Verfahrensgang
SG Trier (Urteil vom 07.02.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 7. Februar 1991 geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 36.968,70 DM zu zahlen.
Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der bei der klagenden Krankenkasse versicherte F. wurde im Januar 1984 Opfer einer Gewalttat, an der er, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen, im April 1984 verstarb. Seine Witwe und die Kinder erhalten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Die Klägerin verlangt Erstattung der Behandlungskosten, die vom beklagten Versorgungsträger abgelehnt worden ist, weil für den Verstorbenen kein Antrag nach OEG gestellt worden sei, obwohl ihm zwei Wochen vor dem Tod ein Pfleger bestellt worden sei, dessen Wirkungskreis die Rechte der Vermögenssorge, der Aufenthaltsbestimmung sowie der Gesundheitsbehandlung umfaßte. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, weil bei bewußtlosen Opfern dann am Antragserfordernis festzuhalten sei, wenn über einen bereits bestellten Pfleger oder Verwandte der Antrag hätte gestellt werden können. Die Klägerin hat die zugelassene Sprungrevision eingelegt. Nach ihrer Auffassung kommt es für den Erstattungsanspruch nicht auf den Antrag des Opfers an, wenn nach dem Tod aufgrund der Anzeige der Angehörigen aufgeklärt werde, ob Schädigungsfolgen im Sinne des OEG behandelt worden seien. Wenn das Gesetz die Opferentschädigung von einem Antrag abhängig mache, sollten hierdurch schutzwürdige Interessen des betroffenen Opfers gewahrt und sein Selbstbestimmungsrecht gewährleistet werden. Diese Schutzfunktion sei gegenstandslos, wenn nach dem Tod Opferentschädigung an Angehörige zu zahlen sei. Der Beklagte beantragt Klageabweisung; er und der Beigeladene halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig, obwohl sich der Antrag als Wiederholung des erstinstanzlichen Antrages erst aus der Revisionsbegründung ergibt (vgl BSGE 1, 98 = SozR SGG § 164 Nr 7; SozR 1500 § 164 Nrn 8 und 10). Die Revision ist auch begründet.
Richtigerweise hat die Klägerin ihren Anspruch mit der Leistungsklage (vgl Urteil des Senats vom 28. April 1989 – USK 89158 und VdKMitt 1989, 19 f und vom 14. Februar 1990 – USK 9061 und BKK 1991, 182 f sowie BSG SozR 2200 § 19 Nr 18) geltend gemacht. Sie hat Anspruch auf Erstattung der gesamten Aufwendungen, die ihr durch die Behandlung der Schädigungsfolgen bei dem verstorbenen F. entstanden sind. Nach § 19 Abs 1 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 – BGBl I 21) werden den Krankenkassen, die ihren Versicherten Leistungen erbringen, die Aufwendungen erstattet, die durch Behandlung anerkannter Schädigungsfolgen entstanden sind (vgl BSG SozR 3100 § 19 Nrn 7 und 9). Schädigungsfolgen sind auch solche, die durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff entstanden sind (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG). Die Klägerin kann die Erstattung ihrer Aufwendungen allerdings nur verlangen, wenn die behandelnden Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen anerkannt worden sind; diese Anerkennung setzt grundsätzlich einen Antrag des Beschädigten voraus (BSGE 61, 180, 181 = SozR 3100 § 19 Nr 17). Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 63, 204, 206 = SozR 3100 § 19 Nr 19), hat die Versorgungsverwaltung der Krankenkasse die Heilbehandlungskosten aber auch dann zu erstatten, wenn der durch einen rechtswidrigen tätlichen Angriff Verletzte selbst keine Versorgung beantragen konnte, die Verwaltung die behandelten Gesundheitsstörungen aber als Schädigungsfolgen beurteilt und den Hinterbliebenen Versorgung zuerkennt. Zwar ersetzt der Antrag der Hinterbliebenen nicht denjenigen des Beschädigten; die beiden Gründe, die es gebieten, die Leistungen nach dem OEG von einem Antrag des Beschädigten abhängig zu machen, stehen nach dessen Tod jedoch der Kostenerstattung nicht entgegen: Der mit dem Antragserfordernis bezweckte Schutz des Persönlichkeitsrechts ist nach dem Tod und angesichts des Antrags der Hinterbliebenen ohne Bedeutung. Die Klarstellungsfunktion von Antrag und Anerkennung wird durch das nachfolgende Verwaltungsverfahren ersetzt, wenn durch die Zubilligung von Hinterbliebenenversorgung der Sachverhalt umfassend geprüft wird.
Diese rechtliche Wertung hängt nicht davon ab, ob für einen Bewußtlosen ein Antrag hätte gestellt werden können und ob das Unterlassen vorwerfbar war. Es ist nicht zu prüfen, ob der Verstorbene selbst oder durch Vertreter einen Antrag hätte stellen können. Es kann daher im vorliegenden Fall offenbleiben, ob der Pfleger, dessen Rechte nicht die Personensorge umfaßten, oder gar ein sonstiger Verwandter, wie der Beklagte meint, überhaupt befugt wäre, den Antrag nach OEG zu stellen.
Der Klägerin kann auch nicht entgegengehalten werden, daß der Erstattungsanspruch nicht weitergehen kann, als dem Antragsberechtigten Versorgung zu gewähren ist (vgl hierzu ua BSG SozR 3-3100 § 19 Nr 1). Für eine ähnliche Sach- und Rechtslage trifft § 19 Abs 3 Satz 2 BVG (jetzt Abs 5 Satz 2 idF durch das Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 ≪BGBl I S 2477≫) Vorsorge: Ist die Gesundheitsstörung durch die Behandlung beseitigt worden, für ein Anerkennungsverfahren also kein Raum mehr, genügt für den Erstattungsanspruch die positive Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang zwischen behandelter Gesundheitsstörung und Schädigung. Nicht nur nach Heilung, sondern auch, wenn infolge des Todes ein solches Anerkennungsverfahren nicht mehr durchzuführen ist, ersetzt die Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang in Zusammenhang mit der Entschädigung der Hinterbliebenen die Anerkennung iS des § 19 Abs 1 Satz 1 BVG. Dies hat der Senat bereits in seiner genannten Entscheidung (BSGE 63, 204 = SozR 3100 § 19 Nr 19) ausgeführt. Die hiergegen im Revisionsverfahren erhobenen Einwände des Beklagten und des Beigeladenen sind nicht überzeugend. Zum einen ist der Erstattungsanspruch der Krankenkassen nicht davon abhängig, ob der Antrag des Beschädigten schuldhaft oder schuldlos unterlassen worden ist; dieser Antrag ist nicht nur dann entbehrlich, wenn es unmöglich war, ihn zu stellen, sondern schon wenn dem Antrag keine Funktion mehr zukommt. Zum anderen kann seit dem Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – nicht länger daran festgehalten werden, daß der Antrag eine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung sei. Der Antrag dient dazu, unter Schutz des Persönlichkeitsrechts das Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen (§ 18 SGB X)und den Leistungsbeginn für den Versorgungsberechtigten selbst festzulegen (§ 60 BVG). Geht es nicht um Leistungen an den Beschädigten selbst, hindert der fehlende Antrag die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs nicht, solange hierdurch der Schutz des Persönlichkeitsrechts nicht in Frage gestellt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen