Leitsatz (amtlich)
Für mehrere Unfälle eines Verletzten sind, auch wenn für die Bearbeitung derselbe Unfallversicherungsträger zuständig ist, grundsätzlich selbständige Feststellungsverfahren durchzuführen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Frage des Versicherungsschutzes während einer Geschäftsreise.
2. Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ist dann nicht gegeben, wenn die als Vertreterin tätige Versicherte auf einer Geschäftsreise nach Unterstellung ihres Personenkraftwagens in der Hotelgarage sich noch einmal in die Wohnung ihrer Bekannten begibt und auf diesem Wege einen Unfall erlitt.
Normenkette
RVO § 1545 Fassung: 1924-12-15, § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13 . Mai 1959 wird zurückgewiesen .
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten .
Von Rechts wegen .
Gründe
I
Die Klägerin war als kaufmännische Angestellte (Reisevertreterin) bei der Pelzgroßhandlung W ... Sch ... in U... beschäftigt . Mit dem firmeneigenen Lieferwagen , worin Pelzkollektionen mitgeführt wurden , bereiste sie den südwestdeutschen Raum und besuchte Kürschnereien zwecks Verkaufs von Pelzen . Auf einer solchen Geschäftstour gelangte die Klägerin am 15. Oktober 1954 nachmittags nach M ... Dort suchte sie zunächst den Kürschnermeister T ... auf , bei dem sie bis gegen 19 , 30 Uhr zu tun hatte . Anschließend fuhr sie nach der Wohnung des ihr bekannten Ehepaares Dr . St ..., wo sie sich nach einer Übernachtungsmöglichkeit mit Garage erkundigte; die angebotene Unterkunft in der Wohnung ihrer Bekannten lehnte sie ab , nahm aber eine Einladung zum Abendessen an . Zunächst fuhr die Klägerin jedoch zu dem dicht neben der Kürschnerei T ... gelegenen Hotel "W ... " , wo sie den Wagen unterstellte und ihr Zimmer belegte . Dann begab sie sich zu Fuß wieder nach der Wohnung St ... Auf diesem Wege kam sie gegen 21 Uhr an einer bei der Dunkelheit nicht erkennbaren unebenen Straßenstelle zu Fall und brach den linken Oberschenkelhals; die Verletzung hatte erhebliche Folgen . Nach der Erstattung der Unfallanzeige durch den Unternehmer übersandte die Klägerin selbst der Beklagten einen Bericht über den Unfallhergang; darin hob sie hervor , die Unfallstelle sei als überaus gefährlich bekannt; zugleich wurde in diesem Bericht mitgeteilt , die Klägerin , die im allgemeinen nicht leicht ins Stolpern gerate , habe am 15 . Oktober 1954 infolge eines am 6 . Oktober 1954 im Betrieb ihrer Firma erlittenen Treppensturzes noch an Kreuzschmerzen gelitten , diese Behinderung habe den am 15. Oktober 1954 erlittenen Schaden mitverursacht . Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 26 . Januar 1955 den Entschädigungsanspruch wegen des Unfalls vom 15 . Oktober 1954 mit der Begründung ab , der Weg , auf dem sich dieser Unfall ereignete , habe nicht mehr unter dem gesetzlichen Versicherungsschutz gestanden .
Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) trug die Klägerin u . a . vor , Frau St ... sei an dem Erwerb eines Pelzmantels interessiert gewesen; zu der hierüber beabsichtigten Besprechung beim Abendessen sei es infolge des Unfalls nicht mehr gekommen . Ferner schilderte die Klägerin des näheren ihren im Betrieb am 6. Oktober 1954 erlittenen Unfall und überreichte eine ärztliche Bescheinigung über Art und Ausmaß der hierdurch hervorgerufenen Beschwerden . Das SG hat die Klage abgewiesen: Der Besuch bei der Familie St ... sei eine private Angelegenheit der Klägerin , der Weg dorthin also nicht versichert gewesen . Sofern der behauptete Unfall vom 6 . Oktober 1954 als Arbeitsunfall anzusehen sein sollte , sei nicht hinreichend wahrscheinlich nachgewiesen , daß seine Folgen den Unfall vom 15 . Oktober 1954 wesentlich mitverursacht hätten .
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Zeugin St ... vernommen und durch Urteil vom 13 . Mai 1959 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Am 15 . Oktober 1954 habe der Versicherungsschutz für die Klägerin mit dem Aufsuchen des Hotels geendet . Der anschließende Weg der Klägerin zu ihren Bekannten habe nicht mehr mit ihrer Geschäftsreise zusammengehangen . Die von der Klägerin behauptete Absicht , mit Frau St ... abends noch über einen Pelzverkauf zu verhandeln , sei nach den Angaben dieser Zeugin nur als ein unbedeutender Nebenzweck des Besuches anzusehen . Die Frage der wesentlichen Mitverursachung des hier streitigen Unfalls durch den angeblichen Unfall vom 6 . Oktober 1954 sei in diesem Verfahren nicht zu prüfen; über den früheren Unfall habe zunächst die Beklagte noch einen Bescheid zu erteilen . Das LSG hat die Revision zugelassen .
Gegen das am 29 . Mai 1959 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26 . Juni 1959 Revision eingelegt und sie zugleich wie folgt begründet: Das LSG habe verkannt , daß nach der Rechtsprechung des angerufenen Senats (BSG 8 , 48) bei Unfällen , die sich während eines betriebsbedingten Aufenthalts in einer fremden Stadt ereignen , ein innerer Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis auch außerhalb der eigentlichen dienstlichen Tätigkeit im allgemeinen eher anzuerkennen sei als am Wohn- und Betriebsort . Aus diesem Grundsatz sei zu folgern , daß der Geschäftsreisende den Versicherungsschutz nicht verliere , wenn er seine Mahlzeit nicht an der Stelle der Übernachtung einnehme . Für einen Reisenden sei das Hotel nicht als Mittelpunkt der Lebensverhältnisse anzusehen , vielmehr seien in der Übernachtung und in der Beköstigung am fremden Ort durchaus gleichgeordnete Betätigungen zu erblicken; der Weg von der einen zur anderen Betätigung müsse daher als versichert gelten . Ferner habe das LSG zu Unrecht nicht geprüft , ob der Versicherungsschutz aus § 543 Abs . 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gegeben sei . Insoweit sei es von Bedeutung , daß die Klägerin die Wohnung ihrer Bekannten , deren Einladung zum Abendessen sie bereits angenommen hatte , nur deshalb nochmals verlassen habe , um den Geschäftswagen mit der wertvollen Pelzladung sicher unterzustellen . Ohne dieses betriebliche Verwahrungsbedürfnis für den Lieferwagen hätte die Klägerin gleich bei der Familie St ... zum Abendessen bleiben und erst anschließend das Hotel aufsuchen können . Der zum Unfall führende Rückweg zur Wohnung St ... hätte sich dann erübrigt; bei dieser Betrachtung des Geschehensablaufs , wie er sich ohne die nach § 543 Abs . 2 RVO zu beurteilende Unterbringung des Lieferwagens gestaltet hätte , zeige sich , daß auch der Rückweg vom Hotel zum Abendessen mit der Tätigkeit im Unternehmen zusammengehangen habe . Das LSG habe auch zu Unrecht die Frage verneint , ob das von der Klägerin beabsichtigte Gespräch mit der Zeugin St ... über einen Pelzkauf den Weg zur Wohnung dieser Zeugin als betriebsbezogen kennzeichne . Schließlich habe das LSG gegen §§ 128 , 153 , 157 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dadurch verstoßen , daß es die Frage einer Verursachung des hier streitigen Unfalls durch den Unfall vom 6 . Oktober 1954 nicht geprüft habe. Diesen früheren Unfall habe die Klägerin bereits vor der Bescheiderteilung angegeben; der angefochtene Bescheid setze sich zwar hiermit nicht ausdrücklich auseinander , trotzdem beziehe er sich aber auf alle von der Klägerin geltend gemachten Anspruchsgründe . Die Frage , ob der Unfall vom 6 . Oktober 1954 ein Arbeitsunfall gewesen sei , hätte in diesem Rechtsstreit als Vorfrage geprüft werden müssen .
Die Klägerin beantragt ,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zu verurteilen , den Unfall vom 15 . Oktober 1954 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin die gesetzlichen Leistungen zu gewähren ,
hilfsweise ,
die Sache an das LSG zurückzuverweisen .
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision .
Sie pflichtet der Begründung des angefochtenen Urteils bei und erklärt , sie habe wegen des Unfalls vom 6 . Oktober 1954 inzwischen die erforderlichen Ermittlungen eingeleitet .
Die Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert .
II
Die Revision ist statthaft durch Zulassung (§ 162 Abs . 1 Nr . 1 SGG) . Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden , daher zulässig . Sie hatte jedoch keinen Erfolg .
Die Auffassung des LSG , die von der Klägerin am 15 . Oktober 1954 verrichtete , gemäß § 542 RVO versicherte betriebliche Tätigkeit sei mit dem Verlassen des Hotels bzw . der Hotelgarage beendet gewesen , ist rechtlich bedenkenfrei . Der erkennende Senat hat in dem von der Revision angeführten Urteil (BSG 8 , 48; vgl . auch BSG 12 , 247; SozR RVO § 542 Bl . Aa 22 Nr . 33) entschieden , daß auf einer Dienst- oder Geschäftsreise der Unfallversicherungsschutz nicht schon deshalb ohne weiteres gegeben ist , weil sich der Beschäftigte in einer fremden Stadt aufhalten muß , sondern daß es auch hierbei darauf ankommt , ob seine Betätigung jeweils mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang steht . Wenngleich ein solcher Zusammenhang am Ort der auswärtigen Beschäftigung in der Regel eher anzunehmen sein wird als am Wohn- oder Betriebsort , entfällt der Versicherungsschutz , wenn der Beschäftigte sich rein persönlichen , von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflußten Belangen widmet . Dies war bei der Klägerin der Fall in dem Zeitpunkt , als sie das Hotel verließ , um die ihr bekannte Familie St ... aufzusuchen . Das Hotel oder sonstige Quartier , in dem der Geschäftsreisende seine Tagesarbeit abschließt und die Nachtruhe findet , um am nächsten Morgen seine im Rahmen der Geschäftsreise erforderlichen Tätigkeiten wieder aufzunehmen , bedeutet während der Dauer der Reise den Ersatz für die eigene Häuslichkeit wie für die Arbeitsstätte (vgl . BSG 8 , 51) und stellt damit , wie das LSG zutreffend angenommen hat , vorübergehend den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse dar . Die Frage , ob der Weg des Geschäftsreisenden zur Einnahme des Abendessens nach Beendigung seiner betrieblichen Verrichtungen überhaupt noch als versichert anzusehen ist , bedarf keiner abschließenden Prüfung; denn im vorliegenden Fall hat das LSG mit Recht ausgeführt , daß betriebsbezogene Gründe für die Klägerin , das Abendessen gerade bei der Familie Stepp einzunehmen , nicht ersichtlich sind , sondern daß sie von dieser Gelegenheit nur auf Grund der persönlichen , durch die Betriebstätigkeit nicht beeinflußten Bekanntschaft Gebrauch machte . Irgendwelche Gesichtspunkte , aus denen sich ein betrieblicher Zusammenhang für die Annahme dieser Abendeinladung herleiten ließen , sind von der Revision nicht vorgetragen worden , ausgenommen ihr Hinweis auf die von der Klägerin beabsichtigte Unterhaltung mit Frau St ... wegen eines Pelzverkaufs . Insoweit hat das LSG jedoch aus den Erklärungen der Klägerin selbst und der Aussage der Zeugin St ... gefolgert , daß dies nur einen untergeordneten Nebenzweck darstellte , der nicht als rechtlich wesentlicher Grund für den Besuch angesehen werden konnte . Das hiergegen gerichtete Revisionsvorbringen ist nicht geeignet , einen Rechtsirrtum des LSG oder eine Überschreitung der Grenzen des richterlichen Beweiswürdigungsrechts (BSG 2 , 236) ersichtlich zu machen .
Zu Unrecht beanstandet die Revision ferner , daß das LSG den zum Unfall führenden Weg nicht als den - noch unter Versicherungsschutz stehenden - Rückweg von der Beförderung des Lieferwagens (= Arbeitsgerät im Sinne des § 543 Abs . 2 RVO) zum Hotel angesehen habe . Bei ihren hierauf bezüglichen Darlegungen stellt es die Revision stets nur auf die Fahrt mit dem Wagen von der Wohnung St ... zum Hotel und den anschließenden entgegengesetzten Weg zur Einnahme des Abendessens ab und will diese beiden Ortsveränderungen als Hin- und Rückweg betrachten , die versicherungsrechtlich gleich zu behandeln seien . Diese Betrachtungsweise erfaßt aber nur einen Teil der Wege , die von der Klägerin an dem betreffenden Abend insgesamt ausgeführt bzw . geplant waren . Hierzu gehörte zunächst die Fahrt von der Kürschnerei T ... zur Wohnung S ...; dadurch entfernte sich die Klägerin erheblich vom Hotel "Weißes Roß" , wo sie später Quartier nahm . Anhaltspunkte dafür , daß sie gerade ihre Bekannten aufsuchen mußte , um eine angemessene Unterkunftsmöglichkeit in Erfahrung bringen zu können , sind aber von der Klägerin nicht vorgetragen worden . Somit fällt die Tatsache , daß sie sich zur Unterstellung des Wagens wieder von der Wohnung S ... zurück in die Nähe der Kürschnerei begeben mußte - statt das Hotel unmittelbar von diesem Geschäft aus aufzusuchen -, weitgehend in den Bereich ihrer persönlichen Interessen . Dem von der Revision vertretenen Standpunkt , ohne die Notwendigkeit , den Wagen nebst Inhalt sicher unterzustellen , hätte sich der unfallbringende Weg erübrigt , ist also entgegenzuhalten , daß sich ohne die im wesentlichen aus persönlichen Gründen unternommene Fahrt zur Wohnung S ... bereits die Zurückschaffung des Wagens von dort zum Hotel erübrigt haben würde . Schließlich wird im Revisionsvorbringen übersehen , daß - falls der Unfall nicht eingetreten wäre - die Klägerin nach dem Abendbesuch bei ihren Bekannten wieder ins Hotel hätte zurückkehren müssen . Berücksichtigt man so den Gesamtablauf des Geschehens , wie er sich ohne den Unfall zugetragen hätte , so ergibt sich bei natürlicher Betrachtungsweise ein zweimaliger Hin- und Rückweg , nämlich zuerst von der Kürschnerei zur Wohnung St ... und zurück zum Hotel , sodann vom Hotel zur Wohnung St ... und umgekehrt . Während die Klägerin beim ersten Mal - schon wegen der Beförderung des Geschäftswagens - als versichert anzusehen ist , kommt für den zweiten Hin- und Rückweg , der - wie schon dargelegt - vom Versicherungsschutz nach § 542 RVO nicht mehr gedeckt wurde , auch der Versicherungsschutz unter dem Gesichtspunkt des § 543 Abs . 2 RVO nicht in Betracht .
Unbegründet ist schließlich auch die Revisionsrüge , das LSG habe zu Unrecht die Frage der Mitverursachung des hier streitigen Unfalls durch einen neun Tage zuvor bei der Arbeit im Betrieb erlittenen Unfall nicht geprüft . Zwar müßte die Beklagte für den an sich nicht unter Versicherungsschutz stehenden Unfall vom 15 . Oktober 1954 Entschädigung gewähren , wenn er sich als mittelbare Folge eines vorangegangenen Arbeitsunfalls in dem bei ihr versicherten Unternehmen erweisen sollte (vgl . BSG 1 , 254) . Für eine gerichtliche Nachprüfung dieses mittelbaren Kausalzusammenhanges ist aber im Verfahren über den späteren Unfall jedenfalls dann kein Raum , wenn die Beklagte zu ihrer Entschädigungspflicht für den angeblichen früheren Arbeitsunfall noch nicht bescheidmäßig Stellung genommen hat . Jeder Unfall kommt für sich als Grundlage für gesonderte Ansprüche in Betracht , die jeweils verschiedene Grundlagen der Leistungsbemessung - insbesondere hinsichtlich des Jahresarbeitsverdienstes - haben können . Deshalb sind für mehrere Unfälle eines Verletzten , auch wenn sie von demselben Versicherungsträger zu entschädigen sind , grundsätzlich dauernd getrennte Entschädigungen festzusetzen und jeweils selbständige Feststellungsverfahren durchzuführen (vgl . RVO , MitglKomm . Bd . 1 , 2 . Aufl . Anm . 2 h zu § 1545 mit weiteren Nachweisen) . Diese Grundsätze stehen , wie das LSG mit Recht angenommen hat , trotz des nur geringen zeitlichen Abstandes der beiden Unfallereignisse und ungeachtet der Tatsache , daß die Klägerin in ihrem eigenen Unfallbericht bereits auf einen Unfall vom 6 . Oktober 1954 hingewiesen hatte , einer Berücksichtigung dieses Unfalls in dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit entgegen .
Die Revision ist hiernach unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs . 1 Satz 1 SGG) .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen