Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers bei Überleitung gemäß § 90 BSHG. Auswirkung bei Überleitung auf Stammrecht
Orientierungssatz
1. Hat der Sozialhilfeträger einen etwaigen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auf sich übergeleitet, ist er zu dem Rechtsstreit notwendig beizuladen, in dem sich der Arbeitslose gegen die Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung wendet.
2. Der Übergang eines Anspruchs des Sozialhilfeempfängers auf den Träger der Sozialhilfe erstreckt sich bei Unterhaltsansprüchen und ähnlichen künftig entstehenden Ansprüchen nicht auf das "Stammrecht"; dieses verbleibt vielmehr dem Hilfebedürftigen, so daß der Drittschuldner nicht gehindert ist, seinen Verpflichtungen in Zukunft unmittelbar gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen, und insoweit die Sozialhilfe entbehrlich machen kann (vgl Urteile des Senats vom 1981-05-13 7 RAr 102/79 und vom 1981-07-21 7 RAr 26/80).
3. Rechtsform, Aussage und Wirkung der Überleitungsanzeige.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90 Abs 1 S 1; BSHG § 90 Abs 2 Halbs 1; AFG § 151 Abs 1 Fassung: 1969-06-25
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 22.05.1980; Aktenzeichen L 9 Al 119/78) |
SG München (Entscheidung vom 23.03.1978; Aktenzeichen S 33 Al 1367/76) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Die Beklagte hatte dem Kläger auf seinen Antrag vom 1. August 1975 Alhi von diesem Tage an bewilligt. Sie ging dabei davon aus, daß der Kläger ein zuletzt vom Sommersemester 1968 bis Wintersemester 1974/75 an der Universität München absolviertes Studium endgültig aufgegeben hatte (§ 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG- idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AFG vom 19. Mai 1972 - BGBl I 791 - iVm § 2 Nr 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 7. August 1974 - BGBl I 1929 - AlhiVO -).
Mit Wirkung ab 1. Juli 1976 hob die Beklagte diese Alhi-Bewilligung rückwirkend auf; von der Rückforderung der dem Kläger darüber hinaus bis 4. Oktober 1976 bereits ausbezahlten Alhi sah sie ab (Bescheid vom 3. November 1976; Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1976). Die Beklagte stützte sich insoweit auf die Neufassung des § 134 AFG durch das ab 1. Januar 1976 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113). Sie sah die Voraussetzung der Neuregelung in § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG beim Kläger nicht als gegeben an, wonach ua Anspruch auf Alhi im Anschluß an ein endgültig aufgegebenes Studium nur besteht, wenn der Antragsteller im letzten Jahr vor Beginn des Studium mindestens 26 Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden hat. Die Beseitigung der früheren Alhi-Bewilligung erst ab 1. Juli 1976 stützte die Beklagte auf Art 1 § 2 Nr 11 HStruktG-AFG, wonach Alhi bis zum Ablauf eines halben Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes an solche Arbeitslose weiterzugewähren ist, die vor Inkrafttreten des Gesetzes die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alhi nach § 2 Nr 1 oder 2 AlhiVO erfüllt haben, ohne die Voraussetzungen nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG idF des HStruktG-AFG zu erfüllen.
Der Kläger erhielt seit 10. November 1976 vom Sozialamt der Stadt M Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Durch Schreiben vom 10. November 1976, 29. November 1976, 3. Januar 1977, 31. Januar 1977 und 9. August 1978 zeigte das Sozialamt dem Arbeitsamt M die Leistungsgewährung an den Kläger an und leitete dessen Ansprüche auf Alhi gemäß § 90 BSHG auf sich über. Im Schreiben vom 9. August 1978 faßte es dabei (nochmals) die Gesamtleistungszeit vom 10. November 1976 bis 31. August 1978 zusammen (Gesamtbetrag: 5.559,-- DM). In einem Schreiben vom 30. Dezember 1977 hatte das Sozialamt dem Arbeitsamt darüber hinaus mitgeteilt, der Kläger habe wegen des Bezugs von Sozialhilfe einen eventuellen Anspruch auf Alhi bis zur Höhe der Leistungen des Sozialamtes an dieses abgetreten. Das Arbeitsamt erstattete Sozialhilfe für die Zeit vom 10. August 1978 bis 31. August 1978 in Höhe von 203,50 DM (Verfügung vom 12. September 1978).
Gegen die Aufhebung der Bewilligung von Alhi ab 1. Juli 1976 hat der Kläger am 16. Dezember 1976 Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) München hat den angefochtenen Aufhebungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alhi auch über den 4. Oktober 1976 hinaus zu gewähren (Urteil vom 23. März 1978). Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 22. Mai 1980). Zur Begründung hat das LSG im Ergebnis ausgeführt: Die Beklagte habe die frühere Alhi-Bewilligung zu Recht gemäß § 151 Abs 1 AFG aufgehoben, da der Kläger nicht die Voraussetzungen von § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG idF des HStruktG-AFG erfülle. In dem vor Beginn seines Studiums ab Sommersemester 1968 maßgeblichen Jahr - April 1967 bis April 1968 - habe der Kläger keine 26 Wochen entlohnter Beschäftigung iS dieser Vorschrift ausgeübt. Seinen für diese Zeit nachgewiesenen Tätigkeiten für die Volkshochschule M, für die Ackermanngemeinde eV und das Collegium Carolinum eV fehlten nämlich alle für eine abhängige Beschäftigung erforderlichen Merkmale. Er habe jeweils nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden, sondern habe nur Bezahlung für das Ergebnis seiner Tätigkeiten erhalten. Im übrigen seien diese Tätigkeiten auch geringfügig iS des damals geltenden § 66 Abs 2 Nr 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) gewesen, da sie nach jeder denkbaren Berechnungsart weniger als 25 Stunden wöchentlich betragen hätten.
Der Alhi-Anspruch des Klägers gründe sich auch nicht auf § 1 Nr 3 AlhiVO iVm § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG. Danach könne an die Stelle einer fehlenden entlohnten Beschäftigung auch die endgültige Aufgabe einer hauptberuflich ausgeübten Tätigkeit als Selbständiger treten, um einen Anspruch auf Alhi zu begründen, und diese Regelung gelte auch nach Inkrafttreten des HStruktG-AFG weiter. Die ua Tätigkeiten von April 1967 bis April 1968 seien vom Kläger jedoch ungeachtet ihres selbständigen Charakters nicht hauptberuflich ausgeübt worden. Er habe damit nämlich nicht seine Lebensgrundlage durch Ausübung einer auf Dauer ausgerichteten selbständigen Tätigkeit suchen wollen; vielmehr seien sie erkennbar darauf abgestellt gewesen, bei sich bietender Gelegenheit das frühere Studium fortsetzen zu können, so daß nicht der Eintritt in das Erwerbsleben im Vordergrund gestanden habe.
Ob der Kläger schließlich aus einer Tätigkeit als Lehrer in der Zeit vom 10. Oktober 1977 bis 12. Juli 1978 einen Anspruch auf Alhi erworben habe, sei nicht zu entscheiden, da es sich insoweit um einen neuen Leistungsfall handele, der erneute Antragstellung und Arbeitslosmeldung voraussetze.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG idF des HStruktG-AFG. Er macht mit näherer Begründung in erster Linie geltend, daß er 1967/68 bei der Volkshochschule M, bei der Ackermanngemeinde und beim Collegium Carolinum hauptberuflich Tätigkeiten als Selbständiger iS des § 1 Nr 3 AlhiVO ausgeübt und diese mit Beginn seines Studiums im Sommersemester 1968 endgültig aufgegeben habe. Auf die Höhe des daraus erzielten Einkommens könne es insoweit nicht ankommen. Diese Tätigkeiten hätten jedenfalls die Existenzgrundlage für den Kläger gebildet. Lediglich vorsorglich trägt er darüber hinaus vor, daß diese Tätigkeiten auch als mehr als geringfügige entlohnte Beschäftigungen iS des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG idF des HStruktG-AFG angesehen werden könnten. Er verweist insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den sogenannten freien Mitarbeitern bei Rundfunkanstalten. Wegen des Umfangs der Tätigkeiten habe das LSG die Einbeziehung von Vor- und Nacharbeitszeiten unterlassen und im übrigen nicht § 66 AVAVG, sondern § 102 AFG anwenden müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 22. Mai 1980 aufzuheben, die Berufung der
Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
München vom 23. März 1978 zurückzuweisen und
der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung des Berufungsgerichts Stellung zu nehmen vermag.
Bei einer zugelassenen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Der Kläger hat mit seiner Revision zwar wirksam keinen Verfahrensmangel gerügt, das Revisionsgericht hat jedoch solche Mängel, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, von Amts wegen zu berücksichtigen. Zu diesen von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (seit BSG SozR 1500 § 75 Nr 1 ständige Rechtsprechung; Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- Buchholz 310 § 65 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- Nr 31). SG und LSG ist entgangen, daß an dem Rechtsstreit ein Sozialhilfeträger derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann und der Sozialhilfeträger deshalb gemäß § 75 Abs 2 SGG insoweit notwendig zum Rechtsstreit beizuladen ist. Die Alhi wurde durch den angefochtenen Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 1976 (§ 95 SGG) rückwirkend ab 1. Juli 1976 aufgehoben. Das Sozialamt der Stadt M hat dem Kläger ab 10. November 1976 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG geleistet, dies dem Arbeitsamt angezeigt und insoweit mehrfach einen Anspruchsübergang gemäß § 90 BSHG geltend gemacht (Schreiben vom 10. November 1976, 29. November 1976, 3. Januar 1977, 31. Januar 1977 und 9. August 1978).
Mit der schriftlichen Anzeige an den Drittschuldner bewirkt der Träger der Sozialhilfe, daß ein Anspruch des Hilfeempfängers bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn für die Zeit übergeht, für die dem Hilfeempfänger die Hilfe ohne Unterbrechung gewährt wird (§ 90 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BSHG). Der Übergang erstreckt sich bei Unterhaltsansprüchen und ähnlichen künftig entstehenden Ansprüchen nicht auf das "Stammrecht"; dieses verbleibt vielmehr dem Hilfebedürftigen, so daß der Drittschuldner nicht gehindert ist, seinen Verpflichtungen in Zukunft unmittelbar gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen, und insoweit die Sozialhilfe entbehrlich machen kann (BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200; 50, 64, 66; Urteile des Senats vom 13. Mai 1981 - 7 RAr 102/79 - und vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 26/80 -). Die schriftliche Anzeige ist ein Verwaltungsakt, der mit unmittelbarer Rechtswirkung zum Anspruchsübergang führt, sofern er nicht nichtig ist (BVerwG Buchholz 454.71 § 3 II. WoGG Nr 1). Die Überleitung sagt nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel; der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert, dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger (BVerwGE 34, 219; BSGE 41, 237, 238 = SozR 5910 § 90 Nr 2). Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt (BSG aaO); hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht (BSG aaO; SozR Nr 36 zu § 148 SGG; vgl ferner SozR Nr 18, 19, 20 und 27 zu § 146 SGG).
Die im vorliegenden Falle von der Beklagten ausgesprochene Aufhebung der bisherigen Alhi-Bewilligung wirkt sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft; denn sie ist mit dem Verlust der erworbenen Anwartschaft auf Arbeitslosenhilfe verbunden, solange nicht eine neue Anwartschaft erworben wird. Sie betrifft mithin den Alhi-Anspruch auch insoweit, als ihn der Träger der Sozialhilfe auf sich übergeleitet hat; die Aufhebung der Alhi-Bewilligung sollte der Weitergewährung der Alhi, dh auch zukünftigen Leistungen den Boden entziehen. Sie erfaßt somit auch den Zeitraum, für den der Sozialhilfeträger, nämlich ab 10. November 1976, mit Hilfeleistungen eintrat. Deren Gewährung wurde gerade durch die Verweigerung weiterer Alhi-Leistungen ausgelöst. Damit greift jegliche gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Anfechtung des Aufhebungsbescheides vom 3. November 1976 idG des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 1976 in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Ist der Träger der Sozialhilfe mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens des Klägers eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch dem Träger der Sozialhilfe gegenüber nur einheitlich ergehen kann, muß dieser zu dem Rechtsstreit beigeladen werden (vgl Urteil des Senats vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 26/80 -), wie umgekehrt der Hilfeempfänger, dem trotz der Überleitung das "Stammrecht" verblieben ist, zu dem Rechtsstreit des Sozialhilfeträgers beizuladen ist, in dem dieser den übergeleiteten Anspruch vor dem SG geltend macht (vgl Urteil des Senats vom 13. Mai 1981 - 7 RAr 102/79 -).
Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten der Alhi unzulässig sind (§ 168 SGG), führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung des LSG Stellung zu nehmen vermag (ständige Rechtsprechung seit BSG vom 12. März 1974 - 2 S 1/74 = SozR 1500 § 75 Nr 1; vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 4, 7, 8, 10, 12, 13, 15, 20, 21, 29).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen