Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit der Lohngruppe III unter Tage der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 1954-09-01 ist der Hauertätigkeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig.
Normenkette
RKG § 35 Fassung: 1942-10-04
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der im Jahre 1910 geborene Kläger, der seit 1925 im Bergbau arbeitet, war von 1929 an im Gedinge tätig, 1935 bis Mai 1953 als Hauer; anschließend wurde er bis Ende Januar 1955 als Ausbauhelfer (Lohngruppe III unter Tage) und dann als Abnehmer (Lohngruppe IV unter Tage) beschäftigt; er bezieht seit September 1954 eine Rente von der Bergbau-Berufsgenossenschaft für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 40 v.H. infolge einer Silikoseerkrankung.
Die Beklagte gewährte dem Kläger auf seinen Antrag vom 30. November 1954 die Knappschaftsrente vom 1. Februar 1955 an, lehnte dagegen die Rentengewährung für die Zeit vom 1. Dezember 1954 bis zum 31. Januar 1955 ab; trotz Vorliegens der übrigen Voraussetzungen könne Berufsunfähigkeit nicht angenommen werden, da die Arbeiten der Lohngruppe III unter Tage während der Gültigkeit des Tarifvertrages vom 1. September 1954 als der Hauerarbeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen seien.
Das Sozialgericht (SG.) Düsseldorf verurteilte demgegenüber die Beklagte zur Zahlung der Knappschaftsrente bereits vom 1. Dezember 1954 ab; das Landessozialgericht (LSG.) wies die vom SG. zugelassene Berufung durch Urteil vom 13. Januar 1959 zurück.
Für den Kläger als früheren Hauer seien nur Arbeiten unter Tage sowie die Tätigkeiten des ersten Anschlägers und des Reservefördermaschinisten über Tage im wesentlichen gleichartig. Der Kläger könne jedoch wegen seiner Silikoseerkrankung höchstfalls Arbeiten der Lohngruppe III unter Tage und geringer entlohnte Tätigkeiten verrichten; ob er diese Arbeiten ohne gesundheitliche Schädigung tatsächlich noch verrichten könne, bedürfe jedoch keiner Entscheidung, da jene Arbeiten auch in der umstrittenen Zeit der Hauertätigkeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig gewesen seien.
Zwar habe sich nach der damals geltenden Tarifordnung, für sich allein betrachtet, der Unterschied zwischen dem tariflichen Hauer-Durchschnittslohn (408,75 DM) und dem Schichtlohn der Lohngruppe III unter Tage (332,50 DM) noch in zumutbaren Grenzen gehalten; ein Vergleich mit der Zeit vor dem 1. September 1954 wie mit der Zeit nach dem 1. April 1955 zeige jedoch, daß die Differenz beider Gruppen sonst stets erheblich größer gewesen sei.
Der Abfall habe betragen:
nach der Lohnordnung vom 1. Mai 1951 bei einem monatlichen Hauer-Durchschnittslohn von 389,25 DM rd. 24 % (93,25 DM),
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nach der Lohnordnung vom 1. April 1953 |
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bei 408,75 DM 22 - 23 % (92,- DM), |
nach der Lohnordnung vom 1. April 1955 |
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bei 454,25 DM rd. 21 % (95,25 DM), |
nach den Lohnordnungen vom 15. Februar 1956 und 1. Juli 1957 |
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bei 536,25 DM rd. 29 % (155,75 DM). |
Wenn daher für diese Zeiten vorher und nachher die wirtschaftliche Gleichwertigkeit verneint werden müsse, so genüge für die verhältnismäßig kurze Zeitspanne vom 1. September 1954 bis 31. März 1955 die Verschiebung des Verhältnisses beider Lohngruppen zueinander allein nicht, um während dieser Zeit die wirtschaftliche Gleichwertigkeit anzunehmen. Eine derartige Lohnschwankung sei nur zu berücksichtigen, wenn sie die Folge eines Wandels der wirtschaftlichen Bewertung der zu vergleichenden Tätigkeiten sei, im vorliegenden Falle erweise sich die Schwankung jedoch als rein vorübergehend und vermöge an dem im Grunde konstanten Verhältnis beider Gruppen, nach dem der Hauer stets erheblich mehr als ein Arbeiter der Lohngruppe III unter Tage verdiene, nichts zu ändern.
Im übrigen müsse eine Berücksichtigung jeder auch nur vorübergehenden Lohnschwankung zu einer außerordentlichen Erschwerung der praktischen Handhabung bei der Bearbeitung der Rentenfälle führen.
Schließlich müsse auch beachtet werden, daß der tatsächliche Hauer-Durchschnittslohn in der fraglichen Zeit je Schicht 2,20 DM mehr betragen habe als der Tariflohn, während der tatsächliche Lohn der Gruppe III unter Tage dem Tariflohn entsprochen habe; daraus sei zu entnehmen, daß auch in jener Zeit der Abfall zwischen beiden Lohngruppen sehr hoch geblieben sei.
Gegen das am 20. März 1959 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. April 1959 die von dem LSG. zugelassene Revision eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 12. Juni 1959 begründet.
Sie rügt unrichtige Anwendung des § 35 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) a.F.
Die Vermeidung eines Zufallsergebnisses, wie es der jeweilige Vergleich der Lohnrelation der Gruppen der Gedingearbeiter und Schichtlöhner mit sich bringe, sei nur möglich, wenn der Betrachtung ein in der Vergangenheit liegender längerer Zeitraum von mindestens fünf Jahren zugrunde gelegt würde; seit 1945 sei die Lohnrelation niemals von Dauer gewesen; man könne daher nicht von konstanten Verhältnissen sprechen. Eine Einbeziehung der nach Eintritt des Versicherungsfalles liegenden Zeiten sei dem Versicherungsträger nicht möglich. Lasse sich demnach auf diesem Wege kein zutreffendes Ergebnis finden, so bliebe für die Beurteilung nur maßgeblich die jeweils tatsächlich tariflich festgesetzten Löhne.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG. Nordrhein-Westfalen vom 13. Januar 1959 und das Urteil des SG. Düsseldorf vom 11. Juli 1956 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt demgegenüber
kostenpflichtige Zurückweisung der Revision.
Wenn auch im allgemeinen der jeweils geltende Tarifvertrag der Beurteilung der Frage der Gleichwertigkeit zugrunde zu legen sei, so könne dies doch dann nicht gelten, wenn sich dadurch vor vorübergehend für einen kurzen Zeitraum eine andere Relation ergeben habe, da sich dadurch der Lebensstandard des Versicherten nicht entscheidend ändere. Die Beklagte selbst habe dies im übrigen dadurch anerkannt, daß sie Ausbauhelfern, die damals bereits eine Knappschaftsrente bezogen, diese auch für die Zeit vom 1. September 1954 bis 31. März 1955 belassen habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist vom LSG. zugelassen und daher statthaft.
Sachlich ist die Revision nicht begründet.
Die Berufung war, obwohl das Urteil des SG. nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betraf, durch Zulassung statthaft.
Für die Beurteilung des Falles sind die vom alten Recht geforderten Voraussetzungen zugrunde zu legen. Mit dem angefochtenen Urteil ist bei dem Kläger von der Hauertätigkeit auszugehen, die er - was auch von keiner Seite bestritten wird - wegen seiner Staublungenerkrankung nach den getroffenen Feststellungen nicht mehr verrichten kann.
Von allen Arbeiten, die der Kläger sonst noch zu verrichten in der Lage ist, kommen bereits mit Rücksicht auf das Erfordernis der Gleichartigkeit nur Tätigkeiten unter Tage sowie die Tätigkeiten des 1. Anschlägers und des Reservefördermaschinisten über Tage in Frage. Von diesen Tätigkeiten könnte der Kläger, wie das LSG. insoweit unangefochten festgestellt hat, aus gesundheitlichen Gründen höchstens Arbeiten der Lohngruppe III unter Tage sowie noch geringer bezahlte Tätigkeiten verrichten. Ob und welche Arbeiten der gedachten Lohngruppen unter Tage der Kläger ohne gesundheitlichen Schaden noch verrichten könnte, hat das LSG. im einzelnen nicht nachgeprüft und festgestellt, da es bereits die von diesen Lohngruppen verhältnismäßig am höchsten entlohnten Arbeiten der Lohngruppe III unter Tage nicht als der Hauertätigkeit gegenüber im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig ansieht und schon deshalb die Verweisbarkeit des Klägers auf diese Arbeiten verneint.
Die gegen diese Rechtsauffassung gerichteten Angriffe der Revision halten einer Nachprüfung nicht stand.
Mit dem LSG. ist, wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (BSG. 3, 177; 5, 84), anzunehmen, daß bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit sowohl für die bisher ausgeübte Tätigkeit wie auch für die Tätigkeiten, auf die der Rentenbewerber möglicherweise verwiesen werden soll, von den Löhnen auszugehen ist, die durch die Lohnordnung festgelegt sind. An dieser Auffassung hält der erkennende Senat auch für den Fall fest, daß als bisher verrichtete Tätigkeit die Arbeit eines Gedingearbeiters in Frage kommt, da die Differenz wischen den tatsächlich gezahlten und den tariflichen (Hauerdurchschnitts-) Löhnen sich vorläufig noch in einem Rahmen bewegt hat, der insgesamt betrachtet nicht als unverhältnismäßige Abweichung anzusehen ist (BSG. 3, 179).
Auf der anderen Seite teilt der Senat jedoch die Auffassung des LSG., daß nicht in jedem Fall einzig die jeweils geltende Lohnordnung dem Vergleich zugrunde zu legen ist. Das Gesetz stellt es ausdrücklich ab auf die wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Tätigkeit, nicht aber auf die Gleichwertigkeit des Arbeitseinkommens. Wenn daher auch das mit einer Tätigkeit zu erzielende Einkommen bei diesem Vergleich grundsätzlich ausschlaggebend sein wird, so folgt doch daraus, daß die Tätigkeiten selbst auf ihre Gleichwertigkeit zu prüfen sind, daß es nicht angängig erscheint, ein und dieselbe Tätigkeit bei einem geringen Schwanken des Verhältnisses der Löhne abwechselnd in kurzer Zeit als gleichwertig und als ungleichwertig im Vergleich zu einer anderen Arbeit anzusehen.
Bei kurzfristig aufeinanderfolgenden und in ihrer Bewertung scheinbar wechselnden Tarifverträgen wird daher ein über die Gültigkeitsdauer des im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles gerade geltenden Tarifvertrags hinausgehender Zeitabschnitt zu betrachten sein. Entscheidend muß in solchen Fällen sein, ob es sich bei einer zeitweise stärkeren Annäherung der zu vergleichenden Tariflöhne aneinander um eine bewußte, auf einem Wandel der allgemeinen Bewertung der in Frage kommenden Tätigkeiten beruhende, für die Dauer oder doch für längere Zeiträume geltende Änderung der Lohnrelation oder um mehr zufällige oder allenfalls von nur kurzfristig bedeutsamen Gründen bestimmte Lohnverschiebungen gehandelt hat. Hieraus ergibt sich, daß bei einer derartigen Betrachtung nicht allein die tarifliche Lohnentwicklung in den dem Versicherungsfall vorhergehenden Zeit eine Rolle spielt, sondern daß gerade die Einbeziehung der auf die zu beurteilende Lohnordnung folgenden Änderungen im tariflichen Gefüge stets überaus bedeutsam und häufig entscheidend sein wird und deshalb bei einer rückbetrachtenden Beurteilung durch die Gerichte in derartigen Fällen stets die etwa inzwischen vereinbarten späteren Lohnordnungen berücksichtigt werden müssen. Daran ändert es nichts, daß für die Versicherungsträger selbst zur Zeit ihrer ersten Entscheidung einer derartigen Frage möglicherweise infolge Unkenntnis der zukünftigen Entwicklung gewisse Schwierigkeiten auftreten können. Betrachtet man unter den angegebenen Gesichtspunkten das Verhältnis des tariflichen Hauerdurchschnittslohnes zu dem des tariflichen Lohnes der Lohngruppe III unter Tage, so ergibt sich für den betrachteten Zeitraum von weit über fünf Jahren eine stets recht erhebliche Differenz zwischen beiden Löhnen, die fast immer 20 v.H. weit übersteigt und als Ausdruck einer durchaus konstanten, mindestens gleichbleibenden und deutlichen wirtschaftlichen Höherbewertung der Hauertätigkeit angesehen werden kann, so daß von einer im wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der Arbeiten der Lohngruppe III unter Tage nicht gesprochen werden kann. Wenn diese im großen und wesentlichen durchaus einheitliche Bewertung kurzfristig durch die nur ein halbes Jahr gültige Lohnordnung vom 1. September 1954 in der Richtung einer Verkleinerung des Abstandes beider Löhne bis auf rd. 16 v.H. unterbrochen wird, so kann darin äußerstenfalls ein alsbald wieder aufgegebener und daher mißlungener und für die Gesamtbetrachtung unwesentlicher Versuch erblickt werden, einen Bewertungswandel herbeizuführen. Ist aber, wie die weitere Entwicklung ganz eindeutig zeigt, die in der Lohnordnung vom 1. September 1954 versuchte andere Bewertungsrelation bereits nach derartig kurzer Frist gescheitert, so zeigt dies, daß ihr eben kein allgemeiner bewußter Bewertungswandel zugrunde lag, der zu einer anderen Beurteilung der Frage der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit für jenes halbe Jahr Anlaß geben könnte.
Das Urteil des LSG. erweist sich somit im Ergebnis als zutreffend, so daß die Revision zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen