Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluß des Anspruchs auf stationäre Tbc-Heilbehandlung bei Auslandsaufenthalt (Türkei) des Kranken

 

Leitsatz (amtlich)

RVO § 1244a Abs 9 wird von zwischenstaatlichen Verträgen, die sich auf die Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer beziehen, nicht berührt (hier: Türkei; so auch Österreich BSG 1971--2-26 4 RJ 205/69 = SozR Nr 19 zu § 1244a RVO und Griechenland BSG 1971-02-26 4 RJ 253/70 = SozR Nr 20 zu § 1244a RVO; Weiterführung von BSG 1970-12-20 4 RJ 481/68 = BSGE 32, 122).

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Anwendbarkeit des RVO § 1244a Abs 9, wonach die Rentenversicherungsträger Ansprüche auf Leistungen der Tuberkulosehilfe nur insoweit zu erfüllen haben, als sie diese im Geltungsbereich der RVO erbringen können, wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das ausländische Staatsgebiet nach einer zwischenstaatlichen Vereinbarung (zB dem SozSichAbk TUR) versicherungsrechtlich als Inland zu behandeln ist; mithin hat die Krankenkasse für die in der Türkei wohnenden Angehörigen eines rentenversicherten Mitgliedes die Kosten einer stationären Behandlung wegen Tuberkulose zu übernehmen.

 

Normenkette

RVO § 1244a Abs. 9 Fassung: 1959-07-23; SozSichAbk TUR Fassung: 1964-04-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 1970 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob anstelle der Klägerin - einer Betriebskrankenkasse - die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung die Kosten einer stationären Tuberkulosebehandlung in der Türkei zu tragen hat.

Der Versicherte ist türkischer Staatsangehöriger und war in der Bundesrepublik Deutschland von Juni 1965 bis Mai 1969 versicherungspflichtig beschäftigt. Seine Ehefrau erkrankte im Dezember 1967 an aktiver behandlungsbedürftiger Tuberkulose und wurde deswegen von März 1968 an in der Türkei stationär behandelt.

Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, daß ein Anspruch auf Maßnahmen nach § 1244 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur bestehe, soweit der Betreute im Geltungsbereich dieses Gesetzes behandelt werde (§ 1244 a Abs. 9 RVO).

Das Sozialgericht Düsseldorf hat festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin die Heilbehandlungskosten zu erstatten (Urteil vom 23. Juli 1969). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat dagegen die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Mai 1970). Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl 1965 II 1170) enthalte - so hat das LSG ausgeführt - keine Vereinbarung, durch die § 1244 a Abs. 9 RVO abgeändert worden sei. Die Bekämpfung der Tuberkulose als Volksseuche sei überdies eine besondere Aufgabe, die die Rentenversicherungsträger zweckentsprechend nur im Geltungsbereich der RVO durchführen könnten.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit dem Revisionsantrag, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte. Wie der Senat in ähnlichen Rechtsstreitigkeiten entschieden hat (Urteil vom 2. Dezember 1970 - 4 RJ 481/68, Urteile vom 26. Februar 1971 - 4 RJ 205/69, 4 RJ 253/70 -), kann sich die Beklagte für ihre Ansicht auf § 1244 a Abs. 9 RVO berufen.

Die Maßnahmen wegen aktiver behandlungsbedürftiger Tuberkulose nach § 1244 a RVO sind zwar auch Regelleistungen aus der Rentenversicherung der Arbeiter (BSG 23, 238), gehören aber vor allem zu den innerstaatlichen Vorkehrungen gesundheitspolizeilicher Art, durch welche die Tuberkulose als Volksseuche bekämpft, d. h. ausgemerzt oder wenigstens niedergehalten werden soll. Sie haben damit eine Funktion, die im wesentlichen außerhalb des Aufgabenbereichs der Sozialversicherung liegt. Sie werden deshalb nicht von zwischenstaatlichem Recht berührt, das die Soziale Sicherheit im engeren Sinne - etwa die Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer - betrifft. Die Anwendbarkeit des deutsch-türkischen Abkommens ist damit ausgeschlossen. Der Streit darüber, ob es sich bei den erwähnten Maßnahmen um "Leistungen bei Krankheit" oder um "Leistungen bei Invalidität" handele, ist gegenstandslos. Die Beschränkung der Tuberkulosebekämpfung auf das Inland (§ 1244 a Abs. 9 RVO) kann mit dem genannten zwischenstaatlichen Recht nicht kollidieren (vergl. insbesondere Urteil vom 2. Dezember 1970 - 4 RJ 481/68 -).

Weil sich die Klägerin darauf beruft, daß zwischenstaatliches Recht eingreife, sei - obwohl es nach der Ansicht des Senats hierauf nicht ankommen kann - zusätzlich ausgeführt: Die in zwischen- und überstaatlichen Regelungen verwirklichten Ziele der Freizügigkeit und der Sozialen Sicherheit werden durch die vom Senat gewonnene Lösung nicht angetastet. Die Grundsätze des deutsch-türkischen Abkommens, insbesondere die Gleichbehandlung aller von ihm erfaßten Personen (Art. 4 Abs. 1), bleiben unberührt. Der in diesem Verfahren umstrittene Leistungsausschluß gründet sich weder auf die Staatsangehörigkeit noch auf den Wohnsitz, Wohnort oder Aufenthaltsort, sondern auf den Behandlungsort. Im Inland genießen Deutsche und Türken in gleicher Weise den Schutz aus § 1244 a RVO, in der Türkei beide Personengruppen nicht.

Die Revision der Klägerin ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669748

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