Orientierungssatz
Bei der Berechnung des Krankengeldes ist die Leistungsbemessungsgrenze zugrunde zu legen, die bei Eintritt der AU in Kraft gewesen ist.
Das gilt auch, wenn infolge von Lohnfortzahlung die Zahlung des Krankengeldes erst einsetzt, nachdem eine neue Leistungsbemessungsgrenze wirksam geworden ist.
Inwieweit sich ein einmal festgestelltes Krankengeld bei längeren Bezugszeiten verändern kann, wird durch RVO § 182 Abs 8 abschließend geregelt (Anschluß an BSG 1977-07-13 3 RK 22/76 = BSGE 44, 130, BSG 1977-11-10 3 RK 82/75 = BSGE 45, 126).
Normenkette
RVO § 182 Abs. 4 Fassung: 1974-08-07, Abs. 8 Fassung: 1974-08-07, Abs. 9 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. September 1978 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 4. August 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berechnung des Krankengeldes.
Der Kläger, dessen Arbeitsverdienst die Jahresarbeitsverdienstgrenze überstieg, wurde am 30. November 1974 arbeitsunfähig und bezog nach dem Ende der Gehaltsfortzahlung ab 12. Januar 1975 Krankengeld. Bei dessen Berechnung legte die Beklagte den für 1974 geltenden Höchstregellohn von 62,50 DM (Leistungsbemessungsgrenze) zugrunde, so daß sich ein tägliches Krankengeld von 50,- DM ergab. Der Kläger beantragte, der Berechnung des Krankengeldes die für 1975 geltende Leistungsbemessungsgrenze zugrundezulegen und ihm ein tägliches Krankengeld von 56,- DM zu zahlen. Das lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 1975 ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 12. Januar bis 20. April 1975 ein kalendertägliches Krankengeld von 56,- DM zu zahlen. Es hat ausgeführt: Da die Krankengeldberechnung erst nach der ab 1. Januar 1975 wirksam gewordenen Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt sei, habe die Beklagte diese Erhöhung berücksichtigen müssen. Hierfür spreche insbesondere, daß das Krankengeld ausschließlich für die Zeit nach dieser Erhöhung zu berechnen gewesen sei. § 182 Abs 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO) besage nicht, daß eine nach dem Ende des Bemessungszeitraums eingetretene Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze nicht bei einem nach dem Eintritt der Erhöhung zu entscheidenden Krankengeldfall für die Zukunft berücksichtigt werden dürfe. Der Krankengeldbezieher komme zwar dadurch in den Genuß eines doppelten Vorteils. Dem stehe jedoch weder der Wortlaut des Gesetzes noch sein Sinn und Zweck entgegen.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt die Beklagte Verletzung materiellen Rechts. Sie meint, bei der Berechnung des Krankengeldes sei von dem Entgelt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Später eintretende Änderungen seien grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Der Regellohn werde aus dem im letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum erzielten Entgelt berechnet. Die in § 182 Abs 8 der RVO vorgesehene Dynamisierung des Krankengeldes begünstige alle Krankengeldbezieher gleichermaßen. Neben ihr sei kein Platz für eine Anhebung des Krankengeldes wegen Erhöhung der Leistungsbemessungsgrenze.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Krankengeld. Die Beklagte ist mit Recht davon ausgegangen, daß bei der Berechnung des ihm ab 12. Januar 1975 gewährten Krankengeldes die für das Jahr 1974 geltende Leistungsbemessungsgrenze zugrundezulegen ist; denn seine Arbeitsunfähigkeit war bereits am 30. November dieses Jahres eingetreten.
Nach § 182 Abs 4 Satz 1 RVO beträgt das - für den Kalendertag zu zahlende - Krankengeld 80 vH des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn). Die Berechnung des Regellohns richtet sich gemäß § 182 Abs 4 Satz 2 RVO nach den Absätzen 5, 6 und 9 dieser Vorschrift. Danach ist von dem Entgelt auszugehen, das der Versicherte während der letzten abgerechneten vier Wochen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder - falls das Entgelt monatlich bemessen wird - während des letzten vor diesem Zeitpunkt abgerechneten Kalendermonats erzielt hat (§ 182 Abs 5 Satz 1 und 3 RVO). Der Regellohn darf jedoch nur bis zur Höhe des Betrages berücksichtigt werden, der in § 180 Abs 1 Satz 3 RVO als Höchstgrenze bei der Grundlohnermittlung festgesetzt ist (§ 182 Abs 9 RVO). Es handelt sich insoweit um die mit der Beitragsbemessungsgrenze übereinstimmende Leistungsbemessungsgrenze (vgl das Urteil des Senats vom 13. Juli 1977, BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr 22). Diese liegt bei einem Dreihundertsechzigstel der nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstgrenze, die 75 vH der für Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Beitragsbemessungsgrenze ausmacht (§ 1385 Abs 2 RVO). Nach § 1255 Abs 2 RVO ist letztere an die allgemeine Bemessungsgrundlage in der Arbeiterrentenversicherung gekoppelt und deshalb jährlichen, jeweils zum 1. Januar wirksam werdenden Veränderungen unterworfen (vgl BSG aaO).
Wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 22. Juni 1979 - 3 RK 22/78 - zur Veröffentlichung vorgesehen), ist nach § 182 Abs 4 iVm Abs 5 und 9 RVO bei der Berechnung des Krankengeldes die Leistungsbemessungsgrenze zugrundezulegen, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in Kraft gewesen ist. Bei dieser Begrenzung handelt es sich um ein Element der Regellohnermittlung. Der Regellohn aber bemißt sich nach dem Entgelt, das der Versicherte zuletzt als Arbeitsfähiger erzielt hat. Das hat der Senat schon in seinem Urteil vom 10. November 1977 (BSGE 45, 126, 128 = SozR 2200 § 182 RVO Nr 26) ausgesprochen. Er hat ausgeführt, daß nicht der Termin des Zahlungsbeginns als "Eintritt der Leistungspflicht" bezeichnet werden kann, weil der Anspruch auf Krankengeld durch den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ausgelöst wird (§ 182 Abs 1 Nr 2 RVO). Dieser Zeitpunkt ist auch maßgebend für die zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs; denn die in § 183 Abs 2 Satz 1 RVO genannte Frist von drei Jahren rechnet vom Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit an. Diesen den Grund des Anspruchs betreffenden Vorschriften korrespondiert die Regelung der Anspruchshöhe durch § 182 Abs 5 RVO, bei der ebenfalls auf den Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt wird. Daraus erhellt, daß nach dem gesamten Regelungssystem der Anspruch auf Krankengeld maßgeblich beeinflußt wird durch den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, der als Anspruchsvoraussetzung für das Krankengeld weitgehend verselbständigt ist (BSGE 18, 122, 125). Dieser Zeitpunkt ist somit für die Leistungspflicht der Krankenkasse entscheidend. Das zeigt sich am deutlichsten daran, daß die Krankenkasse von diesem Zeitpunkt an Krankengeld gewähren muß, wenn der Versicherte nach § 1 Abs 1 Satz 2 oder Abs 2 oder nach § 5 des Lohnfortzahlungsgesetzes oder nach § 182 Abs 10 RVO vom Arbeitgeber keine Zahlungen erhält. Wenn auch der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht als eigenständiger Versicherungsfall anzusehen ist, so hat dieses Ereignis als wesentliche Voraussetzung für den Krankengeldanspruch doch eine so weittragende Bedeutung, daß es entscheidend für die Begründung und Bestimmung des Anspruchs ist. Der Senat ist in diesem Urteil deshalb zu dem Ergebnis gekommen, daß Lohnerhöhungen, die zwischen dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und dem Beginn der Krankengeldzahlung erfolgen, nicht auf dessen Berechnung wirken.
Hierfür spricht auch, daß zwischen dem maßgeblichen Arbeitsentgelt und dessen Begrenzung nach oben ein unmittelbarer Zusammenhang besteht; denn beide orientieren sich am jeweiligen Lohnniveau. Eine völlige Deckungsgleichheit läßt sich zwar nicht erzielen, weil der Bemessungszeitraum bei Leistungsfällen, die sich zu Jahresbeginn ereignen, noch in das Vorjahr fallen kann. Diese Divergenz in Einzelfällen, die sich aus der notwendigen Schematisierung normativer Regelungen ergibt, rechtfertigt jedoch nicht die Zugrundelegung eines Zeitpunktes, der unter Umständen lange nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit liegt. Auch der Grundsatz, daß das versicherungsrechtliche Risiko nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nach Eintritt des Versicherungs- oder Leistungsfalles zum Nachteil des Versicherungsträgers verschoben werden darf (vgl insoweit das Urteil des BSG vom 28.1.1965, BSGE 22, 236, 239), legt es nahe, die Entwicklung nach dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bei der Anwendung des § 182 Abs 4 iVm den Absätzen 5 und 9 RVO außer Betracht zu lassen. Das gilt um so mehr, als nunmehr durch den am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Absatz 8 des § 182 RVO sichergestellt wird, daß bei länger währenden Leistungsfällen eine Anpassung des Krankengeldes erfolgt, die sich an der Regelung des § 1272 RVO ausrichtet.
Inwieweit die Beitragsbemessungsgrenze auch noch bei der Anpassung des Krankengeldes ihre Bedeutung hat, ist im Urteil vom 13. Juli 1977 (BSG aaO) dargelegt worden. Daraus ergibt sich aber nicht, daß auch bei der Erstberechnung des Krankengeldes eine Leistungsbemessungsgrenze zugrundegelegt werden kann, die erst nach dem Eintritt des Leistungsfalles wirksam geworden ist. Denn es handelt sich bei der Anpassung um einen selbständigen Berechnungsschritt, der in die Verknüpfung der Absätze 5 und 9, die der § 182 Abs 4 Satz 2 RVO vornimmt, nicht mit einbezogen ist.
Die Beitragsbemessungsgrenze nach § 1385 Abs 2 RVO für das Jahr 1974, in dem die Arbeitsunfähigkeit des Klägers eingetreten ist, betrug 30.000,- DM (vgl Bekanntmachung des Bundesministers für Arbeit - BMA - vom 27. November 1973, Bundesanzeiger Nr 223 S. 1). 75 vH hiervon waren 22.500,- DM. Geteilt durch 360 ergab das einen Höchstregellohn je Kalendertag von 62,50 DM. 80 vH hiervon machen 50,- DM aus. Dieser Betrag ist dem Kläger ab 12. Januar 1975 täglich als Krankengeld gezahlt worden.
Nach alledem hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die Revision der Beklagten muß deshalb das angefochtene Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Klägers muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen