Leitsatz (amtlich)
Eine Heiratsabfindung nach BVG § 44 Abs 1 nF steht der Witwe bei ihrer 3. Eheschließung auch dann nicht zu, wenn die 2. Ehe wegen Irrtums in der Eigenschaft des 2. Ehemannes (geistige Störung) aufgehoben worden ist (Fortführung von BSG 1962-06-19 11 RV 32/62 = BSGE 17, 120).
Leitsatz (redaktionell)
1. Ob eine Ehe wirksam geschlossen ist, bestimmt sich nach dem Eheaufhebungsurteil. Die Aufhebung ist von den Folgen der Nichtigkeit verschieden, während die Folgen der Eheaufhebung denen der Ehescheidung gleichgestellt sind.
2. Die wiederaufgelebte Rente ist ein Anspruch eigener Art.
Normenkette
BVG § 44 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; EheG § 28 Fassung: 1946-02-20, § 37 Abs. 1 Fassung: 1946-02-20
Tenor
Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22. Oktober 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin bezog, nachdem ihre zweite Ehe aufgehoben worden war, Witwenrente nach ihrem durch Beschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 27. Januar 1950 für tot erklärten ersten Ehemann seit 1. Mai 1961. Am 29. November 1963 schloß sie ihre dritte Ehe und beantragte am 18. Februar 1964 Heiratsabfindung. Das Versorgungsamt lehnte diese mit Bescheid vom 16. März 1964 ab. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29. April 1964). Mit der Klage brachte die Klägerin vor, daß ihre zweite Ehe nicht durch Scheidung aufgelöst, sondern wegen einer Geistesstörung des Ehemannes (Epilepsie) aufgehoben worden sei. Diese Ehe müsse so behandelt werden, als habe sie tatsächlich nicht bestanden. Das Sozialgericht (SG) Detmold wies mit Urteil vom 22. Oktober 1965 die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Heiratsabfindung, weil nur die erste Ehe nach dem Tod des Gefallenen als Wiederverheiratung im Sinne des § 44 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) angesehen werden könne. Die wiederaufgelebte Rente nach Lösung der zweiten Ehe rechtfertige nicht die Annahme, daß bei erneuter Eheschließung diese Rente wieder abzufinden sei. Die wegen Geisteskrankheit aufgehobene Ehe sei nicht von Anfang an nichtig (§ 32 Abs. 1 des Ehegesetzes - EheG -). Die Auflösung sei daher auch erst mit der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts (LG) Bielefeld vom 16. Dezember 1959 wirksam geworden. Das SG ließ die Berufung zu.
Nachdem die Beteiligten zur Niederschrift des SG Detmold am 22. Oktober 1965 erklärt haben, daß sie mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden sind, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin am 1. Dezember 1965 gegen das am 11. November 1965 zugestellte Urteil Sprungrevision zum Bundessozialgericht (BSG) mit dem Antrag eingelegt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Witwenabfindung in gesetzlicher Höhe zu gewähren und hierüber einen Bescheid zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin rügt Verletzung der §§ 28 ff des EheG. Die zweite Ehe sei aufgehoben worden. Aufhebungsgründe seien schon vor der Eingehung der Ehe vorhanden, während sich Scheidungsgründe erst während der Ehe ergäben. Daher komme die Aufhebung der Ehe der Nichtigkeit näher als eine Scheidung.
Der Beklagte erklärt, daß es eine Eheanfechtung ex tunc wegen Geisteskrankheit nicht mehr gebe, die Ehe werde ex nunc aufgelöst (vgl. § 37 Abs. 1 des EheG).
Eine Sprungrevision ist nur statthaft, wenn das erstinstanzliche Urteil nach § 150 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Berufung anfechtbar ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da das SG die Berufung im Urteil vom 22. Oktober 1965 zugelassen hat (§ 150 Nr. 1 SGG). Nach § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG hat der Rechtsmittelgegner (der Beklagte) in die Sprungrevision durch schriftliche Erklärung einzuwilligen; nach Satz 2 ist diese Erklärung der Revisionsschrift beizufügen. Hierzu genügt die Vorlage einer beglaubigten Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem SG (BSG 12, 230).
Die Sprungrevision gegen das erstinstanzliche Urteil ist daher form- und fristgerecht eingelegt.
Sie ist aber nicht begründet.
Im Falle der Wiederverheiratung erhält die Witwe anstelle des Anspruchs auf Witwenrente eine Abfindung in Höhe des 50-fachen der monatlichen Grundrente (§ 44 Abs. 1 Satz 1 BVG idF des 1. Neuordnungsgesetzes - NOG - vom 27. Juni 1960; BGBl I 433). Diese Fassung des Gesetzes ist durch das 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) nicht, durch das 3. NOG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) nicht einschlägig berührt worden. Streitig ist, ob die Eheschließung vom 29. November 1963 als dritte Eheschließung zu gelten hat oder ob die aufgelöste zweite Eheschließung einer nichtigen Eheschließung gleichkommt, so daß die vom SG als dritte Eheschließung bezeichnete Ehe rechtlich erst die zweite Ehe wäre.
Ob eine Ehe wirksam geschlossen ist, bestimmt sich nach dem Eheaufhebungsurteil. Das LG Bielefeld hat im Urteil vom 16. Dezember 1959 die am 12. Oktober 1950 geschlossene zweite Ehe aufgehoben; die Berufung ihres zweiten Ehemannes hatte keinen Erfolg (Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Hamm vom 9. Dezember 1960). Das Urteil ist seit dem 10. Februar 1961 rechtskräftig. Die Ehe ist in Anwendung deutschen Rechts (Art. 13 EGBGB - Urteil des OLG -) aufgehoben worden. Eheaufhebungsgrund war ein Tatbestand nach § 32 Abs. 1 EheG. Die Folgen der Aufhebung einer Ehe bestimmen sich gemäß § 37 Abs. 1 des EheG nach den Vorschriften über die Folgen der Ehescheidung. Danach wird die Ehe nur für die Zukunft aufgelöst, nicht aber rückwirkend vernichtet (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 1966 EheG, § 37 Anm. 2).
Die Aufhebung ist mithin von den Folgen der Nichtigkeit verschieden, während die Folgen der Eheaufhebung denen der Ehescheidung gleichgestellt sind. An dieser Rechtsfolge ändert auch nichts der Umstand, daß die Eheaufhebungsgründe schon bei Eingehung der Ehe vorhanden waren. Denn nach § 32 Abs. 1 EheG müssen diese Voraussetzungen - Irrtum über persönliche Eigenschaften des Ehegatten - schon in dem Zeitpunkt der Eheschließung vorgelegen haben. Die am 12. Oktober 1950 geschlossene Ehe ist mithin die zweite Ehe und die am 29. November 1963 geschlossene Ehe, auf welche die Klägerin den Anspruch auf Heiratsabfindung stützt, die dritte Ehe. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG 12, 127; 15, 246; 17, 120) ist unter Wiederverheiratung und "neuer Ehe" im Sinne des § 44 BVG idF vom 1. Juli 1957 (BGBl I 453) seit 1957 immer nur die erste Ehe nach dem Tode des an einer Schädigung Verstorbenen gemeint. An dieser Rechtslage hat sich auch durch das 1., 2. und 3. NOG nichts geändert. Wie in BSG 17, 122 näher ausgeführt ist, kann auch aus dem Wiederaufleben der Versorgungsrente nach Auflösung der Ehe der Kriegerwitwe ohne ihr überwiegendes Verschulden (§ 44 Abs. 2 BVG) nicht darauf geschlossen werden, daß nach Auflösung der zweiten Ehe erneut ein Anspruch auf Heiratsabfindung entsteht. Die "wiederaufgelebte Witwenrente" ist vielmehr nicht mehr mit dem Anspruch auf Heiratsabfindung verknüpft. Eine solche Rechtsfolge hätte der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck bringen müssen, wie er auch das Wiederaufleben der Versorgungsrente ausdrücklich geregelt hat. Die Anrechnungsvorschrift in § 44 Abs. 5 BVG idF des 1. NOG besagt schließlich auch, daß die wiederaufgelebte Rente ein Anspruch eigener Art ist und nicht der Witwenrente gleichsteht, welche die Berechtigte nach dem Tode des versorgungsberechtigten Ehemannes erhält. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung voll an; er hält im übrigen an der ständigen Auffassung des BSG, an der er selbst mitgewirkt hat, fest.
Die Klägerin hat mithin keinen Anspruch auf Heiratsabfindung aus Anlaß des Eingehens ihrer "dritten" Ehe. Das angefochtene Urteil des SG Detmold ist sonach frei von Rechtsirrtum. Die Sprungrevision der Klägerin war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2380242 |
BSGE, 77 |