Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg bei Angelegenheiten des Kassenarztrechts. Gleichordnung im Gesamtvertrag. Erstattung von Bagatellbeträgen
Orientierungssatz
1. Kassenarztrechtlich iS § 40 S 1 iVm §§ 33 S 2, 12 Abs 3 S 1 SGG sind alle Angelegenheiten des Rechts der Kassenärzte, die nicht zum engeren Bereich der Angelegenheiten der Kassenärzte gehören, dh des Rechts der Beziehungen zwischen Kassenärzten (vgl BSG vom 20.7.1988 6 RKa 2/88 = SozR 1500 § 12 SGG Nr 6).
2. Die Gleichordnung der Vertragspartner im Gesamtvertrag wird durch die Vereinbarung einseitiger Regelungsbefugnis bei bestimmten Vertragsgegenständen nicht beeinträchtigt.
3. Die Kassenärztliche Vereinigung ist kein Leistungsträger iS des § 110 SGB 10. Der von den Partnern der Gesamtverträge nach § 83 SGB 5 gewünschte Ausschluß der Erstattung von Bagatellbeträgen gehört in diese Verträge.
Normenkette
SGG § 40 S 1, § 33 S 2, § 12 Abs 3 S 1; SGB 5 § 83 Abs 1; SGB 10 § 110 S 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Pflicht der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV), Abrechnungen gegenüber der Klägerin richtigzustellen.
Mit mehreren Anträgen begehrte die klagende Betriebskrankenkasse (BKK) im Jahr 1985, die Abrechnung einiger Behandlungsscheine (Überweisungs- und Notfallscheine) der Quartale II bis IV/1984 zu berichtigen. Sie machte geltend, die behandelten Patienten seien nicht ihre Mitglieder gewesen, für sie habe ihnen gegenüber auch kein Anspruch auf Familienhilfe bestanden. Insgesamt habe sie die - nach Einzelleistungen berechnete - Gesamtvergütung in Höhe von 1.228,84 DM ohne rechtlichen Grund gezahlt. Die Beklagte lehnte die Anträge jeweils durch mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Schreiben ab mit der Begründung, gemäß § 110 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) sei bei Erstattungsansprüchen zwischen Leistungsträgern die Erstattung von weniger als 50,-- DM ausgeschlossen. Im Verhältnis der KÄV zur Krankenkasse müsse diese Vorschrift entsprechend gelten, denn sonst werde der Ausschluß der Erstattung von Bagatellbeträgen zwischen den Krankenversicherungsträgern auf dem Weg über die Richtigstellung durch die KÄV umgangen. Die Klägerin legte Widerspruch ein und stützte ihn auf § 10 des zwischen ihrem Landesverband und der Beklagten geschlossenen Gesamtvertrages. Darin ist geregelt, daß die Geschäftsstelle der Beklagten über Anträge der Krankenkasse auf rechnerisch/sachliche Richtigstellung entscheidet; gegen die Entscheidung kann Widerspruch beim Vorstand der Beklagten erhoben werden. Die Beklagte wies die Widersprüche zurück.
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, in der Vergangenheit seien allerdings Abrechnungen zu Lasten einer unzuständigen Krankenkasse zwischen den Krankenkassen direkt ausgeglichen worden. Da aber aufgrund der Neuregelung des Erstattungsrechts durch das SGB X der zuständige Kostenträger nur im Rahmen seiner Leistungspflicht erstattungspflichtig sei, werde der zu Unrecht in Anspruch genommenen Kasse nur ein Teil der von ihr erbrachten Zahlungen erstattet, falls für sie höhere Punktwerte gelten. Hinsichtlich des Restbetrages wäre ein weiterer Antrag gegenüber der KÄV zu stellen. Wegen der Auswirkungen der (kassenbezogenen) Begrenzungsregelungen, die ebenfalls gesamtvertraglich vereinbart worden seien, müßten Erstattungsbeträge bis 50,-- DM und darüber über Berichtigungsanträge geltend gemacht werden, um einen Ausgleich aus der unzuständigen Inanspruchnahme herbeizuführen. § 10 des Gesamtvertrages gehe der Bestimmung des § 110 SGB X vor. Die Beklagte machte geltend, die Angaben von unzuständigen Kassen auf Überweisungsscheinen beruhten nur zu einem geringen Teil auf Verschulden des Arztes. Mit ihren Berichtigungsanträgen umgehe die Klägerin die Bestimmung des § 110 SGB X. Sie, die KÄV, könne regelmäßig die in Wahrheit zuständige Krankenkasse nicht ermitteln. Unter sachlicher Richtigstellung sei die Zuordnung der Leistungen zu den Nummern der Gebührenordnung zu verstehen.
Das Sozialgericht (SG) hat die die Anträge der Klägerin ablehnenden Bescheide der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die beantragten rechnerisch/sachlichen Berichtigungen durchzuführen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt, zutreffend habe die Klägerin ihren Anspruch im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geltend gemacht. Die Befugnis der Beklagten, die Richtigstellung gegenüber der Klägerin durch einen Verwaltungsakt vorzunehmen, ergebe sich aus § 10 Abs 4 des Gesamtvertrages. Die Regelung dieser Vorschrift hätten die Partner des Gesamtvertrages wirksam vereinbaren können. Durch die Vereinbarung einseitiger Regelungsbefugnisse bei bestimmten Vertragsgegenständen werde die Gleichordnung der Vertragspartner nicht beeinträchtigt. Der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte auf den Anteil der Gesamtvergütung zu, den sie aufgrund der Angabe einer unzuständigen Kasse im Behandlungsschein erbracht habe. Die Beklagte könne die Erstattung von Beträgen unter 50,-- DM nicht unter Berufung auf § 110 SGB X verweigern. Die Bestimmung sei weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und macht geltend: Der Rechtsgedanke des § 110 SGB X, bei Bagatellbeträgen einen erheblichen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, müsse auch im Verhältnis der Parteien berücksichtigt werden. Die Revision beschränke sich auf Behandlungsfälle, die unter 50,-- DM lägen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden- Württemberg vom 22. Juni 1988 - L 1 Ka 991/87 - und des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. März 1987 - S 14 Ka 148/86 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie macht geltend, wegen der Beschränkung der Revision auf unter 50,-- DM liegende Behandlungsfälle fehle es an einem hinreichend klaren Revisionsantrag, denn die Beschränkung enthalte ein Anerkenntnis hinsichtlich der Fälle, bei denen die Erstattungsansprüche über 50,-- DM liegen.
Entscheidungsgründe
1) Der Senat hat in der Besetzung mit jeweils einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenärzte entschieden (§ 40 Satz 1 iVm §§ 33 Satz 2, 12 Abs 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), denn der Rechtsstreit betrifft eine Angelegenheit des Kassenarztrechts. Kassenarztrechtlich iS § 40 Satz 1 iVm §§ 33 Satz 2, 12 Abs 3 Satz 1 SGG sind alle Angelegenheiten des Rechts der Kassenärzte, die nicht zum engeren Bereich der Angelegenheiten der Kassenärzte gehören, dh des Rechts der Beziehungen zwischen Kassenärzten (vgl BSG SozR 1500 § 12 SGG Nr 6). Insoweit hat sich mit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 51 Abs 2 SGG durch Art 32 Nr 3 des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) nichts geändert. Mit der von der Klägerin begehrten Berichtigung werden nicht Rechtsverhältnisse der Kassenärzte zur Beklagten geregelt, vielmehr geht es um die im Gesamtvertrag vorgesehene Entscheidung über einen Antrag der Klägerin; die Berichtigung soll gerade im Verhältnis zur Klägerin wirken.
2) Die Revision ist zulässig. Entgegen der Einwendungen der Klägerin ist der Revisionsantrag der Beklagten nicht unklar. Die Beklagte beantragt Aufhebung der Urteile des SG und des LSG und Klagabweisung. Allerdings hat sie vorgebracht, die Revision beschränke sich jedenfalls auf Behandlungsfälle, die unter 50,-- DM liegen. Sie hat damit aber nicht etwa ihren Revisionsantrag dahin beschränkt, daß die Urteile der Vorinstanzen nur aufgehoben werden sollten, soweit sie Fälle unter 50,-- DM betreffen. Gemeint ist vielmehr eine Behauptung, daß alle streitigen Fälle unter dieser Grenze liegen.
3) Die Revision ist nicht begründet.
a) Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Insoweit folgt der Senat dem Urteil des LSG. Bei den beanstandeten Schreiben der Beklagten handelt es sich um Verwaltungsakte. Die Beklagte ist nach dem Gesamtvertrag zwischen ihr und dem Landesverband der BKK befugt, die von der Klägerin begehrte Berichtigung durch einen Verwaltungsakt vorzunehmen. In dem koordinationsrechtlichen Vertrag konnten die Partner diese Befugnis wirksam vereinbaren; die Gleichordnung der Vertragspartner wird durch die Vereinbarung einseitiger Regelungsbefugnis bei bestimmten Vertragsgegenständen nicht beeinträchtigt (Heberlein SGb 1985, 12 ff).
b) Die Zurückweisung der Berufung gegen die Entscheidung des SG, mit dem dieses die Beklagte zur Durchführung der beantragten Berichtigungen verurteilt hat, ist nicht zu beanstanden. Klarzustellen ist allerdings, daß die Beklagte nicht verurteilt worden ist, die Abrechnungen entsprechend den Anträgen der Klägerin zu kürzen. Dies ergibt sich schon aus den Entscheidungsgründen des SG, wo eingangs ausgeführt worden ist, die Beklagte könnte Berichtigungsanträge der Klägerin nicht unter Hinweis auf § 110 Satz 2 SGB X ablehnen. Das SG hat dementsprechend nicht geprüft, ob die Klägerin in den beanstandeten Fällen der zuständige Leistungsträger war oder nicht. Darüber soll vielmehr erst die Beklagte nach dem Urteil sachlich entscheiden. Diese Verpflichtung hat auch das LSG ausgesprochen. Es hat am Schluß der Entscheidungsgründe ausgeführt, die Beklagte habe nach der zutreffenden Entscheidung des SG die beantragte Berichtigung wegen Inanspruchnahme als unzuständiger Kostenträger zu prüfen und ggf in dem durch die Regelung des § 10 Abs 1 Gesamtvertrag bestimmten Umfang vorzunehmen sowie den sich ergebenden Berichtigungsbetrag der Klägerin zu erstatten. Die Vorinstanzen konnten sich insoweit auf ein Bescheidungsurteil beschränken, da der Antrag der Klägerin, wie ihn die Vorinstanzen unbeanstandet verstanden haben, sich nur auf Bescheidung richtete (vgl Bundesverwaltungsgericht -BVerwG- NVwZ 1985, 35, 36).
c) Zu Unrecht hat die Beklagte die Berichtigungsanträge der Klägerin wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgelehnt. Die Beklagte ist verpflichtet, das Berichtigungsverfahren durchzuführen. Nach § 10 Abs 4 des Gesamtvertrages entscheidet sie über Anträge der Krankenkassen auf rechnerisch/sachliche Richtigstellung der Abrechnungen. Die Klägerin hat einen solchen Antrag gestellt. Bei der begehrten Berichtigung wegen der Inanspruchnahme als unzuständige Krankenkasse handelt es sich um eine sachliche Richtigstellung im Sinn des Gesamtvertrages. Diese Auslegung des Gesamtvertrages ist dem Urteil des LSG zu entnehmen. § 34 Abs 1 Buchst a des Bundesmantelvertrages-Ärzte regelt statt dessen neben der rechnerischen eine gebührenordnungsmäßige Prüfung. Es ist fraglich, ob darunter auch die Prüfung auf Inanspruchnahme der zuständigen Kasse verstanden werden könnte. Darauf kommt es aber im vorliegenden Fall nicht an. Der Bundesmantelvertrag-Ärzte bestimmt zwar den allgemeinen Inhalt der Gesamtverträge, schließt aber nicht aus, daß diese zusätzliche Gegenstände regeln.
d) Der Antrag der Klägerin ist nicht mißbräuchlich. Welche Gründe für ein berechtigtes Interesse an der Durchführung des Berichtigungsverfahrens sonst in Betracht kommen, kann dahingestellt bleiben; jedenfalls will die Klägerin einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte verfolgen. Es ist für die Entscheidung unerheblich, ob sie diesen Anspruch auch unmittelbar geltend machen könnte, denn der Gesamtvertrag sieht das Verfahren der Richtigstellung vor. Auch ist es zumindest nicht ausgeschlossen, daß der Erstattungsanspruch besteht. Er ist gegeben, wenn im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht worden sind (BSGE 61, 19, 21). Auf ein Verschulden der Beklagten oder der Kassenärzte kommt es nicht an. Einen "Wegfall der Bereicherung" hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Ob die Klägerin von der zuständigen Krankenkasse Erstattung verlangen kann, ist unerheblich. Es ist nicht ersichtlich, daß die Beklagte sie darauf verweisen könnte.
Die Bestimmung des § 110 SGB X ist weder unmittelbar anzuwenden, noch ergibt sich die Beschränkung eines Erstattungsanspruchs der Klägerin auf Einzelfälle mit einem Betrag unter 50,-- DM aus einer entsprechenden Anwendung der Bestimmung. Die Beklagte ist kein "Leistungsträger" iS des § 110 SGB X. Zu den Leistungsträgern gehören nur die in den §§ 18 bis 29 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden (§ 12 SGB I). Die vom LSG erörterte Geltung der §§ 107 bis 114 SGB X auch für andere Erstattungsansprüche als die in §§ 102 bis 105 SGB X würde daran nichts ändern. Dem SGB X läßt sich ferner kein Rechtssatz entnehmen, wonach eine Bagatellgrenze wie die des § 110 Satz 2 SGB X generell gelten soll. Insbesondere rechtfertigt sich die entsprechende Anwendung nicht im Abrechnungsverkehr zwischen KÄV'en und Krankenkassen. Die Konstellation ist hier anders als in den Fällen des § 110 SGB X, in denen ein Leistungsträger an einen Dritten geleistet hat, in Wirklichkeit aber ein anderer Leistungsträger zuständig war. Im vorliegenden Fall handelt es sich dagegen um eine Rückforderung; die Klägerin hat die rückgeforderte Gesamtvergütung im regelmäßigen Zahlungsverkehr an die Beklagte gezahlt. Vor allem aber ist die kassenärztliche Versorgung einschließlich der Abwicklung zwischen KÄV und Kasse nach § 368g Abs 1 Reichsversicherungsordnung aF (jetzt § 83 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung) in den Gesamtverträgen zu regeln. Ein von den Partnern des Gesamtvertrages gewünschter Ausschluß der Erstattung von Bagatellbeträgen gehört in diese Verträge.
Nach alledem ist die Revision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung wird auf § 193 SGG gestützt.
Fundstellen
Haufe-Index 1649091 |
AusR 1991, 30 |