Leitsatz (amtlich)

Durch die ab 1960-07-02 geltende Bestimmung, daß die Fünfjahresfrist des KOV-VfG § 43 Abs 2 S 2 frühestens mit dem 1957-01-01 beginnt, sind am 1960-07-02 bereits abgelaufene Ausschlußfristen nicht verlängert worden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist, wie in KOV-VfG § 22 Abs 1, die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben, so muß der Bescheid auch die Unterschrift des für den Inhalt des Bescheides verantwortlichen Beamten tragen (vergleiche BSG 1960-12-21 7 RKg 3/58 = BSGE 13, 269). Fehlt diese Unterschrift sowohl im Entwurf als auch in den beglaubigten Ausfertigungen des Bescheides, so ist er nichtig und nicht etwa nur anfechtbar. Der Formmangel der Nichtigkeit kann nicht durch Nachholung geheilt werden.

2. Der Tod eines Versorgungsberechtigten macht die Erteilung eines Berichtigungsbescheides nicht unzulässig (vergleiche BSG 1958-03-27 8 RV 387/55 = BSGE 7, 103).

3. Erweist sich ein durch Widerspruch angefochtener Verwaltungsakt als nichtig, so erlangt der diesen Widerspruch lediglich zurückweisende Widerspruchsbescheid neben dem ursprünglichen Verwaltungsakt keine selbständige Bedeutung. Er kann also einem Nichts (nullum) weder einen rechtlich beachtlichen Inhalt geben noch es ersetzen.

Der Formmangel der Nichtigkeit kann nicht durch Nachholung geheilt werden; es ist vielmehr die Erteilung eines neuen Bescheides erforderlich, der kleine rückwirkende Kraft hat.

 

Normenkette

KOVVfG § 42 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1960-06-27, § 22 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. November 1962 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Ehemann der Klägerin (B) beantragte 1946 und 1947 Versorgung wegen doppelter Beinlähmung. Abgesehen von Kinderkrankheiten sei er immer gesund gewesen. Am 27. Januar 1940 hätten auf dem Rückmarsch von einer militärischen Übung, bei der er ins Eis eingebrochen und erst nach 4 Stunden geborgen worden sei, seine Beine versagt. Das Lazarett habe eine akute spinale Erkrankung angenommen. 1941 oder 1942 sei er ohne Untersuchung und ohne Rentenbescheid aus dem Wehrdienst entlassen worden. Das Leiden habe sich dann soweit gebessert, daß er zwar noch unsicher aber doch ohne Stock gehen konnte. Mitte 1943 habe sich das Leiden durch die mit seiner Ausbombung verbundenen Aufregungen wieder verschlimmert. Unterlagen über frühere Rentenanträge und die Entlassung des B. waren zunächst nicht auffindbar. Im nervenärztlichen Gutachten vom 21. Februar 1947 wurde angenommen, die Myelitis (möglicherweise auch multiple Sklerose) sei Folge der starken Durchkältung , in deren unmittelbaren Anschluß sie aufgetreten sei. Deshalb wurde mit Bescheid vom 26. September 1947 nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 "Organische Erkrankung des Zentralnervensystems" als Schädigungsfolge anerkannt und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vom Hundert gewährt. Antragsgemäß wurde durch Bescheid vom 15. Juni 1949 B. die Rente eines Erwerbsunfähigen und durch Bescheid vom 8. November 1950 Pflegegeld von 50,- DM bewilligt. Der Umanerkennungsbescheid vom 14. Juni 1951 übernahm Schädigungsfolge und MdE und erhöhte die Pflegezulage auf 100,- DM.

Im September 1956 beanstandete die Rechnungs-Vorprüfungsstelle der Beklagten, daß die Angaben des B. durch Unterlagen nicht belegt seien; es wurde eine erneute Überprüfung nach den Richtlinien über die Beurteilung der multiplen Sklerose für notwendig gehalten. Bei Nachforschungen im Archiv des Versorgungsamts wurde am 14. September 1957 Band I der Versorgungsakten mit den Unterlagen über die Ablehnung der Versorgung des B. aus den Jahren 1941 bis 1944 gefunden. Daraus ergab sich, daß B. auf Grund der Diagnose "multiple Sklerose" im DU-Verfahren aus dem Wehrdienst entlassen und Versorgung durch Bescheid vom 12. August 1941 abgelehnt worden war, weil die multiple Sklerose schon vor der Einberufung (seit 1934 ?) bestanden habe und durch den Wehrdienst nicht verschlimmert worden sei. Seine Beschwerde war wegen Fristversäumnis, zugleich aber auch sachlich zurückgewiesen worden; weitere Anträge des B. waren 1943 und 1944 abgelehnt worden.

Am 16. September 1957 wurde die Einleitung des Berichtigungsverfahrens verfügt und B. durch Schreiben vom 17. September 1957 die Einstellung der Rente ab 1. Oktober 1957 mitgeteilt. Noch vor Absendung des Berichtigungsbescheides verstarb B. am 11. Dezember 1957 angeblich an einem Lungenleiden. Den Erben des B. wurden am 22. April 1958 beglaubigte Ausfertigungen eines mit Zustimmung des Landesversorgungsamts und der Arbeitsbehörde Hamburg versehenen Berichtigungsbescheides vom 27. Januar 1958 übersandt, die weder im Entwurf noch in den Ausfertigungen vom Sachbearbeiter unterschrieben waren. Darin wurden nach § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) die seit dem 26. September 1947 erlassenen Bescheide aufgehoben, weil B. unwahre Angaben gemacht und das DU-Verfahren sowie den Streit um die Wehrdienstbeschädigungs-Anerkennung verschwiegen habe. Die Anerkennung des Ursachenzusammenhangs zwischen Wehrdienst und multipler Sklerose sei zweifellos unrichtig. Die gewährten Versorgungsleistungen von 38.838,85 DM wurden gleichzeitig zurückgefordert. Dieser Bescheid wurde gegenüber den Kindern des B., nachdem sie die Erbschaft ausgeschlagen hatten, zurückgenommen. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom 24. Juni 1958 zurückgewiesen. Mit der Klage machte diese geltend, eine Berichtigung sei nur durch förmlichen Bescheid zulässig, nach dem Tode des Versorgungsberechtigten sei sie überhaupt nicht mehr möglich. Die Versorgungsbezüge seien daher bis zum Ablauf des Todesmonats nachzuzahlen. Das Sozialgericht (SG) holte ein Gutachten des Nervenfacharztes Dr. L ein und hörte Prof. Dr. L. Da beide Gutachter die Anerkennung der multiplen Sklerose als unzweifelhaft unrichtig ansahen, wies es mit Urteil vom 28. Januar 1960 die Klage ab und ließ die Berufung zu.

Mit der Berufung bestritt die Klägerin, daß es durch nicht einheitliche Angaben des B. zur ärztlichen Fehlbeurteilung gekommen sei; allenfalls wäre bei richtigen Angaben nur Verschlimmerung statt Entstehung anerkannt worden. Ein bereits durch den Tod gelöstes Versorgungsrechtsverhältnis könne nicht mehr aufgehoben und die Rentenzahlung nicht vor Erteilung eines Bescheides eingestellt werden. Im übrigen beschränke sich die Erbenhaftung auf den nur aus persönlicher Bekleidung bestehenden Nachlaß des B. Am 27. November 1962 erließ die Beklagte mit Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) einen auf die §§ 41 und 42 VerwVG gestützten Berichtigungs- und Rückforderungsbescheid, mit dem sie den Bescheid vom 27. Januar 1958 im wesentlichen wiederholte. Das Landessozialgericht (LSG) beschränkte die Verhandlung auf den Streit über die Rechtmäßigkeit der Berichtigung. Dr. H legte als ärztlicher Sachverständiger dar, die multiple Sklerose des B. sei mit Wahrscheinlichkeit durch den Wehrdienst weder entstanden noch verschlimmert; es könne aber nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse über die zweifelsfreie Unrichtigkeit der Anerkennung der Entstehung oder der Verschlimmerung des Leidens ein sicheres Urteil nicht abgegeben werden. Durch Teilurteil vom 28. November 1962 wies das LSG die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG und den Bescheid vom 27. November 1962 zurück, soweit sie die Berichtigung der begünstigenden Bescheide betraf. Der Bescheid vom 27. Januar 1958 sei zwar rechtsunwirksam, weil weder der Entwurf noch die Ausfertigungen mit der den Inhalt des Bescheides verantwortenden Unterschrift des Sachbearbeiters versehen seien. Dagegen sei der Bescheid vom 27. November 1962 rechtswirksam. Ob er von § 41 oder § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG gedeckt werde, könne dahinstehen, denn er finde jedenfalls in § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG seine Stütze. Der erst am 14. September 1957 aufgefundene Band I der Versorgungsakten des B. stelle eine zur Zeit der Bescheide vom 26. September 1947, 15. Juni 1949, 8. November 1950 und 14. Juni 1951 bereits vorhandene, nachträglich aufgefundene Urkunde dar, die eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Auch die Fristen des § 43 VerwVG seien eingehalten. Bereits zwei Tage nach dem Auffinden der alten Akte habe das Versorgungsamt (VersorgA) die Einleitung des Berichtigungsverfahrens verfügt und dieses ohne Unterbrechung bis zur Absendung des "Bescheids" vom 27. Januar 1958 bzw. des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 1958 durchgeführt. Wenn es auch auf den Bescheid vom 27. November 1962 ankomme, so habe die Beklagte doch ihren Standpunkt, auf Grund des ihr bekannt gewordenen wahren Tatbestands seien die alten Bescheide rückwirkend zu beseitigen, nie aufgegeben, sondern durch ihre Anträge und Stellungnahmen im sozialgerichtlichen Verfahren immer wieder vertreten. Deshalb bestehe noch eine Verbindung zwischen dem Bescheid von 1962 und der 1957 eingeleiteten Prüfung. Auch die Fünfjahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG sei eingehalten. Nach der für den Bescheid vom 27. November 1962 maßgebenden neuen Fassung des § 43 VerwVG beginne sie frühestens mit dem 1. Januar 1957; die Prüfung sei aber bereis am 16. September 1957 eingeleitet worden. Bei der erneuten Entscheidung habe die Beklagte übereinstimmend mit den 1941 und allen im derzeitigen Streitverfahren erstatteten Gutachten verneint, daß die multiple Sklerose des B. mit Wahrscheinlichkeit durch seinen Wehrdienst entstanden oder verschlimmert worden sei. Daher habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf Nachzahlung der Rente des B. für die Zeit von Oktober bis Dezember 1957. Das LSG ließ die Revision zu.

Die Revision der Klägerin rügt Verletzung der §§ 41, 42 und 43 VerwVG. Zutreffend habe das LSG den Bescheid vom 27. Januar 1958 als rechtsunwirksam angesehen. Den Bescheid vom 27. November 1962 habe es dagegen zu Unrecht als durch § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG gedeckt erachtet, denn die Beklagte habe nur einen Bescheid nach § 41 VerwVG erlassen wollen. Daher habe das LSG dessen Voraussetzungen überprüfen und den Sachverhalt in dieser Hinsicht erforschen müssen. Daß nur ein Bescheid nach § 41 VerwVG vorliege, ergebe sich aus der im Bescheid enthaltenen Verweisung auf diese Vorschrift, aus der fehlenden Bezeichnung als "Anfechtungsbescheid", aus dem fehlenden Hinweis, ob "auf Antrag" oder "von Amts wegen" entschieden werde, der für die Fristberechnung nach § 43 VerwVG von Bedeutung gewesen wäre, ferner aus der fehlenden Bezugnahme auf einen bestimmten Tatbestand des § 42 VerwVG, aus der bei § 42 VerwVG nicht erforderlichen Zustimmung des LVersorgA und daraus, daß die Fristen des § 43 VerwVG nicht gewahrt seien. Schon 1956 habe der Rechnungsprüfer Kenntnis von dem vermeintlichen Anfechtungsgrund gehabt und schon am 24. Oktober 1956 seien, wie im SG-Urteil erwähnt, Nachforschungen und im März und April 1957 versorgungsärztliche Stellungnahmen erfolgt. Abgesehen von dem Verstoß gegen die Denkgesetze, der dem LSG unterlaufen sei, wenn es den Bescheid vom 27. Januar 1958 für rechtsunwirksam erkläre und ihn doch der ursprünglichen Prüfung zurechne, sei am 27. November 1962 die Frist des § 43 Abs. 2 VerwVG in jedem Fall abgelaufen gewesen. Nach Prof. L seien die sich widersprechenden Angaben des B. 1946/1947 bereits auf einen hirnorganischen Abbau zurückzuführen und es sei mindestens fraglich, ob die falschen Angaben "wissentlich" erfolgten. Auch § 41 VerwVG sei nicht anwendbar, weil der Bescheid vom 26. September 1947 und die folgenden Bescheide tatsächlich und rechtlich richtig gewesen seien. Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und der Bescheide vom 27. Januar 1958, 24. Juni 1958 und 27. November 1962 zur Nachzahlung der Versorgungsbezüge des B. für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1957 zu verurteilen; hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zum Einwand der Revision, die 1957 aufgefundenen Akten hätten sich auch schon früher ermitteln lassen, verweist sie auf die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 3 zu § 41 VerwVG. Sie bezieht sich ferner auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Nachschieben von Gründen sowie zur Fristwahrung nach § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG. Lasse man den Lauf der Fünfjahresfrist mit dem letzten Bescheid vom 14. Juni 1951 beginnen, so sei die am 7. Oktober 1957 eingeleitete Prüfung verspätet; die Frist beginne aber erst am 1. April 1955, zumindest aber nach der Neufassung des § 43 Abs. 2 VerwVG am 1. Januar 1957.

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Das LSG hat über die Frage der Rückforderung noch nicht entschieden und deshalb nur ein Teilurteil erlassen. Dies war zulässig (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Vorbemerkung zu § 123 Anm. 2 c). Demnach hat das LSG im Tenor des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin nur zurückgewiesen, soweit sie die Berichtigung der den B. begünstigenden Bescheide betrifft. Da die Revision auch Nachzahlung der Versorgungsbezüge des B. für die Zeit von Oktober bis Dezember 1957 beantragt, hängt die Zulässigkeit dieses Antrags davon ab, ob insoweit eine die Klägerin beschwerende Entscheidung vorliegt. Das trifft zu. Die Klägerin hatte in der Berufungsinstanz auch die Verurteilung der Beklagten zur Nachzahlung der Versorgungsbezüge des B. für Oktober bis Dezember 1957 beantragt. Nach dem Tenor des LSG-Urteils ist über dieses Begehren scheinbar nicht entschieden. Der Inhalt des Urteilsausspruchs ist aber im Zweifelsfall unter Heranziehung der Entscheidungsgründe auszulegen (vgl. BSG 1, 285; 3, 137; 4, 123; 9, 19). In den Gründen hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Nachzahlung der Rente für die Zeit von Oktober bis Dezember 1957, da die den B. begünstigenden Bescheide rechtswirksam aufgehoben seien. Daraus folgt, daß die Zurückweisung der Berufung der Klägerin "soweit sie die Berichtigung der begünstigenden Bescheide betrifft", auch die Zurückweisung des Antrags der Klägerin auf Rentennachzahlung zum Inhalt hat. Die Klägerin ist also auch insoweit durch das angefochtene Urteil beschwert, so daß ihr Revisionsantrag in vollem Umfang zulässig ist.

Die Revision ist auch begründet. Streitig ist unter den Beteiligten, ob die Beklagte die den B. begünstigenden Bescheide vom 26. September 1947, 15. Juni 1949, 8. November 1950 und 14. Juni 1951 rechtswirksam als von Anfang an unrichtig zurückgenommen hat. Dies hat das LSG zutreffend verneint, soweit es sich um die durch Bescheid vom 27. Januar 1958 verfügte und durch Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1958 bestätigte Rücknahme handelt. Nach § 22 Abs. 1 VerwVG war der Bescheid schriftlich auszufertigen. Ist aber Schriftform gesetzlich vorgeschrieben, so muß der Bescheid auch die Unterschrift des für den Inhalt des Bescheides verantwortlichen Beamten tragen (vgl. BSG 13, 269, 271 mit weiteren Hinweisen). Diese Unterschrift fehlt nach den gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG sowohl im Entwurf als auch in den beglaubigten Ausfertigungen des Bescheides vom 27. Januar 1958. Er ist deshalb nichtig und nicht etwa nur anfechtbar (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl. § 54 Anm. 2 b) aa) S. 153; Forsthoff, Lehrb. d. Verwaltungsrechts, Bd. I 7. Aufl. S. 219). Ging sonach von diesem Bescheid keine Rechtswirkung aus, so kommt es auf die Frage, ob Mängel in einem fehlerhaften Bescheid, die nur seine Anfechtbarkeit zur Folge haben, durch einen ordnungsgemäß erlassenen Widerspruchsbescheid geheilt werden können, nicht mehr an (vgl. Forsthoff aaO). Denn der Formmangel der Nichtigkeit kann nicht durch Nachholung geheilt werden; es ist die Erteilung eines neuen Bescheides erforderlich, der keine rückwirkende Kraft hat. Andererseits ersetzt der Widerspruchsbescheid den ursprünglichen Verwaltungsakt nicht, er kann ihm nur eine andere Gestalt geben (§ 95 SGG). Gegenstand der Klage ist auch dann der "ursprüngliche Verwaltungsakt". Der Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1958 hat lediglich den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. Januar 1958 zurückgewiesen. Er hat daher neben diesem Verwaltungsakt keine selbständige Bedeutung erlangt. Zumindest in einem solchen Falle kann er einem Nichts (nullum) keinen rechtlich beachtlichen Inhalt geben. Das LSG hat daher zutreffend die Nichtigkeit des Bescheides vom 27. Januar 1958 festgestellt.

Zutreffend hat das LSG ferner nach § 96 Abs. 1 SGG den Bescheid vom 27. November 1962 als Gegenstand des Verfahrens behandelt, denn dieser hat den "Bescheid" vom 27. Januar 1958 zumindest "vorsorglich" ersetzt. Das LSG mußte den "Berichtigungs- und Rückforderungs-Bescheid" vom 27. November 1962 nicht schon deshalb als unwirksam ansehen, weil er erst nach dem Tod des B. erlassen wurde. Denn der Tod des Versorgungsberechtigten macht die Erteilung eines Berichtigungsbescheides nicht unzulässig (vgl. BSG 7, 103). Zu Unrecht hat es jedoch diesen neuen Verwaltungsakt nach § 43 VerwVG als fristgerecht erlassen und damit für rechtmäßig gehalten. Es hat die Fünfjahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) rechtsirrig als gewahrt angesehen. Ein Verwaltungsakt ohne Dauerwirkung, als der sich der Bescheid vom 27. November 1962 darstellt, weil er die B. begünstigenden Bescheide zurücknimmt, ist zwar nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen (BSG 7, 9). Dieser Grundsatz enthebt Verwaltung und Gerichte jedoch nicht der Prüfung, ob die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtsgrundlagen den zur Beurteilung stehenden Einzelfall nach ihrem sachlichen Inhalt erfassen. Dies hätte das LSG prüfen müssen, bevor es zu dem Ergebnis kam, die Frist von fünf Jahren seit dem Tage der Entscheidung, nach deren Ablauf die erneute Prüfung von Amts wegen unter dem Gesichtspunkt des § 42 VerwVG nicht mehr zulässig ist, sei gewahrt, weil sie nach § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 VerwVG frühestens mit dem 1. Januar 1957 beginne und im vorliegenden Fall die erneute Prüfung am 16. September 1957 eingeleitet worden sei. Durch Art. II § 6 des 1. NOG sind die Fristen des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 VerwVG, innerhalb deren von der Kenntnis des Anfechtungsgrundes an Anträge nach § 42 VerwVG zu stellen oder Verfahren von Amts wegen einzuleiten sind, verlängert worden. An die Stelle der früheren Einleitungsfrist von 3 Monaten seit Kenntnis des Anfechtungsgrundes ist eine Frist von 6 Monaten getreten. Außerdem ist § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG, der bestimmte, daß die erneute Prüfung nach Ablauf von fünf Jahren vom Tage der Entscheidung an nicht mehr zulässig ist, beibehalten, aber durch den Halbsatz ergänzt worden: Diese Frist beginnt frühestens mit dem 1. Januar 1957. Diese Änderungen sind nach Art. IV § 4 Abs. 1 des 1. NOG am 2. Juli 1960 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt war im vorliegenden Falle die Ausschlußfrist von fünf Jahren bereits verstrichen, denn die durch Berichtigungsbescheid vom 27. November 1962 aufgehobenen Bescheide waren bereits am 26. September 1947, 15. Juni 1949, 8. November 1950 und 14. Juni 1951 ergangen. Am 2. Juli 1960 konnte somit keine laufende Frist mehr durch Verlegung des Fristbeginns auf den 1. Januar 1957 geändert und verlängert werden. Der Vergleich der früheren Fassung des § 43 VerwVG mit den durch das 1. NOG bestimmten Änderungen läßt auch nicht die Folgerung zu, daß der auf den 1. Januar 1957 festgesetzte Beginn der Ausschlußfrist von fünf Jahren alle Versorgungsfälle erfassen und somit auch bei Inkrafttreten des VerwVG bereits abgelaufene Ausschlußfristen erneuern sollte.

Die Änderung des § 43 VerwVG durch das 1. NOG kann vielmehr nur als eine Verlängerung der Fristen angesehen werden, die am 2. Juli 1960 noch nicht abgelaufen waren. Die Entstehungsgeschichte des 1. NOG gibt insoweit keine eindeutige Auskunft über die Absichten des Gesetzgebers. In der Begründung zum Entwurf des 1. NOG (vgl. BT-Drucks. Nr. 1239, 3. Wahlp. S. 36 zu Nr. 9) hat die Bundesregierung erklärt, wegen des verspäteten Inkrafttretens des VerwVG sei es geboten, die Fünfjahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG erst von einem späteren Zeitpunkt als dem der Entscheidung in Lauf zu setzen. Dem ist zwar der Bundesrat mit dem Hinweis entgegengetreten, der Regierungsentwurf setze eine neue Fünfjahresfrist in Lauf und führe damit eine Rechtsunsicherheit für die Kriegsopfer herbei, die nicht hingenommen werden könne (vgl. BT-Drucks. Nr. 1239, 3. Wahlp. S. 45 Nr. 38). Ob mit der Änderung des § 43 auch ein Neubeginn bereits abgelaufener Fristen ermöglicht werden sollte, ist in der Begründung zum Regierungsentwurf nicht zum Ausdruck gebracht. Nachdem die Bundesregierung darauf hingewiesen hatte, der Beginn der Fünfjahresfrist am 1. Januar 1957 ermögliche es, von der Bestimmung des § 42 VerwVG wenigstens noch in den Jahren 1960 und 1961 Gebrauch zu machen (vgl. BT-Drucks. 1239, 3. Wahlp. S 53 zu Nr. 38) und der Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen dem zugestimmt hatte (vgl. BT-Drucks. Nr. 1825, 3. Wahlp. S. 13 zu § 43), fand der Entwurf zum 1. NOG auch die Zustimmung des Bundesrates; hierbei wurde eine weitere Stellungnahme zu § 43 nicht abgegeben (vgl. BR-Protokoll der 220. Sitzung vom 10. Juni 1960 S. 397 B, 398 B). Das Gesetz hat demnach durch seine Fassung weder ausdrücklich klargestellt noch sonst deutlich gemacht, daß in § 43 für alle Versorgungsfälle eine auf das Inkrafttreten des VerwVG zurückwirkende Neuregelung (1. April 1955) erzielt werden sollte. Es hat im Gegenteil die bis zum 2. Juli 1960 geltende Fassung aufrechterhalten und den Änderungen erst von diesem Zeitpunkt an Rechtswirksamkeit verliehen. Darum konnte die Ausschlußfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF von fünf Jahren vom Tage der Entscheidung an ablaufen, bevor die neue Fassung in Kraft trat. Hätte das Gesetz für alle Versorgungsfälle den Beginn der Ausschlußfrist mit Wirkung vom 2. Juli 1960 an auf den 1. Januar 1957 festsetzen wollen, hätte es die frühere Fassung, daß nach Ablauf von fünf Jahren vom Tage der Entscheidung an die erneute Prüfung nicht mehr zulässig sei, nicht grundsätzlich übernehmen und nur durch den Zusatz des Fristbeginns ab 1. Januar 1957 modifizieren dürfen; es hätte den bis zum 2. Juli 1960 geltenden Rechtszustand insoweit auch nicht aufrechterhalten dürfen. Weil es nicht so verfahren ist und keine grundsätzliche Neuregelung der Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens getroffen, sondern lediglich in Ergänzung des bisherigen Rechtszustandes eine erst ab 2. Juli 1960 wirksame Änderung vorgenommen hat, kann § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 VerwVG auch nur als eine Vorschrift angesehen werden, die den Beginn einer am 2. Juli 1960 noch laufenden Ausschlußfrist auf den 1. Januar 1957 zurückverlegt hat. Auch die Neufassung des § 43 VerwVG läßt den Ablauf der Frist von fünf Jahren grundsätzlich mit dem Tage der Entscheidung beginnen; darum kann der in § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 VerwVG enthaltene Zusatz nur die Bedeutung haben, daß als einmalige, zeitlich befristete Ausnahme von der Regel in den davon betroffenen Fällen die frühestens mit dem 1. Januar 1957 beginnende Frist bis zum 31. Dezember 1961 verlängert wird, nicht aber, daß eine am 2. Juli 1960 bereits abgelaufene Frist erneuert und die schon eingetretene Rechtswirkung nachträglich als nicht entstanden behandelt wird. Diese Auslegung des § 43 Abs. 2 VerwVG ist im übrigen auch deshalb sinnvoll, weil die Neufassung des § 43 VerwVG wie bisher die Einleitungsfrist als selbständige Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes, nicht mit einem feststehenden Kalendertag beginnen läßt. Die Verlängerung dieser Frist auf sechs Monate durch das 1. NOG konnte sich somit in den Fällen nicht mehr auswirken, in denen am 2. Juli 1960 bereits sechs Monate seit Kenntnis von dem Anfechtungsgrunde verstrichen waren. § 43 VerwVG trägt einerseits der Notwendigkeit Rechnung, in bestimmten Fällen das Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen, knüpft andererseits aber im Interesse der Rechtssicherheit die Ausübung dieses Rechts an die Einhaltung bestimmter Fristen. Wie ein Vergleich mit der rechtsähnlichen Vorschrift des § 586 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung zeigt, wird es auch im Zivilprozeß für notwendig erachtet, fünf Jahre nach der rechtskräftig oder bindend gewordenen Entscheidung diese trotz ihrer etwaigen Fehlerhaftigkeit unangetastet zu lassen. Durch diese im Interesse der Rechtssicherheit geschaffene Ausschlußfrist soll die Bestandskraft der unanfechtbar gewordenen Bescheide endgültig gesichert werden. Soweit nach der Fassung des § 43 VerwVG vor Inkrafttreten des 1. NOG diese Rechtswirkung bereits eingetreten war, hätte es einer eindeutigen Klarstellung bedurft, wenn das Gesetz diese nachträglich hätte beseitigen wollen. Die Gerichte sind zwar verpflichtet, dem Sinn und Zweck eines Gesetzes auch dann Geltung zu verschaffen, wenn der Wortlaut einer Vorschrift ihren Sinn nur unvollkommen erkennen läßt. Bietet aber der Wortlaut des Gesetzes keinen Anhalt für eine bestimmte Auslegung und läßt sich diese auch nicht sicher aus anderen Umständen gewinnen, so ist sie abzulehnen. Die vom Senat für richtig gehaltene Auslegung ist umso eher gerechtfertigt, als die Versorgungsverwaltung auf Grund der Vorschrift des § 41 VerwVG eine von den §§ 42, 43 VerwVG unabhängige Möglichkeit hat, tatsächlich und rechtlich unrichtige Bescheide ohne Rücksicht auf etwaige Ausschlußfristen zurückzunehmen. Demgemäß hat der Beklagte auch im vorliegenden Fall den Bescheid vom 27. November 1962 hauptsächlich auf § 41 VerwVG gestützt.

Da § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 VerwVG die im vorliegenden Fall bereits am 14. Juni 1956 (fünf Jahre nach Erlaß des Umanerkennungsbescheides vom 14. Juni 1951) abgelaufene Ausschlußfrist für die Einleitung einer erneuten Prüfung nicht erneut in Lauf setzen konnte, war die erst nach diesem Zeitpunkt, nämlich am 16. September 1957, eingeleitete erneute Prüfung und ebenso auch ihr Ergebnis, der Bescheid vom 27. November 1962, unzulässig, soweit er auf § 42 VerwVG gestützt ist. Die Entscheidungsgründe des LSG ergeben somit eine Verletzung des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG. Sein Urteil unterliegt daher der Aufhebung.

Die von § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG vorgeschriebene Prüfung, ob sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt, vermag der Senat mangels der hierzu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht durchzuführen. Das LSG hat nicht geprüft, ob der Bescheid vom 27. November 1962, der sich Rückwirkung bis zum 26. September 1947 beilegt, durch § 41 VerwVG bzw. für die Zeit vor dem 1. April 1955 nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts gerechtfertigt ist (vgl. BSG 8, 11; 15, 81). Da es hierzu an tatsächlichen Feststellungen des LSG fehlt, war das angefochtene Urteil gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 79

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