Leitsatz (amtlich)

Die Befreiung eines Angestellten von der Versicherungspflicht nach AnVNG Art 2 § 1 wirkt nicht fort, wenn der Befreite den Angestelltenberuf aufgibt und eine nach HwVG § 1 versicherungspflichtige Tätigkeit aufnimmt.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1957-02-23; HwVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Oktober 1970 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger versicherungspflichtig in der Handwerkerversicherung (HwV) ist, obwohl die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ihn bei einer früheren Beschäftigung als Angestellter von der Versicherungspflicht befreit hatte (Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -, § 1 Abs. 1 Satz 2 des Handwerkerversicherungsgesetzes - HwVG -).

Der Kläger, geboren 1928, war früher Angestellter. Die BfA befreite ihn mit Bescheid vom 19. Juni 1957 nach Art. 2 § 1 AnVNG vom 1. März 1957 an von der Versicherungspflicht. Seit 6. März 1968 ist der Kläger Gesellschafter der in der Handwerksrolle eingetragenen Personengesellschaft Buchdruckerei H. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 16. Juli 1968 fest, daß er seit 1. April 1968 versicherungspflichtig nach dem HwVG ist; sie verlangte die Entrichtung von Beiträgen. Der Kläger meint, die von der BfA ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht erstrecke sich auch auf die HwV. Sein Widerspruch wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 13. Dezember 1968) und seine Klage abgewiesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat seine Berufung zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 20. Oktober 1970).

Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die Übergangsregelung im HwVG für die Fälle, in denen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes Versicherungsfreiheit eingetreten sei, sei erschöpfend. In §§ 6, 7 HwVG sei keine Versicherungsfreiheit für einen Fall wie den des Klägers festgelegt. Daher sei der Kläger versicherungspflichtig nach dem HwVG. Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 AnVNG erfasse nicht ein später begründetes arbeiterrentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Dies gelte auch für das Verhältnis der Angestelltenversicherung (AnV) zur HwV. Wesentlich sei, daß der in der AnV wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienst-Grenze (JAV-Grenze) Versicherungsfreie stets von der Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung (ArV) erfaßt worden sei, wenn er eine arbeiterrentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe. Es sei konsequent, wenn eine Versicherungspflicht in der ArV bzw. HwV auch dann eintrete, wenn die frühere Versicherungsfreiheit in der AnV auf einer besonderen Befreiung durch Verwaltungsakt beruhe. Zwischen dem vom Bundessozialgericht - BSG - (5. Senat) am 1. Juli 1966 entschiedenen Fall (SozR Nr. 1 zu Art. 2 § 1 KnVNG) und dem vorliegenden bestehe ein entscheidender Unterschied. Die Auffassung in der Entscheidung des BSG (3. Senat) vom 17. April 1970 (SozR Nr. 6 zu Art. 2 § 1 AnVNG), daß sich eine Befreiung in der AnV nach Art. 2 § 1 AnVNG nicht auf ein späteres arbeiterrentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis erstrecke, sei zutreffend und gelte erst recht, wenn es sich um das Verhältnis der AnV zur HwV handele. Wirtschaftliche Gesichtspunkte, wie die finanzielle Belastung bei einer doppelten Altersversicherung, könnten nicht ein von der gesetzlichen Regelung abweichendes Ergebnis begründen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 20. Oktober 1970 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. September 1969 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 1968 aufzuheben.

Der Kläger rügt die Verletzung des Art. 2 § 1 AnVNG, der §§ 6, 7 HwVG und der Grundsätze über die Wanderversicherung sowie des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes (GG).

Er führt im wesentlichen aus, nach dem Grundgedanken des Art. 2 § 1 AnVNG solle die Befreiung für die Dauer sein und gelte damit für das ganze weitere Berufsleben. Mit der Ablösung der Versicherungspflicht nach dem früheren Handwerkerversorgungsgesetz vom 21. Dezember 1938 (HVG) durch Abschluß eines Lebensversicherungsvertrages habe der Versicherte schlechterdings aus der Rentenversicherungspflicht entlassen werden sollen. Die Erstreckung der Befreiung in der AnV auf die HwV stehe in Einklang mit dem System und den Grundsätzen der HwV, insofern die HwV die Befreiungsmöglichkeit aufgrund Lebensversicherungsvertrages gekannt habe und Befreiungen weiter gelten lasse. Auch sei die HwV nur eine zeitweilige und subsidiäre Versicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 5 HwVG). Die in Art. 2 § 1 AnVNG bestehende Lücke für die Geltung der Befreiung bei Wechsel des Versicherungszweiges sei auszufüllen. §§ 6, 7 HwVG beträfen nur Befreiungen nach der bisherigen Handwerkerversorgung. Aus ihnen könne deshalb nicht geschlossen werden, daß die Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG nicht weiter wirken solle. Eine von der BfA ausgesprochene Befreiung gelte nicht nur bei Wechsel des Beschäftigungsverhältnisses, sondern auch bei Wechsel des Versicherungszweiges weiter.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der AnV nach Art. 2 § 1 AnVNG befreit den Kläger nicht von der Versicherungspflicht als Handwerker nach § 1 Abs. 1 HwVG. Sie kann auch nicht den in §§ 6, 7 HwVG genannten Fällen gleichgesetzt werden.

Der Kläger ist in der HwV nicht versicherungsfrei nach § 6 HwVG und nicht von der Versicherungspflicht befreit nach § 7 HwVG. Diese Übergangsvorschriften erfassen Personen, die bei Inkrafttreten des HwVG am 1. Januar 1962 bereits Handwerker waren und nach §§ 3, 4 HVG durch Abschluß eines Lebensversicherungsvertrages Versicherungsfreiheit in der HwV gewählt hatten (§ 6 HwVG) oder nach dem Gesetz zur vorläufigen Änderung des HVG vom 27. August 1956 oder gemäß Art. 2 § 52 Abs. 3 AnVNG befreit waren (§ 7 HwVG). Diese bisher versicherungsfreien oder von der Versicherungspflicht in der HwV befreiten Handwerker, die ihre Alterssicherung in ausreichendem Maße außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt hatten, durften darauf vertrauen, daß ihre Rechtslage weiterhin bestehen blieb. Der Gesetzgeber sah sich daher bei Einführung der neuen HwV mit Wegfall der Wahl zwischen Lebensversicherung und HwV und sonstigen Rechtsänderungen veranlaßt, diesen Handwerkern die bisherige Versicherungsfreiheit zu belassen. Schutzbedürftig in diesem Sinn waren jedoch nur Handwerker, denen ohne eigenes Zutun und ohne Änderung in ihren tatsächlichen Verhältnissen allein durch die Rechtsänderung die Versicherungspflicht in der HwV auferlegt worden wäre. Der Kläger gehört nicht zu diesen Personen.

Die Vorschriften der §§ 6, 7 HwVG sind nicht lückenhaft, soweit sie nichts über die Wirkung einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der AnV für die HwV bestimmen. In der AnV befreite Personen, die bei Inkrafttreten des HwVG nicht Handwerker waren, wurden vom HwVG nicht betroffen; das HwVG hat ihre Befreiung von der Versicherungspflicht in der AnV nicht berührt. Wenn solche Personen später nach Inkrafttreten des HwVG Handwerker geworden sind oder eine Tätigkeit begonnen haben, die die Versicherungspflicht nach dem HwVG begründet, ist ihre Unterordnung unter die Vorschriften des HwVG und dessen Versicherungspflicht die Rechtsfolge ihrer eigenen Entschließungen und Handlungen, nämlich der Aufnahme einer vom HwVG erfaßten Tätigkeit.

Die Überlegungen, die den Übergangsvorschriften der §§ 6, 7 HwVG zugrundeliegen, gelten für diese Personen nicht; die Versicherungspflicht nach dem HwVG wird ihnen nicht ohne ihr eigenes Zutun auferlegt.

Der Kläger war beim Inkrafttreten des HwVG nicht Handwerker. Die dargelegten Gründe für den Fortbestand einer bisherigen Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht bestehen bei ihm nicht. Er wurde vom Inkrafttreten des HwVG nicht betroffen, sondern hat die Tätigkeit, die seine Versicherungspflicht in der HwV herbeigeführt hat, aufgrund eigener Entschließungen nach Inkrafttreten des HwVG begonnen.

Auch nach dem AnVNG ist eine Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht auf die HwV nicht zu begründen. Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG erfaßt Angestellte, die vor Inkrafttreten des AnVNG wegen Überschreitens der JAV-Grenze kraft Gesetzes versicherungsfrei waren (§ 1 Abs. 1 und 2, Nr. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes aF). Ihnen hat das Gesetz die Möglichkeit gegeben, aufgrund eines Befreiungsbescheids der BfA ihren bisherigen versicherungsrechtlichen Stand beizubehalten unter der Voraussetzung, daß sie für ihr Alter durch eine entsprechend hohe Lebensversicherung vorgesorgt haben (die Gründe für die Befreiung von der Versicherungspflicht wegen höheren Alters bei Eintritt in die Versicherung können hier außer Betracht bleiben). Die Wirkung einer solchen Befreiung von der Versicherungspflicht besteht aber nur, solange die Angestellten ihre berufliche Stellung, die Grund für die Befreiung war, das ist ihre Angestelltentätigkeit, beibehalten (vgl. die Entscheidung des 5. Senats des BSG vom 1. Juli 1966, aaO). Sie wirkt nicht fort, wenn der bisherige Angestellte diese Berufsstellung aufgibt und ein neues Berufsleben als Arbeitnehmer in einem der Reichsversicherungsordnung unterliegenden Beschäftigungsverhältnis oder als selbständiger Handwerker beginnt. In einem solchen Fall begibt er sich der Befreiung von der Versicherungspflicht und unterwirft er sich dem Versicherungsrecht, das für die neue Berufsstellung gilt. Für die ArV hat dies der 3. Senat des BSG in der schon genannten Entscheidung vom 17. April 1970 (aaO) ausgesprochen. Dieser Auffassung ist zuzustimmen und auch insoweit zu folgen, als hier zu den Gründen im Urteil des 5. Senats Stellung genommen ist. Das gleiche muß aber gelten, wenn ein von der Versicherungspflicht in der AnV Befreiter in eine Tätigkeit überwechselt, die der Versicherungspflicht nach dem HwVG unterliegt. Auch hier besteht keine rechtliche Möglichkeit, ein Weiterwirken der von der BfA im Rahmen ihrer Zuständigkeit ausgesprochenen Befreiung innerhalb des anderen Versicherungszweiges anzunehmen. Dies gilt um so mehr, als die HwV nach den Vorschriften der ArV durchgeführt wird und diesem Versicherungszweig angeschlossen ist.

Demgegenüber kann auch nicht daraus, daß die Befreiung von der Versicherungspflicht in Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG von einer entsprechenden Lebensversicherung abhängt, gefolgert werden, daß die Befreiung nach dieser Vorschrift auch für die HwV gelten müsse, wenn eine Lebensversicherung vorhanden ist. Die Ähnlichkeit zwischen Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG und §§ 6, 7 HwVG, nämlich das Vorliegen einer Lebensversicherung, welche die Revision für ihre Rechtsauffassung hervorhebt, ist nicht das in erster Linie entscheidende Vergleichsmerkmal bei diesen Vorschriften. Entscheidend ist vielmehr, daß beide Vorschriften es den Personen ihres Versicherungszweiges - AnV, HwV -, die allein durch die Gesetzesänderungen in diesen Versicherungszweigen versicherungspflichtig würden, ermöglichen, ihre im Vertrauen auf den Fortbestand des bisherigen Rechts geschaffene Rechtslage durch Befreiung von der Versicherungspflicht beizubehalten. Diese Möglichkeit ist gerechtfertigt, wenn sie sich eine der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechende Alterssicherung auf andere Weise geschaffen haben; das ist eine Lebensversicherung in ausreichender Höhe. Die Lebensversicherung ist aber nur eine Voraussetzung für die Befreiung von der Versicherungspflicht, jedoch nicht der eigentliche Grund, weshalb die Befreiungsmöglichkeit in den Übergangsvorschriften geschaffen worden ist. Eine Lebensversicherung als solche ist für sich allein weder nach dem HwVG noch nach dem AVG ein Grund für Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht zu erkennen. Es wird nicht Gleiches ungleich behandelt. Die Personen, die ohne eigenes Zutun nur durch eine Gesetzesänderung betroffen werden, können nicht mit den Personen verglichen werden, die durch eigenes Handeln aus der einen versicherungsrechtlich zusammengefaßten Personengruppe - Angestellte - ausscheiden und in eine andere versicherungsrechtliche Gruppe - Handwerker - überwechseln. Zwar hätte es dem Gesetzgeber freigestanden, das Bestehen einer entsprechend hohen Lebensversicherung für eine Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht für alle Zweige der gesetzlichen Rentenversicherung genügen zu lassen, wenn eine Person in einen anderen Versicherungszweig überwechselt. In dem Fehlen einer so umfassenden Vorschrift kann aber weder ein Verstoß gegen das GG noch das Bestehen einer Lücke gesehen werden, die die Rechtsprechung durch eine ausdehnende Auslegung von Befreiungsvorschriften ausfüllen müßte.

Schließlich können auch Wortlaut und Inhalt des Befreiungsbescheides der BfA vom 19. Juni 1957 das Begehren des Klägers nicht stützen. Es ist daraus klar zu ersehen, daß die Befreiung keinesfalls auf eine Berufstätigkeit als Selbständiger bezogen werden kann. Es heißt im Befreiungsbescheid dazu: Sie - die Befreiung - gilt für jedes Beschäftigungsverhältnis.

Die Revision ist somit nicht begründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669319

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge