Orientierungssatz

Der Dienst eines Zollbeamten im verstärkten Grenzaufsichtsdienst in Schleswig-Holstein während des 2. Weltkrieges ist keine Ersatzzeit iS des RVO § 1251 Abs 1 Nr 1, weil dieser Dienst nicht als militärähnlicher Dienst iS des BVG § 3 anzusehen ist.

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; BVG § 3 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1950-12-20

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 08.02.1977; Aktenzeichen L 5 J 316/75)

SG Kiel (Entscheidung vom 01.09.1975; Aktenzeichen S 5 J 123/75)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 1977 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger durch eine Anrechnung der Dienstzeit im verstärkten Grenzaufsichtsdienst (Zollgrenzschutz) als Ersatzzeit die Wartezeit für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllen kann. Der Kläger war während des zweiten Weltkrieges vom 3. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 als Zollbeamter im verstärkten Grenzaufsichtsdienst bei der Zollaufsichtsstelle in W in Schleswig-Holstein tätig. Er meint, bei diesem Dienst habe es sich um militärähnlichen Dienst iS des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gehandelt, denn er sei im Küstenüberwachungsdienst eingesetzt gewesen und seine Dienststelle habe einer Marinedienststelle (Küstenüberwachungsstelle) unterstanden.

Die Beklagte hat den Rentenantrag mit Bescheid vom 25. März 1975 abgelehnt. Der Kläger habe nur 13 Kalendermonate Beitragszeiten zurückgelegt, die Zeit im verstärkten Grenzaufsichtsdienst sei keine Ersatzzeit. Die Klage hat das Sozialgericht (SG) Kiel mit Urteil vom 11. September 1975 abgewiesen. Die vom Kläger eingelegte Berufung wurde vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 8. Februar 1977 zurückgewiesen. Zur Begründung dieses Urteils wird u.a. ausgeführt, bei dem Dienst im Zollgrenzschutz habe es sich um keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst iS der §§ 2 und 3 BVG gehandelt. Der Zollgrenzschutz im Küstengebiet sei zwar generell in den verstärkten Grenzaufsichtsdienst einbezogen und insoweit militärischen Kommandostellen untergeordnet gewesen. Soweit der Kläger aber Aufgaben der Reichsfinanzverwaltung wahrgenommen habe, habe es sich um zivilen Verwaltungsdienst gehandelt. Dazu habe wie in Friedenszeiten die Wahrnehmung von grenzpolizeilichen Sicherungsaufgaben gehört. Schon deswegen könne der Dienst des Klägers nicht schlechthin als militärähnlicher Dienst angesehen werden. Das sei vielmehr jeweils im Einzelfall zu prüfen. Dabei sei der in § 3 Abs 2 BVG niedergelegte Gedanke zu berücksichtigen, daß militärähnlicher Dienst erst vorliege, wenn ein Einsatz mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden gewesen sei. Der Kläger habe aber in der streitigen Zeit den gleichen Dienst wie vorher verrichtet. Es habe kein Übergewicht militärähnlichen Dienstes gegenüber der zivilen Dienstleistung bestanden; das Schwergewicht seiner Obliegenheiten habe auf dem Gebiet der Zolldienstverrichtung gelegen, die militärischen Aufgaben seien weit in den Hintergrund getreten. Gegen das Urteil hat der erkennende Senat die Revision zugelassen.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision vor, der Dienst im verstärkten Grenzaufsichtsdienst sei über eine unterstützende Tätigkeit ohne militärische Merkmale wesentlich hinausgegangen, indem er mit der Waffe in der Hand, in soldatischer Art und stellvertretend für Wehrmachtsteile ausgeübt worden sei. Das werde auch dadurch bewiesen, daß ihm das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse mit Schwertern verliehen worden sei. Ein Abwägen von militärischem oder militärähnlichem Dienst gegenüber der zivilen Dienstleitung als Zollbeamter sei nicht entscheidend, weil der Dienst im verstärkten Grenzaufsichtsdienst generell militärähnlich gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil und den Bescheid der Beklagten vom 25. März 1975 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm vom 1. November 1974 ab eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger kann keine Rente gewährt werden, weil die dafür erforderliche Wartezeit nicht erfüllt ist. Das wäre nur der Fall, wenn die Zeit im verstärkten Grenzaufsichtsdienst während des zweiten Weltkrieges in Schleswig-Holstein als Ersatzzeit iS des § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) angerechnet werden könnte. Das ist aber nicht möglich, weil es sich hierbei nicht um eine Zeit des militärähnlichen Dienstes iS des § 3 BVG gehandelt hat.

Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß der Dienst eines Zollbeamten im verstärkten Grenzaufsichtsdienst nicht generell als militärähnlicher Dienst iS des § 3 BVG anzusehen ist. Das ergibt sich schon daraus, daß dieser Dienst in § 3 BVG nicht genannt wird. Es ist daher zu prüfen, ob er im Einzelfall als militärähnlicher Dienst zu gelten hat. Von den in § 3 BVG genannten Diensten, die als militärähnlicher Dienst gelten, könnte lediglich der in Abs 1 Buchst d genannte Dienst in Betracht kommen. Dafür, daß der Kläger aufgrund einer Einberufung durch eine militärische Dienststelle oder auf Veranlassung eines militärischen Befehlshabers für Zwecke der Wehrmacht Dienst geleistet hat (§ 3 Abs 1 Buchst b BVG), ist nichts festgestellt. Nach § 3 Abs 1 Buchst d BVG gilt u.a. der Dienst der Beamten der Zivilverwaltung, die auf Befehl ihrer Vorgesetzten zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet wurden und damit einem militärischen Befehlshaber unterstellt waren, als militärähnlicher Dienst. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang der Kläger einem militärischen Befehlshaber unterstellt war, denn nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht gebunden ist, sind jedenfalls die sonst geforderten Voraussetzungen des § 3 Abs 1 Buchst d BVG nicht erfüllt.

Dabei ist zwar nicht erforderlich, wie das LSG meint, daß der Dienst mit besonderen, kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden war; der Dienst muß jedoch überwiegend zur Unterstützung militärischer Maßnahmen geleistet worden sein. Der erkennende Senat hat bereits in einem Urteil vom 22. August 1973 (SozR Nr 69 zu § 1251 RVO) entschieden, daß Zeiten der Notdienstverpflichtung im zweiten Weltkrieg nur dann als militärähnlicher Dienst gemäß § 3 Abs 1 Buchst k BVG Ersatzzeiten sind, wenn sie den Dienstverpflichteten zeitlich voll in Anspruch genommen haben; ferner hat der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 20. Oktober 1977 - 11 RA 108/76 - für den Dienst eines Zollbeamten im verstärkten Grenzaufsichtsdienst an der deutsch-sowjetischen Interessengrenze von Ende 1939 bis Anfang 1941 militärähnlichen Dienst iS des § 3 Abs 1 Buchst d BVG verneint, weil der Versicherte nicht in dem zu der Anwendung dieser Vorschrift erforderlichen Maße zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet worden war. § 3 Abs 1 Buchst d BVG setze voraus, daß die Verwendung zur Unterstützung militärischer Maßnahmen die Verwendung für andere Zwecke überwogen habe (vgl auch BSGE 4, 8, 15 und auch SozR Nr 11 zu § 3 BVG zur Auslegung des Begriffs für Zwecke der Wehrmacht in § 3 Abs 1 Buchst m BVG). Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an.

Der vom LSG festgestellte Sachverhalt läßt aber schon nicht erkennen, daß der Kläger überhaupt zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet worden ist. Dazu genügt nicht die Erweiterung seines Pflichtenkreises um die Beobachtung und Meldung militärisch interessanter Vorgänge, weil das im Rahmen einer von einem Zollgrenzschutz erwarteten Tätigkeit lag; auch die Heranziehung zu Schießübungen, zu Lehrübungen an einer Heeresschule für die Hundeausbildung sowie zur militärischen Ausbildung von Hilfskräften des Zollgrenzschutzes stellt noch keine Verwendung zur Unterstützung militärischer Maßnahmen dar. Es kommt hierfür nicht darauf an, ob die Tätigkeit zugleich im militärischen Interesse lag und sich unter Bedingungen vollzog, wie sie sich auch im Militärdienst finden (Tragen von Uniform und Waffen); unerheblich ist ferner, daß die Aufgaben ebenso von militärischer Seite hätten wahrgenommen werden können. "Militärische Maßnahmen" iS des § 3 Abs 1 Buchst d BVG sind im wesentlichen nur diejenigen Maßnahmen, die der Kriegsführung selbst, d.h. der Vorbereitung und Durchführung von Angriffs- oder Verteidigungshandlungen dienen; daß der Kläger an solchen Maßnahmen beteiligt war, ist nicht festgestellt. Auf keinen Fall kann jedoch eine Verwendung des Klägers zur Unterstützung militärischer Maßnahmen den während des Krieges weiter ausgeübten Zolldienst überwogen haben. Die Gründe für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes zweiter Klasse mit Schwertern sind insoweit nicht zu prüfen; desgleichen ist von der beantragten Beiziehung weiterer Akten und Unterlagen abzusehen, weil das Revisionsgericht keine tatsächlichen Feststellungen treffen darf (vgl § 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Da somit der vom Kläger im verstärkten Zollgrenzschutz geleistete Dienst keinen militärähnlichen Dienst iS des § 3 BVG darstellt und damit auch keine Ersatzzeit iS des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO ist, die zur Erfüllung der Wartezeit für die begehrte Rente führen könnte, ist die Klage zu Recht abgewiesen worden, so daß die Revision des Klägers zurückgewiesen werden mußte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651951

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