Orientierungssatz

Die Bestimmung des HaVO § 5 Nr 5 vom 1958-03-04 kann nur dahin ausgelegt werden, daß derjenige Bergmann durch sie begünstigt wird, der die Tätigkeit des Vermessungssteigers unter Tage ausübt, selbst wenn er aus besonderen Gründen anders bezeichnet und anders besoldet wird.

 

Normenkette

HaVO § 5 Nr. 5 Fassung: 1958-03-04

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. Juni 1960 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der am 29. Mai 1907 geborene Kläger im hessischen Erzbergbau zunächst vom 4. April 1921 bis 30. März 1923 als Lehrling und anschließend bis zum 30. September 1929, ferner in der Zeit von Januar 1935 bis 20. Oktober 1945 und schließlich wieder seit dem 7. März 1949 als Vermessungstechniker - vorwiegend unter Tage - beschäftigt gewesen; mit Wirkung vom 1. November 1959 wurde er zum Vermessungssteiger ernannt.

Der Kläger begehrt die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) mit der Begründung, er habe auch als Vermessungstechniker, wie im hessischen Erzbergbau allgemein üblich, regelrecht die Arbeit eines Vermessungssteigers verrichtet. Zum Vermessungssteiger sei er nicht früher ernannt worden, weil er mangels Gelegenheit nicht die Vermessungssteigerklasse einer Bergschule besucht habe.

Die Beklagte hat den Antrag des Klägers vom 24. März 1958 mit Bescheid vom 22. September 1958 abgelehnt, weil der Kläger zwar eine knappschaftliche Versicherungszeit von über 300 Beitragsmonaten zurückgelegt, während dieser Zeit als Vermessungstechniker jedoch keine Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet habe. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 26. November 1958 zurückgewiesen. Seine hiergegen erhobene Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Juni 1957 anstelle des Knappschaftssoldes die Bergmannsrente zu gewähren, wurde mit Urteil vom 23. September 1959 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hält die Voraussetzungen für die Gewährung der begehrten Rente nicht für gegeben, weil der Kläger keine den Hauerarbeiten unter Tage gleichgestellten Arbeiten verrichtet habe. Die Aufzählung dieser Arbeiten sei in der Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) erschöpfend geregelt. In § 5 Nr. 5 dieser Verordnung sei zwar die Tätigkeit des überwiegend unter Tage beschäftigten Vermessungssteigers, nicht aber die des Vermessungstechnikers aufgeführt. Da der Kläger nun vor November 1959 nur als Vermessungstechniker in Dienst gestanden habe, falle er nicht unter diese Bestimmung, auch wenn er überwiegend unter Tage tätig gewesen sei.

Gegen das am 1. August 1960 zugestellte Urteil vom 23. Juni 1960 hat der Kläger am 11. August 1960 die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und am 10. September 1960 begründet. Er meint, auf die Bezeichnung, unter der eine Tätigkeit verrichtet werde, könne es nicht ankommen. Wenn er als Vermessungstechniker in gleichem Umfang wie ein Vermessungssteiger tätig geworden sei, habe er nach dem Gleichheitsgrundsatz auch Anspruch auf die gleiche versicherungsrechtliche Behandlung. Das LSG habe es unterlassen, die erforderlichen Ermittlungen darüber zu treffen, ob er in gleichem Umfang wie ein Vermessungssteiger tätig gewesen sei; für das Gericht sei vielmehr allein die Tatsache maßgeblich gewesen, daß er als Techniker in Dienst gestanden habe. Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. Juni 1960 und das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 23. September 1959 aufzuheben,

2. die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 22. September und 26. November 1958 kostenpflichtig zu verurteilen, ihm ab 1. Juni 1957 anstelle des Knappschaftssoldes die Bergmannsrente im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG n. F. zu gewähren,

3. hilfsweise, den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Sie macht geltend, eine Gleichstellung der Tätigkeit eines Vermessungstechnikers mit der des Vermessungssteigers sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht möglich. Die Vermessungstechniker seien im Vergleich zu den Vermessungssteigern nur Hilfskräfte. Die Aufzählung der Tätigkeiten in § 5 HaVO sei erschöpfend, eine extensive Auslegung bzw. analoge Anwendung der einzelnen Vorschriften sei nicht möglich. In § 5 HaVO fehle auch der an anderer Stelle der Verordnung gebrauchte Zusatz "mit gleicher Tätigkeit unter einer anderen Bezeichnung". Der Gleichheitsgrundsatz werde durch diese Regelung nicht verletzt, weil die Tätigkeiten eines Vermessungstechnikers und eines Vermessungssteigers eben nicht gleich, sondern durchaus unterschiedlich seien. Da das Sozialgericht wie auch das LSG festgestellt hätten, der Kläger sei als Vermessungstechniker tätig gewesen und nicht Vermessungssteiger gewesen, sei das Revisionsgericht an diese mit der Revision nicht angegriffene Feststellung gebunden. Daraus, daß im Mantel-Tarifvertrag für die Angestellten im hessischen Eisenerzbergbau vom 1. Dezember 1953 die Vermessungssteiger getrennt von den Vermessungstechnikern aufgeführt würden und daß der Kläger von der Zeche nur als Vermessungstechniker geführt worden sei, ergebe sich außerdem, daß er nicht die Tätigkeiten eines Vermessungssteigers verrichtet habe. Schließlich sei der Kläger nach einer Werksauskunft vom Januar 1959 offensichtlich auch als Zeichner tätig gewesen, könne also nicht ausschließlich als Vermessungstechniker unter Tage gearbeitet haben.

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und auch in der Sache begründet. Die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen bei richtiger Auslegung der HaVO nicht aus, seine Annahme, der Kläger habe keine der Hauerarbeit gleichgestellten Arbeiten verrichtet, hinreichend zu begründen. Für den Kläger kommt von den Bestimmungen dieser Verordnung nur § 5 Nr. 5 in Betracht. Hiernach verrichtet "den Hauerarbeiten unter Tage gleichgestellte Arbeiten ... der Vermessungssteiger, der überwiegend unter Tage beschäftigt ist". Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat nun der Kläger bis zu seiner im November 1959 erfolgten Beförderung nicht als Vermessungssteiger, sondern nur als Vermessungstechniker "in Dienst gestanden". Das Berufungsgericht schließt hieraus, daß seine Tätigkeit nicht unter § 5 Nr. 5 HaVO fallen könne. Hiergegen wendet sich die Revision mit Recht. Wie der Senat bereits in seinen Entscheidungen vom 13. Dezember 1962 (5 RKn 11/61 = BSG 18 S. 158 und 5 RKn 42/62 in SozR § 59 RKG Bl. Aa 2) ausgeführt hat, ist allerdings eine ausdehnende Anwendung der HaVO auf darin nicht aufgezählte Tätigkeiten unstatthaft, weil der Verordnungsgeber mit der Aufzählung bewußt klare und nicht überschreitbare Grenzen hat ziehen wollen. Nun werden in § 5 HaVO nicht - wie überwiegend in den §§ 1-4 - bestimmte Tätigkeiten beschrieben, sondern bestimmte Angestelltengruppen aufgeführt, deren Tätigkeiten als der Hauerarbeit gleichgestellt gelten. Das kann aber nicht dazu führen, es im Einzelfall lediglich auf die Berufsbezeichnung statt auf die tatsächlich verrichtete Tätigkeit abzustellen. Lediglich wegen der einfacheren Darstellungsmöglichkeit hat der Verordnungsgeber auf die entsprechenden Berufsbezeichnungen zurückgegriffen. Er war nach § 49 Abs. 6 RKG auch nur ermächtigt, den Begriff der "Hauerarbeiten" und der diesen gleichgestellten "Arbeiten" zu bestimmen, durfte es daher im Rahmen der Ermächtigung gar nicht lediglich auf die Berufsbezeichnung statt auf die Art der geleisteten Arbeit abstellen.

Auch nach dem Gesetzeszweck, das den vorzeitigen Kräfteverschleiß bestimmter Bergleute durch die Gewährung besonderer Leistungen entschädigen will, kann es bei der Privilegierung nur auf die Art der verrichteten Tätigkeit, nicht aber auf die innerbetriebliche Einstufung oder Berufsbezeichnung ankommen. Die Bestimmung des § 5 Nr. 5 HaVO kann also nur dahin ausgelegt werden, daß derjenige Bergmann durch sie begünstigt wird, der die Tätigkeit des Vermessungssteigers unter Tage ausübt, selbst wenn er aus besonderen Gründen anders bezeichnet und anders besoldet wird. Der von der Beklagten hervorgehobene Umstand, daß in § 5 HaVO der an anderen Stellen der Verordnung angewandte Zusatz "oder mit gleicher Tätigkeit unter einer anderen Bezeichnung" fehlt, ist ohne Bedeutung, denn hiermit sind landsmannschaftliche oder für besondere Bergbauarten übliche Bezeichnungen für die gleiche Tätigkeit gemeint (vgl. Gellhorn RKG Anm. 5 zu § 1 HaVO), nicht aber Abweichungen im Einzelfall, die nach Sinn und Zweck des Gesetzes immer zu berücksichtigen sind. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß der Versicherte, der unter anderer Berufsbezeichnung als Vermessungssteiger im Sinne von § 5 Nr. 5 HaVO anerkannt werden will, die volle betriebliche Stellung eines Vermessungssteigers bezüglich der Art und Schwierigkeit seiner Arbeit sowie seiner Selbständigkeit und Verantwortlichkeit bei deren Ausführung innehat. Entspricht seine betriebliche Stellung auch nur zu einem - nicht ganz unwesentlichen - Teil einem nicht nach der HaVO begünstigten Beruf, verrichtet er insbesondere auch nichtbegünstigte Arbeiten, kann seine Tätigkeit nicht unter § 5 HaVO eingeordnet werden.

Der Kläger hat nun, wie im angefochtenen Urteil ausdrücklich erwähnt, bereits im Vorverfahren und in den Tatsacheninstanzen unter Bezugnahme auf Unterlagen und Beweismittel vorgebracht, er habe hinreichend lange regelrecht die Tätigkeit eines Vermessungssteigers verrichtet, und sei nur aus besonderen Gründen nicht früher zum Vermessungssteiger ernannt worden. Dieses nach dem oben Gesagten durchaus schlüssige Vorbringen des Klägers ist vom Berufungsgericht nicht hinreichend gewürdigt worden. Das angefochtene Urteil läßt nicht erkennen, ob und inwieweit das Gericht diese Behauptungen des Klägers für erwiesen, nicht erwiesen oder gar widerlegt ansieht, weil es sie in unrichtiger Auslegung des § 5 Nr. 5 HaVO nicht für erheblich gehalten hat. Das Berufungsgericht hat, wie aus seiner Begründung eindeutig ersichtlich ist, die Ansicht des Sozialgerichts gebilligt, ein Vermessungstechniker könne auch dann nicht unter § 5 Nr. 5 HaVO eingeordnet werden, wenn seine Tätigkeit der eines Vermessungssteigers entspreche. Es hat daher - entgegen der Ansicht der Beklagten in der Revisionserwiderung - auch keine tatsächlichen Feststellungen zu dem schlüssigen Vorbringen des Klägers getroffen, die das Revisionsgericht binden würden.

Die Richtigkeit der Entscheidung ergibt sich auch nicht aus anderen Gründen. Insbesondere kann nicht schon - wie die Beklagte meint - allein daraus, daß der zuständige Tarifvertrag zwischen Vermessungssteigern und Vermessungstechnikern unterscheidet, der Kläger aber im Betriebe nur als Vermessungstechniker geführt wurde, der hinreichend sichere Schluß gezogen werden, er könne nicht doch, seiner Behauptung entsprechend, die Tätigkeit eines Vermessungssteigers verrichtet haben; denn das würde letztlich wieder darauf hinauslaufen, es allein auf die betriebliche Einstufung und Berufsbezeichnung des Versicherten statt auf die Art seiner tatsächlich verrichteten Arbeit ankommen zu lassen. Es spricht lediglich eine tatsächliche Vermutung dafür, daß betriebliche Einstufung und Berufsbezeichnung der wirklichen Tätigkeit entsprechen. Abweichungen von dieser Regel sind aber, wie die in den o. a. Urteilen des Senats behandelten Fälle zeigen, durchaus möglich. Hierbei kann es keinen Unterschied machen, ob der Versicherte, wie in den genannten Fällen, höher eingestuft war als es der Art seiner Tätigkeit entsprach, oder ob er, wie nach der Behauptung des Klägers im vorliegenden Fall, umgekehrt eine Tätigkeit verrichtete, die der einer höheren Gruppe entspricht. Da erfahrungsgemäß ein Angestellter bestrebt sein wird, zumindest entsprechend seiner tatsächlich verrichteten Tätigkeit eingestuft zu werden, bedarf es im zweiten Fall allerdings schon besonderer Gründe, die eine geringere Einstufung verständlich machen könnten. Der Kläger hat als solchen besonderen Grund ausdrücklich vorgebracht, daß er mangels Gelegenheit die Bergschulmäßige Ausbildung nicht mitgemacht habe. Das Fehlen dieser Ausbildung würde aber nach den oben dargelegten Grundsätzen einer Einordnung unter § 5 Nr. 5 HaVO nicht entgegenstehen, wenn er in Verwertung anderweitig erworbener Kenntnisse trotzdem in vollem Umfang und in gleicher betrieblicher Stellung die Tätigkeit eines Vermessungssteigers tatsächlich verrichtet haben sollte.

Da die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Entscheidung der Frage, ob und wie lange Zeit der Kläger - evtl. auch unter Einbeziehung noch nach dem Antrag zurückgelegter Versicherungszeiten - eine entsprechende Tätigkeit verrichtet hat, nicht ausreichen, war das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Es bedarf zunächst der Feststellung, welche Arbeitsverrichtungen und welche betriebliche Stellung (über- und Unterordnungsverhältnis zu anderen Vermessungsdienstgraden, Selbständigkeit, Verantwortlichkeit) für den Vermessungssteiger unter Tage in der Bergbauart und im Bergbaugebiet des Klägers typisch sind. Entsprechend diesen Feststellungen wird dann zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls für welche Versicherungszeiten des Klägers seine Tätigkeit und seine betriebliche Stellung denen eines solchen "echten" Vermessungssteigers entsprochen haben und er daher insoweit als Vermessungssteiger im Sinne von § 5 Nr. 5 HaVO anzusehen ist. Im Rahmen dieser Prüfung kann die von der Revisionserwiderung angeführte Auskunft gewürdigt werden, wonach der Kläger auch als Zeichner tätig gewesen ist.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325636

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