Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenbeihilfe. Berufsschadensausgleich. Vergleichsberechnung. Schadensermittlung bei Krankengeld

 

Orientierungssatz

1. § 48 Abs 1 BVG setzt nicht voraus, daß fünf Jahre lang Berufsschadensausgleich tatsächlich gezahlt worden ist. Es genügt, daß ein entsprechender Anspruch in der Vergangenheit bestanden hat. Es muß sich allerdings aufdrängen, daß alle tatsächlichen Voraussetzungen bereits mindestens insgesamt fünf Jahre lang vor dem Tod gegeben waren (vgl Urteile des Senats vom 27.1.1987 - 9a RV 6/86 und 9a RV 38/85 = SozR 3100 § 48 Nrn 15 und 16).

2. Die Rechtsvermutung des § 48 Abs 1 S 2 Halbs 1 BVG erstreckt sich auch auf eine Zeit vor dem Antrag, falls die beruflichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen Berufsschadensausgleich bereits zuvor klar erkennbar gegeben waren.

3. Der für den Berufsschadensausgleich maßgebliche Einkommensverlust in Form des Unterschiedsbetrages zwischen dem gegenwärtigen Bruttoeinkommen und dem höheren Vergleichseinkommen ist in der Zeit des Krankengeldbezuges nicht identisch mit dem Einkommensverlust ab Rentenbezug. Zeiten des Krankengeldbezuges bringen regelmäßig keine rechtlich relevante Änderung für den Berufsschadensausgleich gegenüber den Zeiten der davor liegenden Berufstätigkeit.

 

Normenkette

BVG § 48 Abs 1 S 1, § 48 Abs 1 S 2 Halbs 1, § 30 Abs 4; BSchAV § 9 Abs 4

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 02.09.1986; Aktenzeichen L 4 V 152/85)

SG Speyer (Entscheidung vom 07.11.1985; Aktenzeichen S 4 V 101/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Witwenbeihilfe nach dem am 21. April 1983 im Alter von 59 Jahren - nicht an Schädigungsfolgen - verstorbenen Ehemann der Klägerin, der als Beschädigter nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 vH Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bezogen hat. Ab 1. Juni 1978 erhielt er, der nach Auffassung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ab 5. Januar 1978 erwerbsunfähig war, auf seinen im Juni 1978 gestellten Antrag Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Auf den erst im November 1979 gestellten Antrag gewährte ihm der Beklagte Berufsschadensausgleich ab 1. November 1979 (Bescheid vom 24.Mai 1981).

Witwenbeihilfe wurde der Klägerin nicht gewährt, weil der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes nicht mindestens fünf Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich gehabt habe (Bescheid vom 14. Juni 1983 und Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1984). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 7. November 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und ebenso wie das SG dem Antrag auf Berufsschadensausgleich keine Bedeutung beigemessen. Es führt aus: Mit dem durch Krankheit verursachten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Januar 1978 habe der Verstorbene Krankengeld erhalten; damit sei bereits eine Erwerbsminderung und damit ein wirtschaftlicher Schaden eingetreten, weil die Erwerbsunfähigkeit schädigungsbedingt gewesen sei. Zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Witwenbeihilfe nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG brauche nicht Stellung genommen zu werden.

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er hält ohne Antragstellung einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich für ausgeschlossen. Tatsächlich habe der Verstorbene nur für drei Jahre und sechs Monate Berufsschadensausgleich bezogen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Dem hat sich die Beigeladene inhaltlich angeschlossen und in der Begründung ausgeführt, daß es zwar nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 27. Januar 1987 (SozR 3100 § 48 Nr 16) nicht auf die Antragstellung, jedoch darauf ankomme, daß in einem Zeitraum von mindestens fünf Jahren klar erkennbar die Voraussetzungen für den Berufsschadensausgleich erfüllt sein müssen. Daran fehle es hier, weil im Zeitraum von Januar bis Juni 1978 durch Lohn- und Gehaltsfortzahlung sowie durch Krankengeld nach § 9 Abs 1 Nr 1 und Abs 4 Berufsschadensausgleichsverordnung der Anspruch ausgeschlossen gewesen sei. Allein auf den Versicherungsfall dürfe man nicht abstellen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im übrigen hält sie auch die Berechnung des Beklagten im Hinblick auf den Minderverdienst in seiner Auswirkung auf die Schmälerung der Hinterbliebenenversorgung für fehlerhaft; der Anspruch der Klägerin sei auch nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG begründet.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Das LSG hat -ausgehend von seiner Rechtsauffassung - weder Feststellungen dazu getroffen, ob der Beschädigte im Zeitpunkt seines Todes mindestens fünf Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich wegen eines Einkommensverlustes iS des § 30 Abs 4 BVG hatte, noch dazu, ob die Hinterbliebenenversorgung nicht unerheblich beeinträchtigt sei. Es hat lediglich festgestellt, daß der Beschädigte mindestens fünf Jahre lang erwerbsunfähig war. Dies hat das LSG für ausreichend gehalten, um der Klägerin die Witwenbeihilfe zuzuerkennen. Damit hat das LSG den Anspruch nicht ausreichend geprüft.

Zu Recht geht das angefochtene Urteil davon aus, daß § 48 Abs 1 BVG (in den seit 1976 geltenden Fassungen vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 / 22. Juni 1976 - BGBl I 1633 / 10. August 1978 - BGBl I 1217 / 23. Juni 1986 - BGBl I 915) nicht voraussetzt, daß fünf Jahre lang Berufsschadensausgleich tatsächlich gezahlt worden ist. Es genügt, daß ein entsprechender Anspruch in der Vergangenheit bestanden hat. Es muß sich allerdings aufdrängen, daß alle tatsächlichen Voraussetzungen bereits mindestens insgesamt fünf Jahre lang vor dem Tod gegeben waren (Urteile des Senats vom 27. Januar 1987 - SozR 3100 § 48 Nrn 15 und 16). Dabei beruht § 48 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVG auf der unwiderlegbaren Rechtsvermutung, daß eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschädigten, die Berufsschadensausgleich auslöst, auch zu wirtschaftlichen Nachteilen in der Versorgung führt. Diese Rechtsvermutung erstreckt sich auch auf eine Zeit vor dem Antrag, falls die beruflichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen Berufsschadensausgleich bereits zuvor klar erkennbar gegeben waren. Das ist hier nicht der Fall. Die Voraussetzungen für den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 4 BVG sind vom Beklagten erst ab dem laufenden Bezug der Renten (Erwerbsunfähigkeits- und Betriebsrente) für den Beschädigten geprüft und bejaht worden, also erst ab dem 1. Juni 1978. Für die davor liegende Zeit ist nach den Feststellungen des LSG Krankengeld gezahlt worden. Für diese Zeit hätte das LSG den Berufsschadensausgleich selbst prüfen müssen. Es genügt nicht, nur allgemein einen wirtschaftlichen Schaden festzustellen, denn darauf stellt § 48 Abs 1 Satz 2 BVG nicht ab. Es müssen die Voraussetzungen des Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs 4 BVG gegeben gewesen sein.

Der für den Berufsschadensausgleich maßgebliche Einkommensverlust in Form des Unterschiedsbetrages zwischen dem gegenwärtigen Bruttoeinkommen und dem höheren Vergleichseinkommen ist in der Zeit des Krankengeldbezuges nicht identisch mit dem Einkommensverlust ab Rentenbezug. Zeiten des Krankengeldbezuges bringen regelmäßig keine rechtlich relevante Änderung für den Berufsschadensausgleich gegenüber den Zeiten der davor liegenden Berufstätigkeit, weil das Krankengeld nach § 182 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) 80 vH des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Arbeitsentgelts - begrenzt auf höchstens das entgangene Nettoarbeitsentgelt - beträgt. Nach der Berufsschadensausgleichsverordnung -BSchAV- (vom 29. Juni 1984 BGBl I 861) bleibt dann auch während des Krankengeldbezuges das alte Bruttoeinkommen maßgebliche Berechnungsgrundlage (§ 9 Abs 4). Die für den Berufsschadensausgleich maßgebliche wirtschaftliche Einbuße begann daher erst mit dem Rentenbezug. Beide Renten zusammen (EU-Rente in Höhe von 1.383,10 DM und Betriebsrente in Höhe von 555,-- DM) erreichten das frühere Einkommen nicht.

Dem angefochtenen Urteil ist somit nicht zu entnehmen, worin der Einkommensverlust in der Zeit des Krankengeldbezuges gesehen wird. Ungeachtet der insoweit fehlenden Begründung hat das LSG nur einen wirtschaftlichen Schaden und nicht - worauf § 48 Abs 1 Satz 2 BVG abstellt - den auszugleichenden Berufsschaden festgestellt, also den Einkommensverlust iS des § 30 Abs 4 BVG, der nur im Vergleichswege ermittelt werden kann. Dies kann der Senat aus den bindenden Feststellungen des LSG selbst nachholen. Wegen des Krankengeldbezuges (der Spitzbetrag verblieb beim Beschädigten) fehlt es an dem klar erkennbaren Anspruch auf Berufsschadensausgleich zwischen dem 1. Februar und dem 31. Mai 1978. Ein fünfjähriger Anspruch auf Berufsschadensausgleich ist nicht feststellbar.

Der Rechtsstreit ist jedoch an das LSG zurückzuverweisen, weil zu überprüfen sein wird, ob die Rente auf der Basis von § 48 Abs 1 Satz 1 BVG zugesprochen werden kann. Hierzu hat das LSG bisher keine Feststellungen getroffen und weder die Vergleichsberechnung des Beklagten noch die Probeberechnung der BfA darauf überprüft, ob die Versorgung der Klägerin schädigungsbedingt im gesetzlich vorgesehenen Umfang gemindert ist. Dabei wird das LSG auch den in der Revisionserwiderung enthaltenen Hinweisen nachgehen können und über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658034

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