Leitsatz (amtlich)
Verlangt die Witwe mit der Klage die volle Witwenrente, weil die Voraussetzungen für die - vom Versicherungsträger vorgenommene - Aufteilung der Rente zwischen ihr und der geschieden ersten Frau des Versicherten nach AVG § 45 Abs 4 nicht gegeben seien, so ficht sie damit nicht nur den ihr selbst erteilten Rentenbescheid, sondern gleichzeitig den der geschiedenen Frau an; das Gericht hat in diesem Falle auch deren Anspruchsberechtigung nachzuprüfen.
Leitsatz (redaktionell)
Zum Begriff der Unterhaltsleistung "aus sonstigen Gründen" iS des AVG § 42.
Normenkette
AVG § 41 Fassung: 1957-02-23, § 42 Fassung: 1957-02-23, § 45 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; SGG § 54 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1264 Fassung: 1957-02-23, § 1265 Fassung: 1957-02-23, § 1268 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. März 1962 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die der Beigeladenen entstandenen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens.
Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt eine höhere Witwenrente. Der Versicherte war mit ihr in zweiter Ehe von 1953 bis zu seinem Tode im Februar 1958 verheiratet. In erster Ehe war er von 1929 an mit der Beigeladenen verheiratet gewesen. Die Ehe war im Juni 1952 aus Verschulden beider Teile geschieden worden. Nach einer bei der Ehescheidung getroffenen Unterhaltsvereinbarung hatte der Versicherte an die Beigeladene seit März 1954 bis zu seinem Tode monatlich 40,- DM gezahlt.
Die Beklagte gewährte auf Antrag aus der Versicherung des Verstorbenen der Klägerin die Witwenrente und der Beigeladenen die Rente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Den Witwenrentenanspruch für die Zeit von Februar bis April 1958 (Sterbevierteljahr) berechnet sie nach § 45 Abs. 5 AVG. Für die folgende Zeit nahm sie eine "Aufteilung" der Ausgangsrente (244 DM) zwischen den Antragstellerinnen entsprechend der Dauer der Ehejahre mit dem Versicherten nach § 45 Abs. 4 AVG vor. Die Witwenrente der Klägerin wurde auf 85,60 DM monatlich festgesetzt (Vergleichsrente nach Art. 2 § 41 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -, weil der nach § 45 Abs. 4 AVG ermittelte Prozentsatz von 17,125 zu einem niedrigeren Rentenbetrag geführt hätte). Die Rente der Beigeladenen wurde auf 202,20 DM monatlich festgesetzt, was einem Anteil von 82,875 % der gesetzmäßigen Witwenrente entspricht (Bescheid vom 13.12.1958 und Anerkenntnis der Beklagten vom 27.3.1962).
Die Klägerin hält die Rentenbewilligung an die Beigeladene und die dadurch bedingte Aufteilung der Rente zwischen ihr und der Beigeladenen für unberechtigt, weil der Versicherte nicht durch gerichtliches Urteil zur Unterhaltsleistung an die Beigeladene verpflichtet gewesen sei und er ihr auch nur einen Unterhaltsbeitrag, aber keinen vollen Unterhalt geleistet habe.
Das Sozialgericht Dortmund wies die Klage ab (Urteil vom 29.10.1959). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen wies die Berufung der Klägerin zurück: Die Klägerin und die Beigeladene seien zum Bezug einer Rente aus der Versicherung des Verstorbenen nach §§ 41 und 42 AVG berechtigt. Der Fall des § 45 Abs. 4 AVG sei deshalb gegeben. Die Beklagte habe das Verhältnis nach der Ehedauer richtig berechnet. Es bestehe keine Möglichkeit, das für die Klägerin unbefriedigende Ergebnis zu ihren Gunsten zu ändern. Das Gesetz enthalte weder eine irrige Ausdrucksweise noch eine Lücke. - Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 27.3.1962).
Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch auf die Gewährung einer höheren Witwenrente weiter. Zur Begründung hat sie zunächst vorgetragen, das Berufungsgericht habe die Anwendung des Art. 2 § 41 AnVNG (Vergleichsberechnung) unterlassen. Nach dem Hinweis der Beklagten, daß dieses Vorbringen unzutreffend sei, hat sie geltend gemacht, der Versicherte sei der Beigeladenen gegenüber weder zur Unterhaltsgewährung verpflichtet gewesen noch habe er ihr echten Unterhalt im Sinne von § 42 AVG geleistet. Damit entfalle aber der von der Beklagten bereits anerkannte und gewährte Witwenrentenanteil der Beigeladenen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Soweit die Klägerin die Rentenhöhe mit der Begründung bemängelt, daß sie Anspruch auf die nach Art. 2 § 41 AnVNG berechnete, um den Sonderzuschuß erhöhte alte Vergleichsrente habe (BSG 17, 56), geht ihr Angriff ins Leere; die Beklagte hat in ihrem Bescheid die Witwenrente der Klägerin von Anfang an in dieser Weise berechnet und festgesetzt. Hiervon hat sich inzwischen auch die Klägerin wohl selbst überzeugt; sie stützt ihre Revision nunmehr auf andere materiell-rechtliche Gründe. Diese konnte sie - weil es sich um eine zugelassene Revision handelt - auch noch nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist geltend machen.
Die Klägerin will mit den Einwendungen, die sie gegen die Rechtmäßigkeit der Rentengewährung an die Beigeladene erhoben hat, die Grundlagen für deren Rentenberechtigung und damit die Voraussetzungen für die Berechnung der Rente nach § 45 Abs. 4 AVG beseitigen, um zu erreichen, daß sie vom Ablauf des Sterbevierteljahres an nicht die - ihr anstatt der ungünstigeren Rente nach § 45 Abs. 4 AVG gewährte - Vergleichsrente nach Art. 2 § 41 AnVNG, sondern die volle Witwenrente nach § 45 Abs. 2 AVG erhält. Ihre Klage betrifft sonach nicht nur den ihr selbst erteilten Rentenbescheid, sondern auch denjenigen der Beigeladenen. Deren Rentenberechtigung nach § 42 AVG hat für die Klägerin zur Folge, daß sie die Rente mit der Beigeladenen teilen muß; sie wird daher durch den der Beigeladenen erteilten Rentenbescheid in ihren Rechten mittelbar betroffen und beschwert (§ 54 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Ihr muß deshalb - um den Anspruch auf die höhere Rente zu verwirklichen - das Recht zustehen, den Bescheid der Beigeladenen zusammen mit ihrem eigenen Rentenbescheid anzufechten und dabei alle tatsächlichen und rechtlichen Gründe geltend zu machen, die nach ihrer Meinung gegen die Anspruchsberechtigung der Beigeladenen dem Grunde (und der Höhe) nach bestehen. Anderenfalls wäre ein der gesetzlichen Regelung entsprechendes, einheitliches Ergebnis nicht zu erzielen und bliebe die Beigeladene unter Umständen im Besitz einer Rente, die ihr, wenn die Klägerin im Recht wäre, nicht (oder nicht in der bewilligten Höhe) zustünde. Dies wiederum würde sich zum Nachteil des Versicherungsträgers bzw. der Versichertengemeinschaft auswirken. Richtet sich daher die Klage einer Witwe gegen die Aufteilung der Rente nach § 45 Abs. 4 AVG zwischen ihr und der geschiedenen ersten Frau des Versicherten, so ficht sie damit nicht nur den ihr selbst erteilten Rentenbescheid, sondern auch den der geschiedenen Frau an; das Gericht hat deshalb auch deren Anspruchsberechtigung nach § 42 AVG nachzuprüfen. Diese Nachprüfung ergibt aber im vorliegenden Rechtsstreit, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Rente an die Beigeladene erfüllt sind.
Nach den Feststellungen des LSG haben die monatlichen Zahlungen von 40,- DM, die der Versicherte bis zu seinem Tode an die Beigeladene geleistet hat, auf einer Unterhaltsvereinbarung beruht, die bei der Ehescheidung im Jahre 1952 getroffen worden ist. Danach war der Versicherte zunächst nur zur Unterhaltsleistung an die beiden aus der Ehe hervorgegangenen Töchter verpflichtet, hatte jedoch nach dem (im Februar 1954 erfolgten) Wegfall der Unterhaltspflicht für eine Tochter einen monatlichen "Unterhaltsbeitrag" von 40,- DM an die Beigeladene zu zahlen. Damit ist die erste Alternative des § 42 AVG erfüllt. Mit Recht hat das LSG angenommen, daß der Versicherte "aus einem sonstigen Grund" Unterhalt an die Beigeladene zu leisten hatte. Die Unterhaltsvereinbarung von 1952, die diesen sonstigen Grund bildet (entgegen der Meinung der Klägerin kommt als solcher nicht nur ein Unterhaltsurteil in Betracht), findet ihre Rechtsgrundlage in § 72 des Ehegesetzes; danach können die Ehegatten über die Unterhaltspflicht für die Zeit nach der Scheidung Vereinbarungen treffen. Solche vor der Rechtskraft der Scheidung abgeschlossene Unterhaltsverträge sind nach dem Gesetz auch dann rechtsgültig, wenn sie die Ehescheidung erleichtert oder erst ermöglicht haben. In diesem Sinne ist auch die Unterhaltsvereinbarung von 1952 zu beurteilen. Ein Grund, der deren Nichtigkeit zur Folge gehabt haben könnte, ist weder von der Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Zu Unrecht meint die Klägerin, bei der monatlichen Zahlung von 40,- DM, zu welcher der Versicherte verpflichtet war, habe es sich nicht um die Gewährung von "Unterhalt" gehandelt. Auch wenn in der Vereinbarung von 1952 nur von einem Unterhalts"beitrag" die Rede ist und nicht von Unterhalt, so kann daraus nicht gefolgert werden, daß die vereinbarten Zahlungen einem anderen Zweck als dem Unterhalt, d. h. der Bestreitung von Aufwendungen für die Lebensführung der Beigeladenen dienen sollten und gedient haben. Auf diesen Zweck der Zuwendungen kommt es aber an; unmaßgeblich sind demgegenüber die Beweggründe, die zu der Vereinbarung der Unterhaltsleistung geführt haben.
Es ist deshalb entgegen der Meinung der Klägerin ohne Bedeutung, daß eine "Bereicherung" des Versicherten vermieden werden sollte. Dem Wesen der Zuwendungen als Unterhalt steht auch nicht entgegen, daß ihrer die Beigeladene möglicherweise nicht bedurfte, weil sie - nach dem Vortrag der Klägerin - ständig in guten Vermögensverhältnissen gelebt hat. Wie der Senat entschieden hat, sind Zahlungen, die nach § 72 des Ehegesetzes vereinbart worden sind, auch dann als Leistung von Unterhalt anzusehen, wenn der angemessene Unterhalt des Empfängers bereits gedeckt ist (BSG 12, 279). Der Klägerin schwebt bei ihrem Vorbringen möglicherweise die allgemeine Bedeutung der Hinterbliebenenrenten vor, denen die Rechtsprechung schon immer Unterhaltsersatzcharakter zugesprochen hat. Diese Renten werden als Ausgleich für den durch den Tod des Versicherten weggefallenen Unterhaltsanspruch gewährt. Der Verlust, der die Gewährung der Rente nach § 42 AVG zur Folge hat, betrifft aber weder den "überwiegenden" Unterhalt (§§ 43, 65 Abs. 3 AVG) noch den "wesentlichen" Unterhalt (§ 65 Abs. 1 und 2 AVG); für die Gewährung der Geschiedenenrente genügt vielmehr der Wegfall einer "beliebigen" Unterhaltsleistung (so BVerfGE vom 24. 7.1963 - abgedr. in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1963, Sonderheft S. 1 ff -). Deshalb reicht auch eine Unterhaltsverpflichtung aus, die nicht den vollen Lebensbedarf des Berechtigten deckt. Eine andere Betrachtung käme allenfalls in Frage, wenn es sich um Zahlungen in so geringer Höhe gehandelt hätte, daß sie für die Lebensführung der Beigelade nen ohne jede Bedeutung gewesen wären (Urteil vom 3.11.1961 - 1 RA 103/59 -). Dies trifft aber - wie das LSG zutreffend beurteilt hat - für Beträge von monatlich 40,- DM in den Jahren bis 1958 nicht zu.
Steht danach aber neben der Anspruchsberechtigung der Klägerin nach § 41 AVG auch diejenige der Beigeladenen nach § 42 AVG fest, so folgt daraus die Berechnung der beiden Rentenansprüche nach § 45 Abs. 4 Satz 1 AVG. Sie geschieht durch "Aufteilung" einer fiktiven Ausgangsrente nach der Dauer der Ehejahre. Dem von der Beklagten ermittelten Zahlenverhältnis hat die Klägerin nicht widersprochen. Sie erhält allerdings statt der hiernach berechneten "Teilrente", weil diese für sie ungünstiger wäre und weil die Voraussetzungen des Art. 2 § 41 AnVNG vorliegen, die um den Sonderzuschuß erhöhte Rente nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht. Sie nimmt damit an einer Vergünstigung teil, die das Gesetz für Versicherungsfälle in einer Übergangszeit geschaffen hat. Hiervon abgesehen soll aber nicht verkannt werden, daß die Rentenberechnung nach § 45 Abs. 4 AVG zu Ergebnissen führen kann, die den Beteiligten nicht ohne weiteres einleuchten, was im vorliegenden Rechtsstreit offensichtlich ist. Die Beigeladene erhält eine Rente, die ein Vielfaches von dem beträgt, was sie bis zum Tode des Versicherten von ihm als Unterhalt bezogen hat. Diese Rentenbemessung läßt den Gedanken der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente weitgehend außer acht. Die Beigeladene erhält die Leistung auch "auf Kosten" der Klägerin, die ohne das Hinzutreten der Beigeladenen eine wesentlich höhere Witwenrente (244 DM) beziehen würde. Der Senat ist jedoch nicht in der Lage, dieses vom Gesetzgeber in Kauf genommene Ergebnis zugunsten der Klägerin zu ändern und ihr die begehrte volle Witwenrente nach § 45 Abs. 2 AVG zuzusprechen. Die eindeutige Regelung des Gesetzes bietet hierzu keine Möglichkeit. Sie geht von dem Gedanken aus, daß die Berechtigung der Witwe und diejenige der geschiedenen Frau wesentlich durch die Dauer ihrer Ehen mit dem Versicherten und damit nach dem Ausmaß ihrer Beteiligung an der Aufbringung der Beiträge bestimmt werden, durch die der Anspruch auf die spätere Witwenrente finanziert wird (BSG 5, 276, 282). Ein Verstoß gegen das Grundgesetz ist nicht ersichtlich; er liegt nicht schon darin begründet, daß sich möglicherweise bessere und zweckmäßigere Lösungen des Problems als die im AVG bestehende Regelung finden lassen.
Die Revision der Klägerin muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen