Leitsatz (amtlich)
Ist der einer Ersatzzeit vorausgegangene letzte Versicherungsbeitrag ein Wochenbeitrag gewesen, so ist die Ersatzzeit, auch soweit sie auf Zeiten seit der Geltung der 2. Lohnabzugsverordnung entfällt, in Wochen anzusetzen und zusammen mit den Beitragswochen in Kalendermonate umzurechnen.
Normenkette
RVO § 1250 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1251 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Juli 1969 wird aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30. Juli 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Rechtsfrage, ob Ersatzzeiten, die seit Inkrafttreten der Zweiten Lohnabzugsverordnung vom 24.4.1942 (2. LAV) zurückgelegt sind und denen Wochenbeiträge vorausgehen, auf die Wartezeit unmittelbar in vollen Monaten angerechnet werden oder ob sie zunächst in Wochen angesetzt und erst nach der Umrechnung in Monate gemäß § 1250 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzurechnen sind.
Die Klägerin begehrt Witwenrente nach dem im Jahre 1964 verstorbenen Versicherten. Für ihn sind für die Jahre 1922 bis 1927 39 Monatsbeiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) und für 1927 bis 1928 53 Wochenbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) entrichtet. Der Versicherte leistete nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) Kriegsdienst vom 14. bis 18. Mai 1942, 29. Oktober 1943 bis 30.März 1944 und vom 7. September bis 29. Oktober 1944.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 2. Januar 1957 die Gewährung von Witwenrente ab, da die Wartezeit nicht erfüllt sei; es seien nur 59 Kalendermonate nachgewiesen. Sie errechnete die in der ArV zurückgelegte Versicherungszeit folgendermaßen:
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Wochenbeiträge für |
53 Wochen |
Kriegsdienstzeit 1942 |
2 Wochen |
" 1943/44 |
23 Wochen |
" 1944 |
8 Wochen |
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86 Wochen = 20 Monate. |
Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts (SG) Mannheim vom 30. Juli 1968). Das LSG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 14. Juli 1969 die Beklagte zur Gewährung von Witwenrente verurteilt; die Revision hat es zugelassen.
Das LSG hat die Wartezeit von 60 Kalendermonaten als erfüllt angesehen. Es hat die anrechenbare Versicherungszeit in der ArV folgendermaßen berechnet:
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53 Beitragswochen |
+ |
2 Ersatzzeitwochen (Mai 1942) |
= |
55 Versicherungswochen = 13 Monate |
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Kriegsdienst 1943/44 = 6 Monate |
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" 1944 = 2 Monate |
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21 Monate. |
Zusammen mit den 39 Monaten in der AnV sei die Wartezeit erfüllt. Ersatzzeiten, die auf Wochenbeiträge folgten, seien nur insoweit in Wochen anzusetzen, als sie in die Zeit bis zum 30. Juni 1942 fielen; denn bis zu diesem Zeitpunkt "ersetzten" sie Wochenbeiträge. Vom 1. Juli 1942 an seien jedoch auch in der ArV Pflichtbeiträge grundsätzlich als Monatsbeiträge zu entrichten gewesen. Ersatzzeiten, die nach diesem Zeitpunkt lägen, seien daher auch dann, wenn der letzte vorangegangene Beitrag ein Wochenbeitrag sei, unmittelbar in Monaten zu berechnen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, im Hinblick auf die vorausgegangene Beitragszeit mit Wochenbeiträgen müsse die Ersatzzeit gleichermaßen angesetzt werden; erst dann erfolge die einheitliche Umrechnung in Monate nach § 1250 Abs. 2 RVO. Auch nach Einführung des Lohnabzugsverfahrens seien noch Wochenbeiträge geleistet worden, wie die Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung und die Pflichtversicherung der Selbständigen und der mehrfach und unständig Beschäftigten (§ 13 Abs. 3 der 2. LAV, § 15 der Durchführungsverordnung - DVO - zur 2. LAV). Gegen die Auffassung des LSG spreche, daß für Kriegsdienstzeiten bei Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1957 mindestens Steigerungsbeträge der 2. Klasse anzurechnen seien (Verordnung vom 8.10.1941 - AN 1941, 413); § 7 der DVO zur 2. LAV); auch für diese Versicherungsfälle habe aber ab 29. Juni 1942 die 2. LAV gegolten. Eine Ersatzzeit könne nicht von sich allein aus die Wartezeit ausmachen; sie erlange nur in Verbindung mit einer Beitragszeit versicherungsrechtliche Bedeutung (§ 1251 Abs. 2 RVO). Deshalb sei es logisch, die Ersatzzeit mit gleichem Maß zu messen wie die ihre Anrechenbarkeit bedingende Beitragszeit.
Die Beklagte beanstandet ferner die Anrechnung von 53 Beitragswochen und 2 Ersatzzeitwochen; 2 Wochenmarken der Quittungskarte Nr. 1 seien mit 5. und 12. September 1926 entwertet; der Monat September 1926 sei aber bereits mit einem Beitrag zur AnV belegt; die zwei Wochenmarken könnten daher nicht auch in der ArV angerechnet werden. Die Zeit vom 14. bis 18. Mai 1942 sei zu Unrecht mit 2 Wochen angenommen worden. Das Entlassungsdatum vom 16. Mai 1942 stehe fest. Deshalb könne für die Zeit vom 14. (Donnerstag) bis 16. Mai 1942 (Samstag) nur 1 Woche angesetzt werden. Somit lägen nur 51 Beitragswochen und 1 Woche Ersatzzeit = 52 Wochen vor. Mit 39 + 12 + "8" Monaten sei die Wartezeit nicht erfüllt.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Ihre Ausführungen in der Revisionsbegründung sind zutreffend. Der Auslegung des § 1250 Abs. 2 RVO durch das LSG ist nicht zu folgen.
Im Urteil vom 27. Juni 1967, abgedruckt in SozR Nr. 12 zu § 1250 RVO hat das Bundessozialgericht (BSG) ausgeführt, daß Ersatzzeiten (Wehrdienstzeiten im ersten Weltkrieg) ohne die Vorschrift des § 1250 Abs. 2 Satz 3 RVO nach dem vom 1.Januar 1957 an für die ArV geltenden Recht nach Monaten gerechnet werden müßten. § 1250 Abs. 2 Satz 3 RVO besagt, daß auch seit Geltung des neuen Rechts, also bei Versicherungsfällen, die von ihm erfaßt werden, noch ein Ansatz von Ersatzzeiten in Wochen in Frage kommen kann; er bestimmt jedoch nicht die Voraussetzungen, unter denen die Anrechnung zunächst in Wochen oder unmittelbar in Monaten abhängt. Das LSG hat es - von der Geltung der 2. LAV an - darauf abgestellt, zu welcher Zeit die Ersatzzeit zurückgelegt worden ist, die Beklagte darauf, ob der Versicherungsbeitrag, von dem die Anrechenbarkeit der Ersatzzeit abhängt, ein Wochenbeitrag oder ein Monatsbeitrag ist.
Auch die Entstehungsgeschichte des § 1250 Abs. 2 RVO gibt keinen Anhalt, ob und unter welchen Voraussetzungen die Ersatzzeit unmittelbar in Monaten oder zunächst in Wochen anzusetzen ist (s. SozR Nr. 12 zu § 1250 RVO; BT-Drucks. zu II/3080, Begründung des Ausschusses für Sozialpolitik zu § 1255 des Entwurfs). Dagegen bieten die gesetzlichen Vorschriften, die § 1250 Abs. 2 RVO vorausgegangen sind, einige Hinweise.
In § 1262 RVO idF des Art. 17 der 1. Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (1. VVO) wurden erstmals für die Erfüllung der Wartezeit ausdrücklich Beitragsmonate gefordert anstelle von Beitragswochen, wie es noch in § 1262 RVO idF vom 21. Dezember 1937 hieß. Gleichzeitig wurde die Umrechnung von Beitragswochen in Beitragsmonate bestimmt (§ 1262 Abs. 3 RVO idF der 1. VVO). Dies war notwendig, nachdem die 2. LAV die Beitragsentrichtung zur ArV für versicherungspflichtige Beschäftigungen an die Beitragsentrichtung zur gesetzlichen Krankenversicherung angepaßt hatte und von der Verwendung von Wochenmarken insoweit abgegangen war (§ 8 der 2. LAV), wie diese VO dementsprechend auch für die Berechnung der Renten Steigerungsbeträge in Vomhundertsätzen des Entgelts bestimmt hat (§§ 10, 11 der 2. LAV; § 1268 RVO aF).
Diese Regelung galt vom Inkrafttreten der 2. LAV (29.Juni 1942) an für die ArV. Bei in Wochenmarken entrichteten Beiträgen verblieb es bei den festen Beträgen für Steigerungssätze. Hinsichtlich der Ersatzzeiten bestimmte § 1263 RVO idF der 1. VVO, daß für die Erfüllung der Wartezeit auch die nicht mit Beiträgen belegten Zeiten (Ersatzzeiten) ... als Beitragsmonate gelten, wenn die Versicherung vorher bestanden hat. In § 7 der DVO vom 15. Juni 1942 zur 2.LAV (AN 1942, 358) war angeordnet, daß die Steigerungsbeträge für die Zeiten der Erfüllung der aktiven Dienstpflicht und der Reichsarbeitsdienstpflicht weiter nach der 2. Beitragsklasse berechnet werden (Absatz 1) und daß die Steigerungsbeträge für Kriegsdienstzeiten nach dem zuletzt bescheinigten Arbeitsverdienst, mindestens jedoch nach der 2. Beitragsklasse, berechnet werden (Absatz 2). Diese Regelung spricht dafür, daß bei der Rentenberechnung die Ersatzzeiten, auch soweit sie in der Zeit seit dem Inkrafttreten der 2. LAV zurückgelegt sind, nach dem System zu bewerten waren, nach dem der letzte Versicherungsbeitrag vor Zurücklegung der Ersatzzeiten geleistet war; denn ein "zuletzt bescheinigter Arbeitsverdienst" war nur vorhanden, wenn vor dem Kriegsdienst Versicherungsbeiträge im Lohnabzugsverfahren entrichtet waren (§ 10 der 2. LAV). § 7 DVO zur 2. LAV ist durch die 1. VVO nicht aufgehoben worden (Art. 25 der 1. VVO).
Für die Auslegung des § 1250 Abs. 2 Satz 3 RVO, hier der Frage, ob sich die Anrechnung in Wochen oder Monaten nach der Kalenderzeit, in der die Ersatzzeit zurückgelegt ist, oder der Art der vorausgegangenen Beitragsentrichtung richtet, ist entscheidend, welche versicherungsrechtliche Bedeutung diese beiden Umstände - Kalenderzeit oder Art der Beitragsentrichtung - für die Ersatzzeit haben. Die Kalenderzeit ist für den Charakter einer Zeit als Ersatzzeit im Sinne des § 1251 Abs. 1 RVO nicht allgemein, sondern nur in einigen besonderen Fällen von Bedeutung. Bestimmte Zeiten können alle Voraussetzungen einer der in § 1251 Abs. 1 RVO aufgeführten Ersatzzeiten erfüllen, also den Charakter einer Ersatzzeit haben, und dennoch nicht anrechenbar sein, wenn die Bezugsversicherung vorher oder nachher fehlt. Das Wesentliche für die Einbeziehung einer Ersatzzeit in die für die Wartezeiterfüllung notwendige Versicherungszeit ist, daß überhaupt eine Versicherung bestanden hat. Deshalb ist es sachgerecht, daß der Versicherungsbeitrag, der die Anrechenbarkeit der Ersatzzeit auf die Wartezeit begründet, nicht nur die Anrechnung an sich, sondern auch die Art der Anrechnung bestimmt. Ist der letzte vorausgegangene Versicherungsbeitrag - wie hier - ein Wochenbeitrag, also ein Beitrag, der nicht im Lohnabzugsverfahren entrichtet worden ist, so ist auch die Ersatzzeit in Wochen anzusetzen und anschließend zusammen mit den Beitragswochen in Monate umzurechnen (vgl. auch Verbandskommentar zum 4. und 5. Buch der RVO, 5. Aufl., Anm. 5, letzter Abs., zu § 1262 RVO). Dies gilt auch, soweit die Ersatzzeiten auf die Zeit seit Juli 1942 entfallen. Eine Aufspaltung der Ersatzzeiten bei der Anrechnung je nachdem, ob sie vor oder nach dem Inkrafttreten der 2. LAV zurückgelegt sind, ist danach rechtlich ausgeschlossen.
Die Entscheidung des BSG vom 28. November 1969 - 1 RA 107/69 - stützt die Auffassung des LSG nicht. Dort ist die entsprechende Anwendbarkeit des § 1250 Abs. 2 RVO auf Ausfallzeiten verneint worden; es wurden nur volle Kalendermonate, in die keine Wochenbeiträge fielen, als Ausfallzeiten angerechnet. § 1250 Abs. 2 RVO sei bewußt auf die "Versicherungszeiten" des § 1250 Abs. 1 RVO (nur Beitrags- und Ersatzzeiten) beschränkt worden, von denen die Erfüllung der Wartezeit abhänge, während die Ausfallzeiten sich nur auf die Höhe der Rente auswirkten.
Die Wartezeit für den Versicherten ist hier somit nicht erfüllt. Außer den 39 Beitragsmonaten in der AnV können nicht mehr als 20 Monate in der ArV angerechnet werden.
Bei dieser Rechtslage kommt es auf das weitere Vorbringen der Beklagten in der Revisionsbegründung nicht an. Es kann offen bleiben, ob 53 oder 51 Beitragswochen in der ArV und welche Ersatzzeit für Mai 1942 anzurechnen sind.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen