Leitsatz (amtlich)

Hat in den Übergangsfällen des GAL 1957 § 27 die Alterskasse durch bindend gewordenen Bescheid einen Landwirt zur Beitragsentrichtung mit der Begründung herangezogen, daß eine Existenzgrundlage iS des GAL 1957 § 1 gegeben sei, so kann sie bei unveränderten Verhältnissen seinen späteren Antrag auf Gewährung des Altersgelds nicht mit der Begründung ablehnen, eine dauernde Existenzgrundlage sei nicht gegeben gewesen, die Beiträge seien daher zu Unrecht entrichtet worden.

 

Orientierungssatz

RVO § 1423 Abs 3 S 2 ist eine gegenüber den allgemeinen Grundsätzen über die Rücknahme von Verwaltungsakten spezielle gesetzliche Vorschrift, die die Rücknahme eines solchen Verwaltungsaktes grundsätzlich ausschließt.

 

Normenkette

RVO § 1423 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1957-02-23; GAL § 27 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 27 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27; GAL § 1 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 1 Fassung: 1957-07-27; GAL § 9 Fassung: 1957-07-27; GAL 1957 § 9 Fassung: 1957-07-27

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 1967 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der ... 1897 geborene Kläger, der von 1912 bis 1945 als Schlosser tätig war und nach dieser Zeit freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtete, wurde im Jahre 1958 von der beklagten landwirtschaftlichen Alterskasse (LAK) zu Beiträgen veranlagt, obwohl das Anwesen mit seinem Ertragswert von 2.553,- DM unter dem im Einvernehmen mit dem Gesamtverband der LAK beschlossenen Grenzwert von 2.900,- DM lag. Der Kläger machte demgegenüber geltend, daß seine Landwirtschaft bei kaum 4 ha Nutzfläche niemals eine Existenzgrundlage gebildet habe. Die Beklagte blieb jedoch bei ihrer Auffassung, da nach ihren Erfahrungen landwirtschaftliche Unternehmen dieser Größe bei einem Hektarsatz von 436,- DM als dauerhafte Existenzgrundlage anzusehen seien. Die gegen den Aufnahme- und Beitragsbescheid der Beklagten vom 28. Februar 1958 und den Widerspruchsbescheid vom 20. April 1959 erhobene Klage hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth am 10. März 1960 zurückgenommen. Er entrichtete für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. August 1964 Beiträge an die Beklagte.

Nachdem der Kläger sein Anwesen durch Vertrag vom 29. Mai 1964 mit Wirkung vom 1. Januar 1964 an seinen Sohn, Karl W., übergeben hatte, stellte er am 15. Juni 1964 Antrag auf Altersgeld. Daraufhin erließ die Beklagte einen Bescheid vom 12. Oktober 1964. Das landwirtschaftliche Unternehmen des Klägers habe von Anfang an keine Existenzgrundlage dargestellt, so daß der Kläger nicht Unternehmer im Sinne des § 1 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) und nicht beitragspflichtig gewesen sei. Die vom 1. Oktober 1957 bis zum 31. August 1964 entrichteten Beiträge von insgesamt 966,- DM würden erstattet. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 8. März 1965).

Durch einen weiteren Bescheid vom 26. November 1964 lehnte die Beklagte den Altersgeldantrag mit der Begründung ab, daß das landwirtschaftliche Unternehmen des Klägers nicht die festgesetzte Mindestgröße gehabt habe und deshalb eine auf Bodenbewirtschaftung beruhende Existenzgrundlage im Sinne des GAL nicht gegeben gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid und gegen den Bescheid vom 8. März 1965 hat der Kläger Klage erhoben mit der Begründung, es gehe nicht an, ihn erst zur Beitragsleistung zu zwingen und ihn dann später bei der Stellung des Antrags auf Gewährung des Altersgelds aus dem Mitgliederverzeichnis zu streichen.

Das SG hat gemäß § 113 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beide Verfahren miteinander verbunden und die Klagen durch Urteil vom 19. Mai 1967 abgewiesen; nach seiner Auffassung kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an, nicht darauf, was die landwirtschaftliche Alterskasse seinerzeit irrtümlich festgestellt habe; sie sei verpflichtet, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen.

Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 19. Dezember 1967 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Eintragung in das Unternehmer-(Mitglieder-)verzeichnis komme keine konstitutive, sondern lediglich eine deklaratorische Wirkung zu. Ein darüber erteilter Verwaltungsakt unterliege keiner Bindungswirkung und könne jederzeit zurückgenommen werden. Aus rechtsunwirksam entrichteten Beiträgen könnten Leistungsansprüche nicht hergeleitet werden. Die Beklagte sei von unzutreffenden tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen, weil das Anwesen des Klägers schon bei Inkrafttreten des GAL am 1. Oktober 1957 nach Größe und Ertragswert keine Existenzgrundlage gebildet habe. Revision ist zugelassen worden.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt.

Zur Begründung führt er aus: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne ein landwirtschaftlicher Betrieb auch dann eine Existenzgrundlage im Sinne des GAL bilden, wenn die von der zuständigen Alterskasse festgesetzten Mindestwerte nicht erreicht würden. Die dazu notwendige Voraussetzung, daß der Betrieb nach seiner Struktur und Bewirtschaftungsweise geeignet sei, den Unterhalt einer bäuerlichen Familie zu sichern, sei im vorliegenden Fall erfüllt.

Darüber hinaus handele es sich bei der Mitteilung über die Aufnahme des Klägers in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten um einen ausschließlich begünstigenden Verwaltungsakt. Bei der Aufnahme in das Mitgliederverzeichnis trete die Belastung durch die entstandene Beitragspflicht derart in den Hintergrund, daß sie bei der rechtlichen Beurteilung auszuscheiden habe. Die Voraussetzungen für einen Widerruf seien nicht gegeben, weil keiner der in § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 622 RVO genannten Gründe gegeben sei und der Kläger sich den begünstigenden Bescheid auch nicht "erschlichen" habe.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Bayreuth vom 19. Mai 1967 und die Bescheide der Beklagten vom 12. Oktober 1964 und 26. November 1964 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 1964 Altersgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung hat der Bescheid über die Aufnahme in das Mitgliederverzeichnis nur deklaratorische Wirkung. Maßgebend sei allein die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen. Das vom Kläger betriebene Unternehmen sei jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Existenzgrundlage im Sinne des GAL gewesen. Deshalb sei die Beklagte berechtigt gewesen, den Aufnahme- und Beitragsbescheid zurückzunehmen, zumal es sich dabei um einen sog. belastenden Verwaltungsakt handele, dessen Rücknahme jederzeit möglich sei.

II

Die Revision hat insofern Erfolg, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden muß.

Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Altersgeld richtet sich nach § 27 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Buchst. c und § 1 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1063) idF des Gesetzes zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3. Juli 1961 (BGBl I 845), geändert durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 23. Mai 1963 (BGBl I 35) und, soweit Rente für die spätere Zeit im Streit ist, durch das Dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 13. August 1965 (BGBl I 800). Nach diesen Vorschriften erhalten Personen, die am 1. Oktober 1957 das 50. Lebensjahr vollendet hatten und (an diesem Tage) landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne des § 1 GAL waren, Altergeld, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und das Unternehmen abgegeben haben, wenn sie während der 25 Jahre, die der Abgabe vorausgegangen sind, mindestens 180 Kalendermonate landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne des § 1 GAL waren, und wenn sie für die Zeit, in der sie nach dem 1. Oktober 1957 landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne des § 1 GAL waren, Beiträge entrichtet haben.

Im Streit ist vor allem, ob der Kläger während der nach § 27 Abs. 1 und § 26 Abs. 1 Buchst. c GAL maßgebenden Zeiten landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 1 GAL gewesen ist und ob er für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens wirksam Beiträge entrichtet hat.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen können die vom Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis zur Abgabe des Unternehmens entrichteten Beiträge bei der Entscheidung über seinen Antrag auf Gewährung von Altersgeld nicht als unwirksam angesehen werden. Dies ergibt sich aus § 1423 Abs. 3 Satz 2 RVO (§ 1445 Abs. 2 Satz 2 RVO aF), der hier entsprechend anzuwenden ist. Nach dieser Vorschrift kann ein Rentenanspruch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, daß eine Beitragspflicht nicht bestanden hat oder die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, wenn der Versicherungsträger die Beitragspflicht anerkannt hat. Es bestehen keine Bedenken, diese Vorschrift auch für das GAL anzuwenden, da die Interessenlage insoweit dieselbe ist wie in der gesetzlichen Rentenversicherung. Im vorliegenden Falle hat die Beklagte die Beitragspflicht durch die Heranziehung des Klägers zur Beitragsentrichtung durch Bescheid vom 28. Februar 1958 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 20. April 1959 anerkannt (vgl. dazu Verbandskommentar zur RVO 6. Aufl. Anm. 13 zu § 1423). Daher kann sie jetzt bei der Entscheidung über den Anspruch auf Altersgeld den erhobenen Rentenanspruch nicht mit der Begründung ablehnen, daß eine Beitragspflicht nicht bestanden habe. Die Beklagte ist an dieses Anerkenntnis nach § 1423 Abs. 3 Satz 2 RVO gebunden, ohne daß die Möglichkeit der Rücknahme des das Anerkenntnis enthaltenden Verwaltungsaktes eröffnet wäre. § 1423 Abs. 3 Satz 2 RVO ist eine gegenüber den allgemeinen Grundsätzen über die Rücknahme von Verwaltungsakten spezielle gesetzliche Vorschrift, die die Rücknahme eines solchen Verwaltungsaktes grundsätzlich ausschließt. Ob in besonders gelagerten Ausnahmefällen, äußerstenfalls in Fällen der in § 1744 RVO aufgezählten Art, etwas anderes gilt, kann hier dahingestellt bleiben; denn für die Annahme, daß Fälle dieser Art vorliegen, ergibt sich kein Anhalt.

Entsprechendes muß auch für die Frage gelten, ob der Kläger landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 27 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 Buchst. c und § 1 GAL war. Für die in § 27 GAL geregelten Übergangsfälle hat die Eigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer dieselbe Bedeutung wie sie normalerweise Beiträgen zukommt. Wegen der auch insoweit bestehenden Gleichheit der Interessenlage muß der sich aus § 1423 Abs. 3 Satz 2 RVO (§ 1445 Abs. 2 Satz 2 RVO aF) ergebende Grundgedanke daher auch hierauf angewandt werden. Durch ihre Erklärung in dem Bescheid vom 18. Februar 1958 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 20. April 1959 hat die Beklagte ebenfalls anerkannt, daß der Kläger landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 1 GAL ist. Die Anerkennung der landwirtschaftlichen Unternehmereigenschaft ist zwar nur wegen der Heranziehung zur Beitragsentrichtung erfolgt, sie muß aber aus dem sich aus § 1423 Abs. 3 Satz 2 RVO ergebenden Grundgedanken in solchen Fällen auch bei der Entscheidung über den Rentenantrag mit der Folge gelten, daß die Altersrente nicht mit der Begründung abgelehnt werden kann, der Kläger sei kein landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des § 1 GAL gewesen. Wer in diesen Übergangsfällen wegen seiner landwirtschaftlichen Unternehmereigenschaft zu Beiträgen herangezogen wird, muß sich m.a.W. darauf verlassen können, daß auch die Anerkennung seiner Eigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Rentenfeststellung nicht verneint wird; ein anderes Verhalten der Alterskasse würde mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht in Einklang stehen. Voraussetzung für die Bindung der Beklagten an ihr Anerkenntnis ist insoweit allerdings, daß die Verhältnisse, wie sie zur Zeit der Abgabe des Anerkenntnisses vorlagen, im wesentlichen auch während der vorhergehenden, nach § 26 Abs. 1 Buchst. c GAL maßgebenden Zeit, in welcher der Kläger den Hof bewirtschaftet hat, und ebenfalls in der Zeit nach der Abgabe des Anerkenntnisses bis zur Hofübergabe sich nicht zum Nachteil des Anspruchs des Klägers geändert haben. Hierüber fehlen noch die erforderlichen Feststellungen.

Das angefochtene Urteil muß aufgehoben werden, weil die Ablehnung des Altersgeldanspruchs sich nicht mit der vom LSG gegebenen Begründung aufrechterhalten läßt und einige erforderliche Feststellungen fehlen. Die Sache muß mangels dieser Feststellungen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden.

Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284800

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