Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtungsklage. Aufspaltung. Beiladung. Beschränkung. Betriebskrankenkasse. Beurteilungsspielraum. Einheitlichkeit. Gemeinsamkeit. Gesamttätigkeit. Honorarkürzung. Kassenart. nichtrevisibles Recht. Notwendigkeit. Primärkasse. Prüfverfahren. Trennung. Unterlassung. Wirtschaftlichkeitsprüfung
Leitsatz (amtlich)
Vorbehaltlich abweichender Prüfvereinbarungen durfte in der zeit vor dem 1.1.1989 die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Kassenarztes allein bezüglich der Versicherten einer einzelnen Primärkassenart geprüft werden.
Normenkette
RVO § 368n; SGB V § 106
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 25.06.1990; Aktenzeichen L 5 Ka 15/88) |
SG Hannover (Urteil vom 27.07.1988; Aktenzeichen S 21 Ka (A) 223/85) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Juni 1990 und des Sozialgerichts Hannover vom 27. Juli 1988 aufgehoben.
Der Bescheid des Beschwerdeausschusses Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen, Landwirtschaftliche Krankenkassen vom 19. Juni 1985 wird insoweit aufgehoben, als er Kürzungen des Honorars bestätigt hat.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Honorare des Klägers für die Behandlung von Versicherten der Betriebskrankenkassen in den Quartalen II/83 und IV/83 zu Recht gekürzt worden sind.
Der Kläger ist als praktischer Arzt in H. niedergelassen und zur Teilnahme an der kassenärztlichen (ab 1. Januar 1993: vertragsärztlichen) Versorgung zugelassen. Für die Quartale II/83 und IV/83 rechnete er 201 bzw 194 Behandlungsscheine von Betriebskrankenkassen ab. Der Prüfungsausschuß für Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen, Landwirtschaftliche Krankenkassen bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Niedersachsen kürzte mit Bescheid vom 31. Oktober 1983 die Honoraranforderungen des Klägers für das Quartal II/83 in den Leistungssparten „Sonderleistungen” um 10 % und „Laborleistungen” um 30 %. Durch Bescheid vom 16. April 1984 kürzte er die Honoraranforderungen des Klägers für das Quartal IV/83 in beiden genannten Leistungssparten um je 10 %. Der Kläger hatte in den Quartalen II/83 und IV/83 die Standardabweichungen der Vergleichsgruppe praktische Ärzte/Ärzte für Allgemeinmedizin des Landkreises Osnabrück in der Sparte „Gesamtleistungen” um 231,03 % bzw 196,6 %. „Sonderleistungen” um 169,75 % bzw 199,7 % und „Laborleistungen” um 340,81 % bzw 215,12 % überschritten.
Auf die Widersprüche des Klägers hob der frühere Beklagte durch Bescheid vom 19. Juni 1985 die Kürzung für das Quartal II/83 in der Sparte „Sonderleistungen” auf und reduzierte sie für das Quartal IV/83 in den Sparten „Sonderleistungen” und „Laborleistungen” auf je 5 %. Die Kürzung für das Quartal II/83 in der Sparte „Laborleistungen” erhielt er aufrecht. Er begründete seine Entscheidung damit, daß in beiden Sparten die Überschreitungen auf einer überdurchschnittlich häufigen Abrechnung bestimmter Gebührennummern beruhten. Auch bei Bildung eines sog „verfeinerten Gruppendurchschnitts”, dh der Bildung einer Vergleichsgruppe aus den praktischen Ärzten des Landkreises Osnabrück, die die jeweiligen Gebührennummern ebenfalls abgerechnet hätten, liege der Kläger im Grenzbereich eines offensichtlichen Mißverhältnisses.
Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 27. Juli 1988, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 25. Juni 1990). Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt: Die Beschränkung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die zu Lasten der Betriebskrankenkassen abgerechneten Behandlungsfälle sei nicht zu beanstanden. Die Prüfung habe sich nicht auf die Versicherten aller RVO-Kassen zu erstrecken brauchen, weil für die Betriebskrankenkassen ausreichend hohe Fallzahlen vorhanden gewesen seien. Die Einheitlichkeit des Prüfungsverfahrens habe das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 15. April 1986 – 6 RKa 27/84 – nur dann für erforderlich gehalten, wenn eine genügend große Zahl von Vergleichsfällen nicht gegeben sei. Zu billigen sei auch die Anwendung der statistischen Vergleichsmethode. Zulässigerweise sei der Kläger hinsichtlich der Sonder- und Laborleistungen zu einzelnen Gebührenpositionen mit anderen praktischen Ärzten/Ärzten für Allgemeinmedizin des Landkreises Osnabrück verglichen worden. Die Bildung einer „verfeinerten Vergleichsgruppe” allein aus denjenigen praktischen Ärzten, die dieselben Gebührennummern ebenfalls abrechneten, sei nicht zu beanstanden. Der Hinweis auf die kleine Anzahl der Ärzte mit Abrechnung derselben Leistungen überzeuge nicht. Die Beschränkung auf die Prüfung bestimmter Leistungsarten verstoße nicht gegen das Gebot, bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Gesamttätigkeit des Arztes zu berücksichtigen. Die gesamtheitliche Betrachtung könne dazu führen, daß die Behandlungsweise des Arztes nur in Teilbereichen zu beanstanden sei und auch nur insoweit eine Kürzung notwendig erscheine. Richteten sich die Prüfgremien nach arithmetischen Durchschnittswerten, so könne es im allgemeinen nicht beanstandet werden, wenn sie die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis bei einer Fallwertüberschreitung um 50 % ansetzten. Praxisbesonderheiten und Einsparungen in anderen Leistungsbereichen habe der Beklagte zu Recht nicht anerkannt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Die Aufspaltung der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Versicherten einzelner Krankenkassen sei rechtswidrig. Der Beklagte habe mit der Prüfung der Behandlung nur der Versicherten der Betriebskrankenkassen seinen Beurteilungsspielraum überschritten. Das Prüfverfahren regele ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen der KÄV und dem Kassenarzt. In diesem Verhältnis komme es nicht darauf an, welche Krankenkasse die streitigen Leistungen zu vergüten habe. Auch bei der Bildung der verfeinerten Vergleichsgruppen und der rechnerischen Ermittlung des verfeinerten Gruppendurchschnitts habe der Beklagte seinen Beurteilungsspielraum überschritten. Mit der Bildung einer Vergleichsgruppe aus Ärzten, die die beanstandeten Honorarpositionen ebenfalls abrechneten, werde lediglich eine unspezifische, bloß quantitativ verkleinerte Vergleichsgruppe geschaffen. Diese sei nicht durch die bei ihm (Kläger) vorhandenen Praxisbesonderheiten geprägt. Es sei zu beanstanden, daß die Vergleichsgruppen unterschiedlich groß und unterschiedlich zusammengesetzt seien und so das Behandlungsverhalten mehrerer unterschiedlich strukturierter Vergleichsgruppen widerspiegelten. Werde der statistische Fallkostenvergleich nicht auf die Gesamtleistungen, sondern nur auf bestimmte Leistungssparten erstreckt, so könne ein offensichtliches Mißverhältnis nicht schon bei einer Fallwertüberschreitung um 50 % angenommen werden. Die vom LSG zur Begründung herangezogene Rechtsprechung des Senats betreffe Vergleiche des Gesamthonorars und lasse sich nicht auf den statistischen Vergleich einzelner Leistungssparten übertragen. In diesen Fällen müsse nach der Rechtsprechung des BSG eine Heraufsetzung des Grenzwertes von den Prüfgremien zumindest in Betracht gezogen werden. Das gelte erst recht, wenn die verfeinerten Vergleichsgruppen unterschiedlich groß und unterschiedlich strukturiert seien. Derartige Überlegungen habe der Beklagte jedoch nicht angestellt. Bei den für ihn (den Kläger) festgestellten Überschreitungen bei den Sonder- und Laborleistungen könne von einem offensichtlichen Mißverhältnis keine Rede sein.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Juni 1990 und des Sozialgerichts Hannover vom 27. Juli 1988 sowie den Bescheid des ehemaligen Beklagten vom 19. Juni 1985, soweit er Kürzungen enthält, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den restlichen Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung ist verbindliche Rechtsgrundlage für die vorgenommene Prüfung die zwischen der KÄV Niedersachsen und dem Landesverband der Betriebskrankenkassen Niedersachsen abgeschlossene Prüfvereinbarung aF, die eine getrennte Prüfung der den Betriebskrankenkassen in Rechnung gestellten Leistungen vorsehe. Demgegenüber sei Ausgangspunkt der vom Kläger zitierten BSG-Entscheidung vom 15. April 1986 ein von dieser Rechtslage abweichendes einheitliches Prüfverfahren gewesen. Die sachliche und rechnerische Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei nicht zu beanstanden. Bei der Bildung verfeinerter Vergleichsgruppen sei eine Überschreitung von 50 % nicht erforderlich.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. SG und LSG haben zu Unrecht die Klage abgewiesen bzw die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Bescheid des früheren Beklagten vom 19. Juni 1985 ist in dem angefochtenen Umfange, dh soweit er die vom Prüfungsausschuß vorgenommenen Honorarkürzungen (teilweise) bestätigt hat, rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
Einer Sachentscheidung des Senats steht nicht entgegen, daß neben der KÄV, deren notwendige Beiladung (§ 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫; vgl. BSGE 69, 138, 140 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 6 mwN) mit ihrer Zustimmung im Revisionsverfahren nachgeholt worden ist (§ 168 Satz 2 SGG), nicht auch die Hannoversche Landwirtschaftliche Krankenkasse (LKK) und der Landesverband der Innungskrankenkassen (Ldl) Niedersachsen zum Rechtsstreit beigeladen worden sind. Zwar hätten, wie noch auszuführen sein wird, in die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers auch die von ihm in den streitigen Quartalen durchgeführten Behandlungen der Versicherten der Hannoverschen LKK und der Mitgliedskassen des Ldl Niedersachsen einbezogen werden müssen.
Auf der Grundlage dieser rechtlichen Beurteilung hätten die beiden Landesverbände zum Rechtsstreit notwendig beigeladen werden müssen, weil eine entsprechende Feststellung nur einheitlich ihnen und dem Beigeladenen zu 1) gegenüber getroffen werden kann (§ 75 Abs. 2 SGG; vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 12 S 67 und Nr. 18 S 98). Indes hat der Senat bereits entschieden, daß eine unterlassene notwendige Beiladung dann nicht als Verfahrensfehler in der Revisionsinstanz fortwirkt, wenn aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Instanzgerichts eine Entscheidung in der Sache möglich ist, die für den Beizuladenden materiell nicht nachteilig ist, insbesondere keine Leistungspflicht konstituiert, und ihn verfahrensrechtlich insoweit nicht benachteiligt, als ihm durch die Verpflichtung zur Neubescheidung eine Wahrnehmung seiner Rechte im Verwaltungsverfahren jederzeit noch möglich ist (BSGE 69, 138, 141 – SozR 3-2500 § 106 Nr. 6). Unter diesen Voraussetzungen bedarf es dann auch nicht einer Nachholung der notwendigen Beiladung in der Revisionsinstanz gemäß § 168 Satz 2 SGG.
So liegt der Fall hier. Durch die Entscheidung des Senats – Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und Aufhebung des Bescheids des früheren Beklagten vom 19. Juni 1985 insoweit, als er Kürzungen des Honorars bestätigt hat – werden die Hannoversche LKK und der Ldl Niedersachsen materiell nicht benachteiligt. Die partielle Aufhebung des angefochtenen Bescheides hat überdies zur Folge, daß in diesem Umfange der Beklagte über die Widersprüche des Klägers erneut zu entscheiden hat und insoweit das Verwaltungsverfahren wieder anhängig geworden ist. Zu diesem sind die Hannoversche LKK und der Ldl Niedersachsen als Beteiligte hinzuzuziehen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren ≪SGB X≫) und auf diese Weise zur Wahrnehmung ihrer Rechte imstande. Im Hinblick darauf ist dem Senat durch das Unterlassen ihrer Beiladung eine Sachentscheidung nicht verwehrt.
Grundlage für die rechtliche Beurteilung des vom Kläger erhobenen Anspruchs sind die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 19. Juni 1985 geltenden, die Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffenden kassenarztrechtlichen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ (außer Kraft getreten mit Ablauf des 31. Dezember 1988) sowie die ergänzenden Bestimmungen des Bundesmantelvertrages-Ärzte in der bis zum 30. September 1990 geltenden Fassung vom 28. August 1978 (BMV-Ä aF). Der Kläger hat eine reine Anfechtungsklage erhoben. Zwar hat er mit der Revision neben einer Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und, soweit er Kürzungen enthält, des angefochtenen Bescheides auch beantragt, den Beklagten zu verpflichten, über seinen (des Klägers) restlichen Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Indes ergibt sich eine solche Verpflichtung im Falle eines Erfolgs der Revision schon als notwendige Folge der (teilweisen) Aufhebung des angefochtenen Bescheids und daraus, daß dadurch der Widerspruch (partiell) unbeschieden ist und neu beschieden werden muß. Sie ist jedoch nicht bestimmend für die Klageart in dem Sinn, daß der Kläger eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben hätte. Vielmehr ist seinem sachlichen Begehren allein schon durch die Erhebung einer Anfechtungsklage genügt.
Bei dieser ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ihrer Begründetheit die Sach- und Rechtslage bei Erlaß des Verwaltungsaktes bzw, sofern ergangen, des Widerspruchsbescheides (BSGE 68, 228, 231 = SozR 3-2200 § 248 Nr. 1 mwN; BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18), Zwar wird hiervon in der Rechtsprechung eine Reihe von Ausnahmen gemacht, so insbesondere bei der Anfechtung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 1; BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 18, jeweils mwN; vgl. auch Urteil des Senats vom heutigen Tage – 6 RKa 71/91 –: Anfechtung einer nicht für sofortvollziehbar erklärten Entziehung der Zulassung zur kassen- bzw vertragsärztlichen Tätigkeit). Indes ist einer dieser Ausnahmefälle bei der Anfechtung von im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung erlassenen Honorarkürzungsbescheiden nicht gegeben.
Nach § 368n Abs. 5 Satz 1 RVO haben zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung im einzelnen die KÄVen nach näherer Bestimmung der Satzungen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse errichtet. Die Vertragsparteien des Gesamtvertrages haben das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie das Verfahren vor den Ausschüssen vereinbart (§ 368n Abs. 5 Satz 3 RVO). § 33 BMV-Ä aF hat die Regelung des § 368n Abs. 5 Satz 1 RVO inhaltlich übernommen und näher dahin ausgeführt, daß bei der Prüfung der kassenärztlichen Behandlungs- und Verordnungsweise die Wirtschaftlichkeit der gesamten Tätigkeit des Kassenarztes zu berücksichtigen sei.
Entgegen der Meinung der Revision haben diese Vorschriften – für die Zeit ab Inkrafttreten des SGB V und insbesondere der Neufassung des § 106 Abs. 3 Satz 1 SGB V durch Art. 1 Nr. 63 Buchst c des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) läßt der Senat die Frage ausdrücklich unentschieden – vorbehaltlich abweichender Regelungen in Prüfvereinbarungen eine Beschränkung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf die Behandlung der Versicherten einer einzelnen Kassenart im Primärkassenbereich nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Der Abschluß gesonderter Prüfvereinbarungen zwischen den einzelnen Landesverbänden der Primärkassen und der KÄV sowie eine daran anschließende Errichtung von Prüfgremien für jede einzelne Kassenart sind nach der RVO zulässig gewesen. § 368n Abs. 5 Satz 3 RVO als hierfür maßgebende Ermächtigungsgrundlage hat dem nicht entgegengestanden. Sein Wortlaut „Die Vertragsparteien des Gesamtvertrages …” hat eine Verweisung auf § 368g Abs. 1 RVO enthalten. Dieser hat durch seine Formulierung „durch schriftliche Verträge der KÄVen mit den Verbänden der Krankenkassen” jede Möglichkeit der Wahl und Kombination der Vertragspartner der KÄVen zugelassen. Daß die Landesverbände der Krankenkassen als Partner der Gesamtverträge das Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit sowie das Verfahren vor den Ausschüssen nur gemeinsam und durch eine einheitliche, sie alte zugleich erfassende Vereinbarung mit den KÄVen haben regeln können (vgl. nunmehr § 106 Abs. 3 Satz 1 SGB V idF des Art. 1 Nr. 63 Buchst c GSG), ist dem § 368g Abs. 1 und dem § 368n Abs. 5 Satz 3 RVO nicht zu entnehmen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich auch nicht aus der amtlichen Begründung zu § 368n Abs. 5 RVO. Während nach dieser Vorschrift idF des Gesetzes über das Kassenarztrecht (GKAR) vom 17. August 1955 (BGBl I S 513) Vertragsparteien des Gesamtvertrages die KÄVen und die einzelnen Krankenkassen gewesen sind, sind mit Inkrafttreten (1. Juli 1977) des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1069) an die Stelle der einzelnen Krankenkassen deren Landesverbände getreten, um damit die Verhandlungskompetenz der Krankenkassen gegenüber den KÄVen zu stärken (BT-Drucks 8/338 S 51 ff, 54). Dabei ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien keine Einschränkungen dahingehend, daß die Landesverbände der Krankenkassen stets nur gemeinsam und einheitlich zum Abschluß der Gesamtverträge haben befugt sein sollen. Auch im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, daß unter der Geltung des § 368n Abs. 5 Satz 3 RVO für die Primärkassen eine gemeinsame Prüfvereinbarung nicht vorgeschrieben gewesen ist und deshalb mit (den Verbänden der) einzelnen Kassenarten gesonderte Prüfvereinbarungen haben abgeschlossen werden können (KassKomm-Hess § 106 SGB V RdNr. 43).
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats. Nach dem Urteil vom 9. November 1982 – 6 RKa 23/82 – (USK 82221 S 1007) kann (unter der Geltung der RVO) die offensichtliche Unwirtschaftlichkeit grundsätzlich getrennt nach einzelnen Kassen geprüft werden, soweit der Arzt ihnen gegenüber Behandlungsfälle in einer für einen statistischen Vergleich erforderlichen Anzahl abrechnet. Dies muß dann aber in gleicher Weise für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlung der Versicherten einer einzelnen (Primär-)Kassenart gelten. Entgegen der Meinung der Revision ist dem weiteren Urteil des Senats vom 15. April 1986 – 6 RKa 27/84 – (BSGE 60, 69 – SozR 2200 § 368n Nr. 42) nicht zu entnehmen, daß die Aufspaltung der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Versicherten einzelner Kassenarten rechtswidrig sei. Zwar heißt es darin (BSGE aaO, S 71), daß die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung ein einheitlicher Vorgang sei und daß die Krankenkassen und ihre Verbände daran ein übergreifendes rechtlich geschütztes Interesse hätten. Nach ihrem Zusammenhang beziehen sich diese Ausführungen jedoch allein auf die prozessuale Frage, ob die seinerzeit klagenden Landesverbände durch einen im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergangenen Honorarkürzungsbescheid nur beschränkt auf Behandlungsfälle ihrer Bereiche oder aber ohne eine solche Einschränkung beschwert sind (vgl. dazu aus neuerer Zeit BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 12 S 67 und Nr. 18 S 98 f). Zur materiellen Seite ist hingegen im Urteil vom 15. April 1986 (BSGE aaO, S 72) ausgesprochen worden, für die Einheitlichkeit des Verfahrens zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise ohne Aufspaltung nach Behandlungen von Versicherten der einzelnen Kasse spreche der praktische Gesichtspunkt, daß die Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand eines statistischen Vergleichs auf Fallzahlen angewiesen sei, durch die eine Statistik erst aussagekräftig werden könne, weshalb es oft ausgeschlossen sein werde, die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes bezogen auf einzelne Kassen oder Kassenarten zu prüfen. Daß eine solche eingeschränkte Wirtschaftlichkeitsprüfung aber auch bei Vorliegen einer ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen und somit generell unzulässig ist, hat der Senat gerade nicht entschieden.
Ergänzend hinzuweisen ist auf die Urteile des erkennenden Senats vom 27. November 1959 – 6 RKa 4/58 – (BSGE 11, 102) und vom 26. April 1978 – 6 RKa 10/77 – (BSGE 46, 136 = SozR 2200 § 368n Nr. 14). In ersterem Urteil (BSGE aaO, S 114) ist es für zulässig erachtet worden, daß bei der statistischen Vergleichsprüfung der Vergleichstatbestand der eigenen Praxis des zu prüfenden Arztes entnommen wird, indem die Behandlungstätigkeit für eine Krankenkasse derjenigen für eine andere gegenübergestellt wird, was notwendigerweise die Zulässigkeit der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezüglich einer einzelnen Krankenkasse oder Kassenart voraussetzt. Im Urteil vom 26. April 1978 (BSGE aaO, S 137) ist der Senat ohne weiteres von der Zulässigkeit eines Arzneikostenregresses zugunsten einer einzelnen Kassenart ausgegangen.
Der nach alledem für die Zeit der Geltung der kassenarztrechtlichen Vorschriften der RVO zu bejahenden Zulässigkeit einer auf die Behandlung der Versicherten einer einzelnen (Primär-)Kassenart beschränkten Wirtschaftlichkeitsprüfung steht die Regelung des § 33 Abs. 3 BMV-Ä aF (= § 38 Abs. 3 BMV-Ä vom 28. September 1990 ≪nF≫) nicht entgegen, Wenn hiernach bei der Prüfung der kassenärztlichen Behandlungs- und Verordnungsweise „die Wirtschaftlichkeit der gesamten Tätigkeit des Kassenarztes” zu berücksichtigen ist, so bedeutet dies nicht, daß die Prüfung der Behandlungsweise nur einheitlich und gemeinsam für die Versicherten aller Primärkassen vorgenommen werden darf. Das Gebot einer Berücksichtigung der Gesamtheit der Tätigkeit des Kassenarztes besagt zum einen, daß die Pflicht des Kassenarztes zur wirtschaftlichen Erbringung seiner Leistungen nicht auf Behandlungs- und Versorgungsleistungen im engeren Sinne begrenzt ist, sondern auch weitere Leistungen umgreift, wenn sie nur vom Versicherten als gesetzlich zu erbringende ärztliche Maßnahmen verlangt werden können und dem Versicherungsträger typischerweise Kosten verursachen (BSG SozR 2200 § 368n Nr. 37 S 122). Zum anderen folgt aus dem Gebot der Berücksichtigung der gesamten Tätigkeit des Kassenarztes speziell für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit seiner Behandlungsweise, daß bei einer Überprüfung einzelner Leistungssparten, -arten oder Gebührenordnungspositionen stets auch der Gesamtfallwert „mitzureflektieren” ist (BSGE 69, 138, 143 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 6; BSGE 71, 194, 199 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 15). Hingegen kann aus dem Gebot der Berücksichtigung der gesamten Tätigkeit des Kassenarztes nicht das zwingende Erfordernis hergeleitet werden, die Wirtschaftlichkeit der Behandlung von Versicherten aller Primärkassen zusammengefaßt zu prüfen. Das ergibt sich allein schon daraus, daß mit einem solchen Inhalt § 33 Abs. 3 BMV-Ä den ihn übergeordneten und vorrangigen gesetzlichen Vorschriften der RVO zum Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie sie zuvor dargestellt worden sind, widersprechen würde und damit unwirksam wäre.
Gleichwohl ist der Bescheid des früheren Beklagten vom 19. Juni 1985, in welchem die vom Prüfungsausschuß vorgenommenen Honorarkürzungen zum Teil bestätigt worden sind und somit die Beschränkung der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers auf Versicherte der Betriebskrankenkassen gebilligt worden ist, rechtswidrig. Im konkreten Fall ist eine derartige Beschränkung der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgeschlossen gewesen. Dieser Ausschluß ergibt sich aus den zwischen der Beigeladenen zu 2) einerseits und dem Beigeladenen zu 1) am 15. Februar 1980, dem Ldl Niedersachsen am 25. Januar 1980 und der Hannoverschen LKK am 1. Februar 1980 andererseits abgeschlossenen Prüfvereinbarungen.
Diese Prüfvereinbarungen anzuwenden und auszulegen ist der Senat befugt. Zwar gehören sie weder dem Bundesrecht an, noch erstreckt sich ihr Geltungsbereich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus, so daß sie nichtrevisibles Recht darstellen (§ 162 SGG; vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 10. September 1992 – 6 BKa 63/91 –, nicht veröffentlicht, sowie Urteil vom 31. Juli 1991 – 6 RKa 19/90 – = USK 91126). Das Revisionsgericht ist jedoch zur Feststellung, Anwendung und Auslegung einer Norm des irrevisiblen Rechts dann befugt, wenn sie vom Berufungsgericht völlig unberücksichtigt gelassen worden ist (BSGE 7, 122, 125; 62, 131, 133 = SozR 4100 § 141b Nr. 40; Hdb SGV-Krasney IX Rn 301 mwN). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das LSG hat die genannten Prüfvereinbarungen in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht erwähnt und sie damit bei der Rechtsfindung offensichtlich unberücksichtigt gelassen.
Nach den Prüfvereinbarungen vom 25. Januar, 1. Februar und 15. Februar 1980 ist eine getrennte und jeweils für die Versicherten der Mitgliedskassen des Ldl Niedersachsen, der Hannoverschen LKK und der Mitgliedskassen des Beigeladenen zu 1) gesonderte Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Kassenarztes unzulässig gewesen. Vielmehr hat eine solche Prüfung nur gemeinsam und einheitlich bezüglich der Versicherten dieser drei Kassenarten vorgenommen werden dürfen. Das ergibt sich aus dem wörtlich übereinstimmenden § 2 Abs. 1 der drei Prüfvereinbarungen. Hiernach errichtet die Beigeladene zu 2) „zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Kassenärztlichen Versorgung … für alle Betriebs-, Innungs- und Landwirtschaftlichen Krankenkassen für den Bereich jeder Bezirksstelle der KVN einen Prüfungsausschuß und einen Beschwerdeausschuß”. Daß für alle drei Kassenarten „ein” – nicht „je ein” – Prüfungsausschuß und Beschwerdeausschuß zu errichten ist, kann nur dahin verstanden werden, daß nach dem Willen der Vertragspartner der Prüfvereinbarungen zum einen die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Kassenarztes stets gleichzeitig und einheitlich bezüglich der Versicherten aller drei in § 2 Abs. 1 der Prüfvereinbarungen aufgezählten Primärkassenarten erfolgen soll und zum anderen die Prüfgremien (Prüfungs- und Beschwerdeausschuß) als für alle drei Kassenarten gemeinsame Gremien fungieren und mit einheitlicher Wirkung für und gegen die drei Landesverbände bzw ihre Mitgliedskassen entscheiden sollen.
Der ebenfalls in den drei Prüfvereinbarungen wörtlich übereinstimmende § 4, wonach „die Krankenkassen und der Landesverband” innerhalb bestimmter Fristen beim Prüfungsausschuß die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Kassenarztes beantragen können, steht der vom Senat vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 1 der Prüfvereinbarungen nicht entgegen. Die Möglichkeit der Antragstellung durch die Kassen einer einzelnen Kassenart bzw durch ihren Landesverband ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend damit, daß auch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise als solche nur eingeschränkt auf die Versicherten einer einzelnen Kassenart vorgenommen werden darf und muß. Eine solche Schlußfolgerung wird durch die ausdrückliche Regelung des § 2 Abs. 1 der Prüfvereinbarungen gerade ausgeschlossen.
Der angefochtene Bescheid des früheren Beklagten ist nach alledem wegen seiner gegenständlichen Beschränkung auf die Honorarabrechnungen des Klägers für Versicherte der Betriebskrankenkassen rechtswidrig und ebenso wie die ihn bestätigenden Urteile der Vorinstanzen auf die Revision des Klägers aufzuheben (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen