Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichwertigkeit eines Versorgungswerks mit der gesetzlichen Rentenversicherung. beitragslose Zeiten
Leitsatz (amtlich)
Zur Gleichwertigkeit des Versicherungsschutzes eines berufsständischen Versorgungswerks (§ 7 Abs 2 AVG) mit dem der gesetzlichen Rentenversicherung.
Orientierungssatz
Zur Gleichwertigkeit eines Versorgungswerks mit der gesetzlichen Rentenversicherung - beitragslose Zeiten:
Die Befreiungsvoraussetzungen gemäß § 7 Abs 2 AVG sind ua dann erfüllt, wenn die Satzung des betreffenden Versorgungswerkes grundsätzlich (generell) für die Mitglieder die Entrichtung einkommensbezogener Beiträge vorsieht. Unerheblich ist demgegenüber, ob die Satzung auch eine tatsächliche Beitragszahlung - für alle Mitglieder und für die gesamte Zeit ihrer Mitgliedschaft - fordert oder einen Kreis von Mitgliedern nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen oder, wie hier, sämtliche Mitglieder für eine gewisse Übergangszeit von der Beitragspflicht ausnimmt (vgl BSG vom 22.4.1986 12 RK 60/84 = SozR 2400 § 7 Nr 5).
Normenkette
AVG § 7 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.08.1987; Aktenzeichen L 4 An 778/87) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 18.02.1987; Aktenzeichen S 9 An 1051/86) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ab wann der Kläger gemäß § 7 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten (AnV) zu befreien ist.
Der Kläger ist Rechtsanwalt. Seit 1977 war er bei einer Bank versicherungspflichtig beschäftigt; für ihn wurden Beiträge zur AnV entrichtet. Im Dezember 1984 beantragte er die Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 7 Abs 2 AVG. Anlaß war die Verabschiedung eines Landesgesetzes über das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg (RAVG) vom 10. Dezember 1984 (GBl S 671). Dieses am 1. Januar 1985 in Kraft getretene Gesetz sieht für alle, die am 1. Januar 1985 Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer in Baden-Württemberg waren und das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, die Pflichtmitgliedschaft in dem Versorgungswerk vor. Davon war auch der 1944 geborene Kläger betroffen. Die zur Ergänzung der gesetzlichen Regelung erlassene Satzung des Versorgungswerks trat am 15. Mai 1985 in Kraft; Beiträge wurden nach ihr ab 1. Juni 1985 erhoben.
Die Beklagte gab dem Befreiungsantrag des Klägers erst für die Zeit ab 1. Juni 1985 statt (Bescheid vom 20. September 1985). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. April 1986). Zur Begründung führte die Beklagte aus, daß eine Befreiung nach § 7 Abs 2 AVG die Entrichtung einkommensgerechter Beiträge an das Versorgungswerk voraussetze, solche aber vom Kläger erst seit dem 1. Juni 1985 gezahlt würden. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Freiburg -SG- vom 18. Februar 1987 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg -LSG- vom 28. August 1987). Auch nach Ansicht des LSG kann eine Befreiung des Klägers nach § 7 Abs 2 AVG erst mit dem Beginn der "generellen" Beitragspflicht der Mitglieder des Versorgungswerks erfolgen, hier also erst vom 1. Juni 1985 an. Eine analoge Anwendung von § 7 Abs 3 AVG (Rückwirkung der Befreiung auf den Beginn des Beschäftigungsverhältnisses) komme nicht in Betracht; mit dieser Regelung solle nur vermieden werden, daß für einen verhältnismäßig geringen Zeitraum, der im allgemeinen zu keinem ins Gewicht fallenden Leistungsanspruch führe, Beiträge entrichtet werden müßten. Der Kläger habe aber bereits die Wartezeit für die Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und für das Altersruhegeld nach dem AVG erfüllt, so daß er die Beiträge für die streitbefangene Zeit nicht nutzlos entrichte.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs 3 AVG zu Unrecht abgelehnt und auch den Absatz 2 der Vorschrift unzutreffend ausgelegt. Wenn der Gesetzgeber diesem Absatz nicht nur einen konditionalen Inhalt ("wenn ... Beiträge ... zu entrichten sind"), sondern auch einen zeitlichen Inhalt hätte geben wollen, so hätte er dies leicht im Wortlaut zum Ausdruck bringen können. Auch vom Ergebnis her sei die Befreiung bereits vom Beginn der Mitgliedschaft im Versorgungswerk an (1. Januar 1985) sachgerecht. Andernfalls wäre eine Befreiung auch in den Fällen ausgeschlossen, in denen aus besonderen Gründen ein Mitglied für eine bestimmte Zeit Beiträge nicht zu entrichten brauche. Entscheidend sei, daß die Zeit, für die Beiträge hier nicht zu entrichten waren, als Versicherungszeit berücksichtigt werde.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG dahin abzuändern, daß die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. September 1985 idF des Widerspruchsbescheides vom 28. April 1986 verpflichtet wird, den Kläger bereits ab 1. Januar 1985 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes) entschieden wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dem Kläger kann die Befreiung von der Versicherungspflicht in der AnV gemäß § 7 Abs 2 AVG bereits ab 1. Januar 1985 nicht allein deshalb versagt werden, weil er für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 1985 noch keine Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg zu zahlen hatte.
Nach § 7 Abs 2 AVG werden Personen, die aufgrund eines Gesetzes Pflichtmitglieder einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs-oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe sind, von der Versicherungspflicht in der AnV unter zwei Voraussetzungen befreit: Es müssen für die angestellten Mitglieder nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge entrichtet werden, und es müssen aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall der Invalidität und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepaßt werden.
Zu diesen Befreiungsvoraussetzungen hat der Senat im Urteil vom 22. April 1986 (SozR 2400 § 7 Nr 5 = DAngVers 1987, 237 mit zustimmender Besprechung von Finke aaO S 230, 231) ausgeführt: Schon nach dem Gesetzeswortlaut sei weder die Entrichtung einkommensbezogener Beiträge noch die Erbringung von entsprechenden Leistungen auf den einzelnen Antragsteller zu beziehen, beide Befreiungsbedingungen seien vielmehr als generelle Anforderungen an die Satzung des jeweiligen Versorgungswerkes zu verstehen. Nur wenn sowohl die Beiträge wie die Leistungen eines Versorgungswerkes in etwa dem Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung entsprächen, sollten die Mitglieder des Versorgungswerkes, die als Angestellte beschäftigt seien, die Möglichkeit haben, sich von der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen. Bei Nichterfüllen dieser Bedingungen solle es dagegen - vor allem im Interesse der Mitglieder des Versorgungswerkes selbst - bei ihrer durch die Beschäftigung begründeten Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung bleiben. Auch nach der Entstehungsgeschichte und dem aus ihr zu erschließenden Zweck des § 7 Abs 2 AVG genüge es, wenn die an das Versorgungswerk zu entrichtenden Beiträge nach dessen Satzung einkommensbezogen ausgestaltet seien; daß solche Beiträge darüber hinaus ausnahmslos von jedem einzelnen Antragsteller auch tatsächlich entrichtet würden, verlange das Gesetz dagegen nicht (aaO S 13, 14). In dem damals entschiedenen Fall eines angestellten Arztes, der wegen Bezugs einer Altersrente von einem ärztlichen Versorgungswerk bei diesem beitragsfrei war, hat es der Senat deshalb nur für aufklärungsbedürftig gehalten, ob die Entrichtung einkommensbezogener Beiträge in der Satzung des betreffenden Versorgungswerkes grundsätzlich vorgesehen war (aaO S 16).
Von diesen Grundsätzen ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Er unterscheidet sich allerdings von dem früher entschiedenen insofern, als dort der Antragsteller wegen eines in seiner Person liegenden Tatbestandes (Bezug von Leistungen des Versorgungswerkes) nach dessen Satzung beitragsfrei war, während hier nicht nur der Kläger, sondern sämtliche Rechtsanwälte, die durch das RAVG des Landes Baden-Württemberg mit Wirkung vom 1. Januar 1985 Pflichtmitglieder des neuen Versorgungswerkes wurden, für die ersten fünf Monate der Pflichtmitgliedschaft beitragsfrei blieben. Dieser Unterschied ändert indessen entgegen der Ansicht des LSG nichts an der Vergleichbarkeit beider Fälle, sofern die Satzung des betreffenden Versorgungswerkes grundsätzlich (generell) für die Mitglieder die Entrichtung einkommensbezogener Beiträge vorsieht. Unerheblich ist demgegenüber, ob die Satzung auch eine tatsächliche Beitragszahlung - für alle Mitglieder und für die gesamte Zeit ihrer Mitgliedschaft - fordert oder einen Kreis von Mitgliedern nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen oder, wie hier, sämtliche Mitglieder für eine gewisse Übergangszeit von der Beitragspflicht ausnimmt.
Pflichtmitglieder von Versorgungswerken, die zugleich der Versicherungspflicht in der AnV unterliegen, dürfen von dieser Versicherungspflicht allerdings nicht schon dann befreit werden, wenn die Satzung ihres Versorgungswerkes für angestellte Mitglieder die Entrichtung einkommensbezogener Beiträge vorsieht. Aus der Satzung muß sich vielmehr außerdem ergeben, daß "aufgrund dieser Beiträge" bei Eintritt eines Versicherungsfalls (Invalidität, Alter, Tod) Leistungen erbracht und (in Zukunft) angepaßt werden. Damit soll sichergestellt werden, daß nicht nur die an das Versorgungswerk zu entrichtenden Beiträge, sondern auch die von ihm erbrachten Leistungen in etwa dem Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen, also der Versicherungsschutz des Versorgungswerkes im wesentlichen dem der gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertig ist. Dieses Ziel ist indessen, soweit für bestimmte Zeiten der Mitgliedschaft im Versorgungswerk ausnahmsweise keine Beiträge zu entrichten sind (beitragslose Zeiten), in der Regel nur dann zu erreichen, wenn die betreffende Zeit leistungssteigernd berücksichtigt, dh bei Eintritt des Versicherungsfalls als Versicherungszeit angerechnet wird.
Wäre sie allerdings auch in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht als Versicherungszeit anzurechnen - wie die Bezugszeit eines Altersruhegeldes (diese ist versicherungs- und damit beitragsfrei, vgl § 6 Abs 1 Nr 1 AVG) -, dann kann die Satzung des Versorgungswerkes sie ebenfalls beitrags- und anrechnungsfrei lassen, ohne daß deswegen das Befreiungsrecht nach § 7 Abs 2 AVG entfällt (so lag der früher vom Senat entschiedene Fall). Würde sich die fragliche Zeit dagegen bei einer Versicherung in der AnV leistungssteigernd auswirken - das ist auch dann der Fall, wenn für eine beim Versorgungswerk zurückgelegte beitragslose Zeit eine Befreiung von der AnV-Pflicht nicht zulässig wäre, so daß für diese Zeit leistungssteigernde Beiträge zur AnV entrichtet werden müßten -, dann muß das gleiche für eine Versicherung bei einem Versorgungswerk gelten. Auch der Kläger kann deshalb für die streitige Zeit (1. Januar bis 31. Mai 1985) nur von der AnV-Pflicht befreit werden, wenn ihm die genannte, beim Versorgungswerk beitragslose Zeit, die ohne eine Befreiung eine Beitrags- und damit Versicherungszeit in der AnV wäre, nach der Satzung des Versorgungswerkes als Versicherungszeit anzurechnen ist.
Das LSG wird hiernach noch zu klären haben, ob die Satzung des Versorgungswerkes, dem der Kläger angehört, für seine Mitglieder grundsätzlich einkommensbezogene Beiträge iS des § 7 Abs 2 AVG vorsieht und, wenn dies zu bejahen ist, ob die fragliche beitragslose Zeit (1. Januar bis 31. Mai 1985) dem Kläger bei Eintritt eines Versicherungsfalls als leistungssteigernde Versicherungszeit angerechnet wird. Ist auch dies der Fall, wie es den Anschein hat, müßte die Beklagte ihn bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1985 von der Versicherungspflicht in der AnV befreien.
Daß das LSG hier eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs 3 AVG abgelehnt hat, ist nach Ansicht des Senats nicht zu beanstanden. Dem Kläger ist auch insofern nicht zu folgen, als er meint, § 7 Abs 2 AVG setze voraus, daß die Beiträge an das Versorgungswerk von einem Arbeitgeber "für" einen Angestellten gezahlt werden; sie können vielmehr, wie bei Versicherungen nach dem AVG, ganz oder teilweise von den Mitgliedern selbst entrichtet werden (vgl SozR aaO S 14).
Hiernach hat der Senat auf die Revision des Klägers das Urteil des LSG aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1664110 |
NJW 1989, 1695 |