Leitsatz (amtlich)
Ein selbständiger Landwirt, der die Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte nach KVLG § 2 Abs 1 Nr 1 erfüllt, ist in entsprechender Anwendung des KVLG § 3 Nr 2 mit Inkrafttreten des KVLG auch dann in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig geworden, wenn er zu dieser Zeit nur deshalb nicht Mitglied der Krankenversicherung der Rentner war, weil er nach RVO § 311 aF wegen des Krankengeldbezuges Mitglied einer AOK war. Ein solcher Versicherter erhält, falls er zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KVLG die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten oder der knappschaftlichen Rentenversicherung erfüllt, auf Antrag von dem zuständigen Träger der Rentenversicherung einen Zuschuß zu seinem Beitrag nach KVLG § 95.
Leitsatz (redaktionell)
Zusammentreffen von RVO § 311 und KVLG § 47 Nr 1:
Die Mitgliedschaft nach RVO § 311 S 1 aF (RVO § 311 S 1 Nr 2 nF) ist gegenüber der Mitgliedschaft eines nach KVLG § 2 Abs 1 Nr 1 versicherungspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmers nachrangig.
Normenkette
KVLG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1972-08-10, § 3 Nr. 2 Fassung: 1972-08-10, § 95 Fassung: 1972-08-10; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1956-06-12, § 212 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 311 S. 1 Fassung: 1924-12-15, § 312 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 311 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1974-08-07
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Juni 1975 und des Sozialgerichts Landshut vom 16. Mai 1974 sowie der Bescheid der Beklagten vom 25. September 1973 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den Beitragszuschuß zur Krankenversicherung der Landwirte nach § 95 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte vom 10. August 1972 für die Zeit vom 1. Oktober 1972 an zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, zu dem Beitrag des Klägers zur Krankenversicherung der Landwirte (KVL) einen Zuschuß nach § 95 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) vom 10. August 1972 (BGBl I 1433) zu zahlen.
Der Kläger, der seit dem 1. Juli 1971 von der Beklagten die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit bezieht, war seit dem 22. März 1971 aufgrund des bis zum 13. Juli 1971 bestehenden abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) für die Kreise D, L und S pflichtversichert. Von dieser Krankenkasse erhielt er wegen bestehender Arbeitsunfähigkeit vom 2. Juni 1971 bis zum 2. November 1972 das Krankengeld.
Die landwirtschaftliche Krankenkasse (LKK) N teilte dem Kläger, der selbständiger Landwirt ist, mit Bescheid vom 1. Oktober 1972 die Aufnahme in das Mitgliederverzeichnis der LKK mit Wirkung vom 1. Oktober 1972 mit und setzte den Monatsbeitrag auf 87,- DM fest. Nachdem die Beklagte die LKK auf den Krankengeldbezug des Klägers von der AOK hingewiesen hatte, berichtigte die LKK in einer der Beklagten mitgeteilten Mitgliedschaftsbescheinigung den Beginn der Versicherungspflicht bei der LKK auf den 3. November 1972.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 25. Oktober 1972 auf einen Zuschuß zum Beitrag zur KVL mit Bescheid vom 25. September 1973 ab, weil die Pflichtversicherung des Klägers bei der LKK nicht schon mit Inkrafttreten des KVLG am 1. Oktober 1972, sondern erst nach Beendigung der Krankengeldzahlung am 3. November 1972 begonnen habe.
Klage und Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat angenommen, die Voraussetzungen des § 95 KVLG seien nicht erfüllt. Die Pflichtversicherung des Klägers in der KVL sei nicht schon mit Inkrafttreten des KVLG am 1. Oktober 1972, sondern erst am 3. November 1972 nach Beendigung des Krankengeldbezuges von der AOK eingetreten. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Pflichtmitgliedschaft bei der AOK nach § 311 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit Abschnitt I Nr. 6 a des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 erhalten geblieben. Die aufgrund des Krankengeldbezuges weiterbestehende Pflichtmitgliedschaft bei der AOK habe sowohl die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) als auch die Mitgliedschaft bei der LKK ausgeschlossen.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, er sei bereits mit Inkrafttreten des KVLG am 1. Oktober 1972 Mitglied der LKK geworden. Die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG sei nicht nach § 3 KVLG ausgeschlossen gewesen, denn das Weiterbestehen der Mitgliedschaft bei der AOK nach § 311 RVO aufgrund des Krankengeldbezuges bedeute nicht, daß er i. S. des § 3 KVLG für den Fall der Krankheit bei der AOK versicherungspflichtig gewesen sei. Die vom LSG vertretene Ansicht führe zu einem unbilligen und unsozialen Ergebnis. Wäre nämlich die Rente wegen Berufsunfähigkeit höher gewesen als das Krankengeld, so wäre die Mitgliedschaft bei der AOK nach § 183 Abs. 5 RVO sofort beendet worden und dem Zuschuß nach § 95 KVLG stände nichts im Wege. Nach der Ansicht des LSG bestehe also der Anspruch auf einen Zuschuß nach § 95 KVLG nur deshalb nicht, weil die Rente geringer als das Krankengeld gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger den Zuschuß nach § 95 KVLG ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat Erfolg. Das LSG hat zu Unrecht mit der Zurückweisung der Berufung das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) bestätigt. Der Kläger hat seit dem 1. Oktober 1972 einen Anspruch auf den begehrten Beitragszuschuß.
Die Voraussetzungen des § 95 KVLG sind erfüllt. Da der Kläger von der Beklagten bereits seit dem 1. Juli 1971 die Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit bezieht, hatte er bei Inkrafttreten des KVLG am 1. Oktober 1972 bereits die "Voraussetzungen zum Bezug einer Rente" im Sinne des § 95 KVLG erfüllt. Der Kläger ist an diesem Tage auch nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG versicherungspflichtig geworden, denn er war landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne dieser Vorschrift. Zwar ist nach § 3 KVLG grundsätzlich nicht nach diesem Gesetz versichert, wer nach anderen gesetzlichen Vorschriften für den Fall der Krankheit versicherungspflichtig ist. Von diesem Grundsatz der Subsidiarität bestehen allerdings nach Satz 2 aaO Ausnahmen. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt nach § 311 Satz 1 RVO aF pflichtversichert, doch liegt hier eine Ausnahme von der Subsidiarität der KVL vor. Der vorliegende Fall wird zwar nicht von dem Wortlaut einer der in dieser Vorschrift genannten Ausnahmen erfaßt, doch ist auf ihn der Ausnahmetatbestand des § 3 Nr. 2 aaO aus folgenden Erwägungen entsprechend anzuwenden: Grundsätzlich endet die nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO bestehende Versicherungspflicht mit der Aufgabe der versicherungspflichtigen Beschäftigung, im Falle des Klägers also am 14. Juli 1971. Wegen des Krankengeldbezuges blieb sie jedoch nach § 311 Satz 1 RVO aF erhalten und verdrängte nach § 165 Abs. 6 RVO die Mitgliedschaft in der KVdR, deren Voraussetzungen der Kläger an sich erfüllte (vgl. hierzu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil 2, 17. Aufl., Anm. 2 zu § 311 S. 17/1102 und Anm. 17 a) dd) zu § 165 S. 17/74 - 39). Die nach § 311 Satz 1 RVO aF fortbestehende Mitgliedschaft erlosch jedoch im vorliegenden Fall am 1. Oktober 1972 nach § 312 Abs. 1 RVO, weil der Kläger an diesem Tage nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG Mitglied der LKK wurde. Zwar erwähnt § 312 Abs. 1 RVO die Mitgliedschaft bei einer LKK nicht als Erlöschenstatbestand für die Mitgliedschaft bei einer AOK. Das ist aber nur darauf zurückzuführen, daß die Fassung des § 312 Abs. 1 RVO aus einer Zeit vor Inkrafttreten des KVLG stammt. Die besondere Erwähnung des Reichsknappschaftsvereins neben den Krankenkassen in § 312 Abs. 1 RVO zeigt jedoch, daß jede Mitgliedschaft bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur Vermeidung einer Doppelversicherung die frühere Mitgliedschaft erlöschen lassen sollte. Wenn das KVLG den § 312 Abs. 1 RVO nicht neu gefaßt hat, so liegt das daran, daß der Gesetzgeber wegen des in § 3 Satz 1 KVLG geregelten Vorrangs der Versicherungspflicht bei anderen Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung glaubte, auf die Erwähnung der landwirtschaftlichen Krankenkassen verzichten zu können. Die Ersetzung des Ausdrucks "Kasse" durch "Träger der Krankenversicherung" in § 212 RVO durch § 83 Nr. 3 KVLG zeigt deutlich, daß er die landwirtschaftlichen Krankenkassen nicht nur hinsichtlich des Leistungsbezuges, sondern auch hinsichtlich der Mitgliedschaft den RVO-Kassen gleichstellen wollte. Sowohl § 312 Abs. 1 RVO als auch § 3 KVLG dienen dem Ziel des Gesetzgebers, Doppelversicherungen zu verhindern. Obwohl § 3 Satz 1 KVLG grundsätzlich die Versicherungspflicht nach diesem Gesetz gegenüber der Versicherungspflicht nach anderen Gesetzen für subsidiär erklärt, zeigen die in § 3 Satz 2 KVLG aufgezählten Ausnahmen doch, daß die Versicherungspflicht nach dem KVLG je nach Interessenlage der Versicherungspflicht nach der RVO vorgehen kann. Der Gesetzgeber hat zwar die Ausnahmen von der Subsidiarität in § 3 Satz 2 KVLG enumerativ aufgezählt. Es fällt aber auf, daß diese Vorschrift - abgesehen von der Nr. 4 - nur die Versicherungspflicht nach § 165 RVO erwähnt. Die nach § 311 RVO fortbestehende Pflichtmitgliedschaft hat der Gesetzgeber des KVLG bei der Aufzählung der Ausnahmen von Subsidiarität offenbar nicht gesehen und daher unerwähnt gelassen. Zwar setzt die nach § 311 RVO fortbestehende Mitgliedschaft die nach § 165 RVO bestehende Versicherung fort. Gleichwohl ist der Versicherte während der Mitgliedschaft nach § 311 RVO nicht mehr versicherungspflichtig nach § 165 RVO. Hätte der Gesetzgeber bei der Aufzählung der Ausnahmen von der Subsidiarität in § 3 Satz 2 KVLG den Fall des § 311 RVO gesehen, so hätte er nach seiner gesamten Grundkonzeption den Fall in die Ausnahmen einbezogen und ausdrücklich geregelt, in dem die Mitgliedschaft in der KVdR trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO nach § 165 Abs. 6 RVO nur deshalb vorläufig nicht zustande kam, weil sie durch das Fortbestehen der Mitgliedschaft nach § 311 RVO verdrängt wurde. Wie aus § 165 Abs. 6 RVO und § 3 Satz 2 Nrn. 2-5 KVLG hervorgeht, wird die gesamte Krankenversicherung von dem Grundsatz beherrscht, daß die Versicherung bei aktiver Berufstätigkeit Vorrang vor anderen Tatbeständen der Versicherungspflicht hat (vgl. hierzu auch BT-Drucks. VI/3012, Begründung zu § 3 des Entwurfs des KVLG S. 27). Das Fortbestehen der Pflichtmitgliedschaft nach § 311 RVO will ebenso wie die KVdR den nicht mehr berufstätigen Bezieher einer Sozialleistung, der sonst keinen Krankenversicherungsschutz hätte, aus sozialen Gründen für die Dauer des Bezuges dieser Sozialleistung einen für ihn kostenlosen Versicherungsschutz gewähren. Dieser Versicherungsschutz kann seiner Natur nach gegenüber der mit einer Beitragspflicht des Versicherten verbundenen Versicherungspflicht aus aktiver Berufstätigkeit oder wegen der Unternehmereigenschaft stets nur subsidiär sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die KVdR nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO lediglich durch den vorläufigen Versicherungsschutz des § 311 RVO verdrängt worden ist. Tritt die kostenlose Versicherung nach § 311 RVO nur vorläufig an die Stelle der für den Versicherten ebenfalls kostenlosen KVdR, so ist nach dem aus § 3 Satz 2 Nr. 2 KVLG erkennbaren Willen des Gesetzgebers die mit der Beitragspflicht des Versicherten verbundene Versicherungspflicht nach dem KVLG vorrangig vor dem kostenfreien und vorläufigen Versicherungsschutz nach § 311 RVO. Ist die fortbestehende Mitgliedschaft nach § 311 RVO aber am 1. Oktober 1972 durch die Mitgliedschaft in der KVL nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG abgelöst worden, so steht dem Kläger von diesem Zeitpunkt an der Beitragszuschuß nach § 95 KVLG zu. Ob die LKK nach § 212 RVO auch die laufende Leistung zu übernehmen hatte, ist hier nicht zu entscheiden. Für den Anspruch des Klägers auf den Beitragszuschuß spricht auch der Sinn des § 95 KVLG. Die Vorschrift dient der Besitzstandswahrung. Der Versicherte, der bei Inkrafttreten des KVLG der KVdR angehörte und diesen für ihn kostenlosen Versicherungsschutz durch das KVLG verlor, sollte dafür in Form des Beitragszuschusses eine Entschädigung erhalten (vgl. BT-Drucks. VI/3012 Begründung zu § 79 des Entwurfs des KVLG S. 38). Der Kläger gehörte bei Inkrafttreten des KVLG zwar nicht der KVdR an. Das war jedoch nur deshalb nicht der Fall, weil er während der Dauer des Krankengeldbezuges aufgrund des § 311 RVO einen vorläufigen kostenfreien Versicherungsschutz hatte. Dieser kostenfreie Versicherungsschutz wäre nach Beendigung des Krankengeldbezuges in den für den Kläger ebenfalls kostenfreien Versicherungsschutz der KVdR übergegangen, wenn nicht § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG die Versicherungspflicht des Klägers nach diesem Gesetz begründet hätte. Der Kläger hat also durch das Inkrafttreten des KVLG ebenso wie die Mitglieder der KVdR einen dauernden kostenfreien Versicherungsschutz verloren, so daß er nach dem in § 95 KVLG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers dafür in Form des Beitragszuschusses zu entschädigen ist. Einer solchen Entschädigung mag es dann nicht bedürfen, wenn lediglich der vorläufige Versicherungsschutz nach § 311 RVO durch das KVLG verlorengegangen ist. Wäre aber - wie im vorliegenden Fall - der vorläufige Versicherungsschutz nach § 311 RVO ohne das KVLG in den dauernden Versicherungsschutz nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO übergegangen, so ist die Interessenlage nicht anders, als ob der Versicherte bei Inkrafttreten des KVLG bereits der KVdR angehörte.
Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers die Urteile der Vorinstanzen und den ablehnenden Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung des Beitragszuschusses verurteilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen