Leitsatz (amtlich)
Zur Berechnung des überwiegenden Unterhalts, wenn die Familie aus Ehemann, Ehefrau und einem Kind besteht.
Normenkette
RVO § 1241 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1266 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Februar 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist die Höhe des dem Kläger für die Zeit einer Heilkurbehandlung vom 18. März bis zum 29. April 1966 gewährten Übergangsgeldes.
Die Beklagte war bei der Festsetzung des Übergangsgeldes davon ausgegangen, daß der Kläger vor der Kurbehandlung nur seine ... 1961 geborene Tochter M, nicht aber seine Ehefrau überwiegend unterhalten hatte. Hierbei hatte sie bei dem Kläger einen durchschnittlichen monatlichen Nettolohn von 632,64 und bei seiner Ehefrau ein monatliches Nettoeinkommen von 313,05 DM zugrunde gelegt.
Gegen die Festsetzung des Übergangsgeldes hat der Kläger am 11. Mai 1966 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben; es müsse von zwei von ihm überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen ausgegangen werden; denn der Lebensunterhalt seiner aus drei Personen bestehenden Familie sei von ihm überwiegend bestritten worden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 23. Februar 1967 abgewiesen und die Berufung zugelassen.
Der Kläger hat gegen das Urteil mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt.
Er hat beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Februar 1967 und den Bescheid der Beklagten vom 1. April 1966 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung eines weiteren Familienmitglieds das Übergangsgeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß der Kläger seine Ehefrau nicht überwiegend unterhalten hat.
II
Die Sprungrevision ist zulässig. Nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist in Angelegenheiten der Rentenversicherung die Berufung ausgeschlossen, soweit sie ua nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Dasselbe gilt, wie das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach entschieden hat (vgl. SozR Nr. 11 zu § 146 SGG und Nr. 48 zu § 150 SGG), wenn um Übergangsgeld für bereits abgelaufene Zeiträume gestritten wird. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die Bezugszeit des dem Kläger zugesprochenen Übergangsgeldes bei Einlegung der Berufung bereits abgelaufen war. Das SG hat die Berufung jedoch nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen, und die Beklagte hat ihre Einwilligung zur Einlegung einer Sprungrevision erteilt, so daß die Voraussetzungen des § 161 Abs. 1 SGG für die Einlegung einer Sprungrevision erfüllt sind. Die Sprungrevision ist jedoch nicht begründet.
Nach § 1241 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wird die Höhe des Übergangsgeldes durch übereinstimmende Beschlüsse der Organe des Trägers der Rentenversicherung unter Berücksichtigung der Zahl der von dem Betreuten vor Beginn der Maßnahme überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen festgesetzt. Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob der Kläger seine Ehefrau vor Beginn der Kur überwiegend unterhalten hat.
Bei den von in der Rentenversicherung der Arbeiter pflichtversicherten Arbeitnehmern kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß das Gesamteinkommen im wesentlichen dem Unterhalt dient. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß das gemeinsame Nettoeinkommen des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von zusammen 946,- DM im wesentlichen für den Unterhalt der dreiköpfigen Familie ausgegeben worden ist. Bei der Ermittlung des Wertes des gesamten Familienunterhalts ist nicht nur das Bareinkommen zu berücksichtigen, sondern auch jeder andere geldwerte Beitrag eines Familienmitgliedes. Dazu gehört insbesondere auch die Leistung, die die Ehefrau und Mutter durch die Haushaltsführung erbringt, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden hat (vgl. BVerfGE Bd. 17 S. 1 ff). Zwar ist diese Entscheidung des BVerfG zu anderen Vorschriften und zu anderen Fragen ergangen. Wenn aber der Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes dazu zwingt, die Haushaltsführung der Ehefrau im Verhältnis zu ihrem Ehemann auch in sozialversicherungsrechtlichem Sinne als Unterhaltsleistung anzusehen, so wirkt sich diese Unterhaltsleistung nicht nur auf das Verhältnis der Ehegatten zueinander, sondern auf den gesamten Familienunterhalt aus (vgl. auch SozR Nr. 2 zu § 12 Bundeskindergeldgesetz). Wenn beide Ehegatten berufstätig sind, wird in der Regel davon ausgegangen werden können, daß sich auch der Ehemann an der Haushaltsführung mitbeteiligt, und zwar mehr, wenn die Ehefrau ganztägig berufstätig ist als dann, wenn sie nicht vollschichtig erwerbstätig ist. Wenn Ehemann und Ehefrau ganztägig berufstätig sind, kann wohl in der Regel davon ausgegangen werden, daß der Betrag der Ehefrau zur Haushaltsführung 60 v. H. und der des Ehemannes 40 v. H. beträgt.
Wenn auf diese Weise der gesamte Familienunterhalt ermittelt worden ist, ist festzustellen, welcher Teil davon auf die einzelnen Familienmitglieder entfällt. Der Senat ist der Ansicht, daß grundsätzlich der Wert des Unterhalts eines jeden Familienmitgliedes je nach seinem Lebensalter nach einem Punktsystem errechnet werden kann, nach dem für Familienangehörige bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr vier Punkte, für Familienangehörige bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahr sechs Punkte, für Familienangehörige bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr acht Punkte und für erwachsene Familienangehörige zehn Punkte angesetzt werden (vgl. dazu auch Barnewitz in SozSich 1965, 168). Der Wert des gesamten Familienunterhalts wird durch die Summe der ermittelten Punktwerte geteilt und das Ergebnis jeweils mit der Punktzahl des betreffenden Familienangehörigen multipliziert. Auf diese Weise kann errechnet werden, welcher Betrag auf den oder die betreffenden Familienangehörigen entfällt. Der Unterhalt des fünfjährigen Kindes wird im vorliegenden Falle von beiden Elternteilen gemeinsam in dem Verhältnis erbracht, in dem sie zu dem Familienunterhalt beisteuern. Von dem nach Abzug des Unterhalts des Kindes verbleibenden Teil am Familienunterhalt entfallen auf den Ehemann und seine Ehefrau ein gleichgroßer Anteil.
Nach der Entscheidung des Großen Senats hat der Ehemann seine Ehefrau nur dann überwiegend unterhalten, wenn sein Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt von Ehemann und Ehefrau nach Abzug der Hälfte ihres gemeinsamen Unterhalts größer als der Beitrag der Ehefrau ist (Beschluß des Großen Senats des BSG vom 21. Mai 1969 - BSG 29, 225 ff -).
Wenn auch im vorliegenden Fall das SG nicht ermittelt hat, ob die Ehefrau ganztägig berufstätig gewesen ist und auch den Wert der Haushaltsführung nicht festgestellt hat, so brauchte der Rechtsstreit dennoch nicht zur Nachholung dieser Feststellungen zurückverwiesen werden. Auch dann, wenn die für die Annahme einer überwiegenden Unterhaltsleistung des Ehemannes günstigsten Umstände angenommen werden und der Wert der Haushaltsführung denkbar niedrig mit 100 DM und der Anteil der Ehefrau an der Haushaltsführung nur mit 60 v. H. angesetzt wird, hat der Kläger seine Ehefrau nicht überwiegend unterhalten.
Der Wert des Familienunterhalts würde dann nämlich 1046 DM (673 + 373) betragen. Auf das Kind würden davon 174 DM (1046 x 4/24 = 1046/6), d. h. ein Sechstel oder 16,66 % des gesamten Familienunterhalts entfallen. Von diesen 174 DM hat der Kläger 112 DM (673/6) und die Ehefrau 62 DM (373/6) aufgebracht. Für den Unterhalt von Ehemann und Ehefrau zusammen würden noch 872 DM, also für jeden allein die Hälfte = 436 DM verbleiben. Von diesen 872 DM würden der Kläger 561 DM (673 ./. 112) und seine Ehefrau 311 DM (373 ./. 62) aufgebracht haben. Der Beitrag des Klägers zum gemeinsamen Unterhalt von Ehemann und Ehefrau nach Abzug der Hälfte ihres gemeinsamen Unterhalts ist also mit 125 (561 ./. 436) nicht größer als der Beitrag der Ehefrau, so daß der Kläger seine Ehefrau nicht überwiegend unterhalten hat. Würde man den Wert der Haushaltsführung und den Prozentsatz, zu welchem die Ehefrau hieran beteiligt ist, höher anrechnen, könnte sich das Ergebnis für den Anspruch des Klägers nur noch ungünstiger darstellen.
Die Sprungrevision des Klägers mußte daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen