Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Streitig ist die Witwerrente aus der Versicherung der am 24. Juni 1973 verstorbenen Versicherten E… D… (Versicherte).
Der Kläger hat nach dem Besuch der Volksschule den Beruf eines Starkstromelektrikers erlernt und im September 1968 die Gesellenprüfung abgelegt. Im Anschluß daran war er bis 1971 als Fernsehtechnikerlehrling, im Elektrobereich und als Prüfertechniker beschäftigt. Vor seiner Eheschließung mit der Versicherten (10. September 1971) begann er mit dem Besuch einer Fachoberschule für Technik, wo er am 8. Juni 1973 die Fachhochschulreife erlangte.
Am 15. Juni 1973 forderte der Kläger bei der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) Bewerbungsunterlagen um einen Studienplatz an. Im Sommersemester 1974 wurde er im Fachbereich Informatik an der Fachhochschule Dortmund immatrikuliert. Dort legte er im Februar 1977 das Graduierten-Examen ab. Im Anschluß daran nahm er eine Beschäftigung bei der Bundesknappschaft als Systemprogrammierer auf.
Vom 1. Juli 1972 bis 30. Juni 1973 bezog der Kläger monatlich 380,-- DM Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungs-Förderungsgesetz (BAföG). Die Versicherte erzielte als Friseuse vom 1. Januar 1972 bis zu ihrem Tode ein Bruttoarbeitsgelt von insgesamt 13.270,38 DM.
Vom 12. Juni 1973 an war der Kläger bei der Firma Time-Power und vom 25. September 1973 bis 2. April 1974 bei der Firma Hartmann & Braun AG beschäftigt. Während dieser Zeit verdiente er insgesamt 14.936,-- DM. Hiervon fielen auf den Zeitraum vom 12. Juni 1973 bis zum 24. Juni 1973 (Tod der Versicherten) 626,13 DM. Während desselben Zeitraumes erzielte die Versicherte ein Arbeitseinkommen von 295,99 DM.
Seit dem 5. Januar 1978 ist der Kläger wieder verheiratet.
Den im Juli 1974 gestellten Antrag auf Witwerrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 17. November 1975 ab mit der Begründung, nach Ablegung der Prüfung an der Fachoberschule habe der Kläger eine Erwerbstätigkeit aufgenommen und sei dadurch in die Lage versetzt worden, den überwiegenden Familienunterhalt zu bestreiten. Seiner hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben (Urteil vom 23. November 1976). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 10. Februar 1978 zurückgewiesen mit der Begründung, der nach § 1266 der Reichsversicherungsordnung (RVO) maßgebende letzte wirtschaftliche Dauerzustand sei der Zeitraum des Fachoberschulbesuches. Dieser Zustand sei durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht beendet worden, weil diese im Hinblick auf die bevorstehende Aufnahme des beabsichtigten Studiums nur eine vorübergehende gewesen sei.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, mit dem Schulabschluß und der anschließenden Arbeitsaufnahme sei der bisher zwischen dem Kläger und der Versicherten bestehende wirtschaftliche Dauerzustand beendet worden. Die ab 12. Juni 1973 aufgenommene Erwerbstätigkeit sei nicht durch die beabsichtigte Studienaufnahme befristet gewesen, weil noch nicht festgestanden habe, wann die ZVS dem Kläger tatsächlich einen Studienplatz zuteilen würde. Zur Feststellung dieses Zeitraumes bedürfe es Ermittlung der für den Kläger maßgeblichen Wartezeit. Der Zeitraum vom 12. Juni 1973 bis zur Studienaufnahme im Sommersemester 1974 sei schon wegen seiner Dauer als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand anzusehen.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Februar 1973 sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. November 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches - SGB -).
II
Die Revision ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.
Zu Unrecht geht das LSG davon aus, daß die Aufnahme einer Beschäftigung durch den Kläger von vornherein auf eine nur begrenzte Dauer angelegt war und deswegen für die Beurteilung des Rentenanspruches außer Betracht zu bleiben habe. Zwar ist ein neuer wirtschaftlicher Dauerzustand (hierzu vgl. BSGE 34, 35, 37) nur dann eingetreten, wenn sich die vorher bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse mit Dauerwirkung geändert haben (vgl. BSG Urteil vom 28. Juni 1979 - 1 RJ 102/78 -), Diese wesentliche Änderung kann, z.B. bewirkt werden durch die Geburt eines Kindes (BSGE 34, 35, 38) oder auch durch die Arbeitsaufnahme nach abgeschlossener Berufsausbildung, sofern die Beschäftigung nicht zeitlich befristet ist (vgl. BSG Urteil vom 31. Juli 1968 - 11 RA 227/66 - SozR Nr. 46 zu § 1265 RVO).
Der Zeitraum zwischen dem Schulabschluß und der Aufnahme eines Studiums kann nicht generell als vorübergehend bezeichnet werden und deshalb bei der Prüfung eines Anspruches auf Witwerrente nach § 1266 RVO außer Betracht bleiben. Seine Dauer richtet sich nicht nach allgemeingültigen Merkmalen, sondern nach individuellen Besonderheiten wie z.B. nach der Zahl der vorhandenen Studienplätze im Verhältnis zu der Anzahl der Bewerber sowie nach dem Notendurchschnitt und der vom Schulabgänger gewählten Studienrichtung. Man kann im allgemeinen, nicht davon ausgehen, daß einem Bewerber schon für das dem Schulabschluß folgende Studiensemester ein Studienplatz zugeteilt wird. In vielen Fällen kann sich die Zuteilung eines Studienplatzes durch die ZVS über einen längeren Zeitraum hinziehen, weil der Bewerber aus irgendwelchen Gründen in die Warteliste aufgenommen werden muß. Dies kann zur Folge haben, daß ein Schulabgänger auch nach seiner Bewerbung um einen Studienplatz wegen der bestehenden Ungewißheit der Zuteilung keine zeitlich befristeten Dispositionen treffen kann. Er muß sich vielmehr darauf einrichten, daß er auf unbestimmte, unter Umständen längere Sicht keinen Studienplatz erhält. Die daraus resultierenden Dispositionen - z.B. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit - sind dann ihrer Natur nach nicht mehr zeitlich befristet, sondern auf Dauer angelegt und können unter Umständen sogar bewirken, daß der Entschluß zur Aufnahme eines Studiums infolge Zeitablaufs geändert wird. Alle diese Möglichkeiten verbieten es, die Aufnahme einer Beschäftigung bis zum Beginn des Studiums generell als vorübergehend zu behandeln. Dies gilt auch dann, wenn ein Beschäftigungsverhältnis zunächst nur befristet eingegangen wird, weil sich die Dauer der Beschäftigung letztlich nach dem Beginn des Studiums richtet. Hierin unterscheidet sich diese Arbeitsaufnahme von dem in BSG SozR Nr. 46 zu § 1265 RVO entschiedenen Fall, der sich auf. gelegentliche Arbeiten einer Hausfrau bezog.
Der letzte wirtschaftliche Zustand vor dem Tod der Versicherten ist dann ein Dauerzustand, wenn er nach einer am Todestag vorgenommenen objektiven Betrachtung ohne den Tod für einen ins Gewicht fallenden Zeitraum fortgedauert hätte.
Bei einem Ehemann, der die Fachoberschule besucht und die Fachhochschulreife erlangt hat, ein Studium an der Fachhochschule anstrebt und eine entlohnte Beschäftigung aufnimmt, die er nach Zulassung zum Studium wider beenden will, ist angesichts der heute bestehenden Schwierigkeiten, zum Studium zugelassen zu werden, nur dann ein vorübergehender (und nicht Dauer-) Zustand der Beschäftigung anzunehmen, wenn im Zeitpunkt des Todes der Ehefrau bereits der Zulassungsbescheid ergangen war.
Aufgrund dieser Zulassung kann der Bewerber zeitlich begrenzte Dispositionen treffen. Die Feststellung der zeitlichen Begrenzung und damit des vorübergehenden Charakters einer Arbeitsaufnahme ist dann im Rahmen des § 1266 RVO vom Tode der Versicherten her rückschauend möglich. Im vorliegenden Fall bestehen indessen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger vor dem Tode der Versicherten ein Studienplatz tatsächlich zugeteilt worden ist.
Indessen läßt das LSG zu Unrecht die Frage dahinstehen, ob dem Kläger bis zum Tode seiner Ehefrau aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses schon Lohn ausbezahlt worden ist. Nach der Urteil des erkennenden Senats vom 28. September 1978 (4/5 RJ 16/77 - SozR 2200 § 1266 Nr. 8) genügt es zum Bestreiten des Familienunterhalts im Sinne des § 1266 Abs. 1 RVO nicht, wenn eine Rente zu Lebzeiten der Versicherten nur festgestellt worden ist; erforderlich ist vielmehr die Auszahlung der Rente. Dies folgt daraus, daß nach § 1266 RVO von wesentlicher Bedeutung ist, aus welchen Mitteln die Eheleute im Zeitpunkt des Todes der Versicherten den Familienunterhalt tatsächlich bestritten haben. Hierzu können nur die in diesem Zeitpunkt tatsächlich vorhandenen Mittel verwendet werden. Die erst später zufließenden Mittel müssen deshalb außer Ansatz bleiben, mag auch aufgrund eines Rechtsanspruches mit späteren Zuwendungen schon im Todeszeitpunkt zu rechnen gewesen sein. In diese Richtung geht auch das Urteil des BSG vom 13. März 1979 (1 RA 33/78 SozR 2200 § 1266 Nr. 9). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Das LSG wird demgemäß zu prüfen haben, ob dem Kläger vor dem Tode der Versicherten bereits ein Arbeitslohn aus dem Beschäftigungsverhältnis tatsächlich ausgezahlt wurde. Dabei genügt es, wenn der Arbeitgeber Vorschüsse oder Abschlagzahlungen geleistet hat. Sollte sich herausstellen, daß bis zum Todestag der Versicherten keinerlei Zahlungen geleistet worden sind, dann wäre die Aufnahme der Beschäftigung durch den Kläger ohne Einfluß auf seinen Rentenanspruch; es müßte vielmehr auf den vorherigen wirtschaftlichen Dauerzustand zurückgegriffen werden. Sollten allerdings irgendwelche Zahlungen geleistet worden sein, so käme es wesentlich auf deren Höhe an. Die an den Kläger in der Zeit vom 12. Juni (Aufnahme der Beschäftigung) bis zum 24. Juni (Todestag der Versicherten) geleisteten Zahlungen zuzüglich der auf diesen Zeitraum entfallenden Leistungen nach dem BAföG müßten mit den Einkünften der Versicherten in demselben Zeitraum verglichen werden. Dies erfordert eine Umrechnung des Monatseinkommens der Versicherten auf diesen Zeitraum. Soweit für den Monat Juni das von der Versicherten zu erwartende Einkommen nicht sicher festzustellen ist, kann auf den Vormonat zurückgegriffen werden. Sollte das Einkommen der Versicherten während dieses Zeitraumes höher gewesen sein als das des Klägers, dann hätte die Versicherte im Zeitpunkt ihres Todes den Familienunterhalt überwiegend bestritten.
Diese noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen müssen noch vom LSG getroffen werden. Deshalb war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.4 RJ 47/78
Bundessozialgericht
Fundstellen