Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bei gleichzeitig bestehender Erwerbsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit wird durch eine Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht unterbrochen, sondern beendet, wenn daneben fortwährend bis zum Versicherungsfall des Alters eine Erwerbsunfähigkeit besteht (Anschluß an BSG 1976-02-05 11 RA 70/75).
Dies gilt auch dann, wenn während dieser Zeit - bei fortbestehender Erwerbsunfähigkeit - gelegentlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 1974 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben, soweit darin die Beklagte verurteilt worden ist, die Zeiten vom 30. Oktober 1964 bis 30. April 1965 und vom 1. bis 30. Juli 1965 als Ausfallzeiten mit zu berücksichtigen. Auch insoweit wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 28. Juni 1971 zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Festsetzung des Altersruhegeldes des Klägers weitere Ausfallzeiten nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu berücksichtigen sind.
Das Sozialgericht (SG) hat dem Begehren des Klägers - in Übereinstimmung mit der Entscheidung der Beklagten - nicht stattgegeben (Urteil vom 28. Juni 1971). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, bei der Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers die Zeiträume vom 30. Oktober 1964 bis 30. April 1965 und vom 1. bis 30. Juli 1965 als Ausfallzeiten mitzuberücksichtigen und dem Kläger darüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Im übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 22. Januar 1974).
Das LSG hat die folgenden Feststellungen getroffen: Der Kläger war seit 30. Oktober 1964 arbeitsunfähig krank. Im November und Dezember 1964 wurde er operativ in einem Krankenhaus behandelt; in der Zeit vom 15. April bis 13. Mai 1965 war er auf Kosten seiner Krankenkasse in stationärer Heilbehandlung. Für die Dauer der Heilbehandlung bezog er Übergangsgeld und anschließend bis zum 19. Mai 1965 Schonungsgeld. Am 20. Mai 1965 nahm er seine Arbeit - trotz Fortbestehens der am 30. Oktober 1964 ebenfalls eingetretenen Erwerbsunfähigkeit - wieder auf. Am 10. Juni 1965 wurde er erneut krank geschrieben; vom 11. Juni 1965 bis 11. Februar 1966 bezog er Krankengeld. Dem am 24. August 1965 gestellten Rentenantrag gab die Beklagte mit Wirkung vom 1. August 1965 statt. Von diesem Zeitpunkt an bezog er ununterbrochen bis zur Umwandlung der Rente in das Altersruhegeld (1. Dezember 1969) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In der Zeit vom 5. September bis zum 31. Oktober 1969 war er wieder bei seinem früheren Arbeitgeber beschäftigt; eine Besserung seines Gesundheitszustandes war während dieser Zeit nicht festgestellt worden.
Bei der Festsetzung des Altersruhegeldes berücksichtigte die Beklagte rentensteigernd nur noch die vom 20. Mai bis 10. Juni 1965 und vom 5. September bis 31. Oktober 1969 für den Kläger entrichteten Pflichtbeiträge.
Nach Auffassung des LSG sind die Zeiten vom 30. Oktober 1964 bis 30. April 1965 und vom 1. bis 30. Juli 1965 Ausfallzeiten im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Es handele sich insoweit um Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine infolge Krankheit oder Rehabilitationsmaßnahmen bedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden sei (vgl. § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Zwar sei der Kläger - dies stehe aufgrund der ärztlichen Befunde fest - vom 30. Oktober 1964 an bis zum Zeitpunkt des Bezugs des Altersruhegeldes dauernd erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO gewesen. Darauf könne aber nicht entscheidend abgestellt werden. Der Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit schließe nach § 1258 Abs. 4 RVO die Anrechnung einer Ausfallzeit nur dann aus, wenn während dieser Zeit Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gezahlt worden sei. Der Kläger habe die Rente jedoch erst vom 1. August 1965 an bezogen. Die Zeiten, in denen er vorher arbeitsunfähig krank gewesen sei bzw. sich Rehabilitationsmaßnahmen unterzogen habe, müßten deshalb als Ausfallzeiten berücksichtigt werden. Erst mit Zubilligung der Rente scheide der Versicherte endgültig aus dem Erwerbsleben aus. Vor dem 1. August 1965 habe der Kläger - wenn auch nur gelegentlich - gearbeitet. Er sei also bis zu diesem Zeitpunkt arbeitswillig gewesen. Nach dem 1. August 1965 komme jedoch die Berücksichtigung einer Ausfallzeit nicht mehr in Frage.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte haben das Rechtsmittel eingelegt.
Der Kläger ist der Auffassung, das LSG habe § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO unrichtig ausgelegt. Auch während des Bestehens einer Erwerbsunfähigkeit könne ein Rentner noch versicherungspflichtig tätig sein. In einem solchen Fall seien für ihn Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten. Unterbreche der Rentner infolge Arbeitsunfähigkeit das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis, so sei die Zeit der Arbeitsunfähigkeit als Ausfallzeit anzurechnen. Das Fortbestehen der Erwerbsunfähigkeit sei unbeachtlich. Erst mit Zustellung des Bescheides über die Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente - am 11. Februar 1966 - habe der Kläger sein Arbeitsverhältnis aufgelöst. Im übrigen sei er auch während der Rentenbezugszeit - nämlich vom 5. September 1969 bis zum 31. Oktober 1969 - versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Mit der Zubilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente habe das Versicherungsleben des Klägers noch nicht seinen Abschluß gefunden.
Für den Fall, daß seiner Rechtsauffassung nicht gefolgt werde, bestreitet er, daß er seit dem 30. Oktober 1964 ununterbrochen erwerbsunfähig sei.
Der Kläger beantragt,
unter Zurückweisung der Revision der Beklagten diese zu verurteilen, auch die Zeit vom 1. August 1965 bis zum 11. Februar 1966 als Ausfallzeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
unter Zurückweisung der Revision des Klägers das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß mit dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit das Versicherungsleben des Klägers sein Ende gefunden habe. Auf den Zeitpunkt der Rentenbewilligung komme es nicht an.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger bei der Festsetzung des Altersruhegeldes weitere Ausfallzeiten nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO anzurechnen. Seit dem 30. Oktober 1964 ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers nicht mehr durch eine infolge Krankheit oder Rehabilitationsmaßnahmen bedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden. Das LSG hat eine solche Unterbrechung für die Zeit vom 30. Oktober 1964 bis zum 30. April 1965 und vom 1. bis 30. Juli 1965 angenommen. Es hat entscheidend darauf abgestellt, von welchem Zeitpunkt an - hier: 1. August 1965 - Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt worden ist, dem Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit hingegen keine Bedeutung beigemessen. Diese Auffassung widerspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Es ist richtig, daß in Zusammenhang mit § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO eine Anzahl von Fragen noch der Klärung bedarf und daß nicht ausnahmslos davon ausgegangen werden kann, der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit und deren Fortbestehen schließe die Anwendung des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO aus. Gleiches gilt auch für den Fall, daß Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen wird und zwar nicht nur dann, wenn es sich um eine Rente auf Zeit (vgl. § 1276 RVO) handelt, sondern auch dann, wenn die Rente ohne zeitliche Begrenzung gewährt worden ist. Dies hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 30. Juli 1975 (SozR 2200 § 1259 Nr. 9) ausdrücklich ausgesprochen. Dort heißt es u. a., daß dann, wenn ein Versicherter arbeitsunfähig und zugleich erwerbsunfähig sei, eine Unterbrechung einer Beschäftigung oder Tätigkeit - nicht dagegen ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben - vorliege, wenn von Anfang an die begründete Aussicht bestanden habe, daß die Erwerbsunfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein werde und die spätere Entwicklung diese Prognose bestätige. Die Frage, was zu gelten habe, wenn die Erwerbsunfähigkeit - neben der Arbeitsunfähigkeit - während eines längeren Zeitraums, eventuell sogar bis zum Zeitpunkt der Gewährung des Altersruhegeldes, bestanden hat, ist ausdrücklich offengelassen worden. Der Senat hat aber schon in dem vorbezeichneten Urteil zu erkennen gegeben, daß die Entscheidung davon abhänge, ob der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit als Unterbrechung eines Beschäftigungsverhältnisses zu werten sei oder ob ein Ausscheiden aus dem Versicherungsleben vorliege. Ist der Versicherte aus dem Erwerbsleben, soweit es versicherungsrechtlich relevant ist, ausgeschieden, so kann eine Unterbrechung im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht mehr in Betracht kommen. Diese Erwägungen haben das BSG in seiner zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung vom 5. Februar 1976 (11 RA 70/75) zu dem Ergebnis geführt, daß es nicht entscheidend darauf ankomme, daß - neben bestehender Erwerbsunfähigkeit - zugleich Erwerbsunfähigkeitsrente gewährt werde, wenngleich in dem Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente ein Indiz dafür gesehen werden könne, daß tatsächlich Erwerbsunfähigkeit bestehe. Damit sei jedoch - so ist dort weiter ausgeführt - nicht ausgeschlossen, die Frage der Erwerbsunfähigkeit auch dann zu prüfen, wenn es (noch) nicht zur Bewilligung der Rente gekommen sei. Im übrigen wird dort die Auffassung vertreten, daß dann, wenn die Erwerbsunfähigkeit bis zum Eintritt des Versicherungsfalles des Alters ununterbrochen fortbestanden habe, mit dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht unterbrochen, sondern beendet sei. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Auffassung, die - soweit erkennbar - der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht widerspricht, abzuweichen. Ihre konsequente Weiterverfolgung führt dazu, daß es in einem solchen Falle - in dem also neben der Arbeitsunfähigkeit Erwerbsunfähigkeit ununterbrochen bis zum Zeitpunkt des Bezugs des Altersruhegeldes bestanden hat - nicht darauf ankommen kann, ob der Versicherte zwischenzeitlich gelegentlich versicherungspflichtig beschäftigt war und damit im Ergebnis erfolglose Arbeitsversuche unternommen hat. Wenn die ununterbrochen bis zum Versicherungsfall des Alters fortbestehende Erwerbsunfähigkeit die Beendigung des Erwerbslebens, soweit es versicherungsrechtlich relevant ist, bedeutet, so ist in dieser Zeit die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschlossen. Es kann in diesem Zusammenhang weder auf den Rentenbezug abgestellt werden noch darauf, ob der Versicherte etwa arbeitswillig war.
Eine andere Frage ist die, ob die Tatsache, daß der Rentner zwischenzeitlich gearbeitet hat, nicht darauf hindeuten kann, daß ein Fortbestehen der Erwerbsunfähigkeit nicht mehr anzunehmen ist. Dies ist jedoch eine Frage der Beweiswürdigung, sie bedarf hier keiner Erörterung. Aus den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen folgt, daß der Kläger seit dem 30. Oktober 1964 nicht nur arbeitsunfähig, sondern auch erwerbsunfähig war. Die Erwerbsunfähigkeit hat auch bis zum Eintritt des Versicherungsfalles des Alters ununterbrochen fortbestanden. Dies bestreitet der Kläger zwar in der Revisionsbegründung. Eine den Erfordernissen des Gesetzes entsprechende Rüge hinsichtlich der insoweit bedeutsamen Tatsachenfeststellungen des LSG (vgl. §§ 163, 164 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) läßt sich seinen Ausführungen jedoch nicht entnehmen.
Hiernach muß die Revision der Beklagten Erfolg haben. Beim Kläger hat seit 30. Oktober 1964 Erwerbsunfähigkeit bestanden, sie hat bis zum Zeitpunkt des Bezuges des Altersruhegeldes angedauert. Die Anrechnung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO während dieser Zeit scheidet aus. Daraus folgt zugleich, daß dem mit der Revision des Klägers verfolgten Begehren auf Anrechnung weiterer Ausfallzeiten nicht stattgegeben werden kann, seine Revision also zurückgewiesen werden muß (vgl. § 170 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen