Leitsatz (redaktionell)
Einem Sozialhilfeträger steht neben der Möglichkeit aufgrund einer Überleitung von Ansprüchen des Hilfebedürftigen nach BSHG § 90 Ersatz zu erhalten, kein öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch zu.
Normenkette
BSHG § 90 Abs. 1 Fassung: 1974-03-25
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Februar 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten zu ersetzen, die dieser für die Berufsausbildung der nahezu blinden Marianne V (V.) in der Berufsfachschule für Bürotechnik an der "N-pflege S" aufgewendet hat.
Die V. durchlief nach Erfüllung ihrer Schulpflicht von September 1970 an eine dreijährige Ausbildung zur Telefonistin, Stenotypistin und Phonotypistin in der "N-pflege S". Die N-pflege ist eine Blindenschule mit Heim, der auch eine Berufsfachschule für Bürotechnik angegliedert ist. Der Kläger trug die Kosten der Ausbildung. Im November 1970 leitete er die Ansprüche der V. gegen die Beklagte nach § 90 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auf sich über. Den Antrag der V., ihr Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu gewähren, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 28. Februar 1972). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. April 1972). Nach Angaben der Beklagten wurde der Bescheid gleichzeitig dem Kläger übermittelt, nach dessen Behauptung ihm jedoch erst mit Schreiben vom 19. Juli 1972 schriftlich zur Kenntnis gegeben. Mit der Klage hat der Kläger in erster Linie Ersatz der ihm für V. in der N-pflege entstandenen Kosten begehrt; hilfsweise hat er beantragt, den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und diese zu verpflichten, Berufsausbildungsbeihilfe für die V. zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 20. November 1972). Es hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch, der im Wege der reinen Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geltend gemacht werden könne, nicht zu. Der Kläger könne nur den auf sich übergeleiteten Anspruch der V. auf Berufsausbildungsbeihilfe erheben. Dafür sei aber die Klagefrist versäumt.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Klage als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 18. Februar 1975). Es hat dazu ausgeführt: Der Kläger könne seine Forderung - entgegen der Auffassung des SG - auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch stützen und diesen im Wege der reinen Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) geltend machen. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs seien jedoch nicht gegeben, da der V. ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe nach dem AFG nicht zugestanden habe. Eine Förderung nach § 40 AFG scheide aus, weil sie auf betriebliche Ausbildung und Ausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen beschränkt sei. Bei der Ausbildung der V. habe es sich demgegenüber um eine schulische Ausbildung gehandelt, für die nur Ansprüche nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhoben werden könnten. Es habe sich bei der Ausbildung der V. auch nicht um einen Grundausbildungs- oder Förderungslehrgang oder eine andere berufsvorbereitende Maßnahme gehandelt, die ebenfalls nach § 40 AFG zu fördern seien. Vielmehr habe die V. lediglich ihrer Berufsschulpflicht genügt. Die durchlaufene Schulausbildung habe im wesentlichen den gleichen Stoffplan gehabt wie vergleichbare Berufsschulen für Gesunde.
Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger den öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch weiter.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die vom 1. September 1970 bis 6. Juli 1973 entstandenen Ausbildungskosten für die behinderte V. in Höhe von 20.089,10 DM zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der Kläger hat im Revisionsverfahren seinen Antrag auf eine reine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) beschränkt, die er auf einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch stützt. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG), mit der er in den Vorinstanzen den nach § 90 BSHG übergeleiteten Anspruch der V. auf Berufsausbildungsbeihilfe hilfsweise geltend gemacht hatte, hat er nicht mehr erhoben. Der von ihm jetzt noch im Wege der reinen Leistungsklage verfolgte Anspruch kann nicht zum Erfolg führen. Dem Kläger als Sozialhilfeträger steht nämlich neben der Möglichkeit einer Überleitung von Ansprüchen des Hilfebedürftigen gegen die Beklagte (§ 90 BSHG) kein eigener allgemeiner öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1972 - V C 43.72-FEVS 21, 1, 4 und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des 7. Senats des BSG vom 11. März 1976 - 7 RAr 147/74). Insoweit fehlt es im vorliegenden Fall an einer gesetzlichen Grundlage. Im BSHG (§§ 103 ff) werden nur die Kostenerstattungsansprüche zwischen den Sozialhilfeträgern untereinander geregelt. Die Bestimmungen der §§ 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 59 BSHG sind nicht einschlägig. Der § 59 BSHG gilt für den Bereich der Tuberkulosenhilfe; die Vorschriften der RVO betreffen nicht das Verhältnis der Sozialhilfeträger zur Beklagten. Nach dem allgemeinen und gewohnheitsrechtlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch kann ein nichtverpflichteter Leistungsträger, der anstelle des eigentlich Verpflichteten geleistet hat, von diesem Ersatz seiner Aufwendungen verlangen (vgl. BSGE 16, 151, 156, 157; 16, 222, 225). Ein solcher Anspruch ist ausgeschlossen, weil der Ausgleich zwischen dem zunächst zur Leistung verpflichteten Sozialhilfeträger und dem Dritten in § 90 BSHG besonders geregelt ist (BGHZ 33, 243, 244 ff; BVerwG FEVS 15, 241, 245; 21, 4; Knopp-Fichtner, BSHG, 3. Aufl., § 90 Anm. 3). Diese Folge leitet das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) aus dem kodifikatorischen Charakter des Sozialhilferechts her und weist darauf hin, daß § 59 BSHG für die Tuberkulosenhilfe eine Rückerstattungspflicht anordnet, nicht aber die auch im vorliegenden Fall einschlägige Vorschrift des § 44 BSHG. Nach der Rechtsprechung des BVerwG, dem sich auch der 7. Senat des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG, Urteil vom 11. März 1976 - 7 RAr 147/74 -) bereits ausdrücklich angeschlossen hat, dienen die Regeln über die Überleitung des Anspruchs nicht nur den Interessen des Sozialhilfeträgers, sondern auch dem Schutz des Empfängers. Die Überleitung nach § 90 BSHG sei auch insbesondere in das pflichtmäßige Ermessen des Sozialhilfeträgers gestellt, so daß sozialhilferechtlich u. a. der Gedanke der Selbsthilfe zu berücksichtigen sei (Knopp-Fichtner aaO § 90 Anm. 6). Die Vorschriften des § 90 BSHG können allerdings eine andere Ansprüche ausschließende Sonderregelung nur in den Fällen darstellen, in denen der Sozialhilfeträger mit der Leistung an den Hilfeempfänger seine Verpflichtungen aus dem BSHG erfüllt hat, in denen er "kompetenzmäßig" (BVerwG FEVS 21, 4) tätig geworden ist. Rechtmäßig nach dem BSHG handelt der Sozialhilfeträger aber auch in den Fällen des § 44 BSHG. Er hat nach dieser Vorschrift in besonderen Lebenslagen Hilfe zu gewähren, wenn spätestens vier Wochen nach Bekanntwerden des Bedarfs bei ihm nicht feststeht, ob ein anderer und welcher andere zur Hilfe verpflichtet ist und wenn zu befürchten ist, daß die notwendigen Maßnahmen sonst nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Obwohl ihm damit nur eine vorläufige Hilfeleistung auferlegt wird, handelt er doch rechtmäßig und entspricht der ihm im Gesetz übertragenen Pflicht. Angesichts der ständigen Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG aaO) hat der 7. Senat des BSG an seiner bisherigen zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) entwickelten gegenteiligen Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1971 - 7 RAr 12/69 - SozR Nr. 5 zu § 39 AVAVG = FEVS 19, 104) für das AFG nicht mehr festgehalten. Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Nach allem konnte daher die Revision des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen