Leitsatz (amtlich)

Zahlt der Versicherungsträger eines auswärtigen Staates die einem Deutschen (früheren Deutschen) bewilligte Sozialrente nicht in die Bundesrepublik, so handelt es sich hierbei nicht um eine durch Kriegsauswirkungen bedingte Unmöglichkeit der Inanspruchnahme dieses Trägers iS des FRG § 1 Buchst b, wenn der Rentenbewerber erst geraume Zeit nach Kriegsende freiwillig in den Zuständigkeitsbereich des auswärtigen Trägers übersiedelt ist.

 

Normenkette

FRG § 1 Buchst. b Fassung: 1960-02-25, § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 10. Juni 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der 1926 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, wohnte und arbeitete bis 1948 in R. Er ging sodann in das unter polnischer Verwaltung stehende Oberschlesien, um seine dort lebende - deutsche - Braut zu heiraten. Er verblieb dort und arbeitete als Bergmann. Am 20. Februar 1951 wurde er in einer Steinkohlengrube in B an beiden Beinen schwer verletzt; infolge der Verletzung verlor er beide Beine hoch im Oberschenkel. In der Folge bezog er eine polnische Rente.

Am 1. März 1969 übersiedelte der Kläger mit seiner Familie in die Bundesrepublik. Er beantragte am 9. März 1969 bei der beklagten Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG) eine Unfallrente und gab ua an, daß ihm die polnische Rente nicht mehr gezahlt werde. Nachdem der Landrat in S die Anerkennung des Klägers als Heimatvertriebener und die Ausstellung eines Vertriebenenausweises abgelehnt hatte, versagte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Mai 1969 Verletztenrente. Sie führte aus, der nicht als Vertriebener anerkannte Kläger falle nicht unter den durch das Fremdrentengesetz (FRG) begünstigten Personenkreis. Insbesondere seien die Voraussetzungen des § 1 Buchst. b FRG nicht erfüllt; die Unmöglichkeit, den ursprünglichen Versicherungsträger in Anspruch zu nehmen, stehe nicht in einem irgendwie gearteten Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen.

Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) für das Saarland erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben. Mit Urteil vom 10. Juni 1970 hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen und die Rechtsauffassung der Beklagten gebilligt. Daß der Kläger den polnischen Versicherungsträger nicht in Anspruch nehmen könne, beruhe nicht auf Kriegsereignissen, sondern darauf, daß dieser Renten nicht in die Bundesrepublik zahle. Gegen die Anwendung des § 1 Buchst. b FRG auf den Kläger spreche auch der Zweck der Vorschrift. Der nicht realisierbare Anspruch des Klägers gegen den polnischen Versicherungsträger sei erst nach dem zweiten Weltkrieg entstanden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision des Klägers. Er bringt vor, er falle sehr wohl unter § 1 Buchst. b FRG und damit unter den von diesem Gesetz begünstigten Personenkreis. Zweifellos sei es den Kriegsereignissen zuzuschreiben, daß der polnische Versicherungsträger Rente nicht in die Bundesrepublik zahle. Die Bundesrepublik Deutschland habe "mit allen möglichen Staaten" Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen, um ihre Bürger sozialrechtlich abzusichern. Aus politischen Gründen sei ein derartiges Abkommen mit Polen nicht zustande gekommen, und diese Gründe seien kriegsbedingt. Man könne ihm nicht anlasten, daß er 1948 freiwillig nach Polen gegangen sei; auch sei er damals in ein Gebiet gegangen, von dem er habe annehmen müssen, daß es sich um - polnisch besetztes - deutsches Gebiet handele. Seine Rückkehr in die Bundesrepublik sei insofern ebenfalls kriegsbedingt, als er "die ewigen Anrempeleien" der polnischen Bevölkerung, denen er nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ausgesetzt gewesen sei, leid gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG vom 10. Juni 1970 und des SG vom 28. November 1969 aufzuheben, die Revisionsbeklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Mai 1969 zu verurteilen, ihm aus Anlaß des Unfalls vom 20. Februar 1951 eine Verletztenrente zu gewähren und der Revisionsbeklagten die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sinn des § 1 Buchst. b FRG sei es, solche Deutsche zu begünstigen, die vor Beginn des zweiten Weltkrieges entweder bereits Rentenleistungen aus dem Ausland bezogen haben oder mit ihrem späteren Einsetzen auf Grund gültiger gesetzlicher Bestimmungen oder Vereinbarungen hätten rechnen können.

II.

Die zugelassene Revision ist nicht begründet.

Nach § 5 Abs. 1 Nr 2 Buchst. a FRG - die Tatbestände der anderen Alternativen der Vorschrift treffen, was auch unter den Beteiligten nicht streitig ist, auf den Kläger offenkundig nicht zu - wird nach den für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden bundesrechtlichen Vorschriften ein Arbeitsunfall entschädigt, wenn der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war. Es kann dahinstehen, ob der Kläger den Tatbestand dieser Vorschrift etwa schon deswegen nicht erfüllt, weil im Geltungsbereich der polnischen Sozialversicherungsgesetze mit Einführung der Einheitsversicherung durch den Erlaß vom 25. Juni 1954 über die allgemeine Rentenversorgung der Beschäftigten und ihrer Familien in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1958 (abgedruckt in Legislative Series 1958 des Internationalen Arbeitsamts, Ausgabe in englischer Sprache, unter Pol. 1-B) die bisherige gesetzliche Unfallversicherung zu bestehen aufgehört hatte und fortan der Grundsatz der "einzigen Rente" galt (vgl. Brose, Kompaß 1969, 14, 19; zur Unanwendbarkeit des - den Grundsatz der einzigen Rente beibehaltenden - polnischen Gesetzes vom 23. Januar 1968 über Barleistungen bei Arbeitsunfall auf vor dem 1. Januar 1968 eingetretene Arbeitsunfälle vergleiche dessen § 27, abgedruckt in Legislative Series 1968, Pol. 1 B). Jedenfalls könnte dem Kläger, nachdem die durch seinen Arbeitsunfall vom Jahre 1951 entstandenen Verpflichtungen nicht nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze auf einen deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung übergegangen sind, nach § 5 Abs. 4 Satz 2 FRG eine Fremdrente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nur gewährt werden, wenn er zum Personenkreis des § 1 FRG gehörte. Das ist nicht der Fall.

Der Kläger ist als Vertriebener im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) nicht anerkannt (§ 1 Buchst. a FRG); er ist als deutscher Staatsangehöriger auch nicht heimatloser Ausländer (§ 1 Buchst. d FRG), und er ist auch nach dem 8. Mai 1945 nicht "zur Arbeitsleistung in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht" worden (§ 1 Buchst. c FRG). Hiernach könnte der Kläger allenfalls unter die Bestimmung des § 1 Buchst. b FRG fallen. Danach findet das FRG Anwendung ua auf Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn sie unabhängig von den Kriegseinwirkungen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des FRG genommen haben, "jedoch infolge der Kriegseinwirkungen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen können". An den letzteren Voraussetzungen fehlt es beim Kläger.

Die Unmöglichkeit, den früher für ihn zuständigen auswärtigen - polnischen - Versicherungsträger in Anspruch zu nehmen, kann für den Kläger allein in der Tatsache liegen, daß dieser Träger - wie der Kläger behauptet - die ihm aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 20. Februar 1951 bis zu seiner Umsiedlung im Jahre 1969 gewährte Rente nicht in die Bundesrepublik Deutschland zahlt. Indessen anerkennt das Gesetz die Unmöglichkeit, den Versicherungsträger eines auswärtigen Staates in Anspruch zu nehmen, nur unter einer bestimmten zeitlichen Abfolge der rechtserheblichen Umstände als Kriegsauswirkung: Der Versicherungsträger muß für den Antragsteller "früher", d.h. bevor der Krieg auf die Möglichkeit des Verletzten, den Träger in Anspruch zu nehmen, einwirken konnte, "zuständig" gewesen sein. Der ausländische Träger darf mithin nicht erst nach einer Zeit, zu der der Krieg seine sozialrentenrechtlich nachteiligen Wirkungen bereits entfaltet hatte, für den Antragsteller "zuständig" geworden sein. Da der Kläger erst Jahre nach Kriegsende - 1948 - in das polnisch verwaltete Oberschlesien übersiedelt ist und erst hierdurch eine ihn betreffende "Zuständigkeit" des polnischen Versicherungsträgers begründet hat, erfüllt er nicht den Tatbestand des § 1 Buchst. b FRG.

Demnach steht dem Kläger eine Fremdrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gegen die beklagte BG nicht zu. Die Revision des Klägers gegen das angefochtene Urteil, das die Versagung der Rente zu Recht gebilligt hat, war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 182

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