Leitsatz (redaktionell)
Privatschriftlich abgeschlossene Unterhaltsvereinbarungen können durch wesentliche Veränderungen in den Lebensumständen, unter denen die früheren Erklärungen abgegeben worden sind, wirkungslos werden.
Normenkette
AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10. Juni 1960 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin erstrebt die Gewährung einer Hinterbliebenenrente als geschiedene Frau des Versicherten. Das Landessozialgericht (LSG) stellte dazu folgendes fest:
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde im September 1936 geschieden. Der Mann war allein schuldig. Am Tage der Ehescheidung verpflichtete sich der Versicherte privatschriftlich, für die Klägerin und seine Tochter zusammen monatlich 150.- RM Unterhalt zu zahlen. Die Einkünfte des Versicherten betrugen zu dieser Zeit im Monat über 500.- RM netto. Der Versicherte erfüllte seine Unterhaltspflicht, auch nachdem er 1938 wieder geheiratet hatte, bis April 1945. Anschließend zahlte er nichts mehr. Er war bis 1948 in Ostberlin beruflich tätig. 1949, als seine Erwerbsfähigkeit auf 25 v. H. herabgesunken war, wurde ihm eine Rente von rd. 150.- DM Ost bewilligt. Weitere Einkünfte hatte der Versicherte nicht mehr. Er starb im November 1952. Die Klägerin war von Mitte 1951 an bis nach dem Tod des Versicherten als Pflegerin tätig; sie erhielt freie Wohnung und Verpflegung sowie monatlich 60.- DM Barlohn.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil die besonderen Voraussetzungen des § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht gegeben seien (Bescheid vom 1.10.1958). Beide Vorinstanzen bestätigten die Auffassung der Beklagten: Die auf dem Ehegesetz (EheG) beruhende Unterhaltsverpflichtung des Versicherten sei vor seinem Tod wegen der Unfähigkeit, Unterhalt zu leisten, untergegangen (§ 59 EheG); der Versicherte sei zur Zeit seines Todes auch nicht mehr auf Grund der Vereinbarung von September 1936 zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen, weil durch die wesentliche Verringerung seines Einkommens die Grundlage dieser Vereinbarung weggefallen sei.
Die Klägerin legte die - vom LSG zugelassene - Revision ein und beantragte, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Hinterbliebenenrente zu gewähren; sie rügte eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und die unrichtige Anwendung des § 42 AVG. Sie beanstandete, daß das Berufungsgericht die Leistungsfähigkeit ihres geschiedenen Mannes und damit seine ehegesetzliche Unterhaltspflicht nicht im einzelnen geprüft und eine einstweilige Anordnung von Juni 1936 sowie ein Unterhaltsurteil von Oktober 1942 unberücksichtigt gelassen habe. Das LSG habe verkannt, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes "aus sonstigen Gründen" Unterhalt zu leisten gehabt hätte. Ein sonstiger Grund sei in der Verpflichtungserklärung von September 1936, aber auch in der vor der Scheidung erlassenen einstweiligen Anordnung von Juni 1936 zu sehen; durch diese sei ihrem damaligen Ehemann auferlegt worden, während der Dauer des Ehescheidungsstreits monatlich 180.- RM Unterhalt zu leisten. Außerdem habe sie im Oktober 1942 ein Unterhaltsurteil erwirkt, wodurch ihr geschiedener Mann verpflichtet worden sei, 750.- RM Unterhaltsrückstände an sie zu zahlen.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen. Die Beigeladene war im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Das Revisionsgericht hat seiner Beurteilung den vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt zugrundezulegen. Die Klägerin hat gegen die Sachfeststellung des LSG keine Verfahrensrügen in der vom Gesetz geforderten Weise erhoben (§ 164 Abs. 2 SGG). Soweit sie eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht annimmt, hat sie nicht dargelegt, welche Sachaufklärungen im einzelnen, und zwar von der Rechtsauffassung des LSG her noch notwendig gewesen wären und hat ihr Vorbringen auch nicht mit Tatsachen und Beweismitteln belegt. Das aber wäre erforderlich gewesen, um eine Ergänzung der Ermittlungen zu erreichen. Mangels wirksamer Verfahrensrügen ist das Bundessozialgericht (BSG) an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen gebunden (§ 163 SGG).
Die geschiedene Frau eines verstorbenen Versicherten erhält - die Erfüllung der Wartezeit vorausgesetzt - Hinterbliebenenrente, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (§§ 40, 42 AVG; Art. 2 § 18 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes). Mit Recht hat das LSG entschieden, daß im vorliegenden Rechtsstreit keine der Alternativen dieser Vorschrift erfüllt ist.
Der Versicherte hatte zur Zeit seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten. Die Tatsache, daß er an der Scheidung allein schuldig war, reicht dafür nicht aus; es kommt dabei vielmehr auf die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse der geschiedenen Ehegatten an. Nach der Auffassung des BSG kann eine ursprünglich vorhanden gewesene Unterhaltspflicht dann entfallen, wenn der Versicherte unterhaltsunfähig wird (§ 59 EheG; BSG 3, 197; 5, 276). Aus dem gegebenen Sachverhalt hat das LSG zutreffend gefolgert, daß der Versicherte in der maßgeblichen Zeit tatsächlich unterhaltsunfähig war.
Für den Versicherten bestand zur Zeit seines Todes auch keine sonstige rechtliche Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt an die Klägerin. Die Meinung des LSG, daß privatschriftlich abgeschlossene Unterhaltsvereinbarungen durch wesentliche Veränderungen in den Lebensumständen, unter denen die früheren Erklärungen abgegeben worden sind, wirkungslos werden können und daß solche Veränderungen im vorliegenden Fall - beim Versicherten durch das starke Absinken seines Einkommens, bei der Klägerin durch die Aufnahme einer Beschäftigung gegen Gewährung von Wohnung, Verpflegung und Barlohn - tatsächlich eingetreten sind, ist nicht zu beanstanden. Zu der Auffassung, daß Unterhaltsverträge in weitem Umfang der Auslegung zugänglich sind und - wenn sich aus ihnen nicht ausdrücklich etwas anderes ergibt - entsprechenden inhaltlichen Veränderungen unterliegen können, wie die gesetzliche Unterhaltspflicht selbst, hat sich das BSG schon in einer früheren Entscheidung bekannt (Urt. v. 19.6.1962 - 1 RA 234/60 -). An dieser Auffassung wird festgehalten. Über die einstweilige Anordnung von Juni 1936 und das Unterhaltsurteil von Oktober 1942, auf die sich die Klägerin in diesem Zusammenhang beruft, enthält das angefochtene Urteil keine Feststellungen. Die Berücksichtigung dieser Entscheidungen durch das LSG hätte jedoch kein anderes Ergebnis gerechtfertigt. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin bezog sich die einstweilige Verfügung nur auf die Zeit bis zur Scheidung; ein solcher Vollstreckungstitel stellt keinen sonstigen Verpflichtungsgrund im Sinne des § 42 AVG dar (SozR § 1265 RVO Bl. Aa 11 Nr. 11). Das Urteil von Oktober 1942 hatte - wiederum nach den Angaben der Klägerin - lediglich Unterhaltsrückstände zum Gegenstand, legte also keine Unterhaltspflicht für die Zeit des Todes des Versicherten fest.
Unterhaltsleistungen des Versicherten an die Klägerin im letzten Jahr vor dessen Tod hat das LSG nicht festgestellt, so daß auch die letzte Alternative des § 42 AVG nicht erfüllt ist.
Das Urteil des LSG ist daher richtig. Die Revision muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil diese Kosten keiner zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gedient haben (§ 193 Abs. 2 SGG).
Fundstellen