Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage der Schulausbildung iS des AVG § 39 Abs 3 (= RVO § 1262 Abs 3); hier: Besuch einer privaten Abendoberschule.
Normenkette
RVO § 1262 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 39 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. August 1962 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger begehrt zu seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) aus der Angestelltenversicherung (AV) einen Kinderzuschuß nach § 39 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Streitig ist, ob die Ausbildung an einer Abendoberschule als Schulausbildung anzusehen ist.
Der Kläger erhält von der Beklagten Rente wegen EU aus der AV. Er begehrt die Gewährung eines Kinderzuschusses zu dieser Rente gemäß § 39 Abs. 3 AVG vom 1. Mai 1960 an, und zwar für seinen am 25. Oktober 1939 geborenen unverheirateten Sohn N, der seit Herbst 1959 die Private Abendoberschule in K besucht und in keinem Lehr- oder Arbeitsverhältnis steht. Der Leiter der Schule teilte der Beklagten auf Anfrage mit, daß die Schule zum größten Teil von Berufstätigen besucht werde und ab Ostern 1961 der Eintritt nur solchen Schülern vorbehalten sei, die eine berufliche Tätigkeit nachweisen könnten. Darauf lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 21. November 1960 die Gewährung eines Kinderzuschusses mit der Begründung ab, eine Schul- oder Berufsausbildung liege nicht vor, weil die Abendoberschule zum größten Teil von Berufstätigen besucht werde und die Schüler mithin in der Lage seien, neben dem Schulbesuch eine Berufstätigkeit auszuüben; hieraus müsse geschlossen werden, daß durch die Schulausbildung die Zeit und die Arbeitskraft der Schüler nicht überwiegend in Anspruch genommen werde.
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger ab 1. Mai 1960 den Kinderzuschuß für den Sohn N zu gewähren (Urteil vom 17. August 1961). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 27. August 1962). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, in der Privaten Abendoberschule in K werde nach den Richtlinien für den Unterricht an den höheren Schulen Schleswig-Holsteins von Studienräten der Staatlichen Oberschulen in K unterrichtet mit dem Ziel der Vorbereitung auf die mittlere Reife und das Abitur; bei ihr kämen die Beurteilungsmaßstäbe und Grundsätze der Tagesschulen zur Anwendung. In dem Ausbildungsgang, den Ausbildungsgrundsätzen und den Ausbildungszielen sowie deren Anerkennung seien keine wesentlichen Unterschiede gegenüber den herkömmlichen Oberschulen zu erkennen. Die täglich auf fünf Unterrichtsstunden verteilte Schulzeit sei in die Abendstunden von 19.00 bis 21.30 Uhr verlegt. Durch den Besuch des Unterrichts werde der Schüler bei fünftägigem Unterricht wöchentlich mit 12 1 / 2 Stunden belastet, wozu noch die Zeit für den Schulweg hinzukomme. Durchschnittlich seien drei Stunden täglich für die Hausaufgaben erforderlich. Eine wöchentliche häusliche Vorbereitungszeit von 18 bis 20 Stunden sei das Mindestmaß an zusätzlichem Aufwand, so daß der Schulbesuch den Sohn des Klägers wöchentlich insgesamt mit über 30 Stunden beanspruche. Bei einer solchen zeitlichen Inanspruchnahme könne aber kein Zweifel bestehen, daß die Zeit und Arbeitskraft des Sohnes des Klägers durch den Schulbesuch überwiegend in Anspruch genommen werde. Für die Anwendung des § 39 Abs. 3 AVG sei hier deshalb nicht von Belang, ob andere Schüler erwerbstätig seien und ob der Sohn des Klägers nebenher noch erwerbstätig sein könnte.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 39 Abs. 3 AVG und Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie meint, bei der Prüfung, ob der Schulbesuch die Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend beanspruche, sei von der durchschnittlichen Gestaltung des Schulbesuchs an der K Abendoberschule auszugehen. Es sei unerheblich, wieviel Zeit gerade der Sohn des Klägers zu den Schularbeiten benötige; maßgebend sei vielmehr die Zeit, die im Durchschnitt von allen vergleichbaren Schülern aufgewandt werde. Gehe man von einer normalen Arbeitszeit von acht Stunden täglich aus, so ergebe sich bei der Fünftagewoche eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden. Demgegenüber stehe der vom Berufungsgericht festgestellte Zeitaufwand von etwa 30 Stunden für den Schulbesuch und die Erledigung der Schularbeiten. Daraus ergebe sich, daß beim Durchschnitt aller Schüler der Schulbesuch die Zeit und Arbeitskraft nicht überwiegend beanspruche. Das entspreche auch dem Sinn einer Abendschule, die ausschließlich für solche Schüler gedacht sei, die erwerbstätig seien und daher nicht am Tage zur Schule gehen könnten.
In formeller Hinsicht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe seiner Pflicht zur Sachaufklärung nicht genügt. Es habe unterlassen, Ermittlungen darüber anzustellen, in welchem Umfang die anderen Schüler der Klasse, die der Sohn des Klägers besucht habe, einer Erwerbstätigkeit nachgegangen seien. Der Schluß, bei 30 Stunden Arbeitsaufwand für die Schule sei eine erhebliche Berufstätigkeit von vornherein unmöglich, sei unzutreffend. Die Unrichtigkeit dieser Folgerung ergebe sich schon daraus, daß in der Klasse des Sohnes N. 18 von 21 Schülern erwerbstätig gewesen seien. Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 27. August 1962 und des SG Schleswig vom 17. August 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er meint, neben einer Schulausbildung, die mindestens 30 Wochenstunden erfordere, könne nur eine Berufstätigkeit von höchstens 20 Wochenstunden ausgeübt werden, so daß die Zeit und Arbeitskraft des Sohnes des Klägers durch die Teilnahme an der Abendschule überwiegend beansprucht werde. Das Gesetz selbst mache keinen Unterschied, ob der Schüler eine Tages- oder eine Abendoberschule besuche. Wenn in beiden Schulen das gleiche Ziel (Abitur) angestrebt werde und das gleiche Pensum in gleicher Zeit geschafft werden müsse, sei eine unterschiedliche Behandlung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht nicht gerechtfertigt; eine andere Auslegung des § 39 Abs. 3 AVG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
II
Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung des Kinderzuschusses zu seiner Rente hängt davon ab, ob die Voraussetzungen des § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG erfüllt sind. Danach wird der Kinderzuschuß über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein unverheiratetes Kind gewährt, das sich in Schulausbildung befindet. Da hier die übrigen Voraussetzungen unstreitig erfüllt sind, kommt es allein darauf an, ob der Besuch der Privaten Abendschule in K durch den Sohn des Klägers als Schulausbildung anzusehen ist.
Daß es sich bei der Privaten Abendoberschule in K um eine Schule im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG handelt, hat das LSG mit zutreffender Begründung dargelegt und wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt. Eine Schulausbildung im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG liegt jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur vor, wenn sie die Zeit und Arbeitskraft des Kindes ganz oder überwiegend in Anspruch nimmt (BSG in SozR § 1267 Nr. 14 RVO; BSG 21, 185 ff; 23, 227 ff). Die für die Vorschriften des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO, § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze gelten für die hier anzuwendende Vorschrift entsprechend, weil der Wortlaut des Gesetzes insoweit übereinstimmt. Von der Rechtsauffassung des BSG ist auch das LSG ausgegangen, und auch die Revision vertritt keine andere Rechtsansicht. Die Revision wendet sich indessen mit Recht gegen die Annahme des LSG, die Ausbildung an der Abendoberschule in Kiel habe Zeit und Arbeitskraft des Sohnes des Klägers überwiegend beansprucht.
Soweit die Revision sich jedoch darauf beruft, bei der Prüfung, ob die Arbeitszeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend durch den Schulbesuch beansprucht werden, sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht vom konkreten Einzelfall, sondern von der durchschnittlichen Gestaltung des Schulbesuchs an der Privaten Abendoberschule in Kiel auszugehen, und es sei unerheblich, wieviel Zeit gerade der Sohn des Klägers zu den Schularbeiten benötigt habe, wendet sie sich allerdings zu Unrecht gegen die von dem LSG in dem angefochtenen Urteil gemachten Ausführungen; denn auch das LSG hat dargelegt, daß die Frage, ob die Schulausbildung die Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nimmt, nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen sei. Andererseits hat es aber auch die Meinung geäußert, maßgebend könne nur die konkrete Ausgestaltung des Schulbesuchs sein, die allein die Grundlage für eine objektive Beurteilung zu bilden vermöge. Es ist nicht ohne weiteres zu erkennen, ob das LSG hiermit die konkrete Ausgestaltung des Schulbesuchs gemeint hat, die sich aus dem Lehrplan, den Unterrichtsstunden und dem erforderlichen Zeitaufwand für die häuslichen Arbeiten der Abendoberschule in Kiel ergibt, oder ob das LSG damit auch hat sagen wollen, daß es darauf ankomme, wie der Schulbesuch des Sohnes des Klägers auf Grund seiner persönlichen Verhältnisse gestaltet war. Grundsätzlich hängt die Gewährung des Kinderzuschusses nach dem Gesetz nicht von den persönlichen Verhältnissen des Kindes wie z. B. Gesundheit, Begabung, Wohnverhältnisse, Bedürftigkeit ab (BSG 23, 227, 228 = SozR RVO § 1267 Nr. 19). Ebenso kommt es nicht darauf an, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 31. Oktober 1962 - 12 RJ 328/61 - ausgesprochen hat, wieviel Zeit der Sohn des Klägers auf die Verrichtung der häuslichen Arbeiten verwendet oder verwenden möchte. Davon ist aber auch das LSG ausgegangen; denn es hat ausgeführt, daß nach der Auskunft des Schulleiters durchschnittlich drei Stunden täglich für die Hausaufgaben erforderlich waren, um das Klassenziel erreichen zu können, und es hat auch für den Sohn des Klägers eine wöchentliche häusliche Vorbereitungszeit von 18 bis 20 Stunden als Mindestmaß an zusätzlichem Aufwand für notwendig angesehen. Indessen ist im Gegensatz zu der Auffassung der Revision auch die konkrete Ausgestaltung des Schulbesuchs durch den einzelnen Schüler in gewissen Grenzen zu beachten. Dies gilt insbesondere einmal für die Zeit, die der einzelne Schüler für den Schulweg aufzuwenden hat (Urteil des Senats vom 31. Oktober 1962 - 12 RJ 328/61 -; RVA in EuM 23, 459), und zum anderen, wenn infolge einer Krankheit oder anderer Gebrechen des Schülers ausnahmsweise besondere Umstände gegeben sind. Hierzu braucht der Senat, weil der vorliegende Fall dazu keinen Anlaß gibt, nicht endgültig Stellung zu nehmen. Jedenfalls kann aber aus dem Umstand allein, daß die Schule nach ihren Richtlinien, ihrem Lehrplan, der Einrichtung der Unterrichtsstunden usw. vorwiegend oder ausschließlich nur Berufstätigen zur Verfügung steht, nicht für alle Fälle gefolgert werden, daß die Ausbildung an einer Abendoberschule die Zeit und die Arbeitskraft des einzelnen Schülers nicht überwiegend beansprucht, wie das LSG - entgegen der Ansicht der Revision - mit Recht angenommen hat.
Bei einer Abendoberschule, die ihre Unterrichtsstunden nach der allgemein üblichen Arbeitszeit auf den Abend mit 2 1 / 2 Stunden an fünf Wochentagen verlegt und an häuslichem Arbeitsaufwand von drei Stunden täglich ausgeht, muß aber, wenn es an Anhaltspunkten für das Vorliegen besonderer Umstände fehlt, grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Ausbildung den Schülern nicht die Möglichkeit nimmt, tagsüber einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies hat das BSG bereits in seinem Urteil vom 1. Juli 1964 in BSG 21, 185 ausgesprochen. Danach liegt eine Schul- oder Berufsausbildung nur dann vor, wenn die Ausbildung Zeit und Arbeitskraft des Kindes ausschließlich oder überwiegend beansprucht; diese Voraussetzung ist aber dann nicht erfüllt, wenn es sich bestimmungsgemäß um eine Ausbildung "Berufstätiger" handelt und die Ausbildung so gestaltet ist, daß sie jedenfalls eine Halbtagsbeschäftigung zuläßt. Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, sieht der Senat keinen Anlaß.
Die Feststellung des LSG, daß der Schulbesuch den Sohn des Klägers wöchentlich insgesamt mit über 30 Stunden in Anspruch nimmt, rechtfertigt demnach allein seine Annehme nicht, bei einer solchen zeitlichen Inanspruchnahme könne kein Zweifel bestehen, daß die Zeit und Arbeitskraft des Sohnes des Klägers schon durch den Schulbesuch überwiegend in Anspruch genommen wird.
Das LSG hat den Aufwand an Arbeitszeit und Arbeitskraft durch die Ausbildung an der Abendoberschule in Kiel nicht für die Person des Sohnes des Klägers festgestellt, sondern ist von den Durchschnittsanforderungen ausgegangen, die seitens der Schule auf Grund des Lehrplans an jeden Schüler gestellt werden. Der Sohn des Klägers wendet also mit der Zeit von über 30 Stunden in der Woche für die Schulausbildung nicht mehr Zeit und Arbeitskraft auf, wie sie von allen anderen Schülern seiner Klasse ebenfalls vorausgesetzt werden. Andere Schüler gehen aber neben dem Schulbesuch einer Erwerbstätigkeit nach. Dies zeigt, daß der Schulbesuch als solcher mit seinen Durchschnittsanforderungen die Zeit und die Arbeitskraft des Sohnes des Klägers nicht überwiegend beansprucht haben kann, weil sie jedenfalls eine solche Erwerbstätigkeit bei durchschnittlichem Maßstab nicht ausschließt. Wenn neben einer vollen Erwerbstätigkeit oder einer Halbtagsarbeit ein Pensum erledigt werden soll, wozu Tagesschülern der ganze Tag zur Verfügung steht, so bedeutet das, daß der Besuch einer solchen Abendoberschule mit besonderen Anforderungen an die Zeit und Arbeitskraft der Schüler verbunden ist. Die dem Abendschüler neben seiner Erwerbstätigkeit verbleibende Freizeit, die er sonst anderen Interessen, ja der Erholung und Entspannung widmen kann, muß er für die zusätzliche Schulausbildung verwenden. Häusliche Arbeiten wird er im wesentlichen am freien Wochenende erledigen müssen, weil er neben seiner vollen oder halbtägigen Erwerbstätigkeit und neben der Teilnahme am Unterricht an fünf Wochentagen die Zeit von täglich drei Stunden häuslicher Arbeit an den Arbeitstagen in der Regel nicht aufbringen Kann. Deshalb wird von ihm erwartet, daß er dies am freien Wochenende tut. Dann ist es jedenfalls im Regelfall dem Besucher einer Abendoberschule möglich, die für die häuslichen Aufgaben aufzuwendende Zeit von 18 bis 20 Stunden so zu verteilen, daß die übliche Arbeitszeit dadurch nicht beansprucht zu werden braucht (BSG 21, 185, 189).
Eine andere Beurteilung ist nur dann gerechtfertigt, wenn besondere Umstände dafür sprechen, daß der Sohn des Klägers durch den Schulbesuch in einem höheren Maße beansprucht ist als andere erwerbstätige Schüler. Eine solche höhere Beanspruchung kann ausnahmsweise in den persönlichen Verhältnissen des Sohnes des Klägers begründet sein, wie z. B. in einem weiten Schulweg, oder auch in einer Krankheit oder anderen Gebrechen. Die höhere Beanspruchung kann sich schließlich allgemein daraus ergeben, daß nach dem Lehrplan die Schule zum Schluß der Ausbildung höhere Anforderungen an Zeit und Arbeitskraft stellt. Das BSG hat auch bereits in dieser Hinsicht ausgesprochen, daß während des letzten Schuljahres vor der Reifeprüfung bei dem Schüler einer Abendoberschule nicht unterstellt werden kann, daß er bestimmungsgemäß neben seiner Ausbildung wenigstens einer Halbtagsbeschäftigung nachgehen kann (BSG 23, 227 ff). Wenn auch nach den für die Schule geltenden Richtlinien und ihrem Lehrplan ab Ostern 1961 die Abendoberschule in K grundsätzlich nur noch von Berufstätigen besucht werden kann, so bleibt doch zu prüfen, ob sie nicht in Rechnung stellen, daß die Abendschüler während des Ausbildungsabschnitts vor den Prüfungen, insbesondere vor der Reifeprüfung, ihre Berufstätigkeit aufgeben und ihre Zeit und Arbeitskraft ganz der Prüfungsvorbereitung zuwenden sollen. Wenn derartige Grundsätze auch an der Abendoberschule in Kiel bestanden haben, so kann sich ergeben, daß der Anspruch auf den Kinderzuschuß im letzten Jahr vor der Prüfung oder während eines kürzeren Zeitraums vor ihr anders zu beurteilen ist als während des Besuchs der vorhergehenden Klassen. Darüber enthält das angefochtene Urteil aber keine Feststellungen.
Der Kläger beruft sich vor allem darauf, daß in der Abendoberschule in Kiel dasselbe Ziel angestrebt wird und das gleiche Pensum in der gleichen Zeit bewältigt werden muß, wie dies an einer Tagesoberschule der Fall sei; es sei nicht einzusehen, weshalb der Schüler, der eine solche Abendoberschule besucht, rechtlich anders behandelt werden soll als ein Schüler einer gleichwertigen Tagesoberschule, für den ohne weiteres anerkannt wird, daß er sich in Schulausbildung befindet. Auch das LSG hat anklingen lassen, da für die Abendoberschule in Kiel die Grundsätze und Richtlinien für Tagesoberschulen gelten, könnte allein schon daraus die überwiegende Inanspruchnahme hergeleitet werden, weil sie für Tagesoberschulen stets unbedenklich unterstellt werde. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach dem Lehrplan an den Tagesoberschulen der Unterricht regelmäßig in der Zeit stattfindet, in der sonst gearbeitet wird. Die Abendoberschule ist aber gerade so eingerichtet, daß sie neben dem Besuch der Schule und der Erledigung der häuslichen Aufgaben eine volle Erwerbstätigkeit nicht ausschließt. Aus diesen Gründen ist es nicht geboten, die Schüler einer Abendoberschule mit den Schülern einer Tagesoberschule gleichzustellen. Die unterschiedliche Gestaltung der beiden Schulen spricht schon dagegen, daß ein Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes darin erblickt werden könnte, wenn für ein Kind, das eine Abendoberschule besucht und einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann, der Kinderzuschuß versagt wird.
Das LSG hat demnach, wie die Revision mit Recht rügt, § 39 Satz 3 AVG nicht richtig angewandt. Das Urteil beruht auch auf dieser Gesetzesverletzung, weil nicht ausgeschlossen ist, daß das LSG bei richtiger Anwendung des § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Die Revision ist mithin begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben.
Das Revisionsgericht kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die in dem angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen hierzu nicht ausreichen. Gemäß § 170 Abs. 2 SGG ist daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das LSG insbesondere Feststellungen darüber zu treffen haben, welchen Schulweg der Sohn des Klägers zurückzulegen und welche Zeit er dafür aufzuwenden hatte, in welcher Klasse er sich seit dem 1. Mai 1960 befunden hat, und ob wegen des fortgeschrittenen Ausbildungsstandes in dieser Klasse oder in den höheren Klassen, die er durchgemacht hat, nach dem von der Schulaufsichtsbehörde genehmigten Lehrplan an der Privaten Abendoberschule in K an alle Schüler höhere Anforderungen an Zeit und Arbeitskraft gestellt worden sind, als sie das LSG bisher festgestellt hat. Schließlich wird das LSG bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, daß der Sohn des Klägers offenbar bereits seit Ostern 1962, also längere Zeit vor Erlaß des angefochtenen Urteils am 27. August 1962, die Abendoberschule in K verlassen hat.
Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen