Leitsatz (amtlich)
RVO § 1259 Abs 1 Nr 4 (= AVG § 36 Abs 1 Nr 4) ist auf andere als die dort bezeichneten Ausbildungszeiten nicht entsprechend anwendbar.
Orientierungssatz
Bei einer staatlich anerkannten Privatmusiklehrerin ist die Zeit eines privaten Musikunterrichts (1932 bis 1935) während ihrer Berufsausbildung nicht als Ausfallzeit iS des RVO § 1259 Abs 1 Nr 4 Buchst b anzuerkennen.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1965-06-09; AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Oktober 1971 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die 1913 geborene Klägerin, staatlich anerkannte Privatmusiklehrerin, hatte von September 1932 bis August 1935 zwischen Studienzeiten am Konservatorium bei einem Pianisten und Musiklehrer privaten Musikunterricht genommen. Die Beklagte hat es abgelehnt, diese Zeit als Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr 4 Buchst. b des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in eine Versicherungskarte einzutragen (Bescheid vom 31. August 1970 und Widerspruchsbescheid vom 16. November 1970). Die Klage hatte vor dem Sozialgericht Erfolg (Urteil vom 11. März 1971); das Landessozialgericht (LSG) wies die Klage dagegen ab (Urteil vom 26. Oktober 1971). Es verneinte für andere Fortbildungsmöglichkeiten als Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildungen eine Gesetzeslücke in § 36 Abs. 1 Nr 4 Buchst. b AVG und ließ die Revision wegen der grundsätzlichen Frage zu, "ob auch übliche private Fortbildungen in Künstlerberufen" unter diese Vorschrift fallen.
Mit der Revision beantragt die Klägerin,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.
Sie rügt Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr 4 Buchst. b AVG.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist unbegründet.
Da der private Musikunterricht ohne Zweifel weder eine Schul- noch eine Fachschul- oder Hochschulausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr 4 b AVG darstellt, fragt es sich nur, ob diese Vorschrift entsprechend angewandt werden darf. Das hat das LSG zu Recht verneint.
Der Senat hat sich schon wiederholt mit Verfahren befassen müssen, in denen begehrt worden ist, die Bestimmungen des § 36 Abs. 1 Nr 4 AVG auf andere Ausbildungszeiten als die im Gesetz bezeichneten anzuwenden (BSG 31, 230; SozR Nr 40 zu § 1259 der Reichsversicherungsordnung (RVO); Urteil vom 16. Februar 1969, 11 RA 126/68). Dabei haben die Kläger immer wieder auf den durch die Ausbildung bedingten Beitragsausfall, auf den Wert und die Förderung von Ausbildungen im allgemeinen und auf deren Zweckmäßigkeit, Üblichkeit oder Notwendigkeit für den Beruf im besonderen hingewiesen. So sehr Erwägungen dieser Art jedoch bei Schaffung des § 36 Abs. 1 Nr 4 AVG mit von Bedeutung gewesen sein mögen, so ist doch nicht zu übersehen, daß der Gesetzgeber nur bestimmte typische Ausbildungen und diese zudem meist zeitlich begrenzt als Ausfallzeiten hat berücksichtigen wollen. Er hat, wie nochmals bei der Ausdehnung der Begünstigung auf Lehrzeiten im ersten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz deutlich geworden ist, bewußt davon abgesehen, Ausbildungszeiten schlechthin den Charakter von Ausfallzeiten zu verleihen. Eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr 4 AVG auf andere als die dort bezeichneten Ausbildungszeiten ist daher, wie der Senat mehrfach entschieden hat - auch angesichts der hierdurch ausgelösten finanziellen Mehrbelastungen der Versichertengemeinschaft - nicht möglich. Bei einer entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr 4 AVG ließe sich im übrigen kaum eine einleuchtende Grenze für die dann noch zu berücksichtigenden Ausbildungszeiten finden. Die Klägerin kann auch nicht einwenden, daß sie durch die Nichtanerkennung "bestraft" werde, denn bei der Frage, ob ihr gesetzlich vorgesehene Vergünstigungen zustehen oder nicht, ist diese Betrachtungsweise verfehlt.
Die Revision muß daher als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen