Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzung der Richterbank
Leitsatz (amtlich)
1. Der für die Erbringung einer ärztlichen Leistung erforderliche Zeitaufwand ist grundsätzlich mit der Gebühr für die Leistung abgegolten. Auch bei einem im Einzelfall ungewöhnlich hohen Zeitaufwand kann deshalb neben der Gebühr für die Leistung im allgemeinen keine Verweilgebühr abgerechnet werden.
2. Zur Ausfüllung von Regelungslücken im kassenärztlichen Gebührenrecht (hier: Vergütung besonders zeitaufwendiger Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern, BMÄ Nr 45).
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Organe der gemeinsamen Selbstverwaltung von Kassenärzten und KK können in normativen Regelungen die einzelnen Leistungen inhaltlich beschreiben, gegeneinander abgrenzen und bewerten; nur ausnahmsweise und in engen Grenzen dürfen die SG in eine solche Regelung eingreifen, etwa wenn die gemeinsamen Selbstverwaltungsorgane ihren Regelungsspielraum überschritten oder ihre Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgeübt haben.
2. Die Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Kassenärzten und KK können die Vergütung der ärztlichen Leistungen nicht nach Belieben regeln, insbesondere nicht von einer Ergänzung offenbar widersprüchlicher oder lückenhafter Regelungen absehen; das wäre schon mit RVO § 368f Abs 1 S 4 nicht vereinbar, wonach die KÄV die Honorarverteilung in dem dafür geschaffenen Maßstab so zu regeln hat, daß Art und Umfang der Leistungen des Kassenarztes zugrunde gelegt werden.
3. Selbst wenn davon ausgegangen werden kann, daß Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern im Durchschnitt etwa dreimal so viel Zeit erfordern wie bei Erwachsenen, so dient dieser Zeitaufwand unmittelbar der Erbringung der Leistung und ist über die entsprechende Gebühr abzurechnen (Nr 45 und Nr 2004 BMÄ).
Der Zeitaufwand kann auch nicht mit einer Verweilgebühr (Nr 24 BMÄ) entschädigt werden; diese soll den Arzt gerade dafür entschädigen, daß er während der Verweildauer keine Leistungen erbringen kann.
Orientierungssatz
Ein Rechtsstreit um sachliche Fehler in der Abrechnung eines Kassenarztes gehört zu den Angelegenheiten der Kassenärzte iS des SGG § 12 Abs 3 S 2. Entsprechend der 2. Verwaltungsinstanz ist auch die Richterbank lediglich mit ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Kassenärzte zu besetzen.
Normenkette
RVO § 368f Abs. 1 Fassung: 1955-08-17; GOÄ Nr. 24 Fassung: 1965-03-18, Nr. 45 Fassung: 1965-03-18; BMÄ Nr. 24 Fassung: 1971-02-25, Nr. 45 Fassung: 1971-02-25; RVO § 363 Abs. 1 S. 4 Fassung: 1955-08-17; BMÄ Nr. 2004; SGG § 12 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1972-05-26
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.06.1976; Aktenzeichen L 1 Ka 10/76) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.11.1975; Aktenzeichen S 2 Ka 56/75) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1976 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Vergütung von intravenösen und intraarteriellen Infusionen ei Säuglingen und Kleinkindern.
Der Kläger, ein zur Kassenpraxis zugelassener Kinderarzt, rechnete Leistungen der genannten Art im vierten Quartal 1974 in 12 Fällen nach Nr 45 des Bewertungsmaßstabes für kassenärztliche Leistungen (BMÄ) ab; daneben forderte er wegen seines erheblichen Zeitaufwandes noch Verweilgebühren nach Nr 24 BMÄ. Die zuständige Abrechnungsstelle der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung hielt den Zeitaufwand durch die Gebühr für die Infusionen für abgegolten und strich die angesetzten Verweilgebühren. Der Widerspruch des Klägers wurde vom Vorstand der Beklagten zurückgewiesen (Bescheid vom 19. Juni 1975). Auch seine Klage und seine Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 11. November 1975 und Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 23. Juni 1976). Das LSG hat ausgeführt: Der für ärztliche Leistungen erforderliche Zeitaufwand sei nach den allgemeinen Bestimmungen des BMÄ nicht besonders zu vergüten, sondern mit der Gebühr für die Leistung abgegolten. Das gelte auch für Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern, obwohl die Infusion hier nach einer von Prof. Dr. O eingeholten Auskunft wesentlich mehr Zeit erfordert als bei größeren Kindern und Erwachsenen. Solche Besonderheiten seien nach dem BMÄ nicht zu berücksichtigen. Dieser enthalte insoweit auch keine von den Gerichten auszufüllende Regelungslücke. Im übrigen lasse sich der höhere Zeitaufwand für Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern durch einen geringeren Zeitaufwand bei größeren Kindern ausgleichen; auch bei ersteren betrage er nach der Auskunft des genannten Sachverständigen nur etwa 15 Minuten, die der Arzt für das Anlegen der Infusionen benötige und bleibe damit unter dem für den Ansatz einer Verweilgebühr erforderlichen Zeitaufwand. Nach dem BMÄ sei es schließlich nicht zulässig, daß der Kläger anstelle einer Gebühr nach Nr 45 BMÄ eine Verweilgebühr wähle.
Der Kläger rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision in erster Linie eine fehlerhafte Anwendung der Bestimmungen des BMÄ zu Nrn 24 und 45 durch das LSG. Infusionen bei Säuglingen und Kindern im Falle einer Exsikkose (Gewebeaustrocknung) seien eine besondere Art von Infusionen, für die ein enormer zeitlicher Überwachungsaufwand des Arztes typisch sei, auf die deshalb die Gebührenziffer 45 und die Bestimmung des BMÄ über die Abgeltung des Zeitaufwandes durch die Leistungsgebühr nicht passe; den Kinderärzten sei insoweit auch kein Ausgleich über zeitlich weniger aufwendige Leistungen möglich. Die hiernach bestehende Regelungslücke müsse durch zusätzliche Gewährung einer Verweilgebühr geschlossen werden. Im übrigen widersprächen die Ausführungen des LSG über den Zeitaufwand für Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern der Auskunft des Sachverständigen, der einen Zeitaufwand von insgesamt 40 Minuten angegeben habe. Insofern habe das LSG seine Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides aufzuheben, hilfsweise festzustellen, daß er anstelle der Nr 45 BMÄ die Nr 24 abrechnen dürfe.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die beigeladenen Krankenkassen zu 1) bis 5) haben sich dem Antrag und den Ausführungen der Beklagten angeschlossen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat über die Revision mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreise der Kassenärzte entschieden, weil der Rechtsstreit zu den Angelegenheiten der Kassenärzte iS des § 12 Abs 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gehört. Sachliche Fehler in der Abrechnung der Kassenärzte, um deren Vorliegen die Beteiligten hier streiten, werden zunächst durch die Abrechnungsstellen der Beklagten berichtigt; über Widersprüche gegen deren Bescheide entscheidet, wie geschehen, der allein mit Kassenärzten besetzte Vorstand der Beklagten (§ 5 des Honorarverteilungsmaßstabes - HVM - der Beklagten in der von ihrer Vertreterversammlung am 18. November 1972 beschlossenen und mit dem 1. Quartal 1973 in Kraft getretenen Fassung, abgedruckt bei Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 4. Aufl Stand: Dezember 1976, Bd III S IV 165). Entsprechend der zweiten Verwaltungsinstanz ist auch die Richterbank zu besetzen (vgl BSGE 42, 268, 269 mit weiteren Nachweisen).
Die Revision des Klägers ist begründet, ohne daß der Senat schon abschließend über den Rechtsstreit entscheiden kann. In welcher Höhe dem Kläger für die fraglichen Leistungen außer einer Gebühr nach Nr 45 BMÄ noch eine weitere Vergütung zusteht, muß das LSG noch ermitteln. Dabei kommt allerdings eine Verweilgebühr nach Nr 24 BMÄ - neben oder anstelle einer Gebühr nach Nr 45 BMÄ - nicht in Betracht.
Die Honorierung der kassenärztlichen Leistungen des Klägers regelte während der fraglichen Zeit (4. Quartal 1974) der genannte HVM der Beklagten vom 18. November 1972. Dieser verwies in § 2 Abs 2 auf die - als Anlage zum Bundesmantelvertrag für Ärzte (BMV-Ä), also bundeseinheitlich vereinbarten - Grundsätze für die Berechnung der kassenärztlichen Gesamtvergütung vom 25. Februar 1971. Nach deren § 1 Abs 1 ist Bewertungsmaßstab für die kassenärztlichen Leistungen (BMÄ) grundsätzlich das Gebührenverzeichnis der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. März 1965 (GOÄ), soweit nicht schon in den "Grundsätzen" selbst, ihren Anlagen oder späteren Beschlüssen des in § 5 der Grundsätze vorgesehenen Ausschusses Abweichungen von der GOÄ bestimmt worden sind (der BMV-Ä und die "Grundsätze" sind abgedruckt ua bei Heinemann/Liebold aaO Bd II S IV 1 ff und IV 70 k ff; zum BMÄ vgl den Kommentar von Brück, 2. Aufl Stand: 1. Oktober 1977).
Das - im wesentlichen aus der GOÄ übernommene - Gebührenverzeichnis des BMÄ enthält in Teil A außer den Gebühren für ärztliche Grundleistungen (Abschnitt I) und allgemeine ärztliche Leistungen (Abschnitt II) in Abschnitt III Bestimmungen über Entschädigungen; zu ihnen gehört die Verweilgebühr nach Nr 24, die je angefangene halbe Stunde a) bei Tage 5 DM und b) bei Nacht 10 DM beträgt (diese Sätze sind - wie auch die übrigen Gebühren des BMÄ - inzwischen mehrfach von den Vertragspartnern erhöht worden). Nach den Allgemeinen Bestimmungen für Entschädigungen (Unterabschnitt 2) ist eine Verweilgebühr zu zahlen, wenn der Arzt nach der Beschaffenheit des Krankheitsfalles länger als eine halbe Stunde verweilen muß; der für die Erbringung einer Leistung erforderliche Zeitaufwand ist mit der Gebühr für die Leistung abgegolten (A III 2 Buchst c Sätze 1 und 2 BMÄ). Nach Teil B, Abschnitt I des Gebührenverzeichnisses (Gebühren für allgemeine ärztliche Sonderleistungen) wird eine intravenöse oder intraarterielle Infusion (Nr 45 BMÄ) mit 7 DM, eine intravenöse oder intraarterielle Dauertropfinfusion (Nr 2004 BMÄ) mit 10 DM vergütet.
Die Gebühren nach Nr 45 und Nr 2004 BMÄ (im vorliegenden Fall hatte der Kläger zunächst irrtümlich die Nr 2004 angesetzt, sie aber später in die Nr 45 berichtigt) gelten auch für Infusionen, die von Kinderärzten ausgeführt werden, da für sie bisher keine Sonderregelungen getroffen worden sind. Anwendbar ist insoweit ferner die Regelung des BMÄ über Verweilgebühren, insbesondere die Bestimmung in A III 2 Buchst c Satz 2. Danach kann dem Kläger ein Zeitaufwand nicht besonders vergütet werden, der für eine Infusion (dh für das Einbringen einer die normale Kapazität einer Spritze übersteigenden, vgl Nr 30 BMÄ, Flüssigkeitsmenge in den Körper) erforderlich ist. Dieser - unmittelbar mit der Erbringung der Leistung verbundene - Zeitaufwand ist vielmehr mit der Gebühr für die Leistung "abgegolten".
Das trifft auch für die hier streitigen Fälle zu, in denen der Zeitaufwand für die bei Säuglingen und Kleinkindern ausgeführten Infusionen anscheinend besonders hoch gewesen ist. Das LSG hat diesen Zeitaufwand mit "etwa 15 Minuten ..., die der Arzt für das Anlegen der Infusion benötigt", angenommen; es hat sich dabei auf eine von Prof. Dr O (Universitätsklinikum der Gesamthochschule E - Kinderklinik - Poliklinik - Abteilung für Nephrologie) eingeholte Auskunft gestützt. Der Kläger hat die Annahme des LSG als verfahrensfehlerhaft gerügt, weil sie der Auskunft des Sachverständigen widerspreche, der für die ärztliche Leistung insgesamt etwa 40 Minuten angegeben habe; das LSG habe dessen Angabe entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen und deshalb insoweit das rechtliche Gehör nicht gewährt.
Ob diese Rüge begründet ist, kann dahinstehen (vgl zur Verletzung des rechtlichen Gehörs zuletzt den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 1978, 1 BvR 426/77). Der Sachverständige hat allerdings zum "Gesamtzeitaufwand" des Arztes bei Infusionen an Kleinkindern und Säuglingen nicht nur das erstmalige Anlegen der Infusion (Einführen der Nadel in das Gefäß), sondern auch eine Überwachungstätigkeit von durchschnittlich 5 bis 10 Minuten gerechnet und darüber hinaus für das Neuanlegen der Infusion nochmals 15 Minuten angesetzt (wenn nämlich die Nadel aus dem punktierten Gefäß rutsche, womit bei einer von zwei Infusionen zu rechnen sei). Sollten hiernach Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern im Durchschnitt, dh auf eine größere Zahl von Fällen bezogen, einen ärztlichen Zeitaufwand von insgesamt ca 30 Minuten erfordern - der Sachverständige hält ihn für etwa dreimal so hoch wie bei größeren Kindern oder Erwachsenen -, so würde auch dieser - erhöhte - Zeitaufwand unmittelbar der Erbringung einer Leistung dienen und deshalb nicht mit einer Verweilgebühr vergütet werden können.
Die Verweilgebühr nach Nr 24 BMÄ soll den Arzt dafür entschädigen, daß er nach der Beschaffenheit des Krankheitsfalles länger als eine halbe Stunde "verweilen" muß (A III 2 Buchst c Satz 1 BMÄ), dh, während dieser Zeit keine Leistungen erbringen kann, sondern untätig bleiben oder sich jedenfalls auf eine "tätige" Bereitschaft beschränken muß (vgl Brück aaO Anm 1 zu Nr 24 BMÄ). Ein "Verweilen" iS der genannten Bestimmung steht damit vom Begriff her im Gegensatz zur Erbringung von Leistungen und des mit ihnen verbundenen Zeitaufwands. Schon aus diesem Grunde kann die Bestimmung über die Gewährung einer Verweilgebühr nicht im Wege der Analogie auf den Fall einer besonders zeitaufwendigen Leistung übertragen werden, es sei denn, daß etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist. Eine solche andere Bestimmung enthalten nicht die - bei Brück aaO Anm 1 zu B I Nr 44 bis 47 BMÄ wiedergegebenen - Stellungnahmen des Bundesarbeitsministers gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 25. Januar und 28. Juli 1966; sie betreffen rektale und intravenöse oder intraarterielle Dauertropfinfusionen nach Nrn 2003 und 2004 BMÄ, bei denen der Arzt nach Ansicht des Bundesarbeitsministers eine Verweilgebühr ansetzen darf, wenn die Infusion eine normalerweise nicht im Zeitaufwand der Grundleistung enthaltene ärztliche Überwachungszeit erfordert. Ob dieser Auffassung für den Sonderfall der Dauertropfinfusion zu folgen ist, kann dahinstehen; auf den vorliegenden Fall ist sie jedenfalls nicht zu übertragen und im übrigen für die Gerichte nicht verbindlich.
Andererseits kann nach Ansicht des Senats nicht geleugnet werden, daß die vom Kläger abgerechneten Infusionen mit einer Gebühr nach Nr 45 BMÄ nicht angemessen honoriert werden, sofern sie, wie der Sachverständige ausgeführt hat, bei Säuglingen und Kleinkindern im Durchschnitt etwa dreimal soviel Zeit erfordern wie bei älteren Personen und wenn, wie der Kläger vorgetragen hat, für diesen zeitlichen Mehraufwand in einer Kinderarztpraxis keine genügenden Ausgleichsmöglichkeiten bestehen. Damit erhebt sich die Frage, ob insoweit eine Regelungslücke vorliegt und, wenn dies zu bejahen wäre, in welcher Weise sie zu schließen ist.
Die Frage nach Lücken in einer ärztlichen Gebührenordnung hat den Senat schon wiederholt beschäftigt. Er hat sie in den bisher entschiedenen Fällen verneint, vor allem aus der Erwägung heraus, daß es grundsätzlich nicht Aufgabe der Gerichte sein könne, mit "punktuellen" Entscheidungen zu einzelnen Leistungen in ein umfassendes Tarifgefüge einzugreifen, das als in sich widerspruchsfrei und ausgewogen vorauszusetzen sei. Ausnahmen seien nur in engen Grenzen denkbar, etwa wenn die in erster Linie zur Bewertung der ärztlichen Leistungen berufenen Selbstverwaltungsorgane ihren Regelungsspielraum überschritten oder ihre Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgeübt hätten (vgl SozR 5530 Allg GOÄ Nr 1 S 4). An dieser Auffassung hält der Senat fest; ihr entspricht seine Zurückhaltung gegenüber einer - vom eindeutigen Wortsinn abweichenden - Auslegung einer Gebührenbestimmung (vgl BSGE 42, 268, 273 f). Damit ist den Selbstverwaltungsorganen keine Ermächtigung gegeben, die Honorierung der ärztlichen Leistungen nach Belieben zu regeln, insbesondere von einer Ergänzung offenbar widersprüchlicher oder lückenhafter Regelungen abzusehen. Das wäre, soweit es sich um die Verteilung der Gesamtvergütung unter die Kassenärzte handelt, schon mit § 368 f Abs 1 Satz 4 RVO nicht vereinbar, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die Honorarverteilung im HVM so zu regeln hat, daß "Art und Umfang" der Leistungen des Kassenarztes zugrunde gelegt werden. Als eine (im Wege der Satzungsautonomie geschaffene) Rechtsnorm unterliegt der HVM dem Gebot der Gleichbehandlung aller Kassenärzte (Art 3 des Grundgesetzes), so daß willkürliche Benachteiligungen einzelner Ärzte oder Arztgruppen nicht zulässig sind und, sollten sie gleichwohl objektiv feststellbar sein, im Zweifel anzunehmen ist, daß sie nicht beabsichtigt waren.
Ein solcher Fall einer - unbeabsichtigten - Benachteiligung einer Arztgruppe könnte hier vorliegen, sofern es nämlich zutrifft, daß Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern durchschnittlich dreimal soviel Zeit wie bei älteren Patienten erfordern und für diesen zeitlichen Mehraufwand bei Kinderärzten keine oder keine hinreichenden Ausgleichsmöglichkeiten bestehen. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, läßt sich nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht sicher beurteilen, zumal das LSG bei der Schätzung des gesamten Zeitaufwandes für die Infusionen nur das erstmalige Anlegen der Infusion berücksichtigt hat, ohne dies näher zu begründen.
Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben, daß die genannten Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, so wäre - sofern nicht noch neue, im Rechtsstreit bisher nicht zur Sprache gekommene Gesichtspunkte vorgetragen werden - für die fraglichen kinderärztlichen Leistungen eine Lücke im Gebührenverzeichnis des BMÄ anzunehmen. Zu deren Schließung könnte eine neue Gebührenziffer für die fraglichen Leistungen in den BMÄ eingefügt werden, was aber für die Gerichte nicht in Betracht käme, da sie mit einer eigenen ziffernmäßigen Bewertung von ärztlichen Leistungen in aller Regel überfordert wären. Auch durch analoge Heranziehung einer anderen Gebührenziffer ließe sich die Lücke hier kaum schließen, abgesehen davon, daß § 6 GOÄ, der eine solche Analogie vorsieht, im Rahmen des BMÄ nicht anwendbar ist (§ 2 Abs 5 des HVM der Beklagten). Da für den Ansatz einer Verweilgebühr, wie ausgeführt, aus rechtlichen Gründen kein Raum ist, bliebe nur die Möglichkeit, die genannten Infusionen über Nr 45 BMÄ, jedoch mit einer erhöhten oder mehrfachen Gebühr, zu vergüten. Dafür spräche, daß nach den Darlegungen des vom LSG gehörten Sachverständigen von zwei Infusionen der fraglichen Art im Durchschnitt jeweils eine ein Neuanlegen der Nadel erfordert - nach dem Vorbringen des Klägers ist dies in der ambulanten Praxis sogar noch häufiger der Fall -, was für den Arzt wiederum einen Zeitaufwand von etwa 15 Minuten bedeutet. Dieses Neuanlegen könnte als eine neue Leistung nach Nr 45 BMÄ angesehen werden, so daß der Kinderarzt - auf eine größere Zahl von Fällen bezogen - für Infusionen bei Säuglingen und Kleinkindern mindestens das Eineinhalbfache der Gebühr nach Nr 45 BMÄ erhielte. Das wäre zwar, gemessen an dem durchschnittlichen Zeitaufwand für diese Leistung, noch keine voll befriedigende Vergütung, würde aber weder die Korrekturmöglichkeiten der Gerichte überfordern noch das Tarifgefüge des BMÄ wesentlich stören. Gerade diesen Gesichtspunkt der möglichsten Schonung eines autonom geschaffenen Gebührensystems hält der Senat für besonders wichtig, wenn schon ein Eingriff der Gerichte nicht zu umgehen ist.
Sollte es hiernach darauf ankommen, ob der Kläger in den diesem Rechtsstreit zugrunde liegenden Abrechnungsfällen die Infusionen mehr als einmal anlegen mußte, so könnten, wenn insoweit wegen der inzwischen verstrichenen Zeit eine restlose Aufklärung nicht mehr möglich wäre, die vom Sachverständigen genannten Erfahrungswerte zugrunde gelegt werden. Im übrigen scheint nach den Verwaltungsakten nicht die zu 6) beigeladene Ortskrankenkasse, sondern die Innungskrankenkasse Essen am Rechtsstreit beteiligt zu sein.
Der Senat hat hiernach auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen, das in seinem abschließenden Urteil auch über die Kosten der Revision mitentscheiden wird.
Fundstellen