Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsnachentrichtung. Bereiterklärung. angemessene Frist. Herstellungsanspruch
Orientierungssatz
1. Eine Bereiterklärung iS von § 141 Abs 2 AVG (§ 1419 Abs 2 RVO) setzt auch im Rahmen einer Nachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG (Art 2 § 51a ArVNG) die Bekundung des Willens voraus, konkret bestimmbare Beiträge nachzuentrichten (vgl BSG vom 1979-09-13 12 RK 47/78 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 29). Ein nur dem Grunde nach gestellter Nachentrichtungsantrag enthält jedoch keinen Anhalt, in welcher Zahl, in welcher Höhe und für welche Zeiten Beiträge nachentrichtet werden sollen.
2. Ein Herstellungsanspruch ergibt sich nicht aus einer Verletzung der allgemeinen Pflicht des Versicherungsträgers zur Förderung des Verfahrens. Diese allgemeine Pflicht ist dem Versicherten gegenüber lediglich eine Obliegenheit, deren Verletzung zwar zur Folge hat, daß der Versicherungsträger bestimmte Rechte nicht geltend machen kann, also zB nicht den Versicherten wegen einer Verzögerung der Konkretisierung von der Nachentrichtung ausschließen kann. Auf die Voraussetzung einer Bereiterklärung hat das Verhalten des Versicherungsträgers indes keinen Einfluß, weil es sich hier um Anforderungen an den Versicherten handelt, die weitgehend unabhängig von dem Verhalten des Versicherungsträgers bestehen.
3. Die angemessene Frist beginnt in Fällen, in denen der Gesetzgeber ein förmliches Nachentrichtungsverfahren vorsieht, erst mit der Erteilung des Nachentrichtungsbescheides. Durch das förmliche Nachentrichtungsverfahren wird indes eine ausreichende Bereiterklärung zur Nachentrichtung konkret bestimmbarer Beiträge vor dem Tode des Versicherten nicht entbehrlich.
Normenkette
AnVNG Art 2 § 49a Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Fassung: 1972-10-16; AVG § 140 Abs 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1418 Abs 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 141 Abs 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1419 Abs 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 141 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1419 Abs 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.06.1980; Aktenzeichen L 6 An 2280/79) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 13.11.1979; Aktenzeichen S 5 An 1963/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob nach dem Tode des Versicherten, Rechtsanwalt Karl G., von dessen Witwe, der Klägerin, noch Beiträge nachentrichtet werden können, obwohl der Versicherte seinen fristgerecht gestellten Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nicht innerhalb der 1 1/2 Jahre bis zu seinem Tode konkretisiert hatte.
Der Versicherte hatte bei der Beklagten im Dezember 1975 formlos einen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG gestellt. Am 28. Juni 1977 ist er verstorben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er den ihm übersandten Antragsvordruck nicht ausgefüllt und den Antrag auch nicht in sonstiger Weise konkretisiert oder sich um den Fortgang des Verfahrens gekümmert. Die Beklagte ist ebenfalls während dieses Zeitraums nicht tätig geworden und hat den Versicherten nicht zur Konkretisierung aufgefordert. Die Konkretisierung erfolgte erst im September 1978 durch einen Antrag der Klägerin. Sie begehrt Nachentrichtung von Beiträgen für die nicht mit Beiträgen belegten Zeiten von Oktober 1956 bis März 1962. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 2. November 1978) mit der Begründung, daß der formlos gestellte Antrag nicht bis 31. Dezember 1976 konkretisiert worden sei. Gleichzeitig lehnte es die Beklagte ab, die Nachentrichtung von Beiträgen für eine vom Versicherten im streitigen Zeitraum möglicherweise ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit zuzulassen, da kein besonderer Härtefall iS des § 140 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vorliege. Der Versicherte habe sich weder um die Ausstellung einer Versicherungskarte bemüht, noch habe er während der Beschäftigung Anfragen an die Beklagte oder die Einzugsstelle gerichtet.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1979; Urteil des Sozialgerichts -SG- Mannheim vom 13. November 1979; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Baden-Württemberg vom 24. Juni 1980). Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß keine Befugnis zur Beitragsnachentrichtung bestehe, weil § 141 AVG, der auch für die Nachentrichtung von Beiträgen nach dem AnVNG gelte, dies ausschließe. Selbst wenn man davon ausgehe, daß in der Antragstellung vom Dezember 1975 eine Bereiterklärung iS von § 141 Abs 2 AVG liege, so sei doch die Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge nicht in angemessener Frist vorgenommen worden, wie es diese Vorschrift voraussetze. Die Zeit von über 1 1/2 Jahren könne nicht als angemessene Frist angesehen werden. Angemessen sei hier nicht etwa die Teilzahlungsfrist von fünf Jahren. Diese Frist diene anderen Zwecken und könne nur unter besonderen, hier nicht gegebenen, Voraussetzungen im Rahmen von § 141 Abs 2 AVG wirksam werden. Unzureichende Beratung durch die Beklagte sei auch nicht festzustellen. Die Voraussetzungen zur Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen wegen Vorliegens eines Härtefalles nach § 140 Abs 3 AVG seien ebenfalls nicht erfüllt, weil der Versicherte nicht die nach den Umständen gebotene Sorgfalt in seinen Versicherungsangelegenheiten habe walten lassen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, es sei Sache der Beklagten gewesen, den Versicherten darauf hinzuweisen, daß seine Bereiterklärung nur dann günstige rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne, wenn alsbald Beitragszahlungen geleistet würden. Im übrigen sei zu bedenken, daß Beitragszahlungen überhaupt erst in Betracht gekommen seien, nachdem ein Beitragsbescheid ergangen sei. Wenn der Gesetzgeber ein förmliches Verfahren vorsehe, so sei eine Beitragszahlung jedenfalls vor Erteilung des erforderlichen Bescheides nicht vorzunehmen und eine etwaige Frist allenfalls vom Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides an zu bemessen. Eine solche Betrachtung sei auch deshalb geboten, weil der mit dem Sozialrecht nicht vertraute Bürger zunächst einmal einer eingehenden Beratung bedürfe. Das Merkblatt reiche nicht aus, den Versicherten in die Lage zu versetzen, von sich aus zu beurteilen, welche Beiträge nachentrichtet werden könnten und in welcher Höhe. Wenn mithin der Beklagten vorzuwerfen sei, den Versicherten in der Zeit zwischen Stellung des formlosen Antrags und seinem Tode nicht hinreichend angeleitet zu haben, so gehe das Risiko zu Lasten der Beklagten. Auch hinsichtlich der Zulassung einer Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen nach § 140 Abs 3 AVG macht die Klägerin geltend, daß die Beklagte den Versicherten unzureichend beraten und es versäumt habe, diesen Umstand in ihre Ermessensüberlegungen einzubeziehen.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. November 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1979 zu verpflichten, die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit von Oktober 1956 bis März 1962 zuzulassen, hilfsweise, die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für diesen Zeitraum neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie weist darauf hin, daß sie in der Verwaltungspraxis zwar auch formlose Anträge als Bereiterklärung iS von § 141 Abs 2 AVG angesehen habe, dies jedoch nur dann, wenn die Anträge innerhalb angemessener Frist konkretisiert worden seien. Ferner teilt die Beklagte die Auffassung der Klägerin, daß die Frist für die tatsächliche Entrichtung der Beiträge in Fällen des Art 2 § 49a AnVNG erst ab Erteilung des Nachentrichtungsbescheides laufe. Diese Frage sei hier aber nicht zu entscheiden, weil es schon an der konkretisierten Bereiterklärung fehle. Im übrigen beruft sie sich im wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Klägerin ist allerdings insoweit Recht zu geben, als die Nachentrichtung nicht allein deswegen versagt werden durfte, weil der fristgerecht, aber nur dem Grunde nach gestellte formlose Antrag vom Dezember 1975 nicht bis 31. Dezember 1976 konkretisiert worden ist. Für eine solche Folgerung enthält das Gesetz keine Grundlage. Der Senat hat bereits entschieden (Urteil vom 11. Juni 1980 - 12 RK 60/79 - SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 43), daß zwar die Konkretisierung eines innerhalb der Antragsfrist nur dem Grunde nach gestellten Antrags innerhalb angemessener Frist erfolgen müsse. Er hat aber ferner in dieser und anderen Entscheidungen darauf hingewiesen, daß eine Ablehnung der Beitragsnachentrichtung wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers nur dann in Betracht kommt, wenn der Versicherungsträger den Antragsteller auf die möglichen Rechtsfolgen seines Verhaltens hingewiesen hat (s Urteil vom 30. Januar 1980 - 12 RK 13/79 - DAngVers 1980, 328). An einem solchen Hinweis fehlt es im vorliegenden Fall, so daß die Beklagte den Antrag nicht wegen fehlender Mitwirkung (Konkretisierung) des Antragstellers ablehnen durfte.
Das LSG hat jedoch zu Recht entschieden, daß gem § 141 Abs 1 AVG eine Nachentrichtung von Beiträgen für Zeiten vor dem Tode des Versicherten ausgeschlossen ist und daß die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 141 Abs 2 AVG nicht vorliegen. Nach § 141 Abs 2 AVG ist die Entrichtung freiwilliger Beiträge auch nach dem Tode des Versicherten noch zulässig, wenn er sich vorher gegenüber einer zuständigen Stelle zur Entrichtung von Beiträgen für die betreffenden Zeiten bereiterklärt hat und die Beiträge in einer angemessenen Frist geleistet werden. An einer solchen Bereiterklärung fehlt es hier. Der Versicherte hat zwar vor seinem Tode einen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen gestellt. Dieser reicht nach der Rechtsprechung des Senats auch zur Wahrung der gesetzlichen Antragsfrist des Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG aus und eröffnet damit die Möglichkeit, später nach Abschluß eines Konkretisierungsverfahrens freiwillige Beiträge nachzuentrichten (BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36). Damit ist jedoch noch nicht entschieden, daß dieser Antrag auch als Bereiterklärung ausreicht. Diese erfordert vielmehr einen gewissen Konkretisierungsgrad. Der Senat hat bereits entschieden, daß eine Bereiterklärung iS von § 141 Abs 2 AVG auch im Rahmen einer Nachentrichtung nach Art 2 § 49a AnVNG die Bekundung des Willens voraussetzt, konkret bestimmbare Beiträge nachzuentrichten (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 29). Ein nur dem Grunde nach gestellter Nachentrichtungsantrag enthält jedoch keinen Anhalt, in welcher Zahl, in welcher Höhe und für welche Zeiten Beiträge nachentrichtet werden sollen. Selbst wenn man aber mit der Beklagten der Rechtsauffassung ist, daß im Rahmen eines förmlichen Nachentrichtungsverfahrens ein nicht konkretisierter Antrag als Bereiterklärung ausreicht, wenn der Antragsteller das Verfahren im Rahmen seiner Möglichkeiten zügig betrieben hat, und die Konkretisierung alsbald nach seinem Tode erfolgt, kann die Entscheidung hier nicht anders ausfallen; denn auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der verstorbene Versicherte hatte sich - obwohl ihm die Antragsvordrucke zugesandt worden waren - 1 1/2 Jahre lang nicht um den Fortgang des Verfahrens bemüht. Diese Frist kann, wie das LSG im einzelnen zutreffend dargelegt hat, auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Versicherten nicht mehr als eine vertretbare Verzögerung betrachtet werden.
In diesem Zusammenhang ist es unbeachtlich, daß die Beklagte versäumt hat, den Versicherten zur alsbaldigen Konkretisierung zu drängen. Die Beklagte hatte keinen Anhalt dafür, daß mit einem zeitnahen Ableben des Versicherten zu rechnen sei und deshalb besondere Hinweise erforderlich waren. Insoweit kann also aus unterlassenen Hinweisen kein Herstellungsanspruch hergeleitet werden. Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer Verletzung der allgemeinen Pflicht der Beklagten zur Förderung des Verfahrens. Diese allgemeine Pflicht ist dem Versicherten gegenüber lediglich eine Obliegenheit, deren Verletzung zwar zur Folge hat, daß die Beklagte bestimmte Rechte nicht geltend machen kann, also zB nicht wie oben ausgeführt, den Versicherten wegen einer Verzögerung der Konkretisierung von der Nachentrichtung ausschließen kann. Auf die Voraussetzung einer Bereiterklärung hat das Verhalten der Beklagten indes keinen Einfluß, weil es sich hier um Anforderungen an den Versicherten handelt, die weitgehend unabhängig von dem Verhalten der Beklagten bestehen.
Da es somit schon an einer ausreichenden Bereiterklärung fehlt, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Beiträge in angemessener Frist entrichtet worden sind. Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, daß diese Frist in Fällen, in denen der Gesetzgeber ein förmliches Nachentrichtungsverfahren vorsieht, erst mit der Erteilung des Nachentrichtungsbescheides beginnt. Durch das förmliche Nachentrichtungsverfahren wird indes eine ausreichende Bereiterklärung zur Nachentrichtung konkret bestimmbarer Beiträge vor dem Tode des Versicherten nicht entbehrlich. Dem LSG ist auch zu folgen, soweit es die Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen nach § 140 Abs 3 AVG als fehlerfrei angesehen hat. § 140 Abs 3 AVG setzt voraus, daß der Versicherte alle erdenkliche Sorgfalt hat walten lassen, um die Entrichtung der Pflichtbeiträge sicherzustellen (BSG SozR 2200 § 1418 Nr 4). Diese Voraussetzungen sind, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, nicht gegeben. Ein etwaiges Verschulden der Einzugsstelle oder der Beklagten ändert hieran nichts, sofern diese Stellen nicht dazu Veranlassung gegeben haben, daß der Versicherte sich nicht um die Beitragsentrichtung gekümmert hat. Derartiges ist im vorliegenden Fall aber weder behauptet noch festgestellt worden.
Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen