Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienunterhalt nach dem EFUG
Leitsatz (redaktionell)
Ein Anspruch der früheren Ehefrau auf Familienunterhalt nach dem EFUG ist geeignet, den Hinterbliebenenrentenanspruch auszulösen.
Bestrafungen des Versicherten hätten bereits vor der Scheidung zur Entziehung des Familienunterhalts führen müssen.
Normenkette
EFUG § 2 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1940-06-26; RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes. Die Ehe war seit November 1940 aus Verschulden des Ehemannes geschieden. Unterhaltsansprüche machte die Klägerin gegen ihn nicht geltend. Der Versicherte war von Juni 1939 an zum Heeresdienst eingezogen. Er wurde am 25. November 1939 wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis und am 28. Februar 1940 zu zwei Jahren und vier Monaten Gefängnis als Gesamtstrafe wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe im Rückfall und wegen Diebstahls verurteilt. Anläßlich einer erneuten Bestrafung im Juni 1940 - wegen Rückfallbetruges - wurde eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis gebildet. Die Strafe wurde in der Zeit vom 8. Juni 1940 bis zum 30. April 1942 vollstreckt; die Vollstreckung der Reststrafe wurde zur Feldbewährung ausgesetzt. Im September 1942 entfernte sich der Versicherte erneut unerlaubt von der Truppe; er wurde am 9. Februar/1943 durch ein Feldkriegsgericht wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 8. März 1943 vollstreckt.
Im November 1955 beantragte die Klägerin die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Sie behauptete, von der Einberufung des Versicherten bis zu seinem Tode Familienunterhalt, zunächst nach dem Familienunterstützungsgesetz vom 30. März 1936 (RGBl I 327) idF der Familienunterstützungsdurchführungsverordnung vom 11. Juli 1939 (RGBl I 1225) und später nach dem Einsatzfamilienunterhaltsgesetz vom 26. Juni 1940 (RGBl I 911 - EFUG -) bezogen zu haben. Daneben hatte sie kein eigenes Einkommen.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Versicherte sei zur Zeit der Einziehung zum Militärdienst nicht leistungsfähig zur Unterhaltszahlung gewesen; die behauptete Zahlung von Familienunterhalt sei nicht nachgewiesen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos, weil der Versicherte der Klägerin keinen Unterhalt geleistet habe und nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) auch keinen Unterhalt zu leisten gehabt hätte.
Das Sozialgericht (SG) hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte zur Rentenzahlung vom 1. Dezember 1955 an verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung der Beklagten stattgegeben, das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat für die Zeit seit der Scheidung eine Unterhaltspflicht des Versicherten nach den Vorschriften des EheG vom 6. Juli 1938 verneint, weil dieser als Soldat einkommenslos gewesen sei, und hat daher einen Anspruch auf Rente aus der 1. Alternative des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Zeit vom 1. Januar 1957 an und aus § 1256 Abs. 4 RVO aF für die Zeit vorher abgelehnt. Das LSG hat als erwiesen angesehen, daß die Klägerin Leistungen nach dem EFUG trotz der beiden Bestrafungen ihres geschiedenen Ehemannes von November 1939 und Februar 1940 bis zu seinem Tode weiter erhalten habe. Dieser Einsatz-Familienunterhalt sei seit November 1939 lediglich eine "tatsächliche Unterhaltsleistung der öffentlichen Hand" gewesen und keine Zahlung auf Grund einer an sich bestehenden Unterhaltsverpflichtung des Versicherten, denn das Unvermögen des Versicherten zur Unterhaltsleistung habe auf seinen strafbaren Handlungen beruht. Die Leistungen nach dem EFUG seien gemäß § 4 Abs. 7 Nr. 1 Buchst. c der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des EFUG vom 26. Juni 1940 (RGBl I 912 - EFU-DV -) von November 1939 an zu entziehen gewesen und nur entgegen dem Gesetz gezahlt worden. Der Einsatz-Familienunterhalt sei auch nicht im Rahmen der letzten Alternative des § 1265 RVO zu berücksichtigen. Hier könnten nur Unterhaltsleistungen des Versicherten, nicht aber solche von Dritten zur Rentengewährung führen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision beantragt die Klägerin,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1962 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15. August 1956 und des Widerspruchsbescheides vom 13. November 1956 zu verurteilen, die Witwenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes in gesetzlicher Höhe vom Antragstage an zu zahlen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. September 1962 den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie rügt, das LSG habe die §§ 1265 RVO, 1256 Abs. 4 RVO aF verletzt. Bei der Anwendung dieser Vorschriften seien die Leistungen der öffentlichen Hand an eine geschiedene Frau nach dem EFUG wie Unterhaltszuwendungen des Versicherten zu behandeln. Sie seien ein Ersatz gewesen für die infolge des Wehrdienstes entfallene Unterhaltspflicht des Soldaten. Der Umstand, daß die Leistungen nach dem EFUG bereits seit November 1939 hätten entzogen werden können, stehe dem nicht entgegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das LSG hat die §§ 1265 RVO, 1256 Abs. 4 RVO aF im Ergebnis richtig angewendet.
Nach der 1. Alternative des § 1265 RVO wie auch nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden § 1256 Abs. 4 RVO aF setzt die Gewährung von Rente an die geschiedene Frau eines Versicherten voraus, daß dieser ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Dabei ist unter "Zeit des Todes" der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten zu verstehen (BSG 14, 255; vgl. auch BSG 14, 129). Dieser letzte Dauerzustand rechnet von der letzten vor dem Tode des Versicherten eingetretenen wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Ehegatten mit Dauerwirkung an. Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (8. März 1943) beginnt mit seiner Einziehung zum Heeresdienst im Juni 1939, denn von diesem Zeitpunkt an trat in den finanziellen Verhältnissen des Versicherten insoweit eine wesentliche Änderung ein, als er außerstande war, persönlich zum Unterhalt der Klägerin beizutragen. Er hatte nämlich, wie das LSG festgestellt hat, keinerlei Vermögen. Die Klägerin konnte daher von ihrem früheren Ehemann wegen seiner Leistungsunfähigkeit, wie das LSG richtig entschieden hat, zur Zeit seines Todes Unterhalt nach eherechtlichen Vorschriften nicht mehr verlangen (§ 67 des im Jahre 1943 geltenden EheG 38). Ein Anspruch auf Rente würde deshalb entfallen. Nun ist zwar, wie der Senat im Urteil vom 2. Dezember 1964 - 4 RJ 23/62 - (SozR RVO § 1265 Nr. 28) entschieden hat, ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber dem Versicherten im Sinne der 1. Alternative des § 1265 RVO und § 1256 Abs. 4 RVO aF nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Versicherte infolge seines Wehrdienstes einkommenslos und daher nicht unterhaltspflichtig war. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Versicherte ohne die Einberufung zur Zeit seines Todes unterhaltspflichtig gewesen wäre. Trifft dies zu, so kann der nach dem EFUG an die geschiedene Frau gezahlte Einsatz-Familienunterhalt zur Gewährung einer Witwenrente führen. Denn die Leistungen der öffentlichen Hand nach dem EFUG waren gedacht als Ersatz für die infolge des Heeresdienstes entfallenen Unterhaltsleistungen und -verpflichtungen des Einberufenen gegenüber seinen Angehörigen. Einer geschiedenen Frau standen sie zu, wenn der Einberufene ihr Unterhalt nach den Vorschriften des EheG 38 zu gewähren hatte (§ 2 II Nr. 1 EFUG). Sofern unter diesen Voraussetzungen der geschiedenen Frau Leistungen nach dem EFUG erbracht worden sind, können diese im Rahmen der 1. Alternative des § 1265 RVO (§ 1256 Abs. 4 RVO aF) nicht unberücksichtigt bleiben (BSG 16, 21, 25). Sonst bliebe einer geschiedenen Frau ein Anspruch auf Rente aus dem Grunde versagt, daß der Einberufene vor seinem Tode infolge seines Wehrdienstes nicht unterhaltsfähig war. Ein Anspruch der früheren Ehefrau auf Familienunterhalt nach dem EFUG ist somit geeignet, den Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 1265 RVO auszulösen. Die Klägerin hatte aber, obwohl sie tatsächlich Familienunterhalt bezogen hat, während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tode des Versicherten keinen Anspruch auf Grund des EFUG. Die Bestrafungen des Versicherten hätten bereits vor der Scheidung (nach § 4 Abs. 7 Nr. 1 Buchst. c EFU-DV) zur Entziehung des Familienunterhalts führen müssen, weil dies dort zwingend für den Fall bestimmt war, daß der Einberufene unbefugt seine Truppe verlassen hatte und im Falle der Ergreifung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden war. Aus alledem folgt, daß eine Rentengewährung aus der 1. Alternative des § 1265 RVO für die Zeit vom 1. Januar 1957 an ausgeschlossen ist. Für die Zeit vorher hat die Klägerin ebenfalls kein Recht zum Bezug einer Hinterbliebenenrente, weil auch dieses nach § 1256 Abs. 4 RVO aF abhängig ist von einer - hier nicht gegebenen - Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes gegenüber der Klägerin nach den Vorschriften des EheG 38. Es erübrigt sich daher, auf die sonstigen Voraussetzungen des § 1256 Abs. 4 RVO aF einzugehen.
Für die Zeit vom 1. Januar 1957 an steht der Klägerin auch keine Rente aus der letzten Alternative des § 1265 RVO zu. Nach dieser Vorschrift führen tatsächliche Unterhaltsleistungen eines Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente an die geschiedene Frau. Da der Versicherte der Klägerin zu seinen Lebzeiten zuletzt keinen Unterhalt gewährt, sie aber Familienunterhalt nach dem EFUG bezogen hat, kann allenfalls diese Leistung der öffentlichen Hand als Grundlage für eine Rentengewährung an die Klägerin in Betracht kommen, wie dies die Klägerin für sich in Anspruch nimmt. Wie der Senat in dem zitierten Urteil vom 2. Dezember 1964 entschieden hat, sind Unterhaltszahlungen nach den EFUG jedenfalls dann nicht tatsächlichen Leistungen des Versicherten gleichzusetzen, wenn die Voraussetzungen, die das EFUG für die Gewährung des Familienunterhalts aufstellte, nicht gegeben waren. Wenn der geschiedenen Frau, wie dies hier der Fall war, entgegen den zwingenden Vorschriften der EFU-DV Familienunterhalt gezahlt worden ist, so geschah es nicht zum Ausgleich einer ohne die Einberufung möglicherweise durch Unterhaltszuwendungen des Mannes vorhandenen Beziehung der geschiedenen Eheleute, sondern aus irgendwelchen anderen, vielleicht sogar gesetzwidrigen Erwägungen. Leistungen nach dem EFUG, die aus solchen Gründen erbracht worden sind, können bei der Anwendung der letzten Alternative des § 1265 RVO nicht berücksichtigt werden, weil die Rente nur Ersatz für den Unterhalt sein soll, der der geschiedenen Frau durch den Tod des Versicherten entgangen ist. Da solche Leistungen im Rahmen der letzten Alternative des § 1265 RVO unbeachtlich sind, steht der Klägerin auch aus dieser Vorschrift keine Witwenrente zu. Die Revision der Klägerin muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen