Leitsatz (amtlich)
Verlegt ein in die Handwerksrolle eingetragener Handwerker seinen Betrieb in den Bezirk einer anderen Handwerkskammer und wird deshalb die Eintragung in die Handwerksrolle der bisher zuständigen Handwerkskammer gelöscht, so bleibt die Versicherungsfreiheit nach HwVG § 6 Abs 3 bestehen, wenn der Betrieb an der neuen Betriebsstätte unverzüglich fortgeführt wird.
Normenkette
HwVG § 1 Fassung: 1965-09-09, § 6 Abs. 1 Fassung: 1965-09-09, Abs. 3 Fassung: 1965-09-09, Abs. 5 Fassung: 1965-09-09; HwAVG §§ 3, 4 Abs. 1; HwO § 16 Abs. 2 Fassung: 1965-12-28, § 118 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-12-28, Abs. 2 Fassung: 1965-12-28
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 20. Juni 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger vom 1. Juli 1970 an nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) versicherungspflichtig ist.
Der seit dem 12. Dezember 1956 als Tischlermeister in der Handwerksrolle bei der Handwerkskammer H eingetragene Kläger war durch Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA) Freie und Hansestadt H vom 9. Januar 1964 nach § 6 Abs 3 HwVG von der Versicherungspflicht befreit, da er ausreichende Lebensversicherungen abgeschlossen hatte. In dem Bescheid ist vermerkt: "Die Versicherungsfreiheit endet mit der Löschung Ihrer Handwerksrolleneintragung." Auf seinen Antrag, die Eintragung wegen Kündigung der Betriebsräume und Verlegung des Betriebs nach W, B Landstraße ..., zu löschen, löschte die Handwerkskammer H die Eintragung zum 31. Dezember 1966. Der Kläger hatte seinen Betrieb Ostern 1966 von H nach W verlegt, wo er auf einem 1965 gekauften Grundstück ein Werkstattgebäude errichtet hatte. Der Kläger entrichtete die Gewerbesteuer bis zum 30. Juni 1966 in H und seit dem 1. Juli 1966 ununterbrochen in W. Erst am 12. Juni 1970 beantragte er die Eintragung in die Handwerksrolle der nunmehr zuständigen Handwerkskammer L; diese trug ihn am 16. Juni 1970 in die Handwerksrolle ein.
Durch Bescheid vom 17. August 1970 stellte die Beklagte fest, der Kläger sei nach § 1 HwVG vom 1. Juli 1970 an versicherungspflichtig; die von der LVA ausgesprochene Versicherungsfreiheit gelte nicht mehr; sie sei durch die Löschung in der Handwerksrolle beendet. Mit Bescheid vom selben Tage forderte die Beklagte vom Kläger den Monatsbeitrag für Juli 1970 mit 153,- DM. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. August 1971; Urteil des Sozialgerichts - SG - Lübeck vom 10. November 1972). Auf die Berufung des Klägers hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 17. August 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 1971 aufgehoben. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 20. Juni 1974).
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 6 Abs 5 HwVG.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, Sie ist zurückzuweisen.
Mit Recht hat das Berufungsgericht den Kläger für weiterhin versicherungsfrei nach § 6 Abs 3 HwVG erklärt. Der Kläger war wegen ausreichender Lebensversicherungen auf Grund des Bescheids der damals zuständigen LVA Freie und Hansestadt H vom 9. Januar 1964 in der Handwerkerversicherung nach § 6 Abs 3 HwVG versicherungsfrei. Er ist trotz der Löschung der Eintragung in der Handwerksrolle der Handwerkskammer H zum 31. Dezember 1966 versicherungsfrei geblieben. Die Beklagte kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf § 6 Abs 5 HwVG berufen, wonach die Versicherungsfreiheit bei Löschung der Eintragung des Handwerks in der Handwerksrolle endet. Der Wortlaut dieser Vorschrift spricht allerdings für die Auffassung der Beklagten. Die am Wortlaut haftende Auslegung des § 6 Abs 5 HwVG würde aber dazu führen, daß bei jeder Löschung der Eintragung in der Handwerksrolle der bisher zuständigen Handwerkskammer infolge einer Verlegung und Fortführung des Handwerksbetriebs nach der Betriebsverlegung innerhalb des Kammerbereichs oder in den Bereich einer anderen Handwerkskammer der Handwerker nicht mehr versicherungsfrei nach § 6 Abs 3 HwVG wäre. Die Beklagte räumt ein, daß ein solches Ergebnis nicht zu billigen ist. Sie will die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 3 HwVG dann nicht mit der Löschung der Eintragung in der Handwerksrolle beendet wissen, wenn der Handwerker seinen Betrieb innerhalb des bisherigen Handwerkskammerbereichs oder in den Bereich einer anderen Handwerkskammer verlegt, er den Betrieb vorübergehend aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht weiterführen kann, die Neueintragung aber unverzüglich nach der Wiederaufnahme des Betriebs bei der zuständigen Handwerkskammer beantragt (vgl SG Würzburg, Breith. 1965, 756; SG Kassel, ZfS 1972, 21; Hessisches LSG, ZfS 1973, 156; Jorks, Handwerkerversicherungsgesetz, 1962, § 6, Anm 61; Kahmann/Jahn/Hoernigk, Das Handwerkerversicherungsrecht, darin: Jahn/Hoernigk, Das Handwerkerversicherungsgesetz, 11. Lieferung, § 6, Anm. 29, S. K 58). Damit unterscheidet sie unabhängig vom Wortlaut der Vorschrift des § 6 Abs 5 HwVG grundsätzlich zwischen einer wegen einer Betriebsverlegung förmlich notwendigen Löschung und einer Löschung wegen endgültiger Betriebsaufgabe (vgl Jorks, aaO; Jahn/Hoernigk, aaO). Sie betont bei dieser am Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift orientierten Auslegung aber zu sehr die förmliche Seite, indem sie die unverzügliche Anzeige und Eintragung der Betriebsverlegung verlangt. Allerdings ist für die Versicherungspflicht in der Handwerkerversicherung nach § 1 Abs 1 HwVG allein die Eintragung in die Handwerksrolle maßgebend. Die Anknüpfung an die Förmlichkeit der Eintragung in die Handwerksrolle erlaubt eine einfache, zügige und kostensparende Bearbeitung durch den Versicherungsträger (vgl BSG SozR Nr 3 zu § 1 HwVG). Die Handwerkerversicherung dauert fort, solange die Eintragung in der Handwerksrolle nicht gelöscht ist (vgl BSGE 30, 263, 264 = SozR Nr 1 zu § 2 HwVG mit Nachweisen; SozR Nr 2 zu § 3 HwVG Urteil des erkennenden Senats vom 26. Mai 1977 - 12/3 RK 29/75 -; ebenso bereits zum Handwerkerversorgungsgesetz (HVG): BSGE 23, 13, 15 = SozR Nr 3 zu § 1 HVG). Diese für den Regelfall geltenden Grundsätze sind indes auf die Übergangsvorschriften des § 6 HwVG nicht anzuwenden. § 6 HwVG regelt die Überleitung der Versicherungsfreiheit nach § 3 HVG wegen des Abschlusses eines Lebensversicherungsvertrags auf das Recht des HwVG (vgl Verbandskomm., § 6 HwVG, Anm 1). Nach § 4 Abs 1 HVG war der Handwerker versicherungsfrei, wenn und solange er für seine Lebensversicherung mindestens ebensoviel aufwendete wie er zur Angestelltenversicherung zu zahlen gehabt hätte. Daran sollte sich durch das neue Recht des HwVG grundsätzlich nichts ändern. Mit der gesetzlich verfügten Ausnahme in § 6 Abs 5 HwVG, wonach die Versicherungsfreiheit bei Löschung der Eintragung des Handwerkers in der Handwerksrolle endet, ist - entgegen dem Wortlaut - nicht jede Löschung der Eintragung des Handwerkers in der Handwerksrolle gemeint. Vielmehr soll diese gesetzliche Vorschrift sicherstellen, daß der Handwerker, der sein Handwerk aufgibt und dessen Eintragung in der Handwerksrolle deshalb gelöscht wird, für die Zukunft sich nicht mehr auf die aus dem früheren Recht hergeleitete und nach § 6 HwVG weiterhin bestehende Versicherungsfreiheit berufen kann. Wird aber - wie hier - ein Handwerksbetrieb an eine neue Betriebsstätte verlegt und wird deshalb die Eintragung in der Handwerksrolle der bisher zuständigen Handwerkskammer gelöscht, so ist dies dann keine "Löschung der Eintragung des Handwerkers in der Handwerksrolle" nach § 6 Abs 5 HwVG, wenn der Handwerker seinen Betrieb an der neuen Betriebsstätte unverzüglich fortführt. Unverzüglich wird ein Betrieb fortgeführt, wenn der Handwerker seinen Betrieb ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 des Bürgerlichen Gesetzbuches) an der neuen Stelle wieder in Gang setzt. Ist der Handwerker zeitweilig gehindert seinen Betrieb fortzuführen, ohne daß er dies zu vertreten hat, so bilden die bisherige und die neue Handwerkstätigkeit eine Einheit. Auf die Löschung der Eintragung kommt es insoweit nicht entscheidend an.
Die Löschung und die Neueintragung haben bei einer Betriebsverlegung und unverzüglichen Betriebsfortsetzung entgegen der Auffassung der Beklagten keine rechtsgestaltende Wirkung. Das erfordern Sinn und Zweck der Regelungen des § 6 Abs 3 und 5 HwVG: Versicherungsfreiheit soll dem Handwerker zugute kommen, der sich bereits durch Abschluß von Lebensversicherungsverträgen eine den Leistungen des HwVG entsprechende Sicherung geschaffen hat. Der Handwerker muß darauf vertrauen können, daß sich eine Betriebsverlegung auf den von ihm gewählten Schutz durch Lebensversicherungen und die gleichzeitige Versicherungsfreiheit in der Handwerkerversicherung nicht nachteilig auswirkt. Wer seinen Handwerksbetrieb - wie der Kläger - am neuen Ort unmittelbar weiterführt und an seinem Lebensversicherungsschutz unverändert festhält und demgemäß die Versicherungsbeiträge entrichtet, ist auf den sozialen Schutz der Handwerkerversicherung nicht angewiesen. Die Grundlage seiner Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 3 HwVG besteht fort. Eine Doppelsicherung durch Lebensversicherung und die Handwerkerversicherung ist in einem solchen Fall sachlich nicht geboten. Dem steht die mit 3 1/2-jähriger Verspätung erheblich verschleppte Anzeige der Betriebsfortführung an die nunmehr zuständige Handwerkskammer L nicht entgegen. Darin ist allerdings ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Anmeldepflicht zu sehen (vgl § 16 Abs 2 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks - Handwerksordnung -HwO- idF d. Bek. v. 28. Dezember 1965/12. April 1976 - BGBl 1966 I 1, 1976 I 965, 982; Eyermann/Fröhler/Honig, HwO, 3. Aufl., § 16 Anm. 5). Dieser ist jedoch - entgegen der Auffassung der Beklagten - nur als eine Ordnungswidrigkeit zu ahnden (§ 118 HwO). Versicherungsrechtliche Auswirkungen hat der Verstoß nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen