Entscheidungsstichwort (Thema)
Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit. zumutbare Verweisungstätigkeit
Orientierungssatz
Ein Hauer und gleichermaßen ein Lehrhauer dürfen in ihrer Entlohnung noch auf die Arbeiten der Lohngruppe I nach der Lohnordnung vom 15.2.1956 über Tage als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten iS des RKG § 35 verwiesen werden.
Normenkette
RKG § 35
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 14.07.1960) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 14. Juli 1960 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der 1927 geborene Kläger war vom 1. Februar 1949 im Aachener Steinkohlenbergbau unter Tage zunächst als Schlepper im Schichtlohn (bis Ende Mai 1949) und anschließend als Gedingeschlepper, Lehrhauer und Hauer bis zum 11. September 1956 tätig; er wurde alsdann, da eine durch den Facharzt für innere Krankheiten Dr. R. am 23. Februar 1956 auf Grund bergpolizeilicher Vorschriften vorgenommene Nachuntersuchung ergeben hatte, daß er wegen besonderer Silikosegefährdung keine Arbeiten unter Tage mehr verrichten dürfe, nach Übertage verlegt, wo er seitdem als Kraftwerksarbeiter beschäftigt wird.
Der Kläger beantragte am 17. Oktober 1956 die Knappschaftsrente alten Rechts; die Beklagte lehnte diesen Antrag ab (Bescheid vom 26.2.1957, Widerspruchsbescheid vom 17.4.1957), da sie den Kläger noch auf zahlreiche Tätigkeiten über Tage glaubte verweisen zu können.
Das Sozialgericht (SG) verurteilte (am 10.7.1958) die Beklagte demgegenüber kostenpflichtig, dem Kläger auf seinen Antrag die Knappschaftsrente alten Rechts zu gewähren. Bei dem Kläger sei von dem Beruf als Hauer auszugehen. Da er unter Tage nicht mehr arbeiten könne, sei er berufsunfähig, weil in der Lohngruppe I über Tage, die allein als wirtschaftlich gleichwertig noch in Frage komme, im wesentlichen gleichartig nur die Tätigkeiten als Reservefördermaschinist und als 1. Anschläger seien, der Kläger auf diese jedoch nicht verwiesen werden könne, weil sie im Aachener Steinkohlenbergbau zu selten vorkämen.
Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) folgte der Beklagten allerdings insoweit, als es als hauptberufliche Tätigkeit des Klägers diejenige eines Lehrhauers zugrunde legte, weil der Kläger die Hauertätigkeit überhaupt erst im April 1956, also nach der ärztlichen Feststellung seiner Untauglichkeit zu Untertagearbeiten aufgenommen und nur ganz kurze Zeit ausgeübt habe. Es hält den Kläger jedoch auch als Lehrhauer für berufsunfähig. In längeren Ausführungen begründet es zunächst seine Auffassung, daß die Silikose auch dann als Krankheit anzusehen sei, wenn sie noch keine Beeinträchtigung der körperlichen Kräfte herbeigeführt habe, und weiter, daß ein Versicherter, der wegen eines aus ärztlichen Gründen erfolgten bergpolizeilichen Verbots nicht mehr unter Tage arbeiten dürfe, auf diese Tätigkeiten auch bei der Erörterung der Frage seiner Berufsunfähigkeit nicht mehr verwiesen werden dürfe. Es kommt anschließend mit dem SG weiter zu dem Ergebnis, daß von allen gleichwertigen. Arbeiten über Tage nur noch diejenige eines 1. Anschlägers oder eines Reservefördermaschinisten dem Lehrhauer gegenüber im wesentlichen gleichartig seien. Auf beide Tätigkeiten könne der Kläger jedoch nicht verwiesen werden, weil er den polizeilichen Erfordernissen dafür nicht genüge, - beim 1. Anschläger fehlten sechs Monate nicht mehr nachholbarer Tätigkeit im Schachtförderbetrieb unter Tage; für den Reservefördermaschinisten fehle die Gesellenprüfung für das Schlosserhandwerk und eine besondere Ausbildung.
Gegen das am 6. September 1960 zugestellte Urteil des LSG vom 13. Juli 1960 legte die Beklagte am 29. September 1960 unter Antragstellung die vom LSG zugelassene Revision ein und begründete diese am 19. Oktober 1960.
Von den ursprünglich vorgetragenen Revisionsrügen hielt die Beklagte, nachdem den Beteiligten das zwischenzeitlich in einer gleichliegenden Sache ergangene Urteil des erkennenden Senats vom 25. Mai 1961 - 5 RKn 3/60 - abschriftlich mitgeteilt worden war, nur noch die Rüge einer Verkennung des § 35 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) aF aufrecht. Der Kläger sei nach ihrer Ansicht noch in der Lage, die zur Lohngruppe I über Tage gehörenden Arbeiten eines Vorarbeiters oder Aufsehers zu verrichten, die auch im wesentlichen gleichartig seien. Im übrigen könne - entsprechend dem erwähnten Urteil - der Ausschluß der Tätigkeiten als 1. Anschläger und als Reservefördermaschinist in dem angefochtenen Urteil nicht als zweifelsfrei angesehen werden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt demgegenüber
kostenpflichtige Zurückweisung der Revision.
Er ist über seinen bisherigen Vortrag hinaus insbesondere der Auffassung, daß die Lohndifferenz zwischen dem Gedingehauer - als solcher und nicht als Lehrhauer sei er anzusehen - und den Arbeiten der Lohngruppe I über Tage zu groß sei, um beide Entlohnungen noch als im wesentlichen gleichwertig ansehen zu können.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden, sie ist vom LSG zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist begründet.
Wie der erkennende Senat in der gleichliegenden Sache 5 RKn 3/60 entschieden hat, dürfen ein Hauer und gleichermaßen ein Lehrhauer in ihrer Entlohnung noch auf die Arbeiten der Lohngruppe I über Tage als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten im Sinne des § 35 RKG aF verwiesen werden. Von dieser Auffassung abzugehen, besteht, jedenfalls für Versicherungsfälle, die noch nach der Lohnordnung vom 15. Februar 1956 zu beurteilen sind, kein Anlaß.
Im Rahmen der danach einkommensmäßig in Frage kommenden Arbeiten sind, wie der Senat in dem erwähnten Urteil erneut entschieden hat, für eine Verweisung unter dem Gesichtspunkt wesentlicher Gleichartigkeit nur die Tätigkeiten eines 1. Anschlägers und eines Reservefördermaschinisten in Betracht zu ziehen.
Entgegen der Auffassung des LSG scheiden diese Arbeiten im vorliegenden Fall jedoch nicht unbedingt deswegen aus, weil der Kläger bergpolizeilich geforderte Voraussetzungen nicht erfüllt. Als Reservefördermaschinist wäre eine Beschäftigung vielmehr möglich an Schächten, in denen keine Seilfahrt stattfindet, und an Schächten, in denen zwar Seilfahrt stattfindet, die aber nach § 1 Abs. 3 der Bergverordnung des Oberbergamts für Hauptseilfahrtanlagen in den der Bergaufsicht unterstehenden Betrieben vom 24. Juni 1957 ausgenommen sind. Es kommt also insoweit noch darauf an, ob und in welcher Zeit Arbeitsplätze für Reservefördermaschinisten dieser Art vorhanden sind, welche Voraussetzungen an diese Tätigkeiten geknüpft werden und wie diese eingestuft sind. Ebenso bleibt noch zu prüfen, ob für alle ersten Anschläger über Tage eine vorausgegangene halbjährige Tätigkeit im Schachtförderbetrieb unter Tage bergbehördlich gefordert wird (vgl. § 83 aaO). Da es an derartigen Feststellungen mangelt, konnte der Senat keine eigene Entscheidung in der Sache treffen, sondern mußte das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Fundstellen