Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch des Trägers der Unfallversicherung auf Ersatz von Aufwendungen für die geschlossene Behandlung eines gegen Krankheit versicherten Verletzten, die zu Lasten der KK gehen (RVO § 1509 Abs 2 aF), ist davon unberührt, ob der KK die Arbeitsunfähigkeit des Kassenmitgliedes innerhalb der durch RVO § 216 Abs 3 S 1 iVm dem RAM-Erl 1943-02-16 (AN 1943, 75) vorgeschriebenen Frist gemeldet ist.
Normenkette
RVO § 216 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1943-02-16, § 1505 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1936-06-15, § 1509 Abs. 2 Fassung: 1936-06-15; RVABest 1936 § 19 Buchst. b S. 3; RAMErl Fassung: 1943-02-16
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. August 1963 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit betraf die Frage, ob die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) der klagenden Berufsgenossenschaft (BG) für Aufwendungen anläßlich des Arbeitsunfalls des Bauarbeiters M (M.) im Dezember 1960 einen Betrag in Höhe des Krankengeldes zu ersetzen hat, nachdem die Arbeitsunfähigkeit des M. der AOK später als drei Tage nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit gemeldet worden war (§ 216 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO - idF des Erlasses des Reichsarbeitsministers - RAM - vom 16. Februar 1943 - AN 1943, 75).
Der Bauarbeiter M. war bei der beklagten AOK versichert. Er erlitt am 1. Dezember 1960 einen Arbeitsunfall (Verrenkung des Knöchels). Er wurde vom 3. bis 5. Dezember 1960 stationär im Kreiskrankenhaus H durch Dr. L behandelt.
Die beklagte AOK erhielt am 10. Dezember 1960 den Durchgangsarzt-Bericht von Dr. L über die Aufnahme des M. am 3. Dezember 1960 zusammen mit dem Nachschau-Bericht vom 6. Dezember und der Entlassungsmitteilung vom 9. Dezember 1960. Der Durchgangsarzt-Bericht enthielt den Vermerk, daß berufsgenossenschaftliche Behandlung erforderlich und stationär durch Dr. L im Kreiskrankenhaus H. eingeleitet sei. Die BG erhielt den gleichlautenden Durchgangsarzt-Bericht ebenfalls am 10. Dezember 1960. Im Februar 1961 machte die BG bei der AOK einen "Ersatzanspruch nach § 1509 Abs. 2 RVO" geltend. Sie verlangt für die stationäre Behandlung vom 3. bis 5. Dezember 1960 an wiederkehrenden Geldleistungen (Unterhaltskosten für M. im Krankenhaus)
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½ der Heilanstaltskosten |
24,60 DM |
Tagegeld 3 x 0,65 DM |
1,95 DM |
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26,55 DM |
und zwar als Höchstbetrag in Höhe des Krankengeldes von 8,45 x 3 Tage = |
25,35 DM. |
Die AOK lehnte den Ersatz mit der Begründung ab (6. März und 19. Juni 1961), die Arbeitsunfähigkeit sei ihr verspätet gemeldet worden, so daß der Anspruch ruhe (§ 216 Abs. 3 RVO); dem Durchgangsarzt als Beauftragten der BG müsse es möglich sein, die Krankenkasse etwa durch Übersendung einer Durchschrift des Durchgangsarzt-Berichtes rechtzeitig zu verständigen. Die BG wandte dagegen ein (4. Mai und 10. Juli 1961), sie sei außerstande gewesen, die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig zu melden, weil sie den Durchgangsarzt-Bericht auch erst am 10. Dezember 1960 erhalten habe.
Die BG hat am 12. Juli 1961 Klage erhoben und beantragt, die AOK zur Zahlung von 25,35 DM an sie zu verurteilen. Das Sozialgericht (SG) hat die AOK antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 8. Dezember 1961); die Meldefrist des § 216 Abs. 3 RVO habe keinen Einfluß auf die Ansprüche des Versicherten nach § 184 Abs. 1 RVO, die nach § 1505 Abs. 1 RVO zu Lasten der AOK gingen; § 216 Abs. 3 RVO sei eine Ausnahmevorschrift für Krankengeld und nicht auf den Anspruch eines Versicherten auf Gewährung von Krankenhauspflege anzuwenden. § 19 Buchst. b der "Bestimmungen über die Unterstützungspflicht der Krankenkassen und Unternehmer gegenüber den Trägern der Unfallversicherung und über Ersatzleistungen zwischen Krankenkassen, Ersatzkassen und Trägern der Unfallversicherung (§§ 1504 bis 1510) sowie im Fall des § 1543 b der Reichsversicherungsordnung vom 19.6.1936" (An 1936, 195) - RVA-Bestimmungen - betreffe nur die Berechnung der einzelnen Ersatzansprüche, enthalte aber nicht eine Voraussetzung für den Grund des Ersatzanspruchs.
Mit der zugelassenen Berufung hat die AOK die Aufhebung des Urteils des SG und die Abweisung der Klage beantragt.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen wies mit Urteil vom 27. August 1963 die Berufung der AOK zurück und ließ die Revision zu. Es führte sinngemäß aus, die BG habe zu Recht gemäß § 1509 Abs. 2, §§ 1504, 1505 Abs. 1, § 1507 Nr. 1 RVO, § 19 Buchst. b Satz 2 und 3 der RVA-Bestimmungen einen Ersatzanspruch bis zum Höchstbetrag des Krankengeldes aus der Krankenversicherung mit 25,35 DM geltend gemacht. § 216 Abs. 3 RVO sei anzuwenden (RVA in AN 1940, 174; EuM 50, 332). Die Meldefrist nach dem weiterhin gültigen Erlaß vom 16. Februar 1943 (AN 1943, 75) sei hier versäumt worden. Die BG habe es zwar zu vertreten, daß der Durchgangsarzt als ihr Beauftragter die Meldung nicht rechtzeitig abgesandt habe. Dennoch wäre M. bei offener Behandlung Krankengeld zu gewähren gewesen; denn die ablehnende Haltung der AOK (16. September 1962) stelle einen Ermessensmißbrauch dar. Zweck der Meldefrist sei es, der Krankenkasse die Nachprüfung der Arbeitsunfähigkeit zu ermöglichen. Im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren dürfe aber der Vertrauensarzt nicht zu diesem Zweck tätig werden (RVA vom 30. Mai 1940 in "Die Betriebskrankenkasse" 1940 Spalte 312); auch werde die Beitragsfreiheit während der Arbeitsunfähigkeit (§ 383 Abs. 1 RVO) durch ein Ruhen des Krankengeldes nicht berührt. Aus diesen Gründen hätte die AOK die Härtevorschrift anwenden müssen. Da dies die einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung sei, sei die AOK zur Leistung zu verurteilen gewesen.
Die AOK hat Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die AOK rügt eine Verletzung des § 216 Abs. 3 RVO. Das LSG habe zwar einerseits ausgeführt, die BG müsse es vertreten, daß der Durchgangsarzt als ihr Beauftragter die Meldung nicht rechtzeitig erstatte; andererseits habe es jedoch einen besonderen Umstand im Sinne des Satzes 2 von Abs. 3 des § 216 RVO darin gesehen, daß der Durchgangsarzt den Bericht verspätet absandte. Diese Schlußfolgerung sei abwegig, weil gerade in der verspäteten Absendung des Berichts ein Verschulden des Arztes und damit der BG liege. Schon aus diesem Grunde könne die Härtevorschrift nicht angewandt werden. Im übrigen hätte es nicht nur eine einzige ermessensgerechte Entscheidung gegeben; der Geschäftsführer könne vielmehr nach seinem Ermessen Krankengeld für einen zurückliegenden Zeitraum von 1 bis zu 7 Tagen zubilligen.
Die BG beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, die AOK sei dadurch, daß M. sich während der dreitägigen Meldefrist in stationärer berufsgenossenschaftlicher Behandlung befunden habe, nicht der Gefahr ausgesetzt gewesen, daß die Arbeitsunfähigkeit ihr erst zu einer Zeit gemeldet werde, in der sie deren Vorliegen nicht mehr nachprüfen konnte. Im Hinblick auf die Geringfügigkeit des verlangten Betrages sei es nicht unbedenklich, wenn die AOK sich auf die Meldefrist berufe, weil ihr die Versäumung der Meldefrist keinerlei Schaden bringen könne. Im übrigen sei § 216 Abs. 3 RVO nicht im Verhältnis zwischen Krankenkasse und BG anzuwenden. Die Meldefrist gelte nicht bei Anspruch auf Krankenhauspflege, und § 19 Buchst. b der RVA-Bestimmungen lege mit dem Hinweis auf Krankengeld lediglich die Höhe des Ersatzanspruches fest.
Die Revision ist begründet. Die BG hat Anspruch auf Ersatz des verlangten Betrages. § 216 Abs. 3 RVO ist hier nicht anwendbar, weil es sich bei dem zu erstattenden Betrag nicht um Krankengeld handelt.
Der Rechtsstreit war nach dem vor Erlaß des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) geltenden Recht zu entscheiden, weil der Arbeitsunfall des M. sich vor dem Inkrafttreten des UVNG am 1. Januar bzw. 1. Juli 1963 bzw. früher als 45 Tage vor dem Inkrafttreten, ereignet hat (Art. 4 §§ 1, 4, 16 Abs. 1, Art. 2 Nr. 8 bis 14 UVNG).
Die Krankenkasse (KK) ist dem Verletzten gegenüber nach § 557 a Satz 1 i. V. m. §§ 559 f bis 559 k RVO und dem Zweiten Buch der RVO verpflichtet, Leistungen aus der Krankenversicherung (KrV) zu gewähren. Diese Verpflichtung fällt weg, solange die BG dem Verletzten Heilanstaltspflege gewährt (§ 559 i RVO aF).
Im Verhältnis zur BG trägt die KK für die ersten 45 Tage nach dem Unfall die Aufwendungen für Heilverfahren und wiederkehrende Geldleistungen an den Verletzten (§ 1505 Abs. 1 Satz 1 RVO aF). Die BG hat einen entsprechenden Ersatzanspruch (§ 1509 Abs. 2 RVO aF). In § 1507 RVO aF sind die Aufwendungen, die die KK zu tragen hat, näher gekennzeichnet. Ua gelten die Aufwendungen für den Unterhalt des Verletzten bei Krankenhauspflege und für Tagegeld aus der Unfallversicherung (UV) als Aufwendungen für wiederkehrende Geldleistungen. Das Reichsversicherungsamt (RVA) hat auf Grund der Ermächtigung in § 1513 RVO aF in den Bestimmungen vom 19. Juni 1936 die Durchführung dieser Vorschrift näher geregelt. Nach § 19 der RVA-Bestimmungen wird bei geschlossener Behandlung (Krankenhauspflege) unterschieden, ob die KK oder ob der Träger der UV die geschlossene Behandlung gewährt hat. Für den Fall, daß die BG die geschlossene Behandlung gewährt hat, schreibt § 19 Buchst. b der RVA-Bestimmungen vor, daß beim Ersatz für wiederkehrende Geldleistungen während der ersten 45 Tage nach dem Unfall die Hälfte der tatsächlichen Kosten der geschlossenen Behandlung als Unterhalt gerechnet wird (Satz 2), wiederkehrende Geldleistungen insgesamt aber nur bis zum Höchstbetrag des Krankengeldes aus der KrV ersetzt werden, das die KK bei offener Behandlung zu gewähren hat (Satz 3).
Hiernach hat die KK in erster Linie die tatsächlich entstandenen Kosten für Aufwendungen, die als wiederkehrende Geldleistungen gelten, zu ersetzen. Die Ersatzpflicht der KK beruht dem Grunde nach auf der KrV des Verletzten. Das Ausmaß der Ersatzpflicht wird durch das Ausmaß der Leistungspflicht der KK nach dem Zweiten Buch der RVO begrenzt (§ 1505 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz RVO aF). Die KK hat der BG also nicht mehr zu ersetzen, als sie selbst dem Verletzten zu leisten hätte, wenn die BG nicht die stationäre Heilbehandlung übernommen hätte. Nach § 182 Abs. 1 Nr. 1, § 184 RVO hat die KK Krankenpflege und Krankenhauspflege als Sachleistungen zu gewähren. Da Sachleistungen der KK bei Übernahme der Behandlung durch die BG nicht mehr möglich sind, muß die Verpflichtung der KK in einem Geldbetrag festgelegt werden. Da die tatsächlichen Kosten der Behandlung in einer Anstalt der BG unter Umständen höher sind, als wenn die KK selbst Krankenhauspflege als Sachleistung gewährt hätte, beschränkt § 19 Buchst. b Satz 3 der RVA-Bestimmungen die Ersatzpflicht für wiederkehrende Geldleistungen auf den Höchstbetrag des Krankengeldes, das die KK bei offener Behandlung gewährt.
Diese Begrenzung der Ersatzpflicht auf einen bestimmten Geldbetrag begründet jedoch nicht die Fiktion, als ob die KK dem Verletzten Krankenhilfe in offener Behandlung gewährt hätte. § 1505 RVO aF, der, wie ausgeführt, die Grundlage der Ersatzpflicht der KK bildet, erlaubt bei geschlossener Behandlung nur einen Vergleich zwischen den Leistungen der BG bei dieser Behandlungsart und denen, die die KK bei gleicher Behandlung, also bei Gewährung von Krankenhauspflege, nach dem 2. Buch der RVO erbringen müßte. Es kann nur die gleiche Leistung, d. h. hier Krankenhauspflege, als Grundlage für einen Vergleich zwischen den gesetzlichen Leistungen der BG einerseits und den gesetzlichen Leistungen der KK andererseits herangezogen werden. Durch § 19 Buchst. b Satz 3 der RVA-Bestimmungen ist diese Vergleichsgrundlage nicht geändert worden. Mit der Beschränkung auf den Betrag des Krankengeldes beim Ersatz von Sachleistungen ist lediglich als Maßstab ein Geldbetrag bestimmt worden, der den Barleistungen der KK nach dem 2. Buch der RVO am nächsten kommt. Wenn die KK der BG den Unterhalt des Verletzten im Krankenhaus und das Tagegeld mit dem Höchstbetrag des Krankengeldes ersetzt, so tritt diese Ersatzleistung an die Stelle der Gewährung von Krankenhauspflege nach § 184 RVO, nicht jedoch an die Stelle der Gewährung von Krankengeld nach § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO; denn der Verletzte hätte keinen Anspruch auf Krankengeld gehabt, wenn die KK statt der BG Krankenhausbehandlung durchgeführt hätte. Da die Ersatzleistung somit nicht stellvertretend für eigentlich zu gewährendes Krankengeld ist, können die Vorschriften, die nur eine Beschränkung des Anspruchs auf Krankengeld betreffen, wie § 216 Abs. 3 RVO, nicht angewandt werden. Aus diesen Gründen kann der Senat die Rechtsprechung des RVA (Grunds. Entsch. Nr. 5360; AN 1940, 174 und EuM Band 50, 332) nicht fortführen.
Abgesehen hiervon besteht für die KK bei stationärer Heilbehandlung eines Verletzten durch die BG kein Bedürfnis, die Arbeitsunfähigkeit innerhalb von drei Tagen zu erfahren. Eine Nachprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch den Vertrauensarzt der KK wird in solchen Fällen ohnehin nicht in Frage kommen (vgl. RVA vom 30. Mai 1940 in "Die Betriebskrankenkasse" 1940 Spalte 312). Gegen die verspätete Geltendmachung von Ersatzansprüchen ist die KK durch die Ausschlußfrist des § 1509 Abs. 3 RVO aF geschützt.
Die Revision ist daher im Ergebnis nicht begründet und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen