Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Die Mitgliedschaft eines versicherungspflichtigen Studenten bei einer Ersatzkasse für Angestellte endet auch dann mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Arbeiter, wenn er die Mitgliedschaft nach Art. 2 § 4 IV der 12. AufbauV erworben hatte (Ergänzung zu BSGE 55, 185; Abgrenzung zu BSGE 49, 19).
2. Auch nach dem Ausscheiden eines Versicherten bei einer Ersatzkasse hat eine andere Kasse noch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß sie zuständig war, wenn damit zu rechnen ist oder es mindestens möglich erscheint, daß die Zuständigkeitsfrage später erneut streitig werden wird (Abw. von BSG, SozR 1500 § 55 Nr. 33).
Normenkette
SGG § 55
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Kassenzuständigkeit für den Beigeladenen M F (Beigeladener zu 1) während seiner versicherungspflichtigen Tätigkeit als Arbeiter.
Der Beigeladene zu 1) war eingeschriebener Student der Freien Universität Berlin und bis März 1984 bei der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) familienversichert. Zum 1. April 1984 wurde er gemäß Art 2 § 4 Abs. 4 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (Ersatzkassen der Krankenversicherung) -12. AufbauV- vom 24. Dezember 1935 (RGBl I S 1537) idF des Gesetzes über die Krankenversicherung der Studenten vom 24. Juni 1975 (BGBl I S 1536) in die beklagte Angestelltenersatzkasse aufgenommen. Er arbeitete später als "Helfer in der Produktion" bei der beigeladenen Firma und war als solcher in der Zeit vom 10. Dezember 1984 bis 11. Januar 1985 versicherungspflichtig. Die Beklagte sah ihn auch für diesen Zeitraum als ihr Mitglied an und erteilte ihm eine entsprechende Bescheinigung nach § 517 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Die Klägerin bestritt die Zuständigkeit der Beklagten und klagte im April 1985 vor dem Sozialgericht (SG) Berlin auf Feststellung, daß der Beigeladene zu 1) im fraglichen Zeitraum ihr Mitglied gewesen sei. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15. Mai 1986 abgewiesen. Auch die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben (Urteil vom 9. März 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat sich im wesentlichen auf den in Art 2 § 4 Abs. 1 Satz 4 der 12. AufbauV zum Ausdruck gelangten Kontinuitätsgrundsatz gestützt. Entscheidend sei, auf welche Weise die Ersatzkassenmitgliedschaft begründet worden sei. Beruhe sie - wie im Falle des Beigeladenen zu 1) - auf dem Abschluß eines Versicherungsvertrages mit der Ersatzkasse, so ende sie (erst) durch eine Willenserklärung (Austritt); sei sie dagegen durch Ausübung eines gesetzlich eingeräumten Wahlrechts (etwa nach § 514 Abs. 2 iVm § 257d Abs. 2 Nr 2 RVO) zustande gekommen, werde sie als Pflichtmitgliedschaft durch eine vorrangige (andere) Pflichtmitgliedschaft verdrängt Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Verletzung des § 257d Abs. 2 iVm § 514 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des Art 2 § 4 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 4 der 12. AufbauV rügt. Die Mitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) bei der Beklagten habe wegen des Vorrangs seiner Beschäftigten-Pflichtversicherung geendet; dabei sei unerheblich, ob er durch einen Antrag nach Art 2 § 4 Abs. 4 der 12. AufbauV oder durch die Ausübung eines ihm nach § 257d Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zustehenden Wahlrechts Mitglied der Ersatzkasse geworden sei. Für letzteren Fall habe das Bundessozialgericht (BSG) in einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 ausgesprochen, daß die (nachrangige) Pflichtmitgliedschaft bei der Ersatzkasse mit Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ende, wenn der Beschäftigte dem Mitgliederkreis der Ersatzkasse nicht mehr angehöre. Dasselbe müsse erst recht für einen Studenten gelten, der seine Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse nach Art 2 § 4 Abs. 4 der 12. AufbauV erlangt habe.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgericht (LSG) Berlin vom 9. März 1988 und des SG Berlin vom 15. Mai 1986 festzustellen, daß der Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 10. Dezember 1984 bis 11. Januar 1985 ihr versicherungspflichtiges Mitglied gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Landessozialgericht (LSG) für zutreffend.
Die Beigeladenen haben weder Stellung genommen noch Anträge gestellt.
II.
Die Revision der klagenden Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) ist begründet.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Feststellungsbegehren der Klägerin mit Recht für zulässig gehalten, obwohl es einen abgeschlossen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt betrifft, nämlich die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) als Arbeiter vom 10. Dezember 1984 bis zum 11. Januar 1985. Der 8. Senat des BSG hat allerdings in einem Urteil vom 9. Dezember 1987 (SozR 1500 § 55 Nr 33) entschieden, daß das Rechtsschutzinteresse für eine solche Klage in der Regel mit der Beendigung des zugrundeliegenden Beschäftigungsverhältnisses entfällt. Demgemäß hat er die Klage einer Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) auf Feststellung ihrer Zuständigkeit für einen Versicherten als unzulässig angesehen, weil dessen Beschäftigung in dem entschiedenen Fall während des Berufungsverfahrens geendet hatte und die beantragte Feststellung, selbst wenn das Gericht sie antragsgemäß getroffen hätte, keine Folgewirkungen für das Verhältnis der KKn gehabt hätte; insbesondere wäre ein "Beitragsausgleich" zwischen ihnen nicht in Betracht gekommen.
Ob in einem Rechtsstreit mehrerer KKn über die Zuständigkeit für bestimmte Versicherte die gerichtliche Feststellung der Zuständigkeit einer dieser Kassen noch Folgewirkungen für die Vergangenheit auslösen kann, läßt der Senat unentschieden. Auch wenn die Frage in Fällen der vorliegenden Art mit dem 8. Senat zu verneinen wäre, würde dies nach Ansicht des erkennenden 12. Senats ein berechtigtes Interesse der klagenden Krankenkasse (KK) an der Feststellung ihrer Zuständigkeit dann nicht ausschließen, wenn damit zu rechnen ist oder es mindestens möglich erscheint, daß die Zuständigkeitsfrage, solange sie nicht letztinstanzlich geklärt ist, später in anderen Fällen erneut streitig werden wird. Wenn eine solche "Wiederholungsgefahr" besteht, hat die Rechtspr auch für eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines - inzwischen erledigten - Verwaltungsaktes (sog Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG) ein Feststellungsinteresse anerkannt (vgl BSGE 40, 190, 196 = SozR 4100 § 116 Nr 1; 42, 212, 217; Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, § 131 RdNr 10 mwN). Für eine Klage auf Feststellung der Zuständigkeit eines Versicherungsträgers kann nichts anderes gelten. Insoweit besteht sogar ein gesteigertes Feststellungsbedürfnis für die beteiligten Versicherungsträger, weil die Klärung ihres Zuständigkeitsbereichs bzw bei ErsKn die Abgrenzung ihres Mitgliederkreises in der Regel für sie noch größere Bedeutung hat als etwa die Entscheidung einer nur einzelne Versicherte betreffenden Rechtsfrage. Zu fordern ist allerdings, daß der Zuständigkeitsstreit sich auf einen konkreten Sachverhalt bezieht (vgl Meyer-Ladewig aaO § 55 RdNr 10). Dies trifft im vorliegenden Rechtsstreit zu. Daß hier der zu beurteilende Sachverhalt abgeschlossen in der Vergangenheit liegt, ändert am Feststellungsinteresse der Klägerin nichts. Ihre Klage ist deshalb zulässig. Mit dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat zwar von dem schon genannten Urteil des 8. Senats ab. Trotzdem brauchte er nicht vorher den Großen Senat anzurufen, weil er inzwischen allein über Zuständigkeitsstreitigkeiten der vorliegenden Art zu entscheiden hat (vgl BSGE - GrS - 58, 183, 188 = SozR 1500 § 42 Nr 10).
Der Beigeladene zu 1) war während des fraglichen Zeitraums (10. Dezember 1984 bis 11. Januar 1985) Pflichtmitglied der Klägerin. Denn seine vorausgegangene Versicherungspflicht als Student (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO) und seine darauf beruhende Mitgliedschaft bei der Beklagten endeten mit dem Eintritt seiner Versicherungspflicht als Arbeiter am 10. Dezember 1984 (§ 165 Abs 6 Satz 2 RVO). Als Angestelltenersatzkasse war die Beklagte zur Neubegründung einer Mitgliedschaft für die Beschäftigung als Arbeiter nicht befugt. Sie durfte aber auch die bisherige Mitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) nicht weiterführen. Der 8. Senat des BSG hat schon im Urteil vom 28. Juni 1983 (BSGE 55, 185 = SozR 2200 § 517 Nr 6) entschieden, daß die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Studenten, die als solche Mitglieder einer ErsK geworden sind, mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung endet und deshalb nicht zur Befreiung von der Mitgliedschaft bei der gesetzlichen Krankenkasse (KK) berechtigt. Allerdings hatte der Versicherte in dem damals entschiedenen Fall seine Mitgliedschaft bei der ErsK nach § 257d Abs 2 iVm § 514 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) beantragt, während der Beigeladene zu 1) von der Beklagten nach Art 2 § 4 Abs 4 der 12. AufbauV aufgenommen worden ist. Nach dieser zum 1. Oktober 1975 in die 12. AufbauV eingefügten Bestimmung durften die ErsKn für Angestellte die in § 165 Abs 1 Nr 5 Reichsversicherungsordnung (RVO) bezeichneten Versicherten (eingeschriebene Studenten) aufnehmen, wenn diese im Zeitpunkt der Aufnahme in dem Bezirk wohnten, für den die ErsK zugelassen war. Die Mitgliedschaft bei der ErsK befreite dann kraft Gesetzes von der Mitgliedschaft bei der nach § 257d Reichsversicherungsordnung (RVO) zuständigen KK, gab also nicht nur ein "Recht auf Befreiung" (§ 517 Abs 1 RVO), auf das der Versicherte - mit der Folge einer Doppelmitgliedschaft in zwei Kassen - auch verzichten konnte. Eine nach Art 2 § 4 Abs 4 der 12. AufbauV erworbene Mitgliedschaft bei der ErsK bestand dagegen von vornherein nur bei dieser. Sie war deshalb, was ihr Verhältnis zu einer durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entstandenen Mitgliedschaft betrifft, nicht anders zu behandeln wie eine nach § 257d Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) begründete. Nach dieser, ebenfalls zum 1. Oktober 1975 in Kraft getretenen Bestimmung gehörten pflichtversicherte Studenten grundsätzlich der für ihren Wohnort zuständigen Ortskrankenkasse (OKK) an (Abs 1). Sie konnten aber nach Abs 2 aaO auch die Mitgliedschaft bei der für den Sitz der Hochschule zuständigen Ortskrankenkasse (OKK) (Nr 1) oder bei der Krankenkasse (KK) beantragen, bei der sie zuletzt Mitglied waren oder bei der für sie zuletzt Anspruch auf Familienkrankenpflege bestand (Nr 2). Diese Regelung galt für ErsKn entsprechend (§ 514 Abs 2 RVO), so daß Studenten unter den Voraussetzungen des § 257d Abs 2 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) auch einer ErsK beitreten konnten.
Wäre der Beigeladene zu 1) im April 1984 nach der zuletzt genannten Bestimmung Mitglied der Beklagten geworden, so hätte beim Eintritt seiner Versicherungspflicht als Arbeiter nach § 165 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) diese seine bisherige, aber nachrangige (§ 165 Abs 6 Satz 2 RVO) Versicherungspflicht als Student nach § 165 Abs 5 Reichsversicherungsordnung (RVO) verdrängt und deshalb auch seine - auf der studentischen Versicherungspflicht beruhende - Mitgliedschaft bei der Beklagten enden lassen. In diesem Sinne hat schon der 3. Senat des BSG in einem Urteil vom 20. Juli 1976 (BSGE 42, 113, 115 = SozR 2200 § 165 Nr 13) für den Fall der Aufnahme einer Beschäftigung durch einen versicherungspflichtigen Rentner entschieden; dem hat sich für Studenten der 8. Senat (aaO, 187) angeschlossen. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, den Fall des Beigeladenen zu 1) deswegen anders zu beurteilen, weil dieser seine Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht nach § 257d Abs 2 Nr 2 RVO, sondern nach Art 2 § 4 Abs 4 der 12. AufbauV erworben hatte. Denn auch bei dieser Mitgliedschaft stand er - wie bei einer nach § 257d Abs 2 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) begründeten - in einem Versicherungsverhältnis, das gegenüber einer Pflichtversicherung nach § 165 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) nachrangig war (§ 165 Abs 6 Satz 2 RVO) und daher mit deren Beginn endete.
Der Beigeladene zu 1) verblieb auch nicht deswegen über den 9. Dezember 1984 hinaus bei der Beklagten, weil nach Art 2 § 4 Abs 1 Satz 4 der 12. AufbauV Versicherungspflichtige, die ihre Eigenschaft als Angestellte oder Arbeiter verloren, weiterhin Mitglieder ihrer bisherigen ErsK bleiben konnten. Denn der in dieser Vorschrift zum Ausdruck gelangte Kontinuitätsgrundsatz galt nicht, wenn die bisherige Mitgliedschaft bei der ErsK durch eine vorrangige Pflichtmitgliedschaft verdrängt wurde (BSGE 42, 113, 115 f).
Dem Kassenwechsel des Klägers zum 10. Dezember 1984 stand auch nicht das Urteil des 8b-Senats vom 30. August 1979 (BSGE 49, 19 = SozR 2200 § 517 Nr 4) entgegen. Danach sollte ein versicherungsberechtigtes Mitglied einer ErsK (§ 514 Abs 1 iVm § 176b RVO), das in eine versicherungspflichtige Beschäftigung eintrat, ohne mit ihr zum aufnahmeberechtigten Personenkreis der ErsK zu gehören, die Mitgliedschaft bei ihr behalten. Zu diesem Ergebnis ist der 8b-Senat jedoch in erster Linie deswegen gekommen, weil nach dem seinerzeit für ErsKn geltenden Recht der Eintritt in eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ohne weiteres zum Ende der freiwilligen Versicherung bei der ErsK führte. Insbesondere fand § 312 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) auf ErsKn keine Anwendung, vielmehr war grundsätzlich eine Doppelmitgliedschaft zulässig (vgl auch § 517 Abs 2 RVO). Diese Begr ist indessen auf den - hier vorliegenden - Fall der Verdrängung einer nachrangigen Pflichtmitgliedschaft durch eine vorrangige nicht übertragbar.
Entgegen der Ansicht des Landessozialgericht (LSG) kommt es für die Entscheidung des Falles schließlich nicht darauf an, ob die Mitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) bei der Beklagten im April 1984 durch Vertrag begründet wurde oder auf gesetzlicher Zuweisung beruhte. Auch die genannten Urteile des 3. und 8. Senats des BSG stellen nicht darauf ab. Entscheidend war danach vielmehr, ob das Versicherungsverhältnis zur ErsK durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung kraft Gesetzes sein Ende fand und durch ein anderes verdrängt wurde oder ob dies nicht zutraf. Im ersten Fall, der hier vorliegt, endete auch die Ersatzkassenmitgliedschaft. Deshalb kann dahinstehen, ob die "Aufnahme" eines versicherungspflichtigen Studenten nach Art 2 § 4 Abs 4 der 12. AufbauV durch "Vertrag" und damit auf andere Weise vor sich ging als der Erwerb einer Ersatzkassenmitgliedschaft nach § 257d Abs 2 Nr 2 RVO, wie das Landessozialgericht (LSG) angenommen hat. Unentschieden läßt der erkennende Senat ferner, ob dem angeführten Urteil des 8b-Senats auch für das ab 1. Januar 1989 geltende neue Recht zu folgen ist (vgl dazu §§ 181, 183 Abs 1, 184 Abs 2 SGB V).
Fundstellen