Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz auf den Weg zur Kantine während eines der beruflichen Bildung dienenden Lehrgangs
Leitsatz (redaktionell)
Eine andere Beurteilung kommt dann in Betracht, wenn entweder über die übliche unverbindliche Pflege kollegialer Verbindung hinaus ein Treffen der Lehrgangsteilnehmer nach der Art eines Betriebsfestes oder -ausfluges organisiert oder eine Lehrgangsveranstaltung außerhalb des üblichen Dienstplanes - wie etwa die verhältnismäßig frei zu gestaltende Benutzung von Hochschuleinrichtungen durch Studierende - geplant ist.
Orientierungssatz
1. Ein Freizeittreffen mit Kollegen in der Kantine der Einrichtung, in der ein berufsbildender Lehrgang stattfindet, kann üblicherweise nicht auf die Veranstaltung, die für die Beschäftigung nützlich ist, in der für die Begründung des Unfallversicherungsschutzes gebotenen Weise funktionell bezogen werden. Die verbreitete Gewohnheit, bei solchen privaten Zusammenkünften auch über die Bildungsveranstaltung, insbesondere über Lehrplanthemen, zu sprechen, genügt für sich allein nicht, um ein solches Beisammensein dem versicherungsrechtlich geschützten Dienstbereich zuzurechnen.
2. Ein Lehrgangsteilnehmer, der nach elftägigem Aufenthalt auf dem Weg zu einem außerdienstlichen Kantinenbesuch über eine unbeleuchtete Stufe stolpert, fällt nicht einer besonderen Gefahr zum Opfer, die dem Lehrgangsgelände als einer ihm fremden Umgebung eigentümlich wäre.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 550 Abs. 1 Fassung: 1974-04-01
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 17.12.1980; Aktenzeichen L 3 U 46/80) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 27.02.1980; Aktenzeichen S 10 U 278/78) |
Tatbestand
Der Kläger erlitt am 5. Mai 1977 einen Bruch der linken Kniescheibe bei einem Sturz im Bereich der Logistikschule der Bundeswehr in H., wo er an einem EDV-Lehrgang teilnahm. Nach Dienstschluß wollte er gegen 22.00 Uhr von der Kaserne, in der er untergebracht war, zur Offizierskantine gehen. Er erwartete, andere Lehrgangsteilnehmer dort zu treffen. Auf dem Weg stolperte er über eine unbeleuchtete Stufe und stürzte. Er war bis zum 19. Juli 1977 arbeitsunfähig. Nachdem die Beklagte eine Entschädigung abgelehnt hatte (Bescheid vom 9. Mai 1978, Widerspruchsbescheid vom 30. August 1978), verurteilte das Sozialgericht die Beklagte zur Gewährung einer solchen (Urteil vom 27. Februar 1980). Das Landessozialgericht (LSG) wies die Klage ab (Urteil vom 17. Dezember 1980). Es nahm keinen Arbeitsunfall an. Der Sturz sei dem "eigenwirtschaftlichen" Bereich des Klägers zuzuordnen, weil er sich auf dem Weg zu einer privaten Verrichtung ereignet habe. Diese habe eine Beziehung zum Dienst nicht etwa deshalb gehabt, weil der Kläger sich mit Kollegen über Dienstliches habe unterhalten wollen; die privaten Belange hätten bei dem angestrebten Kantinenbesuch überwogen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn konkrete, für den Lehrgang bedeutsame Zielsetzungen in bestimmter Weise verabredet worden wären. Der Kläger sei auch nicht einer besonderen Gefahr am auswärtigen Aufenthaltsort zum Opfer gefallen, die infolge seiner Unkenntnis des fremden Bereiches wirksam geworden und ihm an seinem Wohn- und Beschäftigungsort nicht begegnet wäre. Er habe die Örtlichkeit von einem früheren Lehrgang her und außerdem deshalb gekannt, weil er schon wieder 11 Tage dort gewesen sei. Auf dem Weg, der ihm vertraut gewesen sein müsse, sei eine Stufe nichts Besonderes, womit er nicht habe zu rechnen brauchen, gewesen.
Der Kläger hat - die vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revision - eingelegt. Nach seiner Auffassung hat das LSG die Anforderungen an "besondere Beziehungen zur dienstlichen Sphäre" überspannt. Solche Kantinenbesuche wie der vom Kläger geplante gehörten insgesamt zum dienstlich geprägten Teil eines Lehrganges; sie dienten der Verbindung zwischen den Teilnehmern und zu den Dozenten. Es wäre lebensfremd, einen dienstlichen von einem "eigenwirtschaftlichen" Bereich zu trennen. Auch sei die unbeleuchtete Stufe eine besondere Gefahrenquelle des Kasernengeländes gewesen, die der Kläger selbst nach einigen Tagen nicht hätte kennen müssen. Zudem habe es zur Unfallzeit stark geregnet. Zu Hause wäre ein solcher Stolperstein beleuchtet oder dem Kläger genügend vertraut gewesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Sie tritt in vollem Umfange der Begründung des Berufungsurteils bei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht die Klage abgewiesen.
Der Sturz des Klägers am 5. Mai 1977, der den Bruch der linken Kniescheibe verursachte, mithin ein Unfall (vgl zB BSG SozR Nr 1 zu § 838 RVO), war kein Arbeitsunfall, dessen gesundheitliche Folgen die Beklagte zu entschädigen hätte (§ 537 Nr 2 RVO).
In erster Linie ist dieser Vorgang nicht nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO als ein Arbeitsunfall zu werten, den ein Versicherter ua bei einer der nach § 539 Abs 1 Satz 1 RVO versicherten Arbeitnehmertätigkeit erlitten haben muß. Die Unfallverletzung stand nicht im erforderlichen Ursachenzusammenhang mit einer Verrichtung, die dem Beschäftigungsverhältnis zuzurechnen wäre. Der Kläger nahm wohl als Versicherter in Auswirkung seines Angestelltenverhältnisses an dem auswärtigen EDV-Lehrgang teil (BSGE 8, 48; 30, 282f = SozR Nr 19 zu § 548 RVO; BSGE 30, 284, 285ff = SozR Nr 16 zu § 548 RVO; SozR Nr 33 zu § 542 RVO aF; Nr 29 zu § 548 RVO; Breithaupt 1976, 798, 802; BSG 29. Oktober 1981 - 8/8a RU 72/80- Rundschreiben VB 41/82 des HVGBG vom 25. Februar 1982). Jedoch stand er nicht etwa während des gesamten Aufenthaltes in der Logistikschule der Bundeswehr, in der die Bildungsveranstaltung stattfand, bei allen seinen Betätigungen ständig unter Versicherungsschutz (BSGE 8, 48, 50f; 39, 180f = SozR 2200 § 548 Nr 7; SozR Nrn 17, 33, 57 zu § 542 RVO aF; Nr 47 zu § 543 RVO aF; Nrn 3 und 5 zu § 548 RVO; 2200 § 548 Nrn 21 und 33; BSG USK 80298; BSG 22. September 1966 - 2 RU 16/65 -). Das ist unter den Beteiligten nicht streitig, ist aber bedeutsam für die umstrittene Zuordnung des Zieles, das der Kläger nach dem Verlassen seiner Unterkunft anstrebte.
Sein Unfall gilt auch nicht nach § 550 Abs 1 Satz 1 RVO als Arbeitsunfall; dh er ist nicht als Unfall auf einem Weg zu einer versicherten Tätigkeit, mit der er hätte zusammenhängen müssen, zu beurteilen.
Der Kläger wollte nach Dienstschluß spät abends die Kantine aufsuchen und dort einer Freizeitbetätigung nachgehen. Während einer auswärtigen berufsbezogenen Tätigkeit, insbesondere während eines der beruflichen Bildung dienenden Lehrganges, erstreckt und beschränkt sich der Versicherungsschutz auf solche Verrichtungen, die unmittelbar dieser Veranstaltung dienen und damit mittelbar der Beschäftigung des Versicherten sowie dem Beschäftigungsbetrieb nützlich sind (BSG aaO). Ein solcher funktioneller Zusammenhang mit dem Zweck des Lehrganges bestand nicht für einen privaten Besuch der Kantine. Der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung in der dienstfreien Zeit ist auch während einer Dienstreise dem persönlichen, nicht betriebsbezogenen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen, der grundsätzlich nicht unter Versicherungsschutz steht (BSG aaO; BSGE 12, 247, 250f; 50, 100f = SozR 2200 § 548 Nr 50). Eine Freizeitbetätigung gehört allgemein nicht zum versicherten Bereich (BSGE 8, 48, 50; BSG SozR Nr 33 zu § 542 RVO aF; 2200 § 548 Nr 21; SozEntsch BSG IV RVO § 542 (a) Nr 39). Dieser mag während einer Dienstreise weiter sein als unter den gängigen Lebensverhältnissen bei der Arbeit am üblichen Beschäftigungsort sowie auf dem Weg von der Wohnung dorthin und zurück (BSG aaO, insbesondere BSGE 8, 48, 52; BSG SozR Nr 57 zu § 542 RVO aF; Nr 47 zu § 543 RVO aF; Nrn 3 und 5 zu § 548 RVO; USK 80298). Dennoch kann ein Freizeittreffen mit Kollegen in der Kantine der Einrichtung, in der ein berufsbildender Lehrgang stattfindet, üblicherweise nicht auf die Veranstaltung, die für die Beschäftigung nützlich ist, in der gebotenen Weise funktionell bezogen werden. Die verbreitete Gewohnheit, bei solchen privaten Zusammenkünften auch über die Bildungsveranstaltung, insbesondere über Lehrplanthemen, zu sprechen, genügt für sich allein nicht, um ein solches Beisammensein dem versicherungsrechtlich geschützten Dienstbereich zuzurechnen.
Eine andere Beurteilung könnte in einem Fall wie dem gegenwärtigen nur unter zwei verschiedenen tatsächlichen Voraussetzungen in Betracht kommen: Entweder müßte über die übliche unverbindliche Pflege kollegialer Verbindung hinaus ein Treffen der Lehrgangsteilnehmer nach der Art eines Betriebsfestes oder -ausfluges organisiert gewesen sein (vgl dazu BSGE 17, 280 = SozR Nr 56 zu § 542 RVO aF; 2200 § 548 Nr 21) oder eine Lehrgangsveranstaltung außerhalb des üblichen Dienstplanes, die etwa wie die verhältnismäßig frei zu gestaltende Benutzung von Hochschuleinrichtungen durch Studierende (vgl dazu § 539 Abs 1 Nr 14 Buchstabe d RVO; BSGE 28, 2O4, 2O5 ff = SozR Nr 9 zu § 539 RVO; BSGE 44, 100, 102 ff= SozR 2200 § 539 Nr 36) zu beurteilen sein könnte, hätte geplant gewesen sein müssen. Der Kläger behauptet aber nicht, daß die eine oder andere Verabredung getroffen worden sei.
Schließlich fiel der Kläger auf dem Weg zu einem außerdienstlichen Kantinenbesuch nicht einer besonderen Gefahr zum Opfer, die dem Lehrgangsgelände als einer ihm fremden Umgebung eigentümlich gewesen wäre. Unter welchen Voraussetzungen ein Unfall auf einem privaten Weg innerhalb einer dienstbedingten Unterkunft ausnahmsweise als Arbeitsunfall gewertet werden kann, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt (BSG SozR Nr 3 und 5 zu § 548 RVO; BSGE 39, 181f; kritisch dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, Seite 481v ff; BSG USK 74128; Breithaupt 1976, 798, 801f; BSG 22. September 1966 - 2 RU 16/65 -). Jedenfalls ist im gegenwärtigen Fall ein Versicherungsschutz im privaten Bereich durch eine tatsächliche Feststellung, die das LSG verbindlich getroffen hat (§ 163 Sozialgerichtsgesetz-SGG-) ausgeschlossen. Der Kläger kannte das Gelände zwischen Wohngebäude und Kantine hinreichend; er hatte schon früher an einem Lehrgang in der Logistikschule teilgenommen und hielt sich neuerdings bereits seit 11 Tagen dort auf. Seiner abweichenden rechtlichen Bewertung ist nicht zu folgen. Wenn er es als Überforderung ansieht, daß er nach elftägigem Aufenthalt im Gelände die unbeleuchtete Stufe, über die er stolperte, hätte kennen müssen, dann verkennt er die rechtlichen Bedingungen eines von ihm angestrebten Versicherungsschutzes bei solchen Verhältnissen. Gerade dann, wenn ein solcher Gefahrenherd auch von demjenigen, der schon länger im Gelände lebt, übersehen werden kann, handelt es sich nicht um ein Unfallrisiko, das einer fremden Umgebung eigentümlich sein müßte und die Annahme eines Arbeitsunfalles rechtfertigen könnte. Die regennasse Oberfläche des Steinweges, die erkennbar war, erhöhte gerade die übliche Gefahr.
Da auch die anderen erörterten Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall nicht gegeben sind, muß die Revision des Klägers gegen das klageabweisende Urteil zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen