Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestellung eines lebenslänglichen Nießbrauchsrechts und Einräumung eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Rückübertragung
Leitsatz (redaktionell)
Das "lebenslängliche unentgeltliche und kautionsfreie Nutznießrecht" an den übertragenen Grundstücken und das Vorbehaltsrecht, "zu jeder Zeit einseitig und ohne Begründung die Rückübertragung der Grundstücke" zu verlangen, rechtfertigt die Annahme einer Übergabe bzw sonstigen Entäußerung des landwirtschaftlichen Unternehmens iS des § 2 Abs 1 Buchst c GAL 1957.
Normenkette
GAL § 2 Abs. 1 Buchst. c Fassung: 1957-07-27
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 1965 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 20. Juli 1962 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger ist der Bruder des am 1. August 1962 verstorbenen Michael H.
Michael H - geboren am 30. April 1892 - bewirtschaftete in Bergheim in der Zeit von 1935 bis 1949 zusammen mit seinem Bruder Franz H ein landwirtschaftliches Unternehmen von 12 ha und in der Zeit von 1949 bis 1951 zusammen mit dem Kläger - Johann H - ein solches von 7,5 ha.
Michael H übertrug durch notariellen Übertragungs- und Verpflegungsvertrag vom 15. Februar 1951 - UrkR. Nr. 207/1951 des Notars Dr. S in G - die ihm gehörenden Grundstücke des landwirtschaftlichen Geschwisterbetriebes auf den Sohn Josef seines Bruders Johann.
Am 14. Januar 1958 beantragte Michael H bei der Beklagten die Gewährung von Altersgeld nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) vom 27. Juli 1957 (BGBl I, 1063).
Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen hatte, daß wegen des im Überlassungsvertrag dem Michael H vorbehaltenen Nutznießungsrechts und des vorbehaltenen Rechts auf Rückübertragung keine Entäußerung i.S. des § 2 Abs. 2 GAL vorliege, erklärte Michael H am 28. September 1960 schriftlich, daß er das eingetragene lebenslängliche Nießbrauchs- und Verwaltungsrecht nicht ausübe und weiterhin nicht ausüben werde.
Die Beklagte gewährte daraufhin mit Bescheid vom 26. Oktober 1960 Michael H Altersgeld, allerdings erst ab 1. September 1960, weil erst mit Abgabe der Erklärung vom 28. September 1960 Michael H sich des Betriebs entäußert habe.
Hiergegen hat Michael H Klage auf Zahlung des Altersgeldes für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. August 1960 erhoben, der das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 20. Juli 1962 stattgegeben hat. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Am 1. August 1962 ist Michael H verstorben. Der Kläger hat als sein Bruder, der mit ihm bis zuletzt in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, das Verfahren fortgesetzt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, Michael H stehe kein Anspruch auf Altersgeld für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. August 1960 zu, weil er sein landwirtschaftliches Unternehmen nicht vor Abgabe seiner Erklärung vom 28. September 1960 an seinen Neffen Josef H im Sinne des Gesetzes abgegeben habe. Er habe sich in dem am 15. Februar 1951 geschlossenen Übergabe- und Verpflegungsvertrag nicht nur das "lebenslängliche, unentgeltliche und kautionsfreie Nutznießungsrecht" an den übertragenen Grundstücken, sondern außerdem das Recht vorbehalten, zu jeder Zeit einseitig und ohne Begründung die Rückübertragung der Grundstücke zu verlangen. Diese Vorbehalte seien eine so starke Einschränkung des Rechts des Übernehmers, daß von einer Übergabe oder sonstigen Entäußerung, wie das Gesetz sie fordere, nicht die Rede sein könne. Der Kläger könne sich nicht auf die rein tatsächliche Unterlassung der Nießbrauchsausübung und der Rückforderung berufen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision beantragt der Kläger,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11. Oktober 1965 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Aachen vom 20. Juli 1962 zurückzuweisen.
Er macht geltend, daß die Vorbehalte, die in dem Übertragungs- und Verpflegungsvertrag vom 15. Februar 1951 enthalten seien, nur zur Sicherung gemacht worden seien und faktisch auch keine Bedeutung gehabt hätten, da der Veräußerer Michael H von diesen Rechten keinen Gebrauch gemacht habe. Damit sei die Übergabe faktisch ohne Vorbehalte an den Neffen erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
Grundlage für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von Altersgeld für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. August 1960 ist § 25 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Buchst. a und c GAL 1957. Nach diesen Vorschriften erhalten hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer sowie nach dem Altershilfegesetz beitragspflichtige Unternehmer, die am 1. Oktober 1957 das 51. Lebensjahr vollendet hatten, Altersgeld, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet haben, wenn sie nach Vollendung des 50. Lebensjahres das Unternehmen an den Hoferben übergeben oder sonst sich des landwirtschaftlichen Unternehmens entäußert haben und wenn sie während der 15 Jahre, die der Übergabe oder Entäußerung des Unternehmens vorausgegangen sind, hauptberufliche landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 bis 4 waren.
Im vorliegenden Fall geht der Streit allein noch darum, ob Michael H sein landwirtschaftliches Unternehmen bereits durch den Übertragungsvertrag vom 15. Februar 1951 und nicht erst durch Abgabe seiner Erklärung vom 28. September 1960 an seinen Neffen Josef H im Sinne des GAL 1957 übergeben hat. Das ist entgegen der Ansicht des LSG zu bejahen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß eine Übergabe bzw. Entäußerung im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. c GAL 1957 vorliegt, wenn das Eigentum an dem Unternehmen übertragen worden ist, wie es hier der Fall ist. Nun hat sich aber Michael H in dem Übertragungs- und Verpflegungsvertrag vom 15. Februar 1951 das "lebenslängliche unentgeltliche und kautionsfreie Nutznießungsrecht" an den übertragenen Grundstücken und das Recht vorbehalten, "zu jeder Zeit einseitig und ohne Begründung die Rückübertragung der Grundstücke zu verlangen". Dennoch ist eine Übergabe bzw. sonstige Entäußerung des landwirtschaftlichen Unternehmens im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. c GAL 1957 anzunehmen. An sich könnte dies zwar trotz der Übertragung des Eigentums an dem Unternehmen dazu berechtigen, die Annahme einer Übergabe oder Entäußerung des Unternehmens im Sinne des GAL abzulehnen. Doch ergibt sich aus dem Inhalt des Vertrages vom 15. Februar 1951 mit hinreichender Deutlichkeit, daß diese Klauseln nur zur Sicherung in den Vertrag aufgenommen worden sind; bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Vertrages sollten sie nicht angewandt werden. Zu dieser Annahme führte folgende Überlegung:
Als Gegenleistung für die Übertragung haben sich Josef H und die Eheleute Johann und Maria H als Gesamtschuldner verpflichtet, Michael H bis an dessen Lebensende standesgemäß zu unterhalten und zu verpflegen, ihm insbesondere Wohnung, Nahrung, Kleidung, Wartung und Pflege in gesunden wie in kranken Tagen angedeihen zu lassen, im Krankheitsfalle den Arzt, Apotheker- und die Krankenhauskosten zu bezahlen und nach seinem Ableben die Begräbniskosten zu tragen.
Die Eheleute Johann H haben Michael H außerdem in einem Zimmer in ihrem Hause B Nr. 12 ein lebenslängliches und unentgeltliches und kautionsfreies Wohnungsrecht eingeräumt. Im Anschluß an diese vertraglichen Bestimmungen sind dann in dem Vertrag die in Rede stehenden Vorbehalte zugunsten von Michael H aufgenommen worden. Da Michael H von dem Übernehmer Josef H und den Eheleuten Johann H zu versorgen war, kann nach dem Willen des Vertragschließenden die Bestellung des Nießbrauchsrechts nicht im Hinblick darauf erfolgt sein, daß Michael H die Nutzungen aus den übertragenen Grundstücken tatsächlich ziehen sollte, sondern nur zur Sicherung der von dem Hofübernehmer Josef H und den Eheleuten Johann H dem Übergeber gegenüber übernommenen Verpflichtungen. Dem LSG ist zwar zuzugeben, daß Michael H aufgrund des vorhandenen Nießbrauchsrechts noch die Funktion eines Unternehmers hätte ausüben können, aus der Gesamtheit der Umstände ergibt sich aber, daß dies weder beabsichtigt war noch geschehen ist. Es wäre ja auch unverständlich, wenn sich Josef H entschlossen hätte, die oben aufgeführten Leistungen zu erbringen, dennoch aber Michael H weiterhin das Nießbrauchsrecht tatsächlich hätte zustehen sollen, da nicht ersichtlich ist, wovon Josef H dann die Mittel für die Erfüllung seiner Verpflichtung hätte nehmen sollen. Für diese Auslegung des Vertrages spricht auch das Alter des Übergebenden. Er war bei Abschluß des Vertrages fast 60 Jahre alt, so daß nicht angenommen werden kann, daß er vorgehabt hätte, den Hof noch einmal zu übernehmen, wenn er nicht wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen durch Josef H dazu gezwungen worden wäre. Ist aber der Vorbehalt des Nießbrauchs nur sicherheitshalber erfolgt, so kann man nur annehmen, daß auch das Rückforderungsrecht denselben Charakter hat. Michael H hat daher mit der Grundstücksübertragung im Jahre 1951 seine Unternehmereigenschaft aufgegeben. Er konnte davon ausgehen und ist tatsächlich auch davon ausgegangen, daß bei vertragsgerechtem Verhalten des Josef H und der Eheleute Johann H die Übertragung endgültig sein sollte. Der Übergang der Unternehmerstellung von Michael H auf Josef H ist daher nicht erst mit dem am 28. September 1960 erfolgten ausdrücklichen Verzicht auf die Ausübung des Nutznießungsrechts eingetreten, sondern schon mit der Übergabe des Hofes aufgrund des Vertrages vom 15. Februar 1951. Da auch die sonst vom Gesetz geforderten Voraussetzungen für die Gewährung von Altersgeld erfüllt sind, wie nicht zweifelhaft ist, steht Michael H Altersgeld auch für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. August 1960 zu (§ 6 Abs. 3 GAL 1957 mit § 1290 Abs. 1 RVO).
Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen