bei der Berechnung nach der üblichen Schadensformel häufiger auch nicht schädigungsbedingte Beeinträchtigungen des Einkommens durch den Berufsschadensausgleich ausgeglichen werden. In Übereinstimmung mit der bereits genannten Entscheidung des 4. Senats (aaO Nr 67) hält der Senat § 30 Abs 4 aE BVG für eine Auffang- und Ergänzungsnorm für eben die Fälle, in denen der Beschädigte zuletzt vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben einen Einkommensverlust nicht oder nicht mehr hatte. Die am 1. Januar 1982 in Kraft getretene Neuregelung, die bereits ab Januar 1980 durch Rundschreiben des BMA vom 15. Januar 1980 (BVBl 3/1980 S 72) weitgehend galt, weil die Rechtsprechung zum Rentenschaden für die Verwaltungspraxis umgesetzt worden ist, hat genau diese Gesetzeslücke geschlossen. Das wird verdeutlicht durch das Anknüpfen an eine "zeitweise" Schädigung im Einkommen; jedenfalls beim Übergang in die Rente besteht eine Lücke, so daß das Einkommen nicht durchgehend, sondern nur zeitweise gemindert war. Wie bereits in der Entscheidung des Senats (BSG aaO Nr 69) angedeutet, hält es der Senat nicht für statthaft, zeitweise im Sinne von "nicht überwiegend" zu verstehen. Der Gesetzestext besagt nur, daß es sich nicht um einen durchlaufenden Minderverdienst während des gesamten Erwerbslebens handeln darf. Nach der Entstehungsgeschichte des Rentnerberufsschadensausgleichs liegt es näher, zeitweise dahin zu verstehen, daß der Einkommensverlust in der Vergangenheit liegen muß, daß also im Rentenzugangszeitpunkt kein gegenwärtiger Verlust auszugleichen ist (so auch BT-Drucks 9/801 S 9). Wenn in den Materialien zugleich ausgeführt wird, daß die Vorschrift Ausnahmecharakter habe und insbesondere Fälle betreffe, in denen trotz der Schädigung "überwiegend" im erlernten oder einem sozial gleichwertigen Beruf gearbeitet worden sei, so gibt dies eine Vorstellung von ihrem Hauptanwendungsbereich wieder, der dadurch weder ausgedehnt noch eingeengt wird: Wird beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Berufsschadensausgleich bezogen, ist - wie bisher - nicht ergänzend zu prüfen, ob die Einkommenseinbußen im Berufsleben überwogen. Ebensowenig hat dies zu geschehen, wenn zu diesem Zeitpunkt kein Berufsschadensausgleich bezogen wird und sich früheres zeitweises Mindereinkommen jetzt in einer geminderten gesetzlichen Rente auswirkt. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift folgt bereits daraus, daß Berufsschadensausgleich bei Eintritt eines schädigungsunabhängigen Ereignisses, nämlich des Versicherungsfalles des Alters oder einer schädigungsunabhängigen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit erstmals oder neu zu bewilligen ist.
Zu Recht hat der Beigeladene dargestellt, daß die pauschale Regelung nach § 30 Abs 4 Satz 1 iVm § 8 BSchAV in aller Regel für die Beschädigten sehr günstig ist und gemindertes Alterseinkommen auch ausgleicht, soweit die Minderung nicht auf Schädigungsfolgen zurückzuführen ist. Dies teilweise zu vermeiden, wurde der Rentnerberufsschadensausgleich seit 1982 in das Gesetz aufgenommen. Es besteht kein Grund, diese konkretere - wenn auch noch pauschalierende - Schadensberechnung in der Rente dann nicht durchzuführen, wenn Mindereinnahmen während eines langen Berufslebens zeitlich überwogen haben. Das Ausmaß des Rentenschadens hängt neben der Zeitdauer auch von der Höhe der Verdiensteinbußen ab, die hier von Beklagtem und Beigeladenem zu Unrecht außer acht gelassen wird.
Auch das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) rechtfertigt die Verwaltungspraxis nicht. Unzweifelhaft wird die Dauer des Berufsschadens nicht geprüft, wenn ein Berufsschadensausgleich beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entweder über die Nachschadensregelung des § 30 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 1 BVG oder über § 8 BSchAV angepaßt wird. Ob also dieser Personenkreis überwiegend beruflich geschädigt war oder nicht, prägt die Rechtsstellung nicht. Aus diesem Kriterium kann daher für die Vergleichbarkeit der Gruppen (vgl zur Gruppenbildung aus jüngerer Zeit BVerfGE 71, 146, 154 f; 364, 383 f; 74, 9, 24 f jeweils mit weiteren Nachweisen) im Sinne des Art 3 Abs 1 GG, also für oder gegen Gleichbehandlung, kein Argument gewonnen werden.
Die Rechtsfrage kann auch nicht danach entschieden werden, ob im konkreten Fall ein Geschädigter Betriebsrente bezieht - wie hier der Kläger - oder ob dies nicht der Fall ist. Beim gewöhnlichen Berufsschadensausgleich enthält das nur um 25 vH gekürzte Vergleichseinkommen einen pauschalierten Betriebsrentenanteil, worauf der Beigeladene hingewiesen hat. Entsprechend wird die faktisch bezogene Betriebsrente in Ansatz gebracht. Der Rentnerberufsschadensausgleich berücksichtigt lediglich Einbußen in der gesetzlichen Rentenversicherung und spart dementsprechend sämtliche sonstigen Einkünfte aus. Es handelt sich demnach um zwei ganz unterschiedliche Systeme der Berechnung eines Berufsschadensausgleichs, zwischen denen weder Wahlmöglichkeiten bestehen noch Überschneidungen hinsichtlich der betroffenen Personenkreise. Die schädigungsbedingte Rentenminderung ist immer konkret zu berechnen, wenn der Beschädigte unmittelbar vor Rentenbeginn keinen Berufsschadensausgleich bezogen hat. Für vorherige Bezieher eines Berufsschadensausgleichs erfolgt seine Neuberechnung bei einem nicht schädigungsbedingten Ausscheiden aus dem Berufsleben nach der Nachschadensregelung des § 30 Abs 6 BVG oder über § 8 BSchAV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen