Leitsatz (amtlich)

Auch nach dem 1951-12-31 (hier: bis Februar 1958) von einem selbständigen Handwerker in der tschechoslowakischen Nationalversicherung zurückgelegte Beitragszeiten erfüllen die Voraussetzungen des FRG § 15 Abs 2 (Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit).

 

Normenkette

FRG § 15 Abs. 2 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Februar 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger, anerkannter Vertriebener, verlangt von der Beklagten, daß ihm auf seine Rente die in der CSSR vom 1. Januar bis zum 30. September 1952 sowie vom 9. September 1953 bis zum 27. Februar 1958 als selbständiger Dachdecker bei der tschechoslowakischen Nationalversicherung zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 Fremdrentengesetz (FRG) angerechnet werden. Diese Zeiten (bereits vom 1. Oktober 1948 an) hatte der tschechoslowakische Träger bei der Gewährung der Invalidenrente im Jahre 1968 als anrechnungsfähig berücksichtigt. Die Beklagte gewährte dem Kläger vom 2. Januar 1970 an (Tag der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 27. November 1970).

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Zeiten vom 1. Oktober 1948 bis 30. September 1952 und vom 9. September 1953 bis 27. Februar 1958 als Beitragszeiten zu berücksichtigen. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 25. April 1973), das Landessozialgericht (LSG) die auf Beitragszeiten ab 1. Januar 1952 beschränkte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 4. Februar 1975). Die seit 1948 bestehende tschechoslowakische Nationalversicherung sei als gesetzliche Rentenversicherung iS des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG anzusehen. Durch ihre Ausdehnung auf weitere Bevölkerungsteile, insbesondere die Staatsbediensteten, im Jahre 1950 habe sie nicht den Charakter einer Volksversicherung erlangt, da auch von diesem Zeitpunkt an noch nicht die gesamte Bevölkerung von ihr erfaßt worden sei. Auch der 1952 eingetretene Wegfall der eigenen Beitragsleistung abhängig Beschäftigter habe am Bestand eines Rentenversicherungssystems iS des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG nichts geändert und für die auch weiterhin beitragspflichtigen Selbständigen kein versicherungsrechtliches Sondersystem entstehen lassen. Dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur ein "irgendwie geartetes Beitragsaufkommen" voraussetze, sei Genüge getan, wenn - wie in der tschechoslowakischen Nationalversicherung - Beiträge aus Erträgnissen verstaatlichter Betriebe und aus Steuermitteln geleistet werden.

Die Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung des § 15 FRG rügt. Seit 1952 bestehe in der CSSR für Selbständige kein System der sozialen Sicherheit mehr. Es komme nicht auf die gemeinsame Organisationsform, sondern darauf an, daß für Selbständige ein abweichendes Beitrags- und Leistungsrecht entstanden sei. Es sei zwischen Ansprüchen der Arbeitnehmer und solchen der Mitglieder landwirtschaftlicher Genossenschaften sowie selbständiger Landwirte differenziert worden. Für die Selbständigen in der CSSR bestehe damit dieselbe Situation wie für die Künstler in Rumänien; erst durch die Rechtsverordnung vom 5. März 1975 sei das Versicherungssystem dieses Personenkreises als gesetzliche Rentenversicherung iS des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG anerkannt worden.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als sie verurteilt worden ist, Versicherungszeiten des Klägers vom 1. Januar 1952 bis 30. September 1952 und vom 9. September 1953 bis 27. Februar 1958 zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Zeiten vom 1. Januar bis zum 30. September 1952 und vom 9. September 1953 bis zum 27. Februar 1958 als Beitragszeiten nach § 15 Abs 1 FRG zu berücksichtigen sind. Denn der Kläger gehörte während dieser Zeiten einem System der sozialen Sicherheit iS des § 15 Abs 2 FRG an. Die Beklagte räumt ein, daß mit der tschechoslowakischen Nationalversicherung 1948 ein System der sozialen Sicherheit geschaffen worden ist. Sie verneint nur die Frage, ob selbständig Erwerbstätige - wie der Kläger - seit 1952 noch in dieses System einbezogen waren. Dem kann nicht gefolgt werden.

Das LSG hat in Anwendung und Auslegung nichtrevisiblen tschechoslowakischen Rechts und somit für das Revisionsgericht bindend festgestellt (§ 162 SGG, § 562 ZPO iVm § 202 SGG; BSGE 25, 20, 23 und SozR Nr 19 zu § 15 FRG), daß in der CSSR mit Wirkung vom 1. Januar 1952 (Gesetz vom 19. Dezember 1951, Slg Nr 102/1951) Arbeitnehmer keine eigenen Beiträge mehr zu entrichten hatten und nur die selbständig Erwerbstätigen weiterhin, ebenso wie Mitglieder landwirtschaftlicher Genossenschaften, Beiträge leisten mußten, die nach den Erträgen ihrer Betriebe gestaffelt waren. Die Ausgaben der Rentenversorgung wurden den weiteren Feststellungen zufolge von dieser Zeit an nicht mehr im Umlageverfahren, sondern über den Staatshaushalt durch Erträge verstaatlichter Wirtschaftsbetriebe, Steueraufkommen sowie Beiträge vorgenannter Personengruppen finanziert.

Durch diesen vom LSG als "Umstrukturierung" umschriebenen Vorgang hat sich nichts geändert, was für die Subsumtion unter § 15 Abs 1 und 2 FRG wesentlich ist. Das soziale Sicherheitssystem des § 15 Abs 2 Satz 1 FRG setzt zwar seinem Sinn und Zweck nach eine Beitragsentrichtung voraus; es genügt aber ein "irgendwie gestaltetes Beitragsaufkommen", auch wenn nur der Arbeitgeber (oder der Staat) an der Deckung der Rentenleistung mitwirkt und die Zahlungen nicht für den einzelnen Versicherten gesondert berechnet werden (BSGE 6, 263, 265; SozR Nr 16 zu § 15 FRG Seite Aa 13 R, 14 und die dort zitierte Literatur). Ist hiernach die Art, wie die Mittel für die Rentenleistungen aufgebracht werden und sich zusammensetzen, im Rahmen des § 15 Abs 2 FRG von untergeordneter Bedeutung, so kann es schon deshalb auch nicht erheblich sein, wenn zwischen einzelnen Personengruppen desselben Systems Unterschiede hinsichtlich der Beitragsleistung in diesem weiten Sinn bestehen. Die unterschiedliche Handhabung liegt in den Besonderheiten einzelner Berufsgruppen begründet. Insofern nehmen der Versicherungspflicht unterworfene Selbständige eine Sonderstellung ein. Hier fehlt der Arbeitgeber, der in den einzelnen Sozialversicherungssystemen für die Hälfte des Beitrags oder einen größeren Anteil aufkommt. Es mangelt aber auch am aktuellen Bezugsmoment für die Höhe des Beitrags; denn im Gegensatz zum Arbeitsverdienst (Lohn, Gehalt) des Arbeitnehmers läßt sich das Einkommen des Selbständigen erst nachträglich feststellen. Schließlich können noch berufsständische Eigenheiten den Gesetzgeber veranlassen, Sonderregelungen zu treffen (vgl das in die Arbeiterrentenversicherung eingegliederte Handwerkerversicherungsgesetz - HwVG - vom 8. September 1960, BGBl I 737, insbesondere § 4 hinsichtlich der Beitragshöhe). Deshalb ist die Folgerung der Beklagten, die Selbständigen in der CSSR hätten seit 1952 wegen des für sie geltenden abweichenden Beitragsrechts nicht mehr dem einheitlichen System der tschechoslowakischen Nationalversicherung angehört, bereits im Ansatz unrichtig. Gleiches gilt für das Leistungsrecht. Das Berufungsgericht hat insoweit - ebenfalls für das Revisionsgericht bindend - festgestellt, aus dem vom tschechoslowakischen Träger dem Kläger erteilten Bescheid ergebe sich, "daß Beitragszeiten der Selbständigen hinsichtlich der Berechnung der Beschäftigungsdauer als Bemessungsgrundlage ebenso angerechnet werden wie Beschäftigungszeiten der abhängig Erwerbstätigen". Die Beklagte meint zwar, seit 1952 sei für Selbständige in der CSSR ein abweichendes Leistungsrecht entstanden, sie führt aber als Begründung hierfür lediglich die Verhältnisse bei landwirtschaftlichen Genossenschaften an mit dem Hinweis, das für Landwirte Gesagte müsse auch für selbständige Handwerker gelten. Diesem Vorbringen könnte der Senat nur nachgehen, falls das Berufungsgericht an sich irrevisible (ausländische) Vorschriften überhaupt nicht erörtert hätte (hierzu BGH in NJW 1964, 203, 204). Für eine "übersehene Rechtsnorm" ist indessen nichts dargetan. Zudem sind gewisse Abweichungen hinsichtlich der Rentenansprüche Selbständiger, wie sie auch unter Zugrundelegung des Revisionsvortrags der Beklagten nur in Betracht kommen können, nicht geeignet, den Ausschluß aus dem Sozialversicherungssystem zu begründen (wegen Besonderheiten beispielsweise im Leistungsrecht des HwVG vgl dessen § 1 Abs 1 und 3).

Danach kann auch das Argument der Beklagten, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 15 Abs 1 FRG nicht, da durch die Aufhebung der Beitragspflicht der abhängig Beschäftigten für die weiterhin beitragspflichtigen Selbständigen ein Sondersystem entstanden sei, das als solches nach § 15 Abs 3 FRG der Anerkennung durch Rechtsverordnung bedürfe, nicht überzeugen. Entscheidend für das Bestehen eines Sondersystems ist nicht die unterschiedliche Gestaltung des Beitrags- oder/und Leistungsrechts der einem Sicherungssystem unterliegenden Versicherten, sondern ihr Zusammenschluß in einem organisatorisch selbständigen System. Die selbständig Erwerbstätigen in der Tschechoslowakei waren jedoch in der fraglichen Zeit zusammen mit den abhängig Beschäftigten in die Nationalversicherung einbezogen und gehörten keinem unabhängig davon bestehenden System an. Dies räumt die Beklagte auch selbst ein; sie verweist zur Begründung ihrer Ansicht auf die Anerkennung der Systeme der rumänischen Versicherung für bildende Künstler und Schriftsteller durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Anerkennung von Systemen und Einrichtungen der sozialen Sicherheit als gesetzliche Rentenversicherungen vom 5. März 1975 (BGBl I S 647). Dabei verkennt sie jedoch, daß in Rumänien - wie § 15 Abs 3 FRG voraussetzt - die soziale Sicherung durch mehrere nebeneinander und unabhängig voneinander geführte Systeme verwirklicht wird, wobei eines dieser Systeme ua die soziale Sicherung der Personen gewährleistet, die einen künstlerischen Beruf selbständig ausüben (vgl BR-Drucks 24/75 S 6 f).

Da im vorliegenden Fall somit die Voraussetzungen des § 15 Abs 1 und 2 FRG erfüllt sind, hat das LSG den Anspruch zu Recht bestätigt. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649791

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