Leitsatz (amtlich)
Eine Ersatzzeit ohne Vor- oder Anschlußversicherung nach AVG § 28 Abs 2 ist keine Versicherungszeit iS des AVG § 82 Abs 7.
Normenkette
AVG § 28 Abs. 2 Fassung: 1965-06-09, § 82 Abs. 7 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1303 Abs. 7 Fassung: 1965-06-09, § 1251 Abs. 2 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 19. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu ersetzen.
Gründe
I
Der 1914 geborene Kläger leistete seit dem 26. August 1939 Militärdienst; aus der anschließenden Kriegsgefangenschaft wurde er am 2. Januar 1946 entlassen. Vom 5. August 1947 bis zum 30. September 1957 arbeitete er in dem Gebiet der heutigen DDR als Arzt im Angestelltenverhältnis und entrichtete Beiträge zur dortigen Sozialversicherung. Vom 4. Oktober 1957 bis zum 6. Januar 1959 war er in der Bundesrepublik Deutschland in der Angestelltenversicherung (AnV) pflichtversichert. Seit 1959 ist er Arzt im Dienste der Bundeswehr. Auf den Antrag des Klägers erstattete ihm die Beklagte mit Bescheid vom 23. April 1963 die Hälfte der Beiträge, weil § 18 Abs. 3 des Fremdrentengesetzes (FRG) idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) die Gleichstellung der Beitragszeiten in der DDR mit inländischen Beitragszeiten ausschloß, soweit diese Zeiten einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften zugrunde zu legen waren.
Nach der Änderung des § 18 Abs. 3 FRG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) erkannte die Beklagte die Zeit vom 5. August 1947 bis zum 30. September 1957 als Beitragszeit an (Bescheid vom 12. Januar 1970); zugleich lehnte sie die vom Kläger begehrte Vormerkung der Zeit von 1939 bis 1946 als Ersatzzeit ab, weil sämtliche vor der Beitragserstattung liegenden Versicherungszeiten verfallen seien. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 8. April 1970). Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt; das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagter zurück (Urteil vom 19. Mai 1971). Das LSG sah in § 82 Abs. 7 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) kein Hindernis für die Eintragung des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeit. Eine Ersatzzeit liege erst vor, wenn auch die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AVG erfüllt seien. Andernfalls gehörten derartige Zeiten nicht zu den anrechnungsfähigen Versicherungszeiten, die nach § 82 Abs. 7 AVG verfallen könnten. Ausgeschlossen seien deshalb nur die Rechte aus "Ersatzzeiten", die "auf Grund" der erstatteten oder der vor dem 20. bzw. 24. Juni 1948 entrichteten Beiträge nach § 28 Abs. 2 AVG der Begründung späterer Ansprüche hätten dienen können. Im Zeitpunkt der Beitragserstattung habe der Kläger die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AVG für die Anerkennung der Zeiten des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft nicht erfüllt, weil § 18 Abs. 3 FRG aF die Anerkennung seiner Beitragszeit in der DDR verboten habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob Ersatzzeiten zu den nach § 82 Abs. 7 AVG ausgeschlossenen Versicherungszeiten auch dann gehören, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AVG im Zeitpunkt der Beitragserstattung nicht erfüllt waren.
Die Beklagte beantragt mit der Revision, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie rügt eine Verletzung des § 82 Abs. 7 AVG. Das LSG habe nicht beachtet, daß die Erstattung weitere Ansprüche aus den bisher "zurückgelegten" Versicherungszeiten, nicht nur aus den anrechenbaren Versicherungszeiten ausschließe. Der Wortlaut des § 28 Abs. 2 AVG mache deutlich, daß die Vor- bzw. Anschlußversicherung nur für die Anrechnung rechtserheblich sei, aber nicht zugleich die Frage beantworte, ob eine Zeit Ersatzzeit sei. Da Ersatzzeiten nur den Ersatz für fehlende Beiträge bildeten, könnten sie nicht besser behandelt werden als die Beiträge selbst. Wie sich aus § 82 Abs. 7 AVG ergebe, teilten sie deren rechtliches Schicksal. Dabei erscheine es bedeutungslos, ob sie im Zeitpunkt der Erstattung tatsächlich auf die Wartezeit anzurechnen gewesen seien. Zeiten ohne Vor- oder Anschlußversicherung dürften nicht günstiger behandelt werden als die übrigen Ersatzzeiten. Dem widerspreche nicht, daß trotz der Beitragserstattung die Beitragszeiten angerechnet würden, die nach § 18 Abs. 3 FRG aF nicht zu berücksichtigen gewesen seien, da der Gesetzgeber diese Zeiten erst nach der Erstattung in den Rang von Versicherungszeiten erhoben habe.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. SozR Nr. 5 zu § 124 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Wehrdienst und die Kriegsgefangenschaft des Klägers als Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG in seine Versicherungsunterlagen einzutragen sind (§ 11 Abs. 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung - VuVo - vom 3. März 1960 - BGBl I 137 - i. V. m. § 134 Abs. 3 AVG und § 17 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Versicherungskarten und Aufrechnungsbescheinigungen in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten - VVA - idF vom 20. Februar 1968 - Beilage zum BA Nr. 58/1968). Der Kläger kann bereits vor dem Eintritt des Versicherungsfalles die verbindliche Feststellung der zurückgelegten Ersatzzeiten verlangen (vgl. hierzu und zur Rechtsnatur der Klage BSG 31, 226, 229 und SozR Nr. 1 zu § 11 VuVO vom 3. März 1960). Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger in der Zeit von 1939 bis 1946 Militärdienst geleistet und sich in Kriegsgefangenschaft befunden. Innerhalb von 3 Jahren nach dem Ende der Kriegsgefangenschaft hat er eine Beschäftigung aufgenommen, die nach § 15 Abs. 1 FRG einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet gleichsteht. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 28 Abs. 2 AVG eine Ersatzzeit anzuerkennen ist, liegen demnach vor. Diese Ersatzzeit ist trotz der Beitragserstattung berücksichtigungsfähig. Nach § 82 Abs. 7 AVG schließt die Erstattung von Beiträgen nach § 82 Abs. 1 AVG weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten aus. Versicherungszeiten sind Beitragszeiten und Ersatzzeiten (§ 27 Abs. 1 AVG). Die Militärzeit des Klägers war im Zeitpunkt der Beitragserstattung keine zurückgelegte Versicherungszeit im Sinne des § 82 Abs. 7 AVG. Der Kläger trat 1957 erstmals in die Rentenversicherung der Bundesrepublik ein, war also weder vor der Ableistung des Kriegsdienstes noch innerhalb von 3 Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit im Jahre 1946 nach innerstaatlichem Recht versicherungspflichtig. Die Ersatzzeit war vor 1965 trotz der Beitragszeit in der DDR nicht anrechenbar, da diese durch § 18 Abs. 3 FRG aF von der Gleichstellung mit nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten ausdrücklich ausgenommen war (vgl. Lackermeier, SozVers. 1964, 15, 16).
Der Kläger hatte, als die Beiträge erstattet wurden, die in der Vergangenheit liegenden Zeiten als Militärdienst und als Kriegsgefangenschaft allerdings bereits "zurückgelegt". Die Beklagte meint, allein das tatsächliche Zurücklegen einer in § 28 Abs. 1 AVG genannten Zeit schließe nach § 82 Abs. 7 AVG weitere Ansprüche aus; hierzu beruft sie sich auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Februar 1971 - 12 RJ 214/70 - SozR Nr. 9 zu § 1249 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das BSG hat hier zwar ausgesprochen, daß Versicherungszeiten, die nach § 1250 Abs. 1 RVO (= § 27 Abs. 1 AVG) "anrechnungsfähig" sind, nicht in jedem Einzelfall auch "anzurechnende" Versicherungszeiten sind und insoweit auf § 1251 Abs. 2 RVO (= § 28 Abs. 2 AVG) und § 1258 Abs. 1 RVO (= § 35 Abs. 1 AVG) verwiesen. Es hat aber nur eine Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 RVO, die nach § 1251 Abs. 2 RVO angerechnet werden kann, als zurückgelegte Versicherungszeit im Sinne des § 1249 Abs. 1 Satz 2 RVO (= § 26 Abs. 1 Satz 2 AVG) angesehen. Es ist kein Grund ersichtlich, den Begriff "zurückgelegte Versicherungszeit" in § 82 Abs. 7 AVG anders als in § 26 Abs. 1 AVG auszulegen.
Der Militärdienst und die Kriegsgefangenschaft allein sind ohne versicherungsrechtlichen Bezug. Erst die Vor- oder Anschlußversicherung macht aus ihnen "Versicherungszeiten", weil sie erst dann der Rentenleistung zugrunde gelegt werden dürfen. Davon scheint auch der Gesetzgeber auszugehen, wenn er in § 10 Abs. 1 Satz 3 AVG anordnet, daß Ersatzzeiten bei der Ermittlung des Zehnjahreszeitraumes unberücksichtigt bleiben, auch wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AVG nicht erfüllt sind. Der Aufbau des § 28 AVG, der die beiden Voraussetzungen einer Ersatzzeit in selbständigen Absätzen umschreibt, zwingt nicht dazu, bereits von einer Ersatzzeit immer dann zu sprechen, wenn einer der Tatbestände des § 28 Abs. 1 AVG vorliegt.
§ 82 Abs. 7 AVG will alle Ansprüche aus Versicherungszeiten, die vor der Beitragserstattung liegen, ausschließen. Dabei teilen die Ersatzzeiten das Schicksal der Beitragszeiten. Das kann aber nicht gelten für Zeiten, die erst eine Gesetzesänderung rückwirkend zu Versicherungszeiten macht. Die Beklagte muß die Ersatzzeit, die mit den Beitragszeiten der DDR zusammenhängt, ebenso anerkennen wie die Beitragszeiten selbst. Allerdings erfaßt die Änderung des § 18 Abs. 3 FRG nur die Beitragszeit selbst; § 15 Abs. 1 FRG erlaubt lediglich die Anerkennung bestimmter Beitragszeiten, die nicht nach innerstaatlichem Recht zurückgelegt sind; dagegen richtet sich die Anrechnung einer Ersatzzeit ausschließlich nach Bundesrecht. Jedoch genügt die Beitragszeit des § 15 Abs. 1 FRG, um die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AVG zu erfüllen, d. h. die fremde Beitragszeit, die seit der Neufassung des § 18 Abs. 3 FRG der inländischen Beitragszeit gleichsteht, macht aus der Wehrdienstzeit erstmals eine Versicherungszeit.
Auch die Beitragszeit in der DDR hat der Kläger vor der Erstattung "zurückgelegt". § 18 Abs. 3 FRG aF verhinderte nur ihre rechtliche Anerkennung. Dennoch hatte der Kläger bereits vor der Beitragserstattung den Tatbestand des § 15 Abs. 1 FRG erfüllt. Das hat die Beklagte zu Recht nicht zum Anlaß genommen, dem Kläger die Anerkennung dieser Zeit zu versagen. Ihre Ansicht, Ersatzzeiten könnten nicht besser behandelt werden als die Beiträge selbst, sie teilten vielmehr deren rechtliches Schicksal, zwingt dazu, die Militärdienstzeiten, die erst durch die Beitragszeit nach § 15 FRG anrechenbar wurden, trotz § 82 Abs. 7 AVG anzuerkennen. Wenn § 82 Abs. 7 AVG weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten ausschließt, setzt die Vorschrift voraus, daß diese Zeiten Ansprüchen überhaupt zugrunde liegen können; das ist bei der Wehrdienstzeit ohne Vor- oder Anschlußversicherung niemals der Fall.
Die rückwirkende Auflösung des Versicherungsverhältnisses, welche die Beitragserstattung bewirkt, kann nur die damals versicherungsrechtlich erheblichen Zeiten erfassen. Sie wirkt - wie die Behandlung der Fremdzeiten nach der Änderung des § 18 Abs. 3 FRG zeigt (ähnlich bei der Nachversicherung, vgl. Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG, Stand: Dezember 1971, Bd. IV, § 9 Anm. B III 6 - V 111) - nicht absolut. Soweit jedenfalls erst eine Gesetzesänderung mittelbar die Anerkennung der Ersatzzeit ermöglicht hat, ist es nur folgerichtig, die Ersatzzeit wie die Beitragszeit, auf der sie beruht, zu behandeln.
Es kommt nach § 82 Abs. 7 AVG zwar nicht darauf an, ob der Versicherte jeden im Zeitpunkt der Erstattung anrechnungsfähigen Monat kennt (anders bei der Erstattung nach § 74 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes - GG -, vgl. BSG, SozR Nr. 11 zu § 74 G 131); aber das erlaubt es nicht, ihm Ansprüche aus Zeiten zu nehmen, die erstmals nach der Erstattung einem Rentenanspruch zugrunde gelegt werden durften. Der Versicherte muß wenigstens die Möglichkeit haben, das Ausmaß seines Rechtsverlustes zu übersehen.
Da somit das Urteil des LSG nicht zu beanstanden ist, wird die Revision nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen